08.07.2021

Zukunftsweisend

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Auf dem Gelände des Bahnwärter Thiel: Verena Dietl, 3. Bürgermeisterin, muss sich gegen Garfield behaupten.
(Foto: artechock)

Die Verleihung der STARTER-Filmpreise 2021 fand auf der Schotterebene einer neu anbrechenden Münchner Kultur statt

Von Dunja Bialas

Man darf sich auch mal selbst loben. Am vergan­genen Montag wurden in München auf dem Gelände des Bahn­wärter Thiel die STARTER-Film­preise verliehen, aber bevor es dazu kam, hob Kultur­re­fe­rent Anton Biebl die Bedeut­sam­keit des Ortes hervor. Rings um dem – aus Contai­nern gebauten und mit vielen Graffiti verzierten – Off-Space im Münchner Schlacht­hof­viertel entstehe gerade ein neuer »Kultur-Cluster«. Auch wenn ihm das Wort noch nicht gefalle, und er gerne Vorschläge entge­gen­nehme, sei hier in den letzten Jahren eine Ballung städ­ti­scher Kultur­in­sti­tu­tionen entstanden.

Um sich deutend erwähnte er: den Neubau des Volks­thea­ters – ein beein­dru­ckend geschwun­gener Klin­kerbau, der sich optisch perfekt in das Schlacht­hof­gelände einglie­dert, nicht wissend, dass er direkt am Ort der ehema­ligen Kuhställe Platz genommen hat. Aus ihnen konnte man früher die ganze Nacht das Blöken der Rinder vernehmen, bis dann am Morgen gespens­ti­sche Ruhe einkehrte. Dann LUISE, das die auf Jugend­kultur spezia­li­sierte Glocken­bach­werk­statt entlasten bezie­hungs­weise ergänzen soll. Der Name sugge­riert, es mit einer Freundin zu tun zu haben, nicht mit einer städ­ti­schen Insti­tu­tion, LUISE aber ist ein Akronym für Lu-dwig­vor­stadt, I-sarvor­stadt und Se-ndling. Ja, warum nicht. Archi­tek­to­nisch ist LUISE prosai­scher und nüch­terner gehalten als der Neubau des Volks­thea­ters und sieht ein wenig wie das nahe gelegene Kreis­ver­wal­tungs­re­ferat aus. Dann erwähnte Biebl noch HP8, das schick mit Namens­kürzel versehene Inte­rims­ge­bäude des neuen Gasteig, das in der Send­linger Hans-Preißinger-Straße 4-8 (= HP8) errichtet wird.

Auch auf dem Off-Space des Bahn­wärter Thiel gibt es eine kultu­relle Neuheit: Ein Atelier­park hat die bunten Container bezogen, hier ist nun also auch die freie Szene der Münchner Künstler*innen ange­kommen.

Deshalb passt es auch so gut, dass das Filmfest München, das wie vor zwei Jahren die STARTER-Preis­ver­lei­hung »hostet«, den Bahn­wärter Thiel für die Veran­stal­tung angeboten hat. Hier geht es nieder­schwellig und hemd­särmlig zu, mit dem Bier in der Hand geht man durch den Kies, man begrüßt sich mit Abstand, schließ­lich ist das eine offi­zi­elle Veran­stal­tung der Stadt, nicht der Uefa.

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V.l. Anton Biebl, Josef Fink, Denise Riedmayr, Verena Wagner, Linda-Schiwa Klink­hammer, Verena Dietl, Angela Reedwisch; 2. Reihe: Lillian Malan und Philipp Link (Gute Zeit Film) (Foto: Elisabeth Greil)

Die STARTER-Filme: grobes Korn und Beob­ach­tungs­gabe

Aber dann sollte es auch noch um die Filme gehen. Mit dem seit 1985 verlie­henen STARTER-Filmpreis werden Werke des filmi­schen Nach­wuchses ausge­zeichnet, »die in ihrer Arbeit einen kreativen Umgang mit dem Medium und stilis­ti­sche Inno­va­ti­ons­mo­mente erkennen lassen«. Dotiert ist der Preis mit 6000 Euro, es gibt drei Preise zu gewinnen und zusätz­lich den sach­werten ARRI-Produk­ti­ons­preis. »Das ist nicht viel, aber ein schönes Colour­gra­ding oder noch ein bisschen mehr können wir da machen«, verspricht Angela Reedwisch von ARRI, die den Preis seit vielen Jahren übergibt.

Ob viel Geld oder nicht: entschei­dend ist die Auszeich­nung. München ehrt seine Künstler*innen, und dort gerade das Nicht­an­ge­passte, den Nachwuchs, der sich nicht nur für den »Tatort« oder das Seri­en­camp vorbe­reitet, sondern der mehr will: Erzähl­formen erproben, präzise beob­achten oder mit viel Gestal­tungs­be­wusst­sein auch poli­ti­sche oder proble­ma­ti­sche Inhalte trans­por­tieren.

Linda-Schiwa Klink­hammer: Manaman

Dieses Jahr fällt der Griff zur analogen Kamera auf, die Linda-Schiwa Klink­hammer in Manaman – Super-8 – und Josef Fink in Dorf­ju­gend – 16mm – gezielt zum Einsatz bringen. Manaman ist ganz aus der Perspek­tive der sieben­jäh­rige Kimîa erzählt, die Fiktion inte­griert die Super-8-Kamera als Weih­nachts­ge­schenk, mit dem Kimîa die Fami­li­en­er­eig­nisse festhält – Kamera immer drauf, scho­nungs­loses Grobkorn, authen­ti­sche Bilder. Es sind die 1970er Jahre, Mutter und Vater streiten sich, die Familie soll zurück in den Iran. Ein Zwist zwischen Patri­ar­chat und Eman­zi­pa­tion.

Josef Fink: Dorf­ju­gend

Einen ähnlichen Patina-Effekt durch das grobe Korn des Film­ma­te­rials zeigt Josef Fink mit dem in der Jetztzeit spie­lenden Dorf­ju­gend. Die Bilder erzählen in einer schönen Sanftheit und Tiefe, und in gesät­tigten Farben, die sonst womöglich nur durch das Colour­gra­ding bei Frau Reedwisch zustan­de­kommen könnten, von einer Dorf­freund­schaft, die an unter­schied­li­chen Lebens­wegen zu zerbre­chen droht. Am Vorabend einer arran­gierten Hochzeit nimmt sich Leo seinen besten Freund Emir noch einmal vor und erinnert ihn an die Leben­sträume. Eine auch wehmütige Geschichte des Vorü­ber­ge­hens, deshalb passt das körnige Material auch so gut: Während erzählt wird, wird die Freund­schaft zur Erin­ne­rung.

Verena Wagner: Schich­teln

Der STARTER-Filmpreis ist tradi­tio­nell immer stark in den Doku­men­tar­filmen. Dieses Jahr konnte sich kein Langfilm unter den Preis­trä­gern finden, und auch nur ein Kurz­do­ku­men­tar­film hat es in die Auszeich­nungen »geschafft«. Dieser ist dafür umso präziser gestaltet: Verena Wagner, die sich mit dem Akzent des Baye­ri­schen Waldes für den Preis bedankt, hat für Schich­teln in ihrer Heimat­re­gion nahe der tsche­chi­schen Grenze in einer Glashütte gefilmt. Ruhig formen die muskel­be­packten, täto­wierten Glas­bläser mit ihrem Atem das flüssige Glas in den glutroten Hochöfen, sie erscheinen wie Inkar­na­tionen von Vulcanus, dem antiken Gott. Die Ruhe, in der sie ihre Arbeit voll­führen, die Zerbrech­lich­keit des Glases (im dezenten Score unter­stützt durch die Klänge von Christoph Nicolaus) kontras­tiert mit den kräftigen Männern und der feuer­rot­durch­leuch­teten Fabrik­halle. Schich­teln ist ein fast wortloses Tableau, in dem sich die Ebenen der Gestal­tung – die Kamera, der Ton, die Farbe, das doku­men­tierte Handwerk – zu einem Gesamt­kunst­werk schichten.

Denise Riedmayer, Lillian Malan und Philipp Link: An Anna

Der Produk­ti­ons­preis ging an den Coming-of-Age-Film An Anna. Die Regis­seurin Denise Riedmayr reicht die Trophäe zwar an das Münchner Film­kol­lektiv von Gute Zeit Film weiter, wird aber sicher­lich beim nächsten Colour­gra­ding davon profi­tieren. An Anna erzählt vom Gendertrouble der anderen Art. Während alle ihre Sexua­lität und Gender­rollen auspro­bieren, stellt Anna im Laufe eines Sommers fest, dass sie asexuell ist. Denise Riedmayr findet starke Bilder von dieser auch an die Selbst­zweifel rührenden Suche und hat mit sensibler Hand ihre Prot­ago­nistin, verkör­pert von Emma Prei­sendanz, insze­niert.

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Offen­le­gung: Die Autorin war Mitglied der STARTER-Jury 2021.