Sie war, mehr als jede Andere das Antlitz der »Nouvelle Vague«, mit Kurzhaarschnitt à la Louise Brooks, oder Melone à la Chaplin und ihrem unvergesslichen Blick, der noch im Schwarzweißfilm die Frage provozierte: »Hat sie velazquezgraue oder renoirgraue Augen?«: Anna Karina, die am Samstag mit 79 Jahren in Paris verstorben ist.
Was viele nicht wissen: Sie war eigentlich Dänin. Geboren bei Aarhus im ersten Sommer des Krieges als Hanne Karin Bayer, wuchs wie viele Nachkriegskinder in eher wechselhaften, ungefügten Familienverhältnissen auf. Mit 17 bereits ging sie nach Paris und begann als Model für große Häuser wie Chanel und Cardin zu arbeiten. In einem Werbespot für Palmolive entdeckte sie Jean Luc Godard, der im gleichen Jahr 1959 mit Gleichgesinnten begann, das Kino noch einmal zu erfinden. Godard wurde zum Star und Gehirn dieser »Neuen Welle«, und Anna Karina wurde zum Gesicht der Filme Godards: Sie spielte die Hauptrollen in Eine Frau ist eine Frau, Die Geschichte der Nana S., Die Außenseiterbande, Alphaville, Made in U.S.A. und Elf Uhr nachts. In diesen wilden, im Rückblick so großartigen Jahren des französischen Kinoaufbruchs, 1960-1965, war sie auch mit Godard verheiratet, und auch danach blieb das Verhältnis gut; Godard aber hatte jetzt neue Musen.
Dabei war Anna Karina gerade in Godards Filmen immer mehr als das: Eine Arbeitspartnerin, vor allem aber die Repräsentantin des Weiblichen an sich und hierin eine sehr selbstbewusste Frau. Karinas Figuren waren ein Gegenentwurf zu all jenen, Hollywoods Schnittmustern nachempfundenen europäischen Schauspielerinnen, die entweder als Brave, Strenge, und schließlich verbitterte à la Deborah Kerr und Ruth Leuwerik den puritanischen Zeitgeist verkörperten. Oder die à la Loren und Lollobridgida, dessen verdrängtes Unbewusstes als sündhafte »Busenwunder« karnevalesk und frivol auslebten. Karina dagegen war beides nicht, sondern etwas Drittes: Eine Komplizin und gleichberechtigte Kameradin, ein »kleiner Soldat« wie ihr allererster Godard-Film heißt. Spontan, körperlich, weswegen sie gut lange schweigen konnte, wenn die Kamera sie anblickte, ohne doch je Projektionsfläche zu sein. Karina hatte immer das Kommando, blickte zurück, wenn der Blick des Filmemachers sie anblickte, und über ihn hinaus, in den Kinosaal hinein, und so riss sie das Publikum mit, schon durch die Andeutung einer Bewegung, wie etwa in der wunderbaren Tanzszene von Die Außenseiterbande, wo sie uns von einem Augenblick auf den anderen in einen Tanz hineinzieht, der niemals enden soll...
Ein neuer selbstbewusster und nüchterner Frauentyp war das, der weder schmachtet, noch weint, der alles Dramatische und die großen Leidenschaften zwischen Pathos und Verzweiflung vermeidet – sondern lieber einen lustigen Nachmittag erleben will, ein kleines Abenteuer, wie zum Beispiel so schnell es geht, einmal durch den Louvre zu rennen, wie Karina das in einer ihrer berühmtesten Szenen, auch diesmal in der Außenseiterbande tut.
Vielleicht stammen solche Frauentypen eher aus den 1920er Jahren, aus der Neuen Sachlichkeit, als aus den Sixties, als immer mehr ausdiskutiert und psychologisiert und insgesamt alles viel zu ernst genommen werden musste.
Der Ernst der Anna Karina war von anderer Art: Kühl, unnarzisstisch, humorvoll – ein Erbe des Nachkriegsexistentialismus. Viele Filme, die Anna Karina mit anderen Regisseuren gemacht hat, stehen eher in dieser Tradition: Der Fremde mit Visconti, Michael Kohlhaas mit Schlöndorff. Sie hat auch mit Agnes Varda, Roger Vadim, Jacques Rivette, Tony Richardson und Fassbinder gedreht. Aber wer in dessen größter Zeit mit Godard gearbeitet hat, ist für das weltliche Kino der Normalen
verloren.
So kam Karina bald die Lust abhanden, einfach weiter Filme zu machen und mit den Sterblichen ihre Zeit zu verplempern. Stattdessen machte sie Musik, schrieb Romane und Drehbücher, und verwaltete in wohlüberlegten öffentlichen Auftritten ihren Mythos. Sie begriff früh, sie würde immer Anna Karina bleiben: Die Ikone des französischen Kinos, die Zwanzigjährige mit der klaren, hellen Stimme und den godardgrauen Augen.