Manche mögen’s lesen |
![]() |
|
Jonathan Coes Billy Wilder-Roman: „Mr. Wilder & ich“ | ||
(Plakat: Folioverlag) |
Von Christoph Becker
»A bad play folds and is forgotten, but in pictures we don’t bury our dead.« – (Billy Wilder)
Ein Roman über den großen Billy Wilder? Das lockt auf jeden Fall Leser an, die beim Kauf des Buches die Hoffnung hegen, Literatur- und Filminteresse auf das Vergnüglichste miteinander verbinden zu können. Natürlich hat sich Wilder auch selbst oft genug zu Wort gemeldet, etwa in den Büchern „Hat es Spaß gemacht, Mr. Wilder?“ von Cameron Crowe oder Hellmuth Karaseks „Billy Wilder: Eine Nahaufnahme“. Und es gibt die zumindest für seine ersten Schaffensphasen sehr ergiebige sechsteilige Interview-Dokumentation „Billy Wilder, wie haben Sie’s gemacht?“ von Volker Schlöndorff und Gisela Grischow mit dem ständig aus dem Off übersetzenden, quatschenden und lachenden Helmuth Karasek.
Vielleicht hat sich Jonathan Coe, der vielfach prämierte zeitgenössische britische Autor, den Film Fedora aus Wilders nicht so stark beachtetem Spätwerk herausgesucht, um um diesen herum eine fiktive Handlung zu bauen, damit er auch weniger Bekanntes erzählen und ein Genie im Sinkflug zeigen kann.
Doch der Anfang des Romans gehört Calista, einer griechischen Filmmusik-Komponistin in
London im Jahr 2013, die ihre ältere Tochter Ariane zum Flughafen bringt, weil diese nach Sydney reisen will. Calista schreibt gerade an einer Suite für Kammerorchester, die sie Billy Wilder widmen will. Von hier wird ein Bogen in das Jahr 1976 gespannt, als Calista selbst von ihrer Mutter zum Athener Flughafen gebracht wird: Zielort Los Angeles. Durch eine komplizierte und weit hergeholte Erzählkonstruktion landet Calista mit einer neu gewonnenen Reisefreundin schließlich in L. A.
bei einem Abendessen mit Billy Wilder, seiner Frau Audrey und dem Ehepaar Diamond. Ein charmanter Erzähleinfall ist, dass sich Calista kaum für Filme interessiert, Billy Wilder nicht kennt und damit eine erfrischend unpassende Abendbegleitung ist, die es den anderen Figuren aber ermöglicht, Selbstverständliches zu erzählen oder zu erklären. Später versucht sie diese Unwissenheit durch das Auswendiglernen eines Filmlexikons zu kompensieren, was ihr immer wieder
überraschte Reaktionen einbringt und den Leser schmunzeln lässt. Bei diesem Abendessen in Wilders eigenem Restaurant „The Bistro“ treffen sich zum ersten Mal Fiktion und Fantasie und Jonathan Coe kann sein sehr gut recherchiertes Hintergrundwissen in unterhaltsame Dialoge verwandeln, die dem Leser tatsächlich ein lebendiges Bild von Wilder vermitteln, von seiner (zweiten) Ehe, seinen Lebens-, Arbeits- und Essensgewohnheiten und vor allem von der Freundschaft mit
seinem langjährigen Drehbuchpartner I. A. L. Diamond (Emigrant wie Wilder), mit dem er seit 1957 sehr erfolgreich zusammenarbeitete. Irgendwie landet Calista dann jedenfalls bei den Dreharbeiten auf der griechischen Insel Lefkada zu Fedora, Wilders vorletztem Film, wo sie aufgrund ihrer Griechischkenntnisse als Dolmetscherin für die Filmcrew arbeitet. Coe garniert die Einblicke in die
schwierigen Dreharbeiten mit einer bittersüßen Romanze Calistas und nimmt – über eine entstehende Freundschaft zwischen Calista und I. A. L. Diamond – Billy Wilder aus einer Außenperspektive in den Blick. Das ist alles gekonnt verknüpft und nur eine über 50 Seiten lange Passage ragt seltsam unpassend heraus: Wilder erzählt beim Abschlussessen der Filmproduktion in München von seinen Erfahrungen mit den nach 1945 die Vergangenheit verdrängenden Deutschen, um einem
selbstbewusst unreflektierten jungen Deutschen einen Denkzettel zu verpassen. Als besonderer Kniff ist diese eigentlich mündliche Erzählung in Drehbuchform notiert, was an dieser Stelle keinen Sinn ergibt und einfach nur verwirrt. Wilder berichtet hier auch von der Produktion des Dokumentarfilmes Death Mills (1945), in dem er im Auftrag der amerikanischen Regierung Archivmaterial aus den
deutschen Vernichtungslagern verarbeitete, um die deutsche und österreichische Bevölkerung damit zu konfrontieren. Da Billy Wilder einen Großteil seiner Familie in den Nazilagern verloren hatte, ist es kaum nachvollziehbar und sehr beeindruckend, wie wenig Aufhebens er zeitlebens um sein eigenes Familienschicksal machte.
Insgesamt lernt der Leser Wilder in seiner Spätphase seines so erfolgreichen Schaffens kennen – von Zweifeln geplagt, ob seine Filme noch bei einem Publikum funktionieren, welches Der weiße Hai (1975) feiert, wie auch die Romanheldin Calista beim ersten Abendessen. Ein interessantes, ironisches Detail der Filmgeschichte ist, dass sich Wilder erfolglos um die Filmrechte der Geschichte um Oskar Schindler bemühte und ausgerechnet dann der Regisseur des „Weißen Hai“, Steven Spielberg, diesen Film drehte.
Und wer kennt eigentlich Wilders Film Fedora? „Warum dieser Film?“, fragen sich auch einige Figuren im Roman. Wilder hatte die Geschichte einer alternden Filmdiva ja schon in Sunset Boulevard (1950) genial verfilmt und wiederholt sich hier thematisch. Auch ist Fedora um einiges schlechter als der Vorgänger. Die Story so vorhersehbar wie kompliziert. Das Team um Wilder/Diamond und William Holden schien in die Jahre gekommen zu sein. Vielleicht war Wilder in seiner späten Phase den Fragen nach dem Dahinschwinden und der Vergänglichkeit des Ruhmes und nach dem Aufhalten des Alterungsprozesses persönlich einfach so viel näher als 1950, dass er dieses Thema noch einmal künstlerisch gestalten wollte. Danach entstand jedenfalls nur noch der bei der Kritik zwiespältig aufgenommene Buddy Buddy mit seinem etwas abgenudelten Erfolgsduo Lemmon/Matthau.
Obwohl man Fedora allein schon wegen der vielen bekannten, u. a. deutschen, Schauspieler:innen (Hildegard Knef, Gottfried John, Mario Adorf, Ellen Schwiers) mit Interesse anschauen kann, hat der Film trotz seiner Tragik wenig, was man meisterhaft nennen könnte.
Dabei sind auch Wilders dramatische, tragische und spannende Filme auch heute noch absolut sehenswert. Zu Unrecht ist Billy Wilder bei vielen Kinogängern nur für seine Komödien berühmt, obwohl Some Like It Hot (1959), One, Two, Three (1961) und The Front Page (1974) absolute Meilensteine der temporeichen Komödie darstellen und immer noch richtig Spaß machen, zwei davon mit seinem Erfolgsduo Lemmon/Matthau. Für sein großes Regievorbild Ernst Lubitsch hatte er schon 1939 mit seinem damaligen Co-Autoren Charles Brackett das Drehbuch zur wunderbaren Komödie Ninotschka mit Greta Garbo geschrieben. Das Lustige lag ihm offensichtlich im Blut. Seine Vorliebe für frivole Kalauer und flotte Sprüche zeigt sich auch in vielen Filmaufnahmen, die von ihm erhalten sind. So ist auch sein, mit fünf Oscars ausgezeichneter, erfolgreichster Film The Apartment (1960) eine Komödie. Jack Lemmon spielt hier einen kleinen Angestellten (C. C. Baxter), der ständig sein zentral gelegenes Appartement in New York an Kollegen für ihre Seitensprünge und Affären ausleiht, und so die Karriereleiter in seiner Firma hochklettert, weil ihn jeder der Nutznießer in höchsten Tönen lobt. Vor allem der Chef der Firma, gespielt von Fred MacMurray, wird hier als gnadenloser sexueller Ausbeuter seiner weiblichen Angestellten gezeigt, MeToo vorweggenommen. Scharfe Kritik in scheinbar harmlosem Humor verpackt – ein Markenzeichen vieler Wilder-Filme. Die Fahrstuhlführerin, in die sich C. C. Baxter (Jack Lemmon) inzwischen verliebt hat, treibt er so in den Selbstmordversuch, der auch in dem besagten Appartement stattfindet. Shirley MacLaine hat hier ihren ersten Auftritt für Wilder, der hatte zunächst an Marilyn Monroe gedacht. Sie ist eine absolute Entdeckung mit ihren blitzenden Augen, ihrer Mischung aus Verletzlichkeit, Stolz und Sex-Appeal und hat für diese Rolle zu Recht einen Golden Globe bekommen (für den Oscar war sie nominiert). The Apartment ist ein Sittengemälde der auf Seiten der Männer sehr lockeren Moral der 50er- und 60er-Jahre, wie auch Sabrina (1954), The Seven Year Itch (1955) oder Love in the Afternoon (1957), wobei bei aller Frivolität und Freizügigkeit stets der moralisch integre Protagonist hervorsticht, der immer auch ein romantisch Liebender ist. Trotzdem wirkt dieser Film, im Gegensatz zu vielen anderen Wilder-Filmen, vor allem aufgrund des Hauptdarstellers Jack Lemmon und seines passiv-naiv-kindlichen Verhaltens, in gewisser Weise aus der Zeit gefallen. Sein reaktives und irgendwie willenloses Agieren und seine übertriebene Spielweise (warum muss er ständig summen und trällern, um seine gute Laune zu demonstrieren?) ist aus heutiger Sicht kaum nachzuvollziehen und passt allenfalls zu den grotesk überdrehten Komödien wie Some Like It Hot und The Front Page. Trotzdem ist Lemmon natürlich auch der große Romantiker und damit vielleicht das Alter Ego Billy Wilders, der fast immer (Ausnahme: Avanti!, 1972) monogam-ehrenwerte und beste Absichten gegenüber seinen Liebespartnerinnen verfolgt, seien sie Prostituierte (Irma la Douce, 1963) oder Ex-Frauen (The Fortune Cookie, 1966). Auch die meisten Frauenhauptrollen sind romantisch-konservativ angelegt, vor allem in der Verkörperung von Audrey Hepburn, die sich (fast) immer in ältere Männer verlieben muss (Sabrina, 1954; Love in the Afternoon, 1957). Die starken Frauenfiguren sind dann eher durchtrieben (Double Indemnity, 1944; Witness for the Prosecution, 1957) oder leicht wahnsinnig (Sunset Boulevard, 1950). Einen Sonderfall stellt dabei Marilyn Monroe dar. Bei ihren Rollen (Some Like It Hot, 1959; The Seven Year Itch, 1955) greifen Zuschreibungen wie stark oder schwach nicht, sie spielt die blonde Naive und ist sich dabei gleichzeitig ihrer erotischen Ausstrahlung so sicher, dass die (Film-)Männer wie kleine Jungs in Andacht erschauern und Männchen machen. Männer- und Frauenbilder dieser Filme gäben noch Stoff für viele Seminararbeiten und Filmessays ab …
Eine andere Seite, eine sehr ernsthafte, findet Ausdruck in dem erwähnten Vernichtungslager-Dokumentarfilm Death Mills (1945), oder dem atmosphärisch dichten Kriegsgefangenenlager-Film Stalag 17 (1953), der psychologisch differenziert und trotzdem auch hoch spannend von
amerikanischen Kriegsgefangenen, ihren Ausbruchversuchen und ihren internen Spannungen in den Baracken während des Zweiten Weltkrieges erzählt. Schon in The Lost Weekend (1945) hatte Wilder das Thema Alkoholismus in packender und realistischer Weise mit Ray Milland in der Hauptrolle verarbeitet. Allein schon die Szene der verzweifelten Suche nach der letzten zu gut versteckten
Flasche Alkohol ist zum Thema Sucht zeitlos gültig.
In der Tragödie Sunset Boulevard (1950) geht es um eine Filmdiva (Gloria Swanson, Wilder wollte zunächst Mae West), die mit ihrem verblassenden Ruhm nicht zurecht kommt. Ein beeindruckender Film wie auch das zynische Reporterportrait Ace in the
Hole (1951), das die Skrupellosigkeit von Sensationsjournalismus anprangert – mit einem überragenden Kirk Douglas in der Hauptrolle.
Ungeheuer spannend und lohnenswert ist schon Wilders früher Film Five Graves to Cairo (1943), ein intelligentes Agenten-Kammerspiel während des Zweiten Weltkrieges. Spannung, Plot-Twists und Finesse prägen auch die Klassiker Double Indemnity (1944) und Witness for the Prosecution (1957).
Was für ein beeindruckendes und vielseitiges filmisches Werk! Es ist nur sehr schade, dass Filmliebhaber es sehr schwer haben, an die meisten Filme heranzukommen. Warum gibt es nicht vernünftige DVD-Sammler-Editionen?
Vielleicht tragen Romane wie „Mr. Wilder & ich“ ja dazu bei, Wilders Filme wieder neu auf den Markt zu bringen. Es lohnt sich.