22.04.2021

»...dann kannst du alle töten«

The Dissident
Machtspiele um die Ermordung eines Journalisten
(Foto: Amazon Prime)

Bryan Fogels Dokumentarfilm The Dissident enthüllt die Machenschaften des brutalen saudischen Herrscherhauses

Von Rüdiger Suchsland

»Eine nicht mittel­bare Funktion der Gewalt, wie sie hier in Frage steht, zeigt schon die tägliche Lebens­er­fah­rung.
Was den Menschen angeht, so führt ihn zum Beispiel der Zorn zu den sicht­barsten Ausbrüchen von Gewalt, die sich nicht als Mittel auf einen vorge­setzten Zweck bezieht. Sie ist nicht Mittel, sondern Mani­fes­ta­tion.«
Walter Benjamin, »Zur Kritik der Gewalt«

Es war eine aufse­hen­er­re­gend brutale Bluttat: Der Mord an dem saudi-arabi­schen Jour­na­listen und Regime­kri­tiker Jamal Khashoggi in der Botschaft Saudi-Arabiens in Istanbul vor zwei­ein­halb Jahren. Aber was steckte wirklich dahinter? Und wer war jener Jamal Khashoggi? Dieser Fragen hat sich jetzt Oscar­preis­träger Bryan Fogel in seinem neuen Doku­men­tar­film ange­nommen: The Dissident erforscht, was genau mit dem Jour­na­listen geschah und wer seine Ermordung ange­ordnet haben könnte. Seine Leiche wurde nie geborgen und der saudische Kronprinz hat jede Betei­li­gung bestritten.

Eine der wich­tigsten Gewährs­per­sonen ist Hatice Cengiz, die Verlobte und jetzt Hinter­blie­bene von Khashoggi. Dessen Leben und Tod stehen im Zentrum des Films.

Kashoggi, Staats­bürger Saudi-Arabiens, begann seine Karriere als Jour­na­list. Mitte der 1980er Jahre wurde er so etwas wie ein Insider, mit engen, privi­le­gierten Bezie­hungen zum Hof der saudi­schen Monarchie. Doch allmäh­lich wuchs seine Distanz zu dem auto­ri­tären, brutalen Herr­scher­haus; der Günstling wurde zum Whist­leb­lower und scharfen Kritiker an der Regierung seines Landes – insbe­son­dere seit dem Aufstieg des Kron­prinzen Mohammed Bin Salman, »MBS« wie wir Araber­flüs­terer sagen. MBS ist ein Mann, der sich gern als fort­schritt­li­cher und dem Westen zuge­wandter Moder­ni­sierer darstellt: Kinos, Konzerte, sogar Frauen am Steuer. Tatsäch­lich aber tritt dieser ruchlose abso­lu­tis­ti­sche Herrscher Freiheit und Menschen­rechte seiner Unter­tanen mit Füßen, sobald sie seine Kreise und Inter­essen stören. Erst solcher gefal­lenen Engel wie Khashoggi.

Der aber nahm sich seine Rede­frei­heit, und siedelte 2017 in die Verei­nigten Staaten über. Dort begann er sogleich für die »Washington Post« zu schreiben.
Vor allem aber entdeckte er die digitalen Medien als hervor­ra­gendes Mittel, um eine dikta­to­ri­sche Regierung zu bekämpfen. Vor allem Twitter wird von vielen Saudis genutzt und ist unkon­trol­lierbar ― nur mit Hilfe einer Armee von bezahlten Gegen­blog­gern versucht sich das Regime zu wehren.

Schnell wurde Khashoggi so zu einem der wich­tigsten Dissi­denten Saudi-Arabiens. Unbequem für das Regime, das Kritik so gar nicht gewohnt war. Meinungs­frei­heit und Wider­spruch sind in Saudi-Arabien ungewollt.

Es gab Einschüch­te­rung. Es gab Droh­briefe. Es gab Hacker­an­griffe. Am 2. Oktober 2018 betrat Jamal Khashoggi dann das saudi-arabische Konsulat in Istanbul, um dort ein Dokument zu erhalten. Im Nach­hinein kann man sich fragen, warum er da eigent­lich hinein­ging? Wie er so wahn­sinnig oder so naiv oder so arrogant sein konnte zu glauben, dass ihm nichts passieren würde? Im Ergebnis sind derartige Vermu­tungen einerlei. Denn Khashoggi verließ den Ort nie wieder. Sondern er wurde gefoltert und qualvoll ermordet, später zerstü­ckelt – all das vermut­lich auf Geheiß des Kron­prinzen.

»Es ist denkbar, dass man alles, was vor sich ging, beob­achtet hat, und sogar Anweisung gegeben worden«, resümiert ein türki­scher Ermittler. Die Saudis leugneten zwar, verzö­gerten und vertuschten so lange sie konnten, mussten aber schließ­lich zugeben, dass Khashoggi auf dem Gelände gestorben war. Doch der türkische Staats­an­walt hat Beweise: »Heute kann ich sagen, dass die Tötung von Jamal Khashoggi geplant war.«

Der Film des Oscar-Preis­trä­gers Bryan Fogel rekon­stru­iert diesen geplanten Mord. Er rekon­stru­iert aber auch das Leben vor der Tat. Die Persön­lich­keit des Opfers, ein Leben, das der Verbes­se­rung mensch­li­cher Verhält­nissen gewidmet war, das Auto­ri­täten heraus­for­derte.
The Dissident ist auch eine Helden­ge­schichte. Mit mehreren Haupt­fi­guren.

Einer von ihnen ist Omar Abdulaziz, ein junger saudi­scher Dissident, Video-Blogger und Aktivist, der im Exil in Montreal lebt. Fogels Film beginnt mit Abdulaziz, der zugibt, dass er sich für das, was mit Khashoggi passiert ist, verant­wort­lich fühlt. Bis zum Ende des Films ist nicht klar, warum das so ist, eine Heran­ge­hens­weise, die Fogels Film ein Gefühl von Dring­lich­keit und Dynamik verleiht: »Er musste auf diese Art und Weise umge­bracht werden: als Botschaft für alle anderen. Wenn du einen Jamal mit seinem Status umbringst, wen kannst du nicht töten? Dann kannst du alle anderen töten.«

Die Rekon­struk­tion geschieht dann mit Hilfe vieler kleiner Indizien. Vor allem die ausgie­bigen Proto­kolle des türki­schen Geheim­dienstes, die die saudi-arabische Botschaft verwanzt hatten, machen das Schreck­liche, für das es keine Bilder gibt, vorstellbar. Inklusive aller absurden prak­ti­schen Details: »Ist es möglich, den Rumpf in eine Tasche zu packen?« Eine Knochen­säge für den Rest hatten sie dabei.

Und da stellt sich erstmals Irri­ta­tion ein: Regisseur Vogel insze­niert die Vertreter der alles andere als unab­hän­gigen türki­schen Justiz als Vertei­diger der Menschen­rechte, die lupen­reinen Erdogan-Demo­kraten als Aufklärer.
Weiß er nicht von den Inter­essen der Türkei in Bezug auf Saudi-Arabien? Über den anti-demo­kra­ti­schen Muslim­bruder in Ankara und sein Verhältnis zum »Wächter der heiligen Stätten«?

Da wir in diesen Tagen ja besonders gern über die Ethik von Doku­men­tar­filmen sprechen, gibt es aller­dings noch einen Punkt, an dem auch The Dissident uns zum zweiten Nach­denken und zum Inne­halten zwing: Denn dieser Doku­men­tar­filmer ist kein unab­hän­giger Bericht­erstatter. Er ist ein Aktivist, der ein Staats­ver­bre­chen nicht nur belegen und die Täter anklagen möchte, sondern der sich auch mit Cengiz, der Verlobten des Opfers, soweit gemein macht, dass er sie nicht allein mit seiner Kamera begleitet, sondern ihr auch dabei hilft, Termine zu machen und mit den richtigen Leuten überhaupt in Kontakt zu kommen. Erst mit Hilfe des Oscar-Preis­trä­gers Vogel gelang es Cengiz, vor dem EU-Parlament sprechen zu können, bei den Vereinten Nationen und im US-Senat.

Man kann das sympa­thisch finden, weil es ja ein Eintreten für die richtige Sache ist. Man muss aber konsta­tieren: Hier erschafft ein Doku­men­tar­filmer erst die Realität, die er dann behauptet abzu­bilden. Alles, was man hier sieht, sieht man nicht nur um der guten Sache willen, sondern es geschieht um der guten Bilder willen.

The Dissident läuft bei Amazon prime