24.11.2016

Filmpreis der Parla­men­ta­rier

Ik ben Alice
Komplizen, die den LUX gewonnen haben: Jonas Dorbach, Maren Ade und Toni Erdmann (nicht im Bild). (Foto: Europäisches Parlament)

Maren Ades Toni Erdmann gewinnt den 10. LUX Filmpreis. Eindrücke von der Preisverleihung im Europäischen Parlament in Straßburg und dem begleitenden Seminar über »Film als europäische Agenda«

Von Dunja Bialas

»Kino ist kein Fußball!«

Maren Ade steht im riesigen Plenar­saal des Straßburger Parla­ments, im schwarzen Hosen­anzug wie zuletzt bei der Verlei­hung des Herbert-Strate-Preis in Köln. Und wie schon vor zwei Wochen windet sie sich auch heute wieder ein wenig, beugt ihren Ober­körper leicht nach vorne, als wolle sie unter dem Anlass hindurch­tau­chen. Dann aber steht sie am Mikro und spricht große Worte, die im gut gefüllten Plenar­saal Wirkung zeigen. Ziemlich persön­lich beginnt sie, erzählt eine womöglich erfundene Geschichte von ihrem fünf­jäh­rigen Sohn und seiner Suche nach dem großen Land namens Europa.

Maren Ade ist nicht nur eine gute Geschich­ten­er­zäh­lerin, sie weiß, wie man spricht, und welche Worte für so einen Anlass passend sind. Der Anlass ist die Verlei­hung des LUX-Film­preises, den das Europäi­sche Parlament zum 10. Mal vergibt, eine Auszeich­nung der Abge­ord­neten aus 28 EU-Nationen, verbunden mit einer Unter­ti­te­lung in die 24 Amts­spra­chen. Feierlich, mit einem kleinen, heiteren Glucksen in der Stimme, gibt Ade ihrem Geehrt­sein Ausdruck, freut sich, dass ihr doch auch humor­voller Film so viele Nationen anspre­chen konnte und nun in ganz Europa bekannt wird. Aber: »Kino ist kein Fußball!«, sagt sie. »Es ist egal, aus welchem Land ein Film kommt, Haupt­sache, er spricht zu einem!« Damit hat sie den Nerv der Parla­men­ta­rier getroffen und en passant den europäi­schen Gedanken gewürdigt.

Drei Filme standen wieder im Parla­ments-Finale: die fran­zö­sisch-tune­si­sche Co-Produk­tion À peine j'ouvre les yeux, eine an den letzt­jäh­rigen Gewinner Mustang erin­nernde Eman­zi­pa­ti­ons­ge­schichte am Vorabend des arabi­schen Frühlings; sodann mit Ma vie de Courgette erstmals ein Anima­ti­ons­film, eine herz­er­grei­fende Geschichte über Waisen­kinder aus dem Wallis mit einer Prise Schweizer Sehnsucht nach dem Idyll, und Toni Erdmann, der humo­ris­ti­sche Parcours durch die Defor­ma­tionen unserer Perfor­mance-Gesell­schaft und Zwängen à la »da sind mir leider die Hände gebunden«. Das hat den Parla­men­ta­riern gefallen.

Taxes on American movies

24 Stunden vorher. »Nach dem Brexit spreche ich nicht mehr Englisch, wenn es nicht unbedingt nötig ist!«, verkündet die deutsche EU-Poli­ti­kerin Doris Pack. Das ist ein Statement: Es markiert den Beginn des Pres­se­se­mi­nars, zu dem das Europäi­sche Parlament anläss­lich der Verlei­hung des LUX-Film­preises nach Straßburg einge­laden hat. Doris Pack war lang­jäh­rige EU-Abge­ord­nete, jetzt sitzt sie dem Ausschuss für Kultur und Bildung vor. Außerdem ist sie »Mutter« (»oder Groß­mutter«, witzelt die 74-Jährige) von LUX. Wir befinden uns in einem Tagungs­raum im Dach des Europäi­schen Parla­ments, einem laby­rin­thi­schen Moloch, der mit Büroräumen hinter Glas und viel Einblick auf Frei­treppen, Korridore und Verbin­dungs­stege Trans­pa­renz und Kommu­ni­ka­tion sugge­riert, aber auch viele bauliche Einbahn­straßen und Sack­gassen bereit­hält. (Das ist natürlich auch im über­tra­genen Sinne zu verstehen, wie so vieles Gesagtes an den zwei Tagen in Straßburg gerne und immer wieder auch symbo­lisch gemeint ist.) Vor allem über­rascht, dass der Weg ins Gebäude durch wie Dienst­bo­tenein­gänge (!) gestal­tete Pres­se­zu­gänge führt, was einem sofort verdeut­licht, dass man hier eine Paral­lel­welt betritt, die wie ein Bienen­stock ihre ganz eigenen Hier­ar­chien, Rituale und Wege (Amtswege!) hat.

In der Wand des kreis­för­migen Sitzungs­saal (gibt es hier eigent­lich auch einen unde­mo­kra­ti­schen, recht­eckigen Saal?) sitzen hinter Glas aufge­reiht die multi­lin­gualen Simult­an­dol­met­scher. Um die dreißig Pres­se­ver­treter, über­wie­gend Film­kri­tiker, aus 22 EU-Staaten, darunter auch je ein Vertreter aus Malta, Ungarn, Polen, Portugal und Estland sind zu zwei Panels einge­laden, in denen es um den europäi­schen Film auf der poli­ti­schen Agenda geht. Vor uns aufge­reiht: Antonio Tajani, Vize­prä­si­dent des Parla­ments und heute verant­wort­lich für den LUX-Preis, LUX-Erfin­derin Doris Pack und die Teil­nehmer des ersten Panels, Silvia Costa und Bogdan Wenta, beide wie Pack, die das Panel moderiert, vom Ausschuss für Kultur und Bildung (was das Podium sehr mono­lo­gisch werden lässt).

Ein 21-köpfiges Voraus­wahl­gre­mium aus Produ­zenten, Verlei­hern, Kino­be­trei­bern, Festi­val­lei­tern und Film­kri­ti­kern wählt seit 2007 zehn europäi­sche Produk­tionen aus, die in den Wett­be­werb um den LUX gehen, aus ihnen wiederum drei, die als Fina­listen durch fünfzig europäi­sche Städte touren, unter­ti­telt in der jewei­ligen Amts­sprache. Dies zur kurzen Orien­tie­rung. Tajani betont in seinen Eröff­nungs­worten das große Thema »Inte­gra­tion«, um das herum Europa gebaut werde. Auch die Filme der Endrunde trans­por­tieren mehr oder minder die europäi­schen Werte wie Inte­gra­tion, Toleranz und, im Fall von Toni Erdmann, auch als Kritik, die sich die unmensch­liche west­eu­ropäi­sche Arroganz im Sektor der Human Resources vorknöpft. Zweck des Preises sei so auch, die Kultur und die europäi­schen Werte zu stärken. Aber auch die Film­in­dus­trie der EU »gegen die Invasion ameri­ka­ni­scher Filme«, wie es Tajani doch tatsäch­lich formu­liert. 3,3% des euro­pa­weiten Brut­to­in­lands­pro­dukts, 6,7 Millionen Arbeit­nehmer seien in der europäi­schen Film­branche tätig, einem Sektor mit einer »hohen Wachs­tums­rate, höher als in der Chemie- oder Auto­mo­bil­in­dus­trie«.

Silvia Costa spricht von der Krea­tiv­wirt­schaft Europas, die mit dem LUX-Preis unter­s­tützt werde. »Creative Europe« mit seinem MEDIA-Programm stehe auf zwei Säulen: Film­pro­duk­tionen werden gefördert und deren Vertrieb unter­s­tützt, wie zum Beispiel durch die LUX-Unter­ti­te­lungs-Maßnahme. Außerdem gäbe es das Netz von fast 1000 »Europa Cinemas«, die über­wie­gend europäi­sche Filme zeigen und ebenfalls von MEDIA finan­ziell unter­s­tützt werden. Die sprach­liche Vielfalt (»Europa ist groß wegen seiner Diver­sität«) trans­por­tiere den europäi­schen Gedanken, die Unter­ti­te­lung sei daher auch Teil der Kommu­ni­ka­ti­ons­auf­gabe der Kultur­kom­mis­sion. Doris Pack betont, dass der LUX-Preis jedoch nicht aus dem Topf von »Creative Europe« finan­ziert werde, sondern aus den »den Abge­ord­neten zuge­schrie­benen Kommu­ni­ka­ti­ons­mit­teln«, die dafür »auf Mittel verzichten« würden. Was auch immer das heißen mag. Kino und Filme seien jeden­falls ein wunder­bares Mittel der Kommu­ni­ka­tion, außerdem werden die LUX-Filme mit pädago­gi­schem Material begleitet. »Der LUX-Preis ist das Tüpfel­chen auf dem I«, schwärmt Pack, er ermög­liche das Subti­teling. Im Falle des Gewin­n­er­films geht es dabei auch um die weiter­rei­chende barrie­re­freie Kommu­ni­ka­tion: der Film wird audio­vi­suell auch für Hör- und Sehein­ge­schränkte zugäng­lich gemacht.

Bogdan Wenta räumt ein, dass es mit der »Entwick­lung des Publikums bislang nicht so erfolg­reich gelaufen« sei. Der Preis sei Gegen­stand einer 400.000 Euro schweren Promo­ti­ons­maß­nahme für die kultu­relle Vielfalt Europas, die auch kleinere Projekte unter­s­tütze. Mit 400T ist der LUX-Preis zwar noch kein Luxus-Preis, herun­ter­ge­rechnet mit PR-Ausgaben von 8.000 Euro pro Stadt. Komfor­tabel aber ist es doch und erklärt nicht, weshalb das »Symbol europäi­scher Strahl­kraft« zumindest in Deutsch­land den Kino­gän­gern kaum was sagt (Achtung: Behaup­tung ohne reprä­sen­ta­tive Umfrage).

Auf dem zweiten Panel zur »Rolle des europäi­schen Kino und der Autoren in der heutigen Gesell­schaft« nehmen dann auch die »Kreativen« Platz, um die es ja eigent­lich geht, die Vertreter der Fina­listen-Filme, die aber dem schwam­migen Titel entspre­chend in ihren Ausfüh­rungen sehr vage bleiben und Allge­mein­plätze von sich geben. Helga Trüpel, ihrer­seits wieder Vize­vor­sit­zende des Kultur- und Bildungsau­schusses, ergänzt das erste Panel und betont, dass mit der Unter­ti­te­lung zwar ein anderes und größeres Publikum für die LUX-Fina­listen erreicht werde, es darüber hinaus aber auch darum gehe, Kinos als kultu­relle und soziale Orte zu erhalten. Die soge­nannten »release windows«, die Verwer­tungs­fenster für Kinos müssten so auch bleiben, um die Abspiel­stätten weiterhin zu unter­s­tützen, bei einer immer schnel­leren und umfas­sen­deren Film­aus­wer­tung außerhalb des Kinosaals. Jonas Dorbach von der Produk­tion Kompli­zen­film, die viele europäi­sche Projekte co-produ­ziert hat (darunter die 1001-Nacht-Trilogie des Portu­giesen Miguel Gomes), begreift dies als Aufgabe, Filmen mehrere »Pässe« und damit viele »Aufent­halts­ge­neh­mi­gungen« zu verschaffen. Da hat er sicher­lich recht, trotz der stra­pa­zierten EU-Metaphern. Ohne die deutsche Co-Produk­tion wäre, trotz des Erfolgs von Tabu, Gomes' 1001 Nacht sicher­lich nicht ins Kino gekommen, noch dazu hat sich die Trilogie als Kassen­gift erwiesen. Lag es an dem Off-Sprecher der deutschen-Fassung, dass der Film hier keine Freunde finden konnte? Unter­ti­te­lung ist in Deutsch­land jeden­falls noch immer kaum eine Option und erreicht nur die Arthouse-Nische. »We're not used to it, it’s a question of education!«, sagt Doris Pack jetzt doch auf Englisch. Ein Semi­nar­teil­nehmer nutzt am Ende noch schnell die Gele­gen­heit und fordert, ganz high vom europäi­schen Gedanken des Seminars: »Taxes on American movies!«

Ohne Worte

Übrigens findet sich im »endgül­tigen Entwurf« der im Parlament auslie­genden Tages­ord­nung für den Dienstag, an dem das Seminar stattfand, folgender TOP: »Stra­te­gi­sche Kommu­ni­ka­tion der EU, um gegen sie gerich­teter Propa­ganda von Dritten entge­gen­zu­wirken.«