„Diener des Volkes“: Crash-Kurs in Demokratie |
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Wolodymyr Selenskyj als leidender Präsident in »Diener des Volkes«. | ||
(Foto: arte TV) |
Von Axel Timo Purr
„Putin, raus hier. Na los!“ – Diener des Volkes, 1. Staffel 3. Folge
Bislang galten ja eigentlich Ronald Reagan und Arnold Schwarzenegger als die erfolgreichsten Schauspieler, die es auch in der Politik zu etwas gebracht haben. Beide verstanden es dabei mal mehr und mal weniger subtil ihre schauspielerischen Qualitäten und alten Filmrollen in die Tagespolitik als Gouverneur und Präsident mit einzubeziehen, was dann und wann durchaus etwas verwirrend war.
Doch gegen Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj, den gegenwärtigen Präsidenten der Ukraine, der sich mit allen Mitteln gegen die russische Invasion wehrt und dies in seinen aus dem belagerten Kiew gesendeten Videobotschaften eindrücklich unterstreicht und inzwischen nicht nur das britische Parlament in Wallung gebracht, sondern auch eine Simultandolmetscherin zu Tränen gerührt hat, wirken Reagan und Schwarzenegger dann doch eher blass und werden eigentlich nur noch von Wladimir Wladimirowitsch Putin in den Schatten gestellt, der in seinen aseptischen, botoxierten und völlig uncharismatischen Reden die Welt eher zum Widerstand reizt, anstatt sie, wie intendiert, in Angst und Schrecken zu versetzen.
Deshalb muss über Putin auch kein weiteres Wort mehr verloren werden, umso mehr aber über den Schauspieler, Komiker, Synchronsprecher, Regisseur, Fernsehmoderator, Filmproduzenten, Drehbuchautor und nicht zu vergessen: Staatspräsidenten Selenskyj. Denn was eigentlich schon seit seiner Wahl im Jahr 2019 verblüfft hatte, ist durch den Angriff Russlands auf die Ukraine und Selenskyjs souveränes mediales Auftreten nun erneut in Erinnerung gerufen worden, unterstützt durch ARTE, das die erste Staffel von Selenskyjs seit 2015 ausgestrahlter Erfolgsserie Diener des Volkes bereits seit vergangenen November in seiner Mediathek zum Abruf bereitgestellt hat.
Verblüffend daran ist nicht nur hier einen sieben Jahre jüngeren Selenskyj zu sehen, der nicht anders als heute zum ukrainischen Volk spricht und Fiktion und Realität auf fast schon unerhörte Weise verquirlt wird, sondern hier eine atemberaubende Politsatire zu sehen, die mit Anleihen an die legendäre britische politische Satire-Sitcom Yes Minister eigentlich alles vorwegnimmt, was Selenskyj dann nach seiner Wahl zum Präsidenten zumindest in Ansätzen versucht hat durchzusetzen, um die Ukraine in so etwas wie einen solventen, demokratischen Staat zu transformieren, um irgendwann einmal Teil der EU werden zu können. Es ist eine Art Crash-Kurs in Demokratie.
Als die Serie 2015 in der Ukraine auf einem der größten privaten Sender anlief, war überdeutlich, dass dieser Crash-Kurs nicht nur Nachhilfe in Sachen Demokratie war, sondern auch eine direkte Antwort auf die 2014 zu Ende gegangenen Euromaidan-Proteste darstellte, die seit 2013 eskaliert waren, nachdem die damalige Regierung erklärt hatte, das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union vorerst nicht zu unterzeichnen. Evgeny Afineevskys auf Netflix verfügbare, eindringliche, diese Ereignisse begleitende Dokumentation Winter on Fire: Ukraine’s Fight for Freedom sei wärmstens empfohlen, um nicht nur den gegenwärtigen, für die Russen so überraschenden Widerstand der Ukrainer zu erklären, sondern auch, um besser zu verstehen, warum Selenskyj und seine Produktionsfirma Studio Kwartal 95 mit erheblichen Mitteln diese Serie ins ukrainische Fernsehen hievten.
Zum Erfolg halfen der Serie allerdings nicht nur ihre aktuellen politischen Bezüge um einen Geschichtslehrer, der durch ein viral gegangenes Video seiner Schüler und eine von ihnen initiierte Crowd-Funding-Kampagne zur Präsidentenwahl antritt und dann auch noch gewinnt und versucht, alles besser zu machen als die korrupten Vorgängerregierungen. Nein, mehr noch als der eigentliche Inhalt ist es die Inszenierung von Macht mit all ihren Tücken unter dem Deckmantel einer immer wieder in die Burleske ausufernden Komödie, die vor allem im politischen Teil besticht, weil der sich spielerisch auf fast jedes in einer Transformation befindliches, „schwaches“ demokratisches System übertragen lässt.
Allein die Bedeutung der Oligarchen wirkt regional-spezifisch, doch unter anderer Betitelung findet sich auch diese Extremform des „Lobbyismus“ in fast jedem Staatssystem und geht wie in Selsenkyjs Serie unheilvolle Allianzen ein, die Diener des Volkes ebenso gnadenlos durchdekliniert wie Kleptokratie, Vetternwirtschaft und die Korrumpierbarkeit durch Macht, die hier von oberster Staatsebene bis zur basalsten Familienebene durchgespielt wird. Und das – bis auf die etwas zu derb und aufgesetzt geratenen Familienszenen – äußerst souverän, merkt man jeder Folge an, dass Selenskyj zu diesem Zeitpunkt bereits aus fast 20 Jahren Kabarett-, Film- und Fernseherfahrung schöpfen konnte.
Die Serie macht dabei vor allem eins deutlich: Dass Politik natürlich kein Kinderspiel ist, aber dass es manchmal durchaus Kinder bzw. Schüler braucht, um Veränderungen auszulösen. Und dann natürlich einen Schauspieler, der derart charismatisch seine Rolle spielt, dass er mit der dritten und finalen Staffel tatsächlich den Schritt in die Realpolitik wagen konnte. In der sich dann allerdings wie in Diener des Volkes nicht nur die positiven Seiten der Medaille offenbarten, sondern auch Selenskyj trotz seiner auch gegen Oligarchen gerichteten Reformpolitik die Nähe zumindest eines Oligarchen während des Wahlkampfes nachgewiesen werden konnte und im Oktober 2021 über die Pandora Papers durchsickerte, dass Selenskyj eine Briefkastenfirma in einer Steueroase unterhalten haben soll, eine Praxis, für die er seinen Vorgänger vor Amtsantritt noch kritisiert hatte und die ihn einiges an Umfragewerten kostete (nicht anders übrigens als in seiner Serie, in der er ähnlich ins Taumeln gerät).
„Aber die Wahrheit“, sagt Selenskyjs Alter Ego Vasily Petrovich Goloborodko in Diener des Volkes an einer Stelle, »ist nun mal die Wahrheit, auch wenn sie unangenehm ist.« Und das kann nun mal auch bedeuten, das wie in der an dieser Stelle vom Kaiser und Bauern erzählten Parabel dem der Wahrheit verpflichteten, den Kaiser für die zu hohen Steuern in seiner Provinz kritisierenden Bauern die Zunge für sein Aufbegehren herausgerissen wird. Der Kaiser am Ende aber doch die Steuern senkt.
Es bleibt nur zu hoffen, dass wenigstens dieser fiktive Serien-Schnipsel nicht auf irgendwelche kommenden, realen Ereignisse anspielt, nicht auf den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine und vor allem nicht auf das Kräftemessen zwischen Putin und Selenskyj.