03.06.2021

Wie die CDU dafür sorgen will, dass Kulturschaffende nicht SPD wählen...

Oeconomia
Auch so ein Opfer der Pandemie: Carmen Losmanns wunderbarer Film Oeconomia

...und wie Monika Grütters Olaf Scholz einmal ans Schienbein trat: Die unsägliche Verwässerung des »Scholz-Fonds«

Von Rüdiger Suchsland

»In ›normalen‹ Zeiten, so Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grütters, finden 150.000 Kultur­ver­an­stal­tungen im Jahr statt. ›Wer sich diese Zahl vor Augen führt, kann ermessen, welcher Verlust in Folge der Corona-Pandemie entstanden ist. Ein Verlust an Freude und Genuss beim Publikum, ein Verlust an Ausdrucks­mö­g­lich­keiten bei Künst­le­rinnen und Künstlern der unter­schied­li­chen Genres, ein immenser ökono­mi­scher Verlust für die Kultur­wirt­schaft, Kultur­ein­rich­tungen, Kultur­ver­eine sowie viele angren­zende Branchen.‹«
- Olaf Zimmer­mann, Geschäfts­führer des Deutschen Kultur­rats im Juni 2021

»Wenn wir die Schulen voll öffnen, dann gibt es keine Kultur.« sagte Angela Merkel. Und damit war der Scholz-Fonds beerdigt.
Am nächsten Tag, Mittwoch vergan­gener Woche, standen sie dann »harmo­nisch« vor der Presse. Olaf Scholz lächelte sein Scholz-Lächeln, und meinte, das komme »genau zur richtigen Zeit«, Monika Grütters schwa­felte von einem »Geschenk« für die Kultur, als sei die Staats­se­kre­tärin im Kanz­leramt eine Feudal­herrin, die die Unter­tanen mal wieder beglücke.
Ihr freudiges Strahlen war aber berech­tigt: Gerade noch recht­zeitig hatte Grütters erkannt, dass Olaf Scholz im Begriff war, sich bei den Kultur­fuzzis beliebt zu machen, deswegen war sie mit Hilfe der Kanzlerin voll dazwi­schen gegrätscht. Gerade noch recht­zeitig. Gerade noch recht­zeitig hat die CDU den Scholz-Fonds zerhauen, und den den Aufbruch der Kultur in die Post-Corona-Welt verhin­dert.

Einmal mehr beweist diese Anekdote aus dem poli­ti­schen Berlin, wie Kultur­po­litik in Pandemie-Zeiten funk­tio­niert. Nämlich gar nicht. Kultur ist unwich­tige Verschie­be­masse, »nicht system­re­le­vant«.

Viel­leicht sollten die Kultur­ma­cher einfach eine Bank über­fallen. Das wäre am ehrlichsten. Oder, a la Bert Brecht – was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank – beginnen, Geld selber zu produ­zieren. Ich empfehle dazu Carmen Losmanns wunder­baren Film Oeconomia, auch so ein Opfer der Pandemie. Wachstum entsteht durch Schulden machen, lernt man da, und viel­leicht auch, wo das Geld herkommt. Jeden­falls wo es nicht herkommt.

+ + +

Seit Mittwoch vergan­gener Woche laufen in Berlin die Telefone der Kultur­po­li­tiker heiß, weil jeder sich beschwert: »Stüm­per­kram«, »Keine Ahnung von der Praxis«; »Es kann doch nicht wahr sein...« – das waren noch die harm­lo­seren Worte von Prak­ti­kern des Kultur­be­triebs.

+ + +

Der Scholz-Fonds... Schon mal gehört? Gemeint ist nicht der Corona-Rettungs­fonds für die Euro-Zone, nicht die Bazooka des letzten Frühjahrs, sondern ein »Sonder­fonds des Bundes für Kultur­ver­an­stal­tungen«, den der Bundes­fi­nanz­mi­nister bereits Ende letzten Jahres ange­kün­digt hatte. Ursprüng­li­ches Ziel: Kultur­ver­an­stalter sollen ermutigt werden, Veran­stal­tungen zu planen und vertrag­liche Verpflich­tungen einzu­gehen, auch wenn die Veran­stal­tungen aufgrund der Pandemie-Eindäm­mungs­maß­nahmen voraus­sicht­lich nicht kosten­de­ckend oder gar mit Gewinn durch­ge­führt werden können. Die Regelung gilt sowohl für öffent­liche und öffent­lich-geför­derte Veran­stal­tungen, bei denen die Förderung nur einen Teil der Kosten deckt, aber auch für über­wie­gend privat­wirt­schaft­liche Veran­stal­tungen, die den Großteil ihrer Kosten aus Eintritts­gel­dern decken müssen, oder gar einen Gewinn erwirt­schaften müssen. Ebenfalls einbe­zogen sind Vereine.

Der Fonds beruht auf zwei Säulen. Zum einen handelt es sich um eine Ausfall- und Auffang­ver­si­che­rung, die vor allem dann einspringen würde, wenn eine Veran­stal­tung in der Zeit ab Sommer 2021 nicht wie geplant durch­ge­führt werden kann.
Die zweite Säule ist eine Ausgleichs­re­ge­lung, die dann einspringt, wenn Veran­stal­tungen nur mit deutlich redu­zierter Zuschau­er­zahl möglich sind und deswegen »nicht kosten­de­ckend durch­ge­führt werden können«.

Von Anfang an war ein bisschen unklar, wie der Scholz-Fonds genau von funk­tio­niert. Es gab keinerlei öffent­li­chen Bekannt­gaben oder Orien­tie­rungs­hilfen für die Kultur­schaf­fenden. Auf die Ankün­di­gung des Ministers »folgte langes Schweigen« schreibt auch der Chef­re­dak­teur von »Politik & Kultur« in der neuesten Ausgabe (6/2021), der immerhin vom Bund finan­zierten Monats­zeit­schrift des deutschen Kultur­rats. »Nur bröck­chen­weise drangen Infor­ma­tionen durch.« Erst seit vergan­gener Woche, seit dem 26. Mai 2021 ist klar: Der Fonds kommt tatsäch­lich. Und er soll mit 2,5 Milli­arden Euro ausge­stattet sein. Das »Geschenk« der Kultur­staats­mi­nis­terin, dass sie selber weder bestellt, noch bezahlt hat, ist also auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, ein Klacks ange­sichts von 10-50 Milli­arden Lockdown-Kosten pro Woche. Vulgo: Peanuts!

+ + +

Aber immerhin. Klar ist aller­dings auch, das vieles an dem Fonds jetzt anders gehalten ist, als es ursprüng­lich von Scholz gedacht war. Und klar ist, dass vieles noch unklar ist, einiges undurch­dacht, und das Aller­meiste komplett praxis­fern.

Das liegt nicht allein daran, dass die dicke Akte aus 35 mit langen Sätzen kompli­ziert beschrie­benen DIN A4 Seiten im Verlaut­ba­rungs-Chine­sisch der Behör­den­ju­risten gehalten ist, also relativ unver­ständ­lich. Sondern die wesent­li­chen Punkte sind bewusst vernebelt und völlig unklar.

Denn eigent­lich geht es der Bundes­kanz­lerin und ihrem Umfeld nicht um Förderung der Kultur, sondern um deren Verhin­de­rung. Die zeitliche Verschie­bung nach hinten, die nebulösen Kondi­tionen, der Verzicht auf Garantien, die Trick­serei mit den immer neuen, immer wieder verän­derten Zuschauer-Zahlen in der schrift­li­chen Ausar­bei­tung – mal 500 Zuschauer, mal 2000 Zuschauer – heißt, genau wie Angela Merkels Satz »Wenn wir die Schulen voll öffnen, dann gibt es keine Kultur.« eigent­lich im Klartext: »Wir wollen jetzt überhaupt keine großen Kultur­ver­an­stal­tungen.« Sie wollen wegen der Pandemie Kultur-Veran­stal­tungen verhin­dern. Aus Ängst­lich­keit.
Und damit dies nicht so auffällt, verzögert man den Scholz-Fonds, zieht ihn in den Herbst, wo es norma­ler­weise wetter­be­dingt kaum noch Kultur­ver­an­stal­tungen gibt. Das ist ganz klar die Absicht.

+ + +

Besonders unklar sind auch die »100 Prozent« Zuschau­er­zahlen, also die Ausgangs­größe, von der dann die »80 Prozent« ausge­rechnet werden sollen, die der Fonds abdeckt. »Das ist natürlich die erste Frage, die ein denkender Mensch stellt: Was ist 100 Prozent?« meinte ein Kultur­be­amter eines Bundes­landes.

Eine absurde Folge: Was nicht passt, wird passend gemacht. Veran­stal­tungen mit im Prinzip hoher Zuschau­er­zahl über mehrere Tage werden formell in viele kleine Veran­stal­tungen mit relativ wenig Zuschauern zerschlagen, um besser Gelder bean­tragen zu können, und um nicht das Gesamt­ereignis, sondern jeden einzelnen Veran­stal­tungstag für sich abzu­si­chern – das ist so, als wenn ein Kino­be­trieb mit fünf Vorstel­lungen pro Tag in je drei Sälen pro Woche sich für die Behörden als »Festival« mit 105 Einzel­ver­an­stal­tungen darstellen würde.
So war das natürlich nicht gemeint.

Das Ergebnis ist fatal: »Es ist völlig verrückt.« meinte eine Kultur­ver­an­stal­terin, mit der wir sprachen, »Wir wissen nicht mit wie viel Besuchern wir planen können.« Ein anderer »Wir wissen nicht, in welcher Form wir überhaupt statt­finden können. Und außerdem wissen wir nicht, wenn wir statt­finden, wie der Scholz-Fonds da überhaupt greifen kann.«

+ + +

Olaf Zimmer­mann, Geschäfts­führer des Deutschen Kultur­rats und in dieser Funktion wie gesagt dem Bund durchaus verpflichtet übt kaum verhoh­lene, nur höflich formu­lierte Kritik an Geist wie Ausfer­ti­gung des Scholz-Fonds: »Zum Redak­ti­ons­schluss dieser Ausgabe [28.06.2021; d.R] bestanden aller­dings noch einige nicht unbe­trächt­liche Hinder­nisse bei der Umsetzung des Sonder­fonds für Kultur­ver­an­stal­tungen, die hoffent­lich bis zum Start der Wirt­schaft­lich­keits­hilfe Anfang Juli und der Ausfall­ab­si­che­rung Anfang September aus dem Weg geräumt werden können.
Besonders wichtig ist, dass die Antrags­steller einen recht­si­cheren Bescheid über die Wirt­schaft­lich­keits­hilfe oder die Ausfall­ab­si­che­rung unmit­telbar nach der Antrags­stel­lung erhalten. Nur so kann verant­wort­lich das unter­neh­me­ri­sche Risiko zur Durch­füh­rung einer Kultur­ver­an­stal­tung unter strengen Hygie­ne­be­din­gungen einge­gangen werden. Das ist bislang nicht vorge­sehen.
Vertrauen in den Sonder­fonds des Bundes für Kultur­ver­an­stal­tungen kann nur entstehen, wenn auch klar ist, dass die Antrag­steller auch die Mittel erhalten. Eine reine Regis­trie­rung ohne weitere Zusi­che­rung, dass auch Hilfen gewährt werden, wird dies Vertrauen nicht schaffen.«

Eine Ohrfeige. Denn Zimmer­mann konsta­tiert nicht nur, dass man dem Bund, salopp gesagt, nicht vertrauen kann, sondern er sagt deutlich: Wenn man jetzt etwas beantragt, gibt es keinerlei Garantie. Ob wirklich Geld fließt, dafür gibt es keinerlei Sicher­heit. Keinerlei Bescheid. Am Ende sind die Kultur­ver­an­stalter hoch verschuldet, und dann kommt entweder Geld oder es kommt nicht oder es kommt, aber nicht recht­zeitig, sondern erst nach der Insolvenz.

+ + +

Es geht noch weiter: »Ein beson­derer Pferdefuß ist aus Sicht der Wirt­schaft­lich­keit dass Hilfe nur für Veran­stal­tungen bis zu 2000 Teil­neh­mern beantragt werden kann, und nur 1000 Tickets bezu­schusst werden.« »Ein weiteres Hindernis ist der Zeitraum. Bislang ist der Sonder­fonds des Bundes für Kultur­ver­an­stal­tungen nur bis zum 31.Dezember 2021 geplant. Dies ist ein viel zu kurzer Zeitraum. Zumal jetzt noch nicht abzusehen ist, ob ab dem kommenden Jahr wieder Veran­stal­tungen in gewohnter Größen­ord­nung statt­finden können.«
Zimmer­mann konsta­tiert auch die Umständ­lich­keiten, Bundes­gelder über Bundes­länder zu bean­tragen, bei landes­ü­ber­grei­fenden Veran­stal­tungen, wie einer Tournee, für jedes Bundes­land einzeln bean­tragen zu müssen,

+ + +

So geht es der Kultur­branche seit Anfang der Pandemie. Es ist nichts passiert. Es hat sich nicht geändert.

Wir erleben: Deutsch­land kann es einfach nicht. Es ist übrigens auch komplett egal, wer da in Berlin regiert. Es wird immer an denselben Wider­haken hängen­bleiben. Denn es dominiert neben der grund­sätz­li­chen Kultur­ferne der Politik auch die TÜV-Menta­lität der Behörden. Es ist gar nicht mal über­trie­bene Büro­kratie oder über­trie­bener Kontroll­wahn. Sondern es ist einfach nur unend­liche Praxis­ferne und Menschen­ferne.

Diese Haltung führt dann dazu, dass man nicht in der Lage ist, zu verhin­dern, dass man bei Corona-Test­zen­tren von irgend­wel­chen windigen Westen­ta­schen-Betrügern mit billigsten Maschen nach Strich und Faden über den Tisch gezogen wird.

Oder man macht einen Kultur­ret­tungs­fonds, der die Kultur nicht rettet.

Aber die Union gewinnt die Wahlen. Wetten das?