10.03.2022

„Diener des Volkes“: Crash-Kurs in Demokratie

Wolodymyr Selenskyj in Diener des Volkes
Wolodymyr Selenskyj als leidender Präsident in »Diener des Volkes«.
(Foto: arte TV)

Zumindest den medialen Krieg gegen Wladimir Putin hat Wolodymyr Selenskyj schon einmal gewonnen. Das liegt auch an seiner seit 2015 ausgestrahlten prophetischen Politsatire, deren erste Staffel auf ARTE zu sehen ist

Von Axel Timo Purr

„Putin, raus hier. Na los!“ – Diener des Volkes, 1. Staffel 3. Folge

Bislang galten ja eigent­lich Ronald Reagan und Arnold Schwar­zen­egger als die erfolg­reichsten Schau­spieler, die es auch in der Politik zu etwas gebracht haben. Beide verstanden es dabei mal mehr und mal weniger subtil ihre schau­spie­le­ri­schen Quali­täten und alten Film­rollen in die Tages­po­litik als Gouver­neur und Präsident mit einzu­be­ziehen, was dann und wann durchaus etwas verwir­rend war.

Doch gegen Wolodymyr Olek­san­d­ro­wytsch Selenskyj, den gegen­wär­tigen Präsi­denten der Ukraine, der sich mit allen Mitteln gegen die russische Invasion wehrt und dies in seinen aus dem bela­gerten Kiew gesen­deten Video­bot­schaften eindrück­lich unter­streicht und inzwi­schen nicht nur das britische Parlament in Wallung gebracht, sondern auch eine Simul­tan­dol­met­scherin zu Tränen gerührt hat, wirken Reagan und Schwar­zen­egger dann doch eher blass und werden eigent­lich nur noch von Wladimir Wladi­mi­ro­witsch Putin in den Schatten gestellt, der in seinen asep­ti­schen, boto­xierten und völlig uncha­ris­ma­ti­schen Reden die Welt eher zum Wider­stand reizt, anstatt sie, wie inten­diert, in Angst und Schrecken zu versetzen.

Deshalb muss über Putin auch kein weiteres Wort mehr verloren werden, umso mehr aber über den Schau­spieler, Komiker, Synchron­spre­cher, Regisseur, Fern­seh­mo­de­rator, Film­pro­du­zenten, Dreh­buch­autor und nicht zu vergessen: Staats­prä­si­denten Selenskyj. Denn was eigent­lich schon seit seiner Wahl im Jahr 2019 verblüfft hatte, ist durch den Angriff Russlands auf die Ukraine und Selens­kyjs souver­änes mediales Auftreten nun erneut in Erin­ne­rung gerufen worden, unter­s­tützt durch ARTE, das die erste Staffel von Selens­kyjs seit 2015 ausge­strahlter Erfolgs­serie Diener des Volkes bereits seit vergan­genen November in seiner Mediathek zum Abruf bereit­ge­stellt hat.

Verblüf­fend daran ist nicht nur hier einen sieben Jahre jüngeren Selenskyj zu sehen, der nicht anders als heute zum ukrai­ni­schen Volk spricht und Fiktion und Realität auf fast schon unerhörte Weise verquirlt wird, sondern hier eine atem­be­rau­bende Polit­sa­tire zu sehen, die mit Anleihen an die legendäre britische poli­ti­sche Satire-Sitcom Yes Minister eigent­lich alles vorweg­nimmt, was Selenskyj dann nach seiner Wahl zum Präsi­denten zumindest in Ansätzen versucht hat durch­zu­setzen, um die Ukraine in so etwas wie einen solventen, demo­kra­ti­schen Staat zu trans­for­mieren, um irgend­wann einmal Teil der EU werden zu können. Es ist eine Art Crash-Kurs in Demo­kratie.

Als die Serie 2015 in der Ukraine auf einem der größten privaten Sender anlief, war über­deut­lich, dass dieser Crash-Kurs nicht nur Nachhilfe in Sachen Demo­kratie war, sondern auch eine direkte Antwort auf die 2014 zu Ende gegan­genen Euro­maidan-Proteste darstellte, die seit 2013 eskaliert waren, nachdem die damalige Regierung erklärt hatte, das Asso­zi­ie­rungs­ab­kommen mit der Europäi­schen Union vorerst nicht zu unter­zeichnen. Evgeny Afineevskys auf Netflix verfüg­bare, eindring­liche, diese Ereig­nisse beglei­tende Doku­men­ta­tion Winter on Fire: Ukraine’s Fight for Freedom sei wärmstens empfohlen, um nicht nur den gegen­wär­tigen, für die Russen so über­ra­schenden Wider­stand der Ukrainer zu erklären, sondern auch, um besser zu verstehen, warum Selenskyj und seine Produk­ti­ons­firma Studio Kwartal 95 mit erheb­li­chen Mitteln diese Serie ins ukrai­ni­sche Fernsehen hievten.

Zum Erfolg halfen der Serie aller­dings nicht nur ihre aktuellen poli­ti­schen Bezüge um einen Geschichts­lehrer, der durch ein viral gegan­genes Video seiner Schüler und eine von ihnen initi­ierte Crowd-Funding-Kampagne zur Präsi­den­ten­wahl antritt und dann auch noch gewinnt und versucht, alles besser zu machen als die korrupten Vorgän­ger­re­gie­rungen. Nein, mehr noch als der eigent­liche Inhalt ist es die Insze­nie­rung von Macht mit all ihren Tücken unter dem Deck­mantel einer immer wieder in die Burleske ausufernden Komödie, die vor allem im poli­ti­schen Teil besticht, weil der sich spie­le­risch auf fast jedes in einer Trans­for­ma­tion befind­li­ches, „schwaches“ demo­kra­ti­sches System über­tragen lässt.

Allein die Bedeutung der Olig­ar­chen wirkt regional-spezi­fisch, doch unter anderer Beti­telung findet sich auch diese Extrem­form des „Lobby­ismus“ in fast jedem Staats­system und geht wie in Selsen­kyjs Serie unheil­volle Allianzen ein, die Diener des Volkes ebenso gnadenlos durch­de­kli­niert wie Klep­to­kratie, Vettern­wirt­schaft und die Korrum­pier­bar­keit durch Macht, die hier von oberster Staats­ebene bis zur basalsten Fami­li­en­ebene durch­ge­spielt wird. Und das – bis auf die etwas zu derb und aufge­setzt geratenen Fami­li­en­szenen – äußerst souverän, merkt man jeder Folge an, dass Selenskyj zu diesem Zeitpunkt bereits aus fast 20 Jahren Kabarett-, Film- und Fern­seh­erfah­rung schöpfen konnte.

Die Serie macht dabei vor allem eins deutlich: Dass Politik natürlich kein Kinder­spiel ist, aber dass es manchmal durchaus Kinder bzw. Schüler braucht, um Verän­de­rungen auszu­lösen. Und dann natürlich einen Schau­spieler, der derart charis­ma­tisch seine Rolle spielt, dass er mit der dritten und finalen Staffel tatsäch­lich den Schritt in die Real­po­litik wagen konnte. In der sich dann aller­dings wie in Diener des Volkes nicht nur die positiven Seiten der Medaille offen­barten, sondern auch Selenskyj trotz seiner auch gegen Olig­ar­chen gerich­teten Reform­po­litik die Nähe zumindest eines Olig­ar­chen während des Wahl­kampfes nach­ge­wiesen werden konnte und im Oktober 2021 über die Pandora Papers durch­si­ckerte, dass Selenskyj eine Brief­kas­ten­firma in einer Steu­er­oase unter­halten haben soll, eine Praxis, für die er seinen Vorgänger vor Amts­an­tritt noch kriti­siert hatte und die ihn einiges an Umfra­ge­werten kostete (nicht anders übrigens als in seiner Serie, in der er ähnlich ins Taumeln gerät).

„Aber die Wahrheit“, sagt Selens­kyjs Alter Ego Vasily Petrovich Golo­bo­rodko in Diener des Volkes an einer Stelle, »ist nun mal die Wahrheit, auch wenn sie unan­ge­nehm ist.« Und das kann nun mal auch bedeuten, das wie in der an dieser Stelle vom Kaiser und Bauern erzählten Parabel dem der Wahrheit verpflich­teten, den Kaiser für die zu hohen Steuern in seiner Provinz kriti­sie­renden Bauern die Zunge für sein Aufbe­gehren heraus­ge­rissen wird. Der Kaiser am Ende aber doch die Steuern senkt.

Es bleibt nur zu hoffen, dass wenigs­tens dieser fiktive Serien-Schnipsel nicht auf irgend­welche kommenden, realen Ereig­nisse anspielt, nicht auf den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine und vor allem nicht auf das Kräf­te­messen zwischen Putin und Selenskyj.