72. Berlinale 2022
Der Geschmack von Haut und Tränen... |
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Auf der Suche nach dem verlorenen Fassbinder... | ||
(Foto: Berlinale Presseservice) |
»Die Idee zu 'Berlin Chamissoplatz' (1980) kam mir, als ich in der Südsee war und wir dort einen Film drehten.« – Rudolf Thome, in: »Berlin Visionen«; Berlin 2021, S.185
»Ich möchte ein Eisbär sein im kalten Polar
Dann müsste ich nicht mehr schrei'n«
Alles wär' so klar – Grauzone, 1980
Beim Abholen der Akkreditierung schenkt mir die Dame hinter dem Schalter einen Sticker. Ich darf die Farbe aussuchen und wähle statt Klimablau und Baerbockgrün Orange. Merkel-Farbe könnte man spotten, aber auch Farbe des Jurybadges und vor allem Erkennungsfarbe der Sektion »Encounters«. Die hat Direktor Carlo Chatrian bei seinem Antritt 2020 zunächst als Gegen-Forum gegründet, und sie hat sich schnell zur interessantesten Sektion der Berlinale gemausert. Hier werde ich in den nächsten Tagen besonders viele Filme sehen. Ich habe mir schon Karten für Franzosen und Russen reserviert.
Auf dem Sticker steht etwas gewollt: »Leinwand frei fürs Impfen.« Das ist mir zwar inhaltlich sympathisch, aber doch etwas zu aufdringlich. Tragen werde ich sowas nicht.
Zu erkennen ist darauf auch das diesjährige Plakatmotiv, ein abstrahiertes, weißes, bärenähnliches Wesen, das ein um 90-Grad gedrehtes Berlinale-B als Augen aufgesetzt bekommen hat, oder als Brille, die man braucht, um die Filme gut zu finden.
»Ist das eigentlich ein Eisbär, oder ein Yeti?« frage ich die Dame hinter dem Schalter und verschweige, dass es sich auch um einem Foxterrier handeln könnte. »Das ist eine sehr gute Frage« antwortet sie. »Das haben wir uns auch schon gefragt.«
Beschließen wir für uns also einstweilen mal, dass es sich um einen Eisbär handelt, der dann am Ende des Festivals goldgefärbt wird.
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Eine sehr berechtigte Frage bekam ich dann bald darauf umgekehrt zum gestrigen Auftakt des diesjährigen Berlinale-Tagebuchs gestellt: Inwiefern denn, beziehungsweise warum der Schatten Dieter Kosslick sich weiterhin über die Berlinale lege? Da hatte ich mit dem Text schnell fertig werden müssen, und es mal wieder an gedanklichen Verbindungen fehlen lassen.
Also: Gemeint ist, dass man sich erstens immer noch daran gewöhnen muss, dass Dieter Kosslick nicht mehr Direktor ist, weil man seinen vielen Spuren weiterhin an jeder Ecke begegnet und mindestens einmal am Tag ein Kosslick-Déjà-vu hat.
Vor allem aber meinte ich, dass er in den 18 Jahren seiner Amtszeit die Berlinale extrem vergrößert hat. Er hat auch mehrere Sektionen geschaffen, die nicht nur ich für überflüssig halte. So ist die Berlinale seit dem Jahr 2001 konturloser und nicht
gerade besser geworden. Das Programm hat viel zu viel Filme; es umfasst in manchen Jahren über 400 mindestens aber knapp 400. In diesem Jahr sind es nicht nur pandemiebedingt wesentlich weniger, wie ich aber geschrieben hatte immer noch mehr als Cannes und Venedig zusammen.
Das Ergebnis einer solchen Menge ist nicht etwa zusätzliche Vielfalt, sondern zum einen eine wahnsinnige Unübersichtlichkeit und zum anderen der Grundsatz Eindruck einer grauen breiigen Masse, aus der kaum etwas Prägnantes heraussticht. Ein Filmfestival in meinem Verständnis sollte sich aber so verstehen, dass genau ein Gegengewicht zum Brei des Kinoalltags gesetzt wird. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Das Forum wird tendenziell unbedeutender, das Panorama findet
seinen Charakter zwischen Forum, Encounters, Perspektive und Generation nicht. Insgesamt gibt es zu viel Austauschbarkeit und Nebeneinander des Diffusen.
Es wird aber besser. Man sieht, dass die neuen Direktoren ein anderes, besseres kunstorientierteres Festival wollen, dass sie es nicht mehr versuchen allen recht zu machen. Dass der Weg interessant werden könnte. Dass die schlimmsten, peinlichen Dinge verschwunden sind.
Einstweilen aber ist vieles allzu austauschbar und
zu wenig wirklich relevant. Außerdem ist Pandemie. Wir werden sehen.
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Eine Reise in die Vergangenheit, in die gute alte Zeit vor der Pandemie, und eine Reise ins innere Herz des Kinos – das alles konnte man gestern Abend zur Eröffnung der Berlinale sehen.
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Peter von Kant – schon beim Titel von Francois Ozons Eröffnungsfilm dürfte es manchen Filmfans in den Ohren geklingelt haben: Genau 50 Jahre ist es her, dass Rainer Werner Fassbinder einen seiner berühmtesten Filme herausbrachte: Die bitteren
Tränen der Petra von Kant erzählt von einer erfolgreichen bürgerlichen Frau, die sich nach dem Tod ihres Mannes in immer neue sadomasochistische Liebes-Verhältnisse mit Frauen verwickeln lässt. Als sie dann eines Tages eine Frau kennenlernt, die sie wirklich liebt, begegnet sie auch ihren inneren Schwächen.
Ozon hält sich eng an diese Vorlage, versetzt sie aber, wie der Titel schon ahnen lässt, ins Milieu schwuler Männer und dann auch noch in die Filmwelt. Klingt
schonmal auf dem Papier nach perfektem Eröffnungsfilm.
Hier ist es ein berühmter Filmregisseur, der sich in Amir, einen gut aussehenden jungen Mann aus bescheidenen Verhältnissen, verliebt. Diese Geschichte war immer schon ein verkapptes Selbstporträt ihres Schöpfers und seiner unglücklichen Liebe zu Günther Kaufmann. Einmal durch die Ozon-Einverleibungsmaschine gedreht, wird es komplett zu einem Film über Fassbinder, dem genau die Fassbinderhaftigkeit, also das Brüchige, Fragmentarische und die rigide Künstlichkeit des Vorbildfilms fehlt. Künstlich ist hier vor allem das Nachpausen und Nachölen des Originals – das im Übrigen einer der anstrengendsten Fassbinder-Filme ist, den ich kenne.
»In meiner Adaption habe ich den Text verdichtet und die manchmal sehr literarischen Dialoge vereinfacht, um eine starke Identifikation mit den Figuren zu schaffen«, erklärt Ozon selbst seinen Ansatz geschmeidiger. Das Ergebnis ist leichter, boulevardesker und im Prinzip filmischer, allerdings auch seichter, als der theatralische und betont verfremdende Stil der Fassbinder-Vorlage. Man fragte sich am Donnerstagabend, inwieweit damit auch der Ton für die nächsten acht Festival-Tage angeschlagen wurde.
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Gedämpfte Fröhlichkeit, so könnte man die Stimmung zum Auftakt der Berlinale am ehesten beschreiben. Das Beharren der Berlinale-Leitung auf einer reinen Präsenzveranstaltung, also ohne die Möglichkeit die Filme online in einer Streaming-Mediathek zu sehen, wird als »Bekenntnis zum Kino« und als Signal dafür, dass auch die Kultur langsam aber sicher wieder zur Normalität zurückkehrt, von vielen begrüßt.
Aber zwei Jahre Pandemie und eine als zweigeteilte Hybrid-Veranstaltung
gescheiterte Berlinale 2021, haben ihre Spuren hinterlassen. Das breite Publikum, das hier wie gewohnt auch Karten kaufen kann – sei es oft auch nur nach stundenlangem Schlangestehen – freut sich ganz offensichtlich auf »sein« Filmfestival, das in Berlin immer auch einen gewissen Volksfestcharakter hat.
Für die Professionellen aus der Filmbranche liegen die Dinge komplizierter. »Ich freue mich, dass ich diesmal mehr dazu komme Filme anzusehen« erzählte gestern
eine, die in Deutschland an führender Stelle für Nachwuchs-Filme zuständig ist. Aber sie vermisse die Treffen mit den Kollegen.
Denn zwar findet die Berlinale im Kino statt, doch vieles ist eingeschränkt. Es laufen weniger Filme – was der in den letzten 20 Jahren mit einem Dutzend Sektionen aufgeblasenen, für viele unübersichtlich gewordenen Berlinale eigentlich guttut. Noch immer zeigt man mit rund 260 Filmen näher als die Konkurrenz von Cannes und Venedig zusammen. Doch komplett abgesagt wurden alle offiziellen Veranstaltungen, sowie der sehr wichtige Film Markt, bei dem Rechte und neue Projekte
gehandelt werden.
Man hat versucht diesen ins Netz zu versetzen – doch weil ein Großteil der Branche, über 1000 professionelle Akkreditierte, schon wegen ihrer eigenen Filme auch physisch in Berlin ist, und auch, weil Menschen eben Menschen sind, keine Roboter und auch keine Musterschüler der Virologen und sich nach zwei Jahren Pandemie eben unbedingt gern wieder persönlich treffen wollen, ist dieses Konzept bereits im Vorfeld gescheitert: Vergangene Woche bot die Berlinale
dann an, doch zumindest in sehr eingeschränkter Form auch selber Markttreffen organisieren zu wollen. Parallel zum Festival finden diese jetzt vor allem in Form von privaten Verabredungen in Gaststätten und Hotels statt.
Auch Stars werden da sein. Isabelle Huppert erhält einen Ehrenbären. Viele andere kommen, um ihre Filme zu präsentieren. Angesichts der Einschränkungen sind erstaunlich viele Menschen nach Berlin gereist. Nicht anreisen können vor allem diejenigen, deren Impfung
nicht anerkannt wird, und die, die bei einer Rückkehr in ihrem Heimatland mehrere Wochen in Quarantäne müssten.
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»Das Schönste, das Wichtigste ist: Die Berlinale findet statt! Damit setzt sie, setzen wir ein Zeichen für die Kinokultur, für die Kreativen.« Zumindest eine hat sich hier gestern glasklar positioniert: die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die sich bislang mit Aussagen zum wichtigsten Bereich ihres Ressorts, der Filmpolitik, auffallend zurückgehalten hat. Roth forderte in ihrer Eröffnungsrede »eine Filmförderung, die international mithalten kann und unsere Kinokultur für die Zukunft stärkt.« Indirekt gab sie damit zu, dass dies noch nicht existiert.
Wie stark das deutsche Kino im internationalen Vergleich ist, wird man in den nächsten Tagen erfahren. Neben neben zwei deutschen Filme im Wettbewerb sind dort auch eine Reihe von Filmen zu sehen, die war mit deutschen Geldern und entsprechender Fernsehbeteiligungen, aber in anderen Ländern produziert wurden. Wie üblich liegt der Schwerpunkt auf europäischen Filmen, Lateinamerika ist stark, Asien wird wieder stärker. Und wie alle Jahre wird es der Sport der Akkreditierten sein, in den Nebenreihen die wahren Festivalperlen zu entdecken.
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Wer das nicht abwarten will, muss in die Vergangenheit tauchen. Der Vergangenheit Berlins und des deutschen Kinos begegnet man im DFFB-Archiv. Dort gibt es Oskar Roehler als Hauptdarsteller in Pochmann, der mehr ist, als ein Studentenfilm.