08.03.2018

Frauen, rechnet ab!

Nana Ekvtimishvili
Meine glückliche Familie zeigt ein Frauendrama aus Georgien
(Foto: Nana Ekvtimishvili / Filmmuseum München)

Zählen und Benennen kann das Mittel feministischer Filmkritik sein – »Die Frau von artechock« mit ein paar wichtigen Hinweisen zum Internationalen Frauentag

Von Dunja Bialas

Ich wurde schon gefragt, warum ich meine Kolumne »Die Frau von artechock« so genannt habe. Einer­seits sei das irgendwie kein schöner Titel, sagten mir ein paar Männer, ande­rer­seits sei ich doch wohl nicht die einzige Frau bei »artechock«? Zum ersten sei gesagt: Was, bitte­schön, ist nicht schön an einer »Frau« im Titel? Frauen zieren Zeit­schriften-Cover, Film­pla­kate und die Hauben von Sport­autos (hiermit bedauern wir offiziell die Abschaf­fung der Boxen-Luder!), weshalb nicht von Kolumnen? Zum zweiten sei gesagt: Natürlich haben wir noch weitere Frauen in unserem Redak­ti­ons­team, auch andere Autorinnen. Ich habe aber als lang­jäh­rige »artechock«-Redak­teurin die Erfahrung gemacht, dass sie nur sehr spärlich schreiben. Ich muss ihnen für einen Text meist explizite Auffor­de­rungen schicken, würde mir aber wünschen, dass sie powervoll das Wort ergreifen und mehr meinungs- und kritik­starke Texte schreiben. Die Gret­chen­frage ist: Warum eigent­lich üben sich Frauen so selten in den (männ­li­chen) Diszi­plinen der Revier­mar­kie­rung, Deutungs­ho­heit und dem Films­p­lai­ning? Zwischen dem männ­li­chen Kritiker-Gebaren und der femi­nis­ti­schen Film­kritik, die ihre Rezen­sionen sozial- und gender­kri­ti­schen Fragen unter­ordnet, gibt es noch viel Raum zu erobern. Das sage ich Euch, Frauen.

Drittens und ungefragt ergänze ich zu obigen Ausfüh­rungen noch folgendes. Wie oft wurde ich gefragt: Und, was denkst du als Frau dazu? Da haben wir es: Ich als Frau. Das fand ich ja immer sehr toll. Wie oft wurden Männer wohl gefragt: Und, du als Mann, hast du eine Meinung dazu? Ich finde ja, Männer als Männer finden viel zu wenig Beachtung. Wir sollten sie viel öfter fragen, was sie denken und wie sie sich fühlen. Ich finde auch, wir sollten endlich die Männer­quote einführen und die pari­tä­ti­sche Besetzung von Gremien fordern. Männer­quote: 50% – das haben sie sich verdient.

Gerade komme ich zurück von einem Symposium in Wien, das von den 15. Frau­en­film­tagen veran­staltet wurde. Drei Frauen, darunter meine Wenigkeit, sprachen und disku­tierten über das Schreiben über Film im Kontext einer männer­do­mi­nierten Diskurs­be­set­zung – so meine Über­set­zung des Sympo­siums zur »Film­kritik aus femi­nis­ti­scher Sicht«. Ich selbst bezeichne mich nicht als femi­nis­ti­sche Film­kri­ti­kerin, nach mir aber sprach die kämp­fe­ri­sche Wienerin Julia Pühringer, die beim Fern­seh­ma­gazin »tele« schreibt. Die dritte im Bunde war die Filme­ma­cherin und Autorin Claudia Siefen, die einen eher lite­ra­ri­schen und tiefen-analy­ti­schen Zugang zu Filmen pflegt und unter anderem bei »Jugend ohne Film« schreibt.

Ohne mich refe­rieren oder gar wieder­holen zu wollen, sei mein Denk­an­stoß noch einmal forciert, den ich in den Raum stellte. Wie, liebe Frauen und Männer, sollte femi­nis­ti­sche Film­kritik Eurer Meinung nach aussehen? Frieda Grafe sagte schon 1973 im Rahmen des ersten Frau­en­film­se­mi­nars: »Filme wurden hier nicht ästhe­tisch, sondern politisch beurteilt!« Die vor ein paar Jahren verstor­bene deutsch-fran­zö­si­sche Kriti­kerin Heike Hurst, eine kämp­fe­ri­sche Frau mit henna­rotem Haar, die ich noch kennen­ge­lernt habe, sagte einmal: »Ich bin Cineastin, keine Femi­nistin.« Und Gertrud Koch schrieb 1977 in der Zeit­schrift »frauen und film«: »Nicht alles, was Frauen gemacht haben, ist schon deswegen besonders gut, weil es eben von Frauen gemacht wurde.« Und, sehr wichtig: »Die schönste Wut nützt nichts, wenn sie sprachlos bleibt und sich nicht ausdrü­cken kann.«

Was ist aber, wenn die schönste Wut sich zwar ausdrückt, aber den Adres­saten nicht mehr findet? Bei allem Respekt für die femi­nis­ti­sche Film­kritik: Müssen wir nicht aufpassen, am Ende »unter uns« zu sprechen und uns in die Nische zu begeben? Frau­en­film­ta­ge­l­ei­terin Gabi Frim­berger unter­strich, dass es eine Selbst­ver­ständ­lich­keit werden müsse, Filme von Frauen zu zeigen – ohne jedesmal besonders darauf hinzu­weisen. Erinnert sei in diesem Zusam­men­hang daran, wie kontra­pro­duktiv die Vergabe des Baye­ri­schen Film­preises an fünf Frauen letztes Jahr war. Es war als »Statement« gedacht, wie mir eine der Juro­rinnen nach der Preis­ver­lei­hung zuraunte, außerdem konnten sie sich nicht auf einen Film der fünf Frauen einigen, und dann wäre es am Ende wieder ein Mann geworden… Oh, Mann! Das Preisgeld wurde natürlich nicht verfünf­facht, und so gingen die fünf Frauen mit hand­li­chen 4.000 Euro in der Clutch Bag nach Hause.

Wie erhellend femi­nis­ti­sche Film­kritik aber auch sein kann, zeigte Julia Pühringer mit ihren Umkeh­rungen, denen sie sich selbst beim Schreiben stellt. Nehmen wir an, wir hätten bei einem Werk nicht den / die urhebende/n Filme­ma­cher/in vor Augen, sondern würden grund­sätz­lich von etwas ganz anderem ausgehen. Am besten: Film von einem NoName. Oder einer/m Schwarzen. Einer Frau. Wie würden wir dann über den Film nach­denken? Über ihn schreiben? Sie sei selbst erschro­cken, wie viele Vorur­teile in ihr schlum­mern, berichtet sie. Diese Vorur­teile sind, was die Wissen­schaft »implicit biases« nennt, die in jedem schlum­mern und im »Implicit Asso­cia­tion Test« aufge­deckt werden. Damn! Dabei dachten wir doch über uns selbst, wir seien aufge­klärt und würden vorur­teils­frei durchs Leben gehen.

Zu Pührin­gers Strategie der Umkehrung gehört auch zu zählen und zu benennen. Dialog­zeilen zählen, die Frauen sprechen. Haben Frauen in Filmen einen Beruf, und sieht man sie bei dessen Ausübung? Haben Frauen einen eigenen Hand­lungs­strang? Haben Frauen überhaupt einen Namen? Das hat alles erst einmal nichts mit dem berühmten Bechdel-Test zu tun, der im übrigen heute auch nicht ganz im Sinne ihrer Erfin­derin Alison Bechdel ange­wendet wird. Sie wollte damals, 1983, ein Instru­men­ta­rium haben, um Film-Konven­tionen aufzu­de­cken. Es war nicht normativ gemeint!

Pühringer räumt aber auch die Bedenken der oben genannten Film­kri­ti­ke­rinnen aus dem Weg: Das seien Einwände, die dem »silencing« dienten, dem femi­nis­ti­sche Film­kri­ti­ke­rinnen allent­halben begegnen. Sie sei oft dem Vorwurf ausge­setzt: »Du siehst überall Sexismus!« Dann stellte sie noch das wunder­bare Bonmot in den Raum: »Männer machen Filme, Frauen machen Frau­en­filme!« Da sage noch einer, Femi­nis­tinnen hätten keinen Witz.

Das Zählen und Benennen ist sicher­lich eine der dring­lichsten Diszi­plinen, um sicht- und hörbar zu werden, ohne selbst in der Nische stecken zu bleiben. Gegen Zahlen und Fakten haben auch Männer nichts, in ihnen birgt sich unhin­ter­geh­bare Argu­men­ta­tion. Da wollen wir heute gleich mal damit anfangen und über den Filmkanon sprechen. »Der« Filmkanon, der verbind­lich für alle Schulen ist, um den Nachwuchs in Film­ge­schichte zu bilden (aller­dings frage ich mich, zumindest für Bayern, wo und wann das wohl geschehen möge?), wurde vor genau fünfzehn Jahren von der Bundes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung heraus­ge­bracht. Die Aufgabe für das acht­zehn­köp­fige Gremium bestand darin, ab 1920 für jedes Jahrzehnt mindes­tens drei Meilen­stein-Filme auszu­wählen. Insgesamt wählten die Juroren, darunter Andreas Dresen, Dominik Graf, Christian Petzold, Volker Schlön­dorff und Tom Tykwer sowie Erika Gregor, Katja Nicodemus und Uschi Reich 35 Filme aus. Darunter befand sich nur ein einziger Film einer Frau: und zwar der unver­meid­liche Die Abenteuer des Prinzen Achmed von Lotte Reiniger, ausge­wählt für die Sparte Kinder­film. Also: Kein Film von einer Chantal Ackerman, Agnès Varda, Mai Zetter­ling, Vera Chytilova, Helke Sander, Ulrike Ottinger, Ula Stöckl, Kathryn Bigelow. Kein »erwach­sener« Film einer Frau. Das ist skandalös!

Ich stelle hiermit fest: 15 Jahre Filmkanon sind genug! Die Zeit ist abge­laufen, als man noch unbe­hel­ligt einen derar­tigen »Kanon« beschließen konnte. Frauen wie Männer haben in dem Gremium wohl geschlafen, am tiefsten aber die Bundes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung. Aber viel­leicht wussten die nichts davon, dass Frauen auch Filme machen?

Das Film­mu­seum München zeigt am Inter­na­tio­nalen Frauentag den deutsch-geor­gi­schen Spielfilm Meine glück­liche Familie. Der Film von Nana Ekvti­mish­vili und Simon Gross zeigt die fried­liche Revo­lu­tion einer Mutter und Ehefrau, die sich ihren größten Traum erfüllt und in eine eigene Wohnung zieht – und es mit dem tief­ver­wur­zelten grego­ria­ni­schen Patri­ar­chat und falsch verstan­denem Beschüt­zer­in­stinkt zu tun bekommt.
Film­mu­seum München, 8.3.2018, 19 Uhr