11.07.2017

Helden aus anderen Welten

Atomic Heart
Raffinierte Regimekritik: Atomic Heart

Seltene Erden, eine junge Generation in Wartestellung, öffentliche Räume mit vielsagenden Botschaften – Das 4. Iranische Filmfestival München lädt ein zum Stadt-Land-Insel-Ortstermin

Von Natascha Gerold

So jung, so verdienst­voll: Gleich­wohl es das Iranische Film­fes­tival in München erst seit 2014 gibt, dürfte es bereits zahl­rei­chen Menschen, die das nicht unbedingt erwartet hatten, einen Zugang zur irani­schen Kultur mit ihrem außer­ge­wöhn­li­chen Kino verschafft haben. Auch heuer kommt der Film- wieder einem fünf­tägigen Kultur­fes­tival gleich, dicht­ge­packt mit einem viel­sei­tigen Programm aus Spiel- und Doku­men­tar­filmen mit vielen Filme­ma­chern, Lesungen und Gesprächen.
Der Festival-Schwer­punkt Afro-Iran richtet das Augenmerk auf das Besondere innerhalb des Beson­deren und stellt die land­schaft­lich reizvolle und kulturell viel­sei­tige Küsten­re­gion am Persi­schen Golf im Süden Irans mittels mehrerer Festi­val­bei­träge vor: Die beglei­tende Foto­aus­stel­lung Afro-Iran – Der Schwarze Süden Des Iran (12.7. bis 27.7 in der Münchner Stadt­bi­blio­thek am Gasteig, Ebene 1.1; Eintritt frei) des deutsch-irani­schen Foto­grafen Mahdi Ehsaei zeigt in Porträt­fo­to­gra­fien und Moment­auf­nahmen eine schwarze ethnische Minder­heit, die die Lebensart ihrer Vorfahren – Sklaven und Handel Treibende aus Afrika – beein­dru­ckend und nahezu unbe­achtet von In- und Ausland fortsetzt.

Auf der Leinwand zeigt sich der Schwer­punkt Afro-Iran als aufre­gende Begegnung arabi­scher, irani­scher und afri­ka­ni­scher Einflüsse auf Inseln im Persi­schen Golf und somit als idealer Nähr-Raum für doku­men­ta­ri­sche und expe­ri­men­telle Filmkunst – Archi­pelago (Sa., 15.7., 16.30 Uhr in Anwe­sen­heit der Regis­seure) von Camilla Insom und Giulio Squil­lac­ciotti führt den Zuschauer in den schwarzen Süden des Iran und seine Nebenwelt der reli­giösen Misch­formen und über­sinn­li­chen Geschöpfe, die sich qua Riten und Zere­mo­nien auch im Alltag mani­fes­tieren. Auch in der Doku­fik­tion Janbal (So., 16.7., 18.30 Uhr in Anwe­sen­heit der Regis­seure Mina Bozorg­mehr und Hadi Kamali Moghadam), die als Abschluss­film gezeigt wird, geht es um die Beziehung von Mensch und Über­sinn­li­chem: In einem Sight-and-Sound-Gesamt­s­pek­takel aus span­nender Erzähl­struktur und surrealen Bege­nungen mitten in hypno­ti­sie­renden Land­schafts­auf­nahmen auf der Insel Hormuz erlebt der Zuschauer die Liebe eines Insel­be­woh­ners zu einem geist­haften Luftwesen. Wenn das Über­na­tür­liche so betörend und nach­haltig greifbar wird, sich Irdische mit Helden aus anderen Welten verbinden, ist die Magie des sound­so­vielten Hollywood-Super­heros doch vergleichs­weise schnell verpufft.

Einen ganz anderen Blick auf Hormuz, der runden kargen Felsen­insel mit ihren farben­frohen wert­vollen Erden, wirft der Doku­men­tar­film The Color of the Soil (So., 16.7., 13 Uhr): Er porträ­tiert die Arbeit der Künst­ler­gruppe um Ahmad Kargaran, der auch diesmal wieder einen groß­for­ma­tigen Sand­tep­pich mit mythi­schen Motiven aus diesen Erden erschafft und der Insel zu mehr Bekannt­heit verhelfen will – eine Haltung, die ein anderer lokaler Künstler neben der indus­tri­ellen Sand­ge­win­nung nur als weitere Ausbeu­tung der Insel anpran­gert. Beide Kunst­an­schau­ungen treffen aufein­ander, beide offen­baren einen wichtigen Diskurs: Ist Kargarans Land-Art Teil der Heilung oder der Krankheit, die zusammen mit der ohnehin starken natür­li­chen Abtragung die Insel zugrunde richtet? Der Film ergreift nicht Partei, weist aber vor allem darauf hin, dass die Bagger und Förder­bänder in den Sandminen stetig weiter­ar­beiten …

»Echte innere Freiheit kann dir niemand geben, aber auch niemand nehmen«, sagte der iranische Filme­ma­cher Seifollah Samadian kürzlich beim dies­jäh­rigen Filmfest München in Erin­ne­rung an seinen Freund und lang­jäh­riger Wegge­fährten, der Regie-Legende Abbas Kiaro­stami. Der aufrechte Gang, der nicht einstu­diert ist, sondern natur­ge­geben scheint – so etwas kommt auch in entle­gensten Ecken des Landes vor. Zum Beispiel in einem kleinen Kaff an der iranisch-iraki­schen Grenze, wo Mezel wohnt. Geboren als Frau, lebt er, seit er denken kann, als Mann. Tran­si­den­tität in so einer Gegend? Und wie! Das zeigt der einfühl­same Doku­men­tar­film I‘M Not A Woman (So., 16.07., 16.30 Uhr) von Hossein Abbasi.

Wie lässt sich eine solche höchst­per­sön­liche Würde in widrigen Umständen wahren? In dem Eröff­nungs­film Gesher (Mi., 12.7., 20 Uhr) von Vahid Vakilifar hausen drei Männer, die die Not ins Ödland der Gas-Raffi­ne­rien in eine Klein­stadt in die Provinz Buschehr trieb, in großen Industrie-Beton­rohren, Diogenes im Holzfass gleich. Wie Gesher, also Weich­tiere, die als verletz­liche Wesen zur Welt kommen und sich im Laufe der Zeit eine harte Schale zulegen, lässt sich das Trio in seiner prekären Lage nicht unter­kriegen und unter­s­tützt sich jeweils gegen­seitig. Ein wider Erwarten opti­mis­ti­scher, Mut machender Blick auf den ganz kleinen Mann. Ange­sichts der derzei­tigen inof­fi­zi­ellen Arbeits­lo­sen­rate von 25 Prozent in Iran – bei jungen Menschen sogar 40 Prozent – und einer maroden Industrie, die Inves­ti­tionen bitter nötig hätte, hat dieser Spielfilm von 2010 nichts an Aktua­lität eingeb üßt.

Natürlich macht Cinema Iran bei diesem Filmfest auch den Kame­ra­schwenk zur Großstadt, sowohl auf die Haupt­stadt Teheran, als auch auf Schiras, der fünft­größten Metropole, 700 Kilometer von Teheran entfernt. Im poli­ti­schen Thriller Eine respek­table Familie (Do., 13.7., 20 Uhr; Sa., 15.7., 12.30 Uhr) von Massoud Bakhshi ist die zersplit­terte Familie des Inte­lek­tu­ellen Arash in beiden Städten wohnhaft. Nach 20 Jahren im Ausland folgt Arash einem Ruf an die Uni von Schiras, als sein Vater im Sterben liegt, bittet ihn sein Neffe, diesen in Teheran zu besuchen. Schicht für Schicht, Wendung für Wendung offenbart sich dem Zuschauer eine schmerz­volle, komplexe Fami­li­en­saga, die eng mit der Geschichte der Republik bis in die Gegenwart verknüpft ist. Wo Büro­kratie und Bigot­terie die perfekte Fassade für blühende Korrup­tion und mafiöse Struk­turen sind, geht eine junge Gene­ra­tion in Hoffnung auf Verän­de­rungen protes­tie­rend auf die Straße, während woanders beun­ru­hi­gende Fakten f ür den Status-quo geschaffen werden.

Raffi­nierte Regime­kritik kann auch als fruchtig-farbig verpackter Grusel in Erschei­nung treten, wie Atomic Heart (Fr., 14.7., 20.30 Uhr) von Ali Ahmad­zadeh beweist: Zwei Party­girls vergnügen sich mit Trash-Talk und wech­selnden Gesprächs­part­nern im nächt­li­chen Teheran, bis sie einen Auto­un­fall bauen. Ein myste­riöser Fremder verspricht, den Schaden zu bezahlen, unter einer Bedingung: Beide sollen mit ihm kommen – Es beginnt ein Höllen­trip in ein Paral­lel­uni­versum, aus dem Entkommen schwer vorstellbar wird.

Auffal­lend ist das intensive Interesse, das deutsche Doku­men­tar­filmer dem Iran entge­gen­bringen – auch ihre Arbeiten berei­chern das Filmfest: Daniel Kötter stellt sich in Hashti Tehran (Fr., 14.7., 18 Uhr in Anwe­sen­heit des Regis­seurs) die Haupt­stadt als Haus vor, seine Vororte jeweils als „Hashti“, als Vestibül, das Innen- und Außen­räume mitein­ander verbindet. Er porträ­tiert vier Vororte in verschie­denen Himmels­rich­tungen, durch­tastet von seiner Kamera, die sich einmal um sich selbst dreht, während Stimmen aus dem Off mehr über den jewei­ligen Teil aussagen, als sozio­lo­gi­sche Abhand­lungen es jemals könnten. So stehen für Inter­es­sierte Appar­te­ments im nörd­li­chen Tochal bereit, die ihnen unmit­tel­baren Zugang zum Naherho­lungs­ge­biet im Gebirge ermög­li­chen, während Bewohner des südlichen Nafar Abad in direkter Nach­bar­schaft zur Riesen-Klär­an­lage der gesamten Stadt leben und die Gestal­tung ihres Lebens­raums selbst­be­wusst und nicht ohne Risiken selbst in die Hand nehmen.

Nach den Bemühungen der Obama-Regierung um ein besseres Verhältnis zum Iran präfe­riert der jetzige US-Präsident den Rückgriff auf die Dämo­ni­sie­rung des Landes aus Bush-Zeiten. Umso erstaun­li­cher und aktueller die Geschichte eines schwarzen Profi­sport­lers aus Harlem, der 2008 zum irani­schen Basket­ball­team „A.S. Shiraz“ kommt. Till Schauders The Iran Job (Sa., 15.7. 18 Uhr) zeigt die privaten und beruf­li­chen Erleb­nisse von Kevin Sheppard auf der „Achse des Bösen“ als amüsante, nach­denk­liche Fish-out-of-water-Geschichte, in der es um so viel mehr als einen Liga-Erhalt geht.

Natalie Amiri, der Leiterin des ARD-Studios in Teheran, stellt in ihrer Reportage Der verbor­gene Schatz (So., 16.7., 14.30 Uhr in Anwe­sen­heit der Regis­seurin) eine Kunst­aus­stel­lung vor, die nicht stattfand: Anfang des Jahres sollte eine der weltweit größten Samm­lungen moderner Kunst in Berlin zu sehen sein, die einst Farah Diba mit dem damaligen Leiter des Teheran Museum of Contem­porary Art (TMoCA) errichtet hatte und die dort mehr oder weniger unter Verschluss gehalten wird. Amiri beleuchtet die kompli­zierten Hinter­gründe der vorder­grün­digen Absage der „fehlenden Ausfuhr­ge­neh­mi­gung“ und fragt nach den Grenzen und Möglich­keiten eines deutsch-irani­schen Kultur­aus­tauschs.

Ein bezau­berndes Filmfest-Highlight ist der Anima­ti­ons­film Window Horses (Sa., 15.7.20.30 Uhr) von Ann Marie Fleming nach ihrer gleich­na­migen Graphic Novel. Im Zentrum steht die junge Rosie Ming, die nach dem Tod ihrer Mutter in Vancouver bei ihren chine­si­schen Groß­el­tern lebt, im Fast-Food-Restau­rant arbeitet und in ihrer Freizeit Gedichte schreibt. Eines Tages erhält sie eine Einladung zu einem Dich­ter­fes­tival nach Schiras. Dort erlebt sie nicht nur ihre Offen­ba­rung als Dichterin, sondern begibt sich auf die Spuren ihres irani­schen Vaters, der die Familie vor vielen Jahren verließ. Window Horses hat nicht nur visuellen Einfalls­reichtum zu bieten: Wenn Rosie ohne Chine­sisch-Kennt­nisse von ihrem chine­si­schen Dichter-Mitstreiter zur Inter­pre­ta­tion seines Gedichtes aufge­for­dert wird, erinnert das an den Film-Poeten Jim Jarmusch, der im vergan­genen Jahr im SZ-Magazin erzählte, wie ihn der Künstler Kenneth Koch zum Über­setzen eines deutschen Rilke-Gedichts verdon­nerte: »Ich meinte, äh, ich kann kein Deutsch. Er darauf nur: Genau. Er wollte, dass ich mich an allem orien­tiere außer am Nahe­lie­gendstem, dem Inhalt.« Wie es Rosie bei ihrer Gedicht­in­ter­pre­ta­tion und ihren anderen Aben­teuern, beseelt vom Geiste der berühm­testen persi­schen Dichter Saadi, Hafi und Rumi ergeht, ist inspi­rie­rend, rührend und herz öffnend.

Wer nach diesem Filmfest auf den Geschmack gekommen ist und/oder nicht genug bekommen kann vom irani­schen Kino, kann sich auf die 65. Münchner Film­kunst­wo­chen (19.7.-16.8.) freuen: In deren Rahmen ist dann nochmal die im besten Sinne irre Berlinale-Über­ra­schung des vergan­genen Jahres A Dragon Arrives! (So., 30.7., 21 Uhr; So., 6.8., 21 Uhr Neues Maxim Kino) von Mani Haghighi zu sehen.