20.05.2021

»Ein Erlebnisort mit erotischer Komponente«

Matti Bauer
Matti Bauer am kalten Ostermontag vor dem Studio Isabella
(Foto: Matti Bauer)

Der Initiator von »Montag Kinotag« darüber, wie aus einer Idee eine Initiative für die Münchner Kinos wurde. Ein Gastbeitrag

Von Matti Bauer

Seit letztem Montag bin ich mit den Vorbe­rei­tungen zu einem Dreh beschäf­tigt. Dunja Bialas von »artechock« wird unsere Kino­ak­tion »Wir lieben Kino« fort­führen, am Pfingst­montag kommen noch die Leopold Kinos (mit dem ABC Kino) dran, am 31. Mai beenden wir die Aktion mit dem Arena Kino im Glocken­bach­viertel. Wir machen das Dutzend voll, dann werden wir ein Vier­tel­jahr in diesem Wander­zirkus-Kino unterwegs gewesen sein!

Ich habe mir nie vorstellen können, eine solche Aktion zu starten. »Wir lieben Kino« ist aus einem ganz einfachen Grund entstanden: Ich wollte mal wieder meine Kolleg*innen sehen und mit ihnen ein paar Worte von Angesicht zu Angesicht austau­schen. Keine langen Tele­fo­nate mehr, keine WhatsApp-Nach­richten, keine »Bespre­chungen«, sondern Smalltalk auf der Straße. Einfach so. Nach kurzer Über­le­gung, wo denn ein solcher Treff­punkt sein könne, fand ich schnell die Antwort: Natürlich vor einem Kino, dem Sehn­suchtsort von uns Kinofans. Das Ganze getarnt als »Schlange stehen«, jede Woche vor einem anderen Münchner Kino.

Und so fingen wir vor dem Studio Isabella an, dem Kino, das meiner Wohnung am nächsten liegt, nur drei Gehmi­nuten entfernt, an der Ecke Isabella/Neure­u­ther Straße. Ein Kino, das noch den Charme eines Nach­bar­schafts­kinos hat, für viele ein nach außen verlän­gertes Wohn­zimmer. Ein Kino, das allein durch seine Anwe­sen­heit, seine Beleuch­tung und die Film­pla­kate ein ganzes Viertel belebt.

Die Botschaft »Wir lieben Kino« wurde verstanden und das infor­melle Treffen geriet zur Aktion gegen das Vergessen des Sehn­suchts­ortes Kino. »Wir lieben Kino« war nie eine Anti-Corona-Maßnahmen-Demo. Sondern eine Liebes­er­klä­rung an eine bedrohte Insti­tu­tion. Denn Kinos stehen, besonders in einer Stadt wie München, unter mehr­fa­chem Druck. Boden und Miet­preise steigen ins Astro­no­mi­sche und aller­orten wird syste­ma­tisch verdrängt: Mieter, kleine Läden, Galerien – Kinos. Wir wissen, dass das Kinosterben nicht nur mit dem Streaming zusam­men­hängt, sondern auch ganz entschei­dend mit der Gentri­fi­zie­rung. So ist das Foyer des Isabella-Kinos wahr­schein­lich kleiner als das Gästebad jener, die in Luxus-Dach­woh­nungen leben und das Kino noch nie von innen gesehen haben, obwohl sie wahr­schein­lich gerade wegen solch exoti­scher Acces­soires hierher gezogen sind.

Weiter ging es mit dem Rio Film­pa­last, dem Rottmann, den Museum Licht­spielen, dem Neuen Maxim, dem Film­theater am Send­linger Tor, dem Werk­statt­kino und den City Kinos. Dazwi­schen lag der Oster­montag, ein bitter­kalter Tag, an dem ich allein vor dem Isabella stand, weil ich niemandem zumuten wollte, den Feiertag zu opfern. Aller­dings hatte ich es den Kinofans offen gelassen, ihrer­seits vor ihrem Nach­bar­schafts­kino zu stehen. Ob sie es getan haben, weiß ich nicht. Ich stand da, um den Faden nicht reißen zu lassen: Am Montag ist Kinotag, und da stellen wir uns in die Schlange. So wird nächsten Montag die 11. Edition von »Wir lieben Kino sein!«

Kino ist ein Sehn­suchtsort, der durch kein Streaming ersetzt werden kann. Ein Kino-Abend ist eine Reise in eine neue Welt, die um die Ecke liegen kann wie das Isabella-Kino. Niemand möchte ständig nur zu Hause kochen und essen. Jeder möchte mal ausgehen, auf ein Bier, zum Essen, um etwas zu erleben. Und so ist Kino: Ein Erleb­nisort mit eroti­scher Kompo­nente, man sieht sich vorher, man sieht sich nachher und dazwi­schen ist es dunkel … Selbst ein Multiplex kommt da nicht hinterher, weil schon das Foyer eher einem U-Bahnhof gleicht als einem Film­theater. Kommt man aus dem Kino, steht man auf der Straße und taucht in die Menge ein.

Wir wissen, was wir zu verlieren haben. Wenn die Kinos in der Stadt sterben, dann reißen sie vieles andere mit in den Tod. Das zu verhin­dern, stehen wir hier und wollen das Kino retten.

Matti Bauer studierte Völker­kunde und Portu­gie­si­sche Philo­logie an der LMU in München. Von 1978 bis 1988 unternahm er Forschungs­reisen zu Indigenen in Brasilien. Nach einigen Jahren als Editor für Regis­seure wie Peter Buchka oder seinen Bruder Christian Bauer begann er 1993 Doku­men­tar­filme in eigener Regie zu reali­sieren, meist in Bayern. Sein Motto bei allem, was er macht: »Klarheit und Hingabe«.