Film ab und los geht die Karriere? |
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Starkes Bild für die unangepasste Integration: In the Name of Scheherazade | ||
(Foto: Narges Kalhor) |
Von Dunja Bialas
Die Verleihung der STARTER-Filmpreise findet dieses Jahr erstmals im Rahmen der FILMKUNSTWOCHEN statt (26.8., 19 Uhr, Rio Filmpalast). Kulturreferent Anton Biebl wird aus gebotener Distanz die Urkunden überreichen, Stadtrat Leo Agerer begrüßt in Vertretung des Oberbürgermeisters Dieter Reiter. Der selbst ist ein bekennender Verfechter der Filme und des Kinos als Ort, wo diese gesehen werden sollen. So stellte sich in einer lebendigen Unterhaltung bei der von einem Starkregen symbolisch überhöhten Verleihung der Kinoprogrammpreise vergangenen Dienstag heraus, die aus Corona-Gründen erstmals unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Innenhof des Kulturreferats in der Münchner Burgstraße über die Bühne ging. Ausgezeichnete Kinos 2020 sind Theatiner Filmkunst, die City Kinos, das Monopol, das Neue Maxim, das Neue Rottmann und das Studio Isabella. Reiter machte deutlich, dass ihm durchaus bewusst ist, dass all die schönen Coronahilfen für die Kinos, auch der Kinoprogrammpreis, der dieses Jahr frühzeitig ausgezahlt wurde, direkt an die Vermieter der Kinobetreiber fließen. Indes: ein Tool, um diesen Missstand zu beheben, hat er nicht, auch gibt es keine Möglichkeit, eine Bestandsgarantie für kulturelle Nutzungen in die Grundbücher zu schreiben, selbst wenn allenthalben die Verödung der Innenstädte sorgt. Das verlangt eine Änderung des Baurechts, so Reiter. »Noch nicht einmal die Parkgebühren kann ich erhöhen, weil es dafür ein Gesetz braucht!«, gab der mächtigste Mann der Stadt Kunde von seiner Ohnmacht. Und dann verschwand er und hatte mit seiner Informiertheit über die Kinosituation einen großen Eindruck hinterlassen.
Auch die Verleihung der STARTER-Filmpreise am kommenden Mittwoch wird wieder coronagemäß verhalten stattfinden: kurze Reden, Urkundenübergabe, aber immerhin dann die Preisträgerfilme im Kino. Das ist besser als jede Online-Veranstaltung, auch wenn man hinterher wieder rasch auseinandergehen muss. Denn wirklich zu feiern hat die Branche derzeit nichts. Und auch nicht die Münchner, die jetzt den Skandal um die Informationsverschleppung der bayerischen Gesundheitsministerin Melanie Huml vermutlich auch im Kino zu spüren bekommen. Lockerungen sind zumindest nicht zu erwarten, mit zunächst über 1000 nicht-identifizierten Neuinfizierten (jetzt sind es nur noch 46, wie beruhigend), wo auch immer die sich jetzt gerade herumtreiben. Eine Kinobetreiberin sagte prompt am Rande der Preisverleihung: »Wenn die Distanzregel von 1,50 Meter im Kinosaal nicht fällt, müssen wir bald dichtmachen!«
Auch, um solchen dystopischen Aussichten auf das Ende eines Kinos, das auch immer irgendwie das Ende des Kinos beinhaltet, entgegenzutreten, ist es ein hoffnungmachendes Zeichen, dass die 68. Filmkunstwochen am kommenden Mittwoch mit der Preisverleihung an den Regie-Nachwuchs enden und sich mit dem Ausklang ein Blick in die Zukunft verbindet.
Eine der STARTER-Gewinner*innen kennt man schon. Mariko Minoguchi hat als Autodidaktin mit ihrem Spielfilmdebüt Mein Ende. Dein Anfang. für große Aufmerksamkeit gesorgt, als er letztes Jahr beim Filmfest München seine Weltpremiere feierte. Auch die Kritiker waren sehr angetan und verliehen ihr im Februar den Preis der deutschen Filmkritik, hier sind auch die begeisterten artechock-Kritiken nachzulesen. Minoguchi erzählt »packend und poetisch, herzerfrischend und herzzerreißend« (so die STARTER-Jurybegründung) von einer wuchtigen und raffiniert konstruierten Liebesgeschichte, in der sich die Lebenswege in einem verhängnisvollen Moment kreuzen. Christopher Nolan und Alejandro Iñárritu mögen ihre Vorbilder gewesen sein, oder Tom Tykwers Lola rennt, aber auch ohne die Adelung durch die großen Namen ist Mein Ende. Dein Anfang. eine gekonnte Erzählung über die schicksalhafte große Liebe.
Bei der Preisverleihung wird der Film aus Zeitgründen leider nicht zu sehen sein, aber er hatte bereits seine Kinoauswertung. Anders als die drei anderen Preisgewinner. Anna Roller, die bereits vor zwei Jahren die STARTER-Jury mit ihrem Kurzfilm Pan beeindruckt hatte und dafür den Produktionspreis erhielt, bekam jetzt den Regiepreis für ihren knapp halbstündigen Kurzfilm Die letzten Kinder im Paradies. Wieder taucht sie ein in die verrätselte Natur, entfernt inspiriert vom Hänsel-und-Gretel-Motiv, das sie clever neu zu deuten weiß. Hier muss unbedingt die Kameraarbeit von Felix Pflieger erwähnt werden, dem Roller einen sinnlichen Interpretationsraum für ihre Geschichte gab und der dafür prompt mit dem Deutschen Kamerapreis für den Nachwuchs ausgezeichnet wurde. Die Produktion entstand, wie die meisten der STARTER-Filme, an der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF).
Auch in Berthold Wahjudis Summer Hit ist der heimliche Star die Kamera. Seine Geschichte über eine Liebe zwischen zwei Erasmus-Studierenden in München beeindruckt mit den körnigen Bildern der 16mm-Kamera, mit der Tobias Blickle die Stadt eingefangen hat. In warmes Sommerlicht getaucht, beginnt sie unter seiner Linse zu flirren, als wären immer noch die coolen 70er-Jahre, und als wäre München gar eine aufregende Stadt wie San Francisco, wenn die Straßenbahn den Berg am Gasteig erklimmt.
In the Name of Scheherazade oder Der erste Biergarten in Teheran hat Narges Kalhor ironisch ihren Abschlussfilm an der HFF genannt, für den sie den ARRI-Produktionspreis erhielt. Mit Süffisanz persifliert sie die Anforderungen der Produzenten und Fernsehredakteure an sich als aus dem Iran kommende Filmemacherin, Integrationsthemen und ihr »Ausländerdasein« filmisch zu reflektieren. Kalhor spielt in ihrem Film eine Filmemacherin, die einen »orientalischen« Film über ihr »exotisches Heimatland« machen soll. Findet zumindest ihr Redakteur. Immer wieder schleichen sich jedoch erotische Störmomente in das Imaginäre des Orients ein, experimentelle Gegenbilder, Subversion gegen die Anpassung. Dazu mischt Kalhor lustvoll die unterschiedlichen Stile, erinnert mit Scherenschnitten an die Orientfantasien von Lotte Reiniger, erzählt mit dokumentarischen Bildern von ihrer Recherchearbeit nach einem Sujet. In the Name of Scheherazade oder Der erste Biergarten in Teheran ist ein Filmessay, das sich fortwährend selbst sucht und die Suche zur Bestandsaufnahme einer Identität werden lässt, die mit starkem, humorvollem und angstfreiem Blick den Clash der Kulturen feiert. Unter Kalhors Feder wird Migration und Integration noch einmal ganz anders gedacht als im Mainstream-Diskurs. Ein befreiender Film, der ein Feuerwerk ist, das lange und nachhaltig abbrennt.
Nachhaltigkeit ist auch dem jetzt preisgekrönten Nachwuchs zu wünschen. Roller und Wahjudi können noch auf der Filmhochschule weitermachen, allerdings nur unter Respektierung des »distant filming«. Wird man die zukünftigen Filme daran bemessen, wie gut sie mit den Corona-Restriktionen umzugehen wissen? Minoguchi und Kalhor könnten jetzt eigentlich durchstarten und ihren schwersten Film – den zweiten Film – realisieren. Wie wird es aber um die Bereitschaft stehen, ein unkonventionelles Filmschaffen zu fördern? Wird es im Zeitalter der Restriktionen noch kreative Freiräume geben? Oder soll sie den korrekten Themen geopfert werden, wie die Umgestaltung der Fördertöpfe suggeriert?
Das Filmprogramm im Überblick (Mi 26.8. 19 Uhr, Rio Filmpalast):
Die letzten Kinder im Paradies
DE 2019 | 29 Min | R: Anna Roller | B: Anna Roller, Wouter Wirth | K: Felix Pflieger | Mit Lea Drinda, Moritz Licht, Doris Buchrucker u.a.
Jugend auf dem Land. Leah und Theo leben bei der Oma abgeschieden, aber wohlbehütet auf. Bis die Kinder eines Tages auf sich gestellt sind und sich jugendliche Camper in das kleine Paradies eindringen.
Summer Hit
DE 2019 | 19 Min | R: Berthold Wahjudi | K: Tobias Blickle | Mit Martina Roura, Atli Benedikt, Katrin Filzen, Leonard Dick
Laia kommt aus Spanien, Emil aus Island. Beim Erasmus-Aufenthalt in München verliebt sich Emil in Laia, was er ihr aber erst am letzten Tag gesteht. Dann gehen sie auseinander. Bleibt nur die Erinnerung an einen Sommerflirt?
In the Name of Scheherazade oder Der erste Biergarten in Teheran
DE 2019 | 75 Min | R: Narges Kalhor | K: Julia Swoboda | Mit Alireza Golafshan, Mahnas Sarwari, Serena Bucher u.a.
Ein Film übers Filmemachen: Die iranische Regisseurin soll für Bayern einen Film über ihr »exotisches« Heimatland machen. Bei ihren Recherchen stößt sie auf eine iranische
Bierbrauerin.