Aus dem Schatten |
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Chantal Akerman, 1950-2015 |
Eine elegante, immer gutaussehende Frau, die aus der Nähe schüchterner und zerbrechlicher wirkte, als auf Distanz. Von fern strahlte sie etwas Sprödes aus, konnte herrisch erscheinen; je näher sie einem kam, um so klarer war zu erkennen, dass es sich nur um die gut getarnte Unsicherheit eines sehr sensiblen Menschen handelte. Chantal Akerman hat es sich selber nie leicht gemacht, zugleich war sie ungemein offen und neugierig, manchmal auf eine fröhliche und verspielte, lebensfrohe Weise.
Geboren wurde sie im Schatten der Shoah, in Brüssel im Juni 1950, als Kind polnisch-jüdischer Überlebender. Prägend waren die bewegten sechziger Jahre und die kulturelle Revolte. Zum Initiationserlebnis wurde zunächst Godard: Eine Vorstellung von »Pierrot le Fou« war es angeblich, die in ihr den Wunsch weckte, Filmemacherin zu werden. Schlag auf Schlag ging das damals: Filmschule »67 in Brüssel, abgebrochen, ›um Filme auf eigene Art zu drehen‹; Theaterakademie
›68 in Paris, gleich von Anfang an Kurzfilme. Nur 13 Minuten lang ist Saute ma ville (1968, Youtube), der gleich ihr Durchbruch war: Rasant, komisch, voller Energie spielt sie ein Mädchen, das sich in der Wohnung einschließt, aufräumt, doch die Ordnung gebiert Chaos, und sie stirbt am Ende – ein Film wie ein Amoklauf.
Ruhelosigkeit wurde ihre hervorstechendste Eigenschaft: 1972 ging sie nach New York, dann wieder zurück, doch bis an ihr Lebensende blieb sie zwischen
Paris, New York, Tel Aviv auf Reisen, in Bewegung, auch auf der Flucht – vor sich selbst und den Schatten des Grauens.
Berühmt wurde sie als »feministische Filmemacherin« mit Frauenportäits wie Jeanne Dielman, 23 Quai du Commerce, 1080 Bruxelles (1975), der drei Tage im ganz normalen Leben der Titelheldin zeigt, die als Gelegenheitsprostituierte arbeitet. Anderes ist
autobiographischer (Portrait d)‹une jeune fille de la fin des annees 60, und neben Spiel- und Experimentalfilme treten Essays und Dokumentarisches (D)«Est.
Die drei Topoi der 68er-Revolte – sexuelle Befreiung, Psychoanalyse, Weltrevolution – waren ihre Themen, jeweils gebrochen durch die traumatische Erfahrung der Shoah (News from Home; Histoires d’Ameriques). Auf die Herausforderung, »nach Auschwitz« Filme zu machen, antwortete Akerman mit einem nie gestillten Durst nach neuen unverbrauchten Bildern jenseits der Konvention. Alle ihre Filme, auch noch die Proust- und Conrad-Verfilmungen der letzten Jahre, eint der Bruch mit Einverständnissen. Dieser Bruch markiert einen Schmerz, der nicht
vergehen kann, die Erfahrung unüberwindbarer Sinnlosigkeit.
Als Filmemacherin war Akerman so zerrissen wie im Leben: Manche ihrer Filme stürzen sich hinein in den Taumel des Daseins, sind wild, flirrend, riskant. Andere wieder treten einige Schritte zurück, zeigen alles mit statischer, unbewegter Optik, so als ob die Kamera unbeteiligt und »objektiv« sein könnte, und das unerschütterte Bild zumindest so etwas wie Sicherheit spenden könnte.
Erst diesen Herbst waren ihre letzten Arbeiten zu sehen: In Locarno ihr Film No Home Movie, den manche Kritiker leichtfertig als »missglückt« abtaten, und bei der Kunstbiennale von Venedig eine Montagearbeit aus Israel. Jetzt ist Chantal Akerman, erst 65-jährig, in Paris gestorben, kurz nach ihrer Mutter, durch Suizid, wie die von ihr gespielte Hauptfigur ihres ersten Films.