Der Mann, der das Kino neu gebar |
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Stanley Donen im Jahr 2010 während einer Retrospektive im Q&A nach Funny Face in der Film Society of Lincoln. (Foto: Adam Schartoff) |
Kaum zu glauben, dass er noch gelebt hat! Stanley Donen war einer jener Fälle, bei denen man sich insgeheim ein bisschen wunderte: Ist der nicht schon längst tot? Eine optische Täuschung, so sehr schienen er und seine größten Erfolge schon einer anderen, lange vergangenen Ära anzugehören. Donen war der letzte überlebende Regisseur des klassischen Hollywood. Meistens freute man sich dann beim Gedanken an seine bis zum Schluss hellwachen Auftritte in Cinemateken und auf Filmfestivals, bei denen er irgendeine Ehrung entgegennahm und ironisch-nachdenkliche Bemerkungen machte und an den wahrscheinlich sehr munteren 30-jährigen Lebensabend in seiner Heimatstadt New York, als sechs Jahrzehnte lang weltberühmter Regisseur und nach fünf Scheidungen in einer Partnerschaft, die begann, als er 75 war. Denn Stanley Donen war nicht nur ein hochintelligenter und facettenreicher Regisseur, er war auch ein sehr charmanter Mensch, dessen Liebesbeziehungen – u.a. mit Elisabeth Taylor, als nur deren Mutter einer Heirat im Weg stand – jahrzehntelang die Boulevardschlagzeilen der Traumfabrik fütterten.
Kaum zu glauben, dass er zugleich mit Mitte 40 eigentlich schon wieder auf dem absteigenden Ast war. Das lag nicht daran, dass Stanley Donen etwa nur eine früh verglühte Sternschnuppe Hollywoods oder ein vorzeitig Vergreister gewesen wäre – nein, die Filmgeschichte ging einfach ein bisschen über ihn hinweg, weil sich die Zeiten um 1970 änderten und weil der 1924 geborene Donen einfach nichts weniger war, als ein junges Genie, der immer noch jung schien, als sei er schon ewig
dabei. Wie ein Alexander der Große des Kino hatte er schon als gerade mal 25-jähriger das Medium Kino, das zwar noch jung war, aber schon in den 40er Jahren von alten Männern regiert wurde, erobert. Und bald auch revolutioniert. Denn die ersten eigenen Filme Donens, On the Town (1949) mit Gene Kelly und Frank Sinatra, Royal Wedding mit Fred Astaire und vor allem Singin' in the Rain (1952) wieder mit Gene Kelly und Debbie Reynolds, erfanden nicht nur das Musical-Genre neu, hier wurde das Kino zum dritten Mal neu geboren: Als Medium der reinen Bewegung, der Leichtfüßigkeit, als Ort, in dem Menschen wirbeln, die Kamera fliegt, und
die Farben sprühen. Denn dem Technicolor-Farbfilm und den neuen optischen Möglichkeiten der Kameras haben Donens Erfolge genau so viel zu verdanken wie ihre Stars. Das Besondere, Einmalige dieses Regisseurs war aber sein Stilgefühl und sein Einfallsreichtum für gute Bilder.
Um zu würdigen, wie groß die Kunst Stanley Donens war, muss man nur einmal andere Musicals aus Hollywoods größter Zeit ansehen, die auch nicht schlecht waren, aber doch immer auf dem Boden der (Film-)Tatsachen
blieben.
Dass Donen auf das Aussehen und die Schönheit seiner Film-Bilder mehr Wert legte, als deren auf Sinn und Inhalt, oder die heute so beliebte »psychologische Glaubwürdigkeit« seiner Figuren, dass er ein Stilist war, der durch Ästhetik wirken wollte, nicht pädagogisch wertvoll bilden, haben ihm schon zu McCarthy-Zeiten manche übel genommen: »Zwar formal perfekt, aber zu kühl, reine Stilübungen und überschätzt« – solche Worte, bekamen damals auch Kubrick und Hitchcock von ihren Zeitgenossen zu hören. Aber wie deren Werke haben auch Donens Filme die Irrtümer ihrer Gegenwart überdauert.
Seine Glanzzeit waren die Fünfziger, dementsprechend wurde er dann gefeiert von den Cineasten der »Cahiers du Cinéma«. Als die in den Sechzigern begannen eigene Filme zu drehen, war Donen schon zwei Schritte weiter: Es entstanden subversive Fremdgehkomödien wie Indiskret und oder so großartige lustige Thriller wie Charade (1963), mit seinen Lieblingsschauspielern Cary Grant und Audrey Hepburn und Arabeske (1966) – zusammen mit manchen Werken Brian De Palmas waren das die besten Hitchcock-Filme, die Hitchcock nie gedreht hat. In diesen atemberaubenden Filmen sieht man immer wieder Blicke durch irgendetwas hindurch: Gitter, Scheiben, Zäune, unscharfe Bilder, Spiegelungen und optische Täuschungen zum Beispiel durch einen Fernsehbildschirm.
Ab den 70ern, als dieses Fernsehen den Medienkrieg verloren hatte, das klassische Studiosystem zusammen gebrochen war, und in »New Hollywood« eine junge Generation mit neuen Stars den Ton angab, hatte Donen zunehmend Probleme, neue Aufträge zu bekommen.
Dafür zog man ihn zu Rate, um die Fehler der Jungen in der Montage auszubügeln: So stellte Donen Michael Ciminos Der Sizilianer im Auftrag der Produzenten fertig.
Bis ins hohe Alter wirkte Donen aufmerksam und frisch und viel jünger als er war. Es muss alles in allem ein tolles Leben gewesen sein – wir dürfen, wir müssen uns Stanley Donen als einen glücklichen Menschen vorstellen.