13.05.2016

»Sie kennen mich sicher nicht!«

Niklaus Schilling
Niklaus Schilling – 1944-2016 (Quelle und ©: VISUALFilm)

Niklaus Schilling, einer der großen Kreativen des Neuen Deutschen Films, ist vor einer Woche im Alter von 72 Jahren in Berlin gestorben.

Von Axel Timo Purr

1977 war ein tolles Jahr. Vor allem für den Neuen Deutschen Film. Und für die Deutsche Bundes­bahn, so wie die Deutsche Bahn damals noch hieß. Denn gleich zwei außer­or­dent­liche Filme setzten in diesem denk­wür­digen Jahr den legen­dären Trans Europ Express-Zügen ein Denkmal. Zum einen Wim Wender mit seinem ameri­ka­ni­schen Freund, in dem Dennis Hopper und Bruno Ganz in einem dahin­ra­senden TEE zwischen Hamburg und Berlin zwei Morde begehen. Und zum anderen ist da Niklaus Schil­lings Rheingold, seinem nach Nacht­schatten (1971) und der Vertrei­bung aus dem Paradies (1976) dritten Spielfilm, in dem an Bord des TEE Rheingold ebenfalls der Tod mitfährt, aber so ganz anders als bei Wenders. Zwar finden sich auch bei Schilling die für den Neuen Deutschen Film immer wieder typischen zeit­ver­zö­gerten und schwer­sinnig into­nierten Dialoge, aber das somnam­bule Dahin­scheiden der von Elke Halt­auf­der­heide verkör­perten Elisabeth Drossbach faszi­niert nicht nur mit seiner formalen Strenge, viel­schich­tigen Bezügen zum Rhein­my­thos und immer wieder über­ra­schenden Brüchen des Erzählens, sondern auch mit einem unkon­ven­tio­nellen Mut zu Humor und Ironie, wie etwa beim Aufein­an­der­treffen des Erfinders (Reinfried Keilich) und Elke Halt­auf­ter­heide, der mit den fast schon program­ma­tisch für den Film stehenden Worten beginnt: »Sie kennen mich sicher nicht!« (Ausschnitt auf Youtube).

Nur zwei Jahre später über­raschte Schilling mit einem völlig anderen Film. Stand in Rheingold – wenn auch geschickt dekon­stru­iert – das Melodram im Zentrum, setzte sich Schilling im Willi-Busch-Report mit der Komödie ausein­ander und setzte dem Neuen Deutschen Film damit so etwas wie ein Denkmal, denn der fast schon ikono­gra­fi­sche Charakter der Szenen mit Willi Busch (Tilo Brückner) in seinem gelben Messer­sch­mitt-Kabi­nen­roller erreichten nicht nur ein ungewohnt breites Publikum, sondern der Film erzählte witzig und intel­li­gent auch vom Kalten Krieg und der Misere zweier deutscher Staaten, dem drohenden Aus einer regio­nalen Zeitung und den damit einher­ge­henden Versuchen von jour­na­lis­tisch insze­nierter Wirk­lich­keit, die an Aktua­lität bis heute heute nichts eingebüßt haben. Gleich­zeitig ist Schil­lings Willi-Busch-Report aber auch ein in der Zeit fest veran­kertes Panop­tikum, dass fast schon ethno­gra­fisch genau den Puls der Zeit maß und dafür die entspre­chende Bild­sprache fand und mehr noch – auch die damals neueste Technik gleich mit einver­leibte. Denn Schilling drehte fast ausschließ­lich mit Steadicam, einem Stativ­system, das eine orga­ni­sche, schwe­bende Kamera-Führung bei gleich­zeitig extrem hoher Beweg­lich­keit erlaubte und gerade erst auf den Markt gekommen war.

Seiner Affinität zu tech­ni­schen Inno­va­tionen blieb sich Schilling auch später treu – Die Frau ohne Körper und der Projek­tio­nist (1984) wurde der erste mit Video­ma­te­rial und in Koope­ra­tion mit RTL reali­sierte deutsche Kinofilm. Dass er damit aller­dings im vertrauten und bislang wohl­wol­lenden Umfeld anecken würde, mag Schilling so wenig erwartet haben wie Bob Dylan auf dem Newport Folk Festival nach dem ersten Set mit elek­tri­scher Gitarre. Aber anders als bei Dylan blieb sich das links­li­be­rale Umfeld und die Kritik bei Schilling treu. Nach dem doppelten Verrat – RTL als kommer­zi­eller-kapi­ta­lis­tisch ausge­rich­teter Sender zu unter­s­tützen und mit einem Material zu drehen, dass fürs Kinosterben verant­wort­lich gemacht wurde – stießen sein SF-Thriller Der Atem (1989) und der wieder auf Video gedrehte Die Blinde Kuh (1996) auf fast völliges Desin­ter­esse.

Sein letztes, unvoll­endetes, großes Film­pro­jekt, an dem Schilling seit Mitte der 1990er arbeitete und und für das er mit Marcel Bayer bereits ein Drehbuch geschrieben hatte, könnte aktueller nicht sein: In einem 1945 verschüt­teten Bunker überlebt das Kind eines Nazi-Generals die eigene Familie und kommt in unserer Gegenwart – unver­sehrt NS-ideo­lo­gisch indok­tri­niert – wieder ans Tages­licht.

In der nächsten »Open Scene«, am Donnerstag, den 19. Mai 2016 um 19.00 Uhr, zeigt das Film­mu­seum Niklaus Schil­lings Debutfilm NACHTSCHATTEN. RHEINGOLD zeigt das Film­mu­seum am 29. Juli 2016 um 21.00 Uhr in seiner Reihe »Unterwegs – Reisen im Film«.