22.10.2015

Aus dem Schatten

Chantal Akerman
Chantal Akerman, 1950-2015

Zum Tod der Regisseurin Chantal Akerman

Von Rüdiger Suchsland

Eine elegante, immer gutaus­se­hende Frau, die aus der Nähe schüch­terner und zerbrech­li­cher wirkte, als auf Distanz. Von fern strahlte sie etwas Sprödes aus, konnte herrisch erscheinen; je näher sie einem kam, um so klarer war zu erkennen, dass es sich nur um die gut getarnte Unsi­cher­heit eines sehr sensiblen Menschen handelte. Chantal Akerman hat es sich selber nie leicht gemacht, zugleich war sie ungemein offen und neugierig, manchmal auf eine fröhliche und verspielte, lebens­frohe Weise.

Geboren wurde sie im Schatten der Shoah, in Brüssel im Juni 1950, als Kind polnisch-jüdischer Über­le­bender. Prägend waren die bewegten sechziger Jahre und die kultu­relle Revolte. Zum Initia­ti­ons­er­lebnis wurde zunächst Godard: Eine Vorstel­lung von »Pierrot le Fou« war es angeblich, die in ihr den Wunsch weckte, Filme­ma­cherin zu werden. Schlag auf Schlag ging das damals: Film­schule »67 in Brüssel, abge­bro­chen, ›um Filme auf eigene Art zu drehen‹; Thea­ter­aka­demie ›68 in Paris, gleich von Anfang an Kurzfilme. Nur 13 Minuten lang ist Saute ma ville (1968, Youtube), der gleich ihr Durch­bruch war: Rasant, komisch, voller Energie spielt sie ein Mädchen, das sich in der Wohnung einschließt, aufräumt, doch die Ordnung gebiert Chaos, und sie stirbt am Ende – ein Film wie ein Amoklauf.
Ruhe­lo­sig­keit wurde ihre hervor­ste­chendste Eigen­schaft: 1972 ging sie nach New York, dann wieder zurück, doch bis an ihr Leben­s­ende blieb sie zwischen Paris, New York, Tel Aviv auf Reisen, in Bewegung, auch auf der Flucht – vor sich selbst und den Schatten des Grauens.
Berühmt wurde sie als »femi­nis­ti­sche Filme­ma­cherin« mit Frau­en­por­täits wie Jeanne Dielman, 23 Quai du Commerce, 1080 Bruxelles (1975), der drei Tage im ganz normalen Leben der Titel­heldin zeigt, die als Gele­gen­heits­pro­sti­tu­ierte arbeitet. Anderes ist auto­bio­gra­phi­scher (Portrait d)‹une jeune fille de la fin des annees 60, und neben Spiel- und Expe­ri­men­tal­filme treten Essays und Doku­men­ta­ri­sches (D)«Est.
Die drei Topoi der 68er-Revolte – sexuelle Befreiung, Psycho­ana­lyse, Welt­re­vo­lu­tion – waren ihre Themen, jeweils gebrochen durch die trau­ma­ti­sche Erfahrung der Shoah (News from Home; Histoires d’Ameriques). Auf die Heraus­for­de­rung, »nach Auschwitz« Filme zu machen, antwor­tete Akerman mit einem nie gestillten Durst nach neuen unver­brauchten Bildern jenseits der Konven­tion. Alle ihre Filme, auch noch die Proust- und Conrad-Verfil­mungen der letzten Jahre, eint der Bruch mit Einver­s­tänd­nissen. Dieser Bruch markiert einen Schmerz, der nicht vergehen kann, die Erfahrung unüber­wind­barer Sinn­lo­sig­keit.

Als Filme­ma­cherin war Akerman so zerrissen wie im Leben: Manche ihrer Filme stürzen sich hinein in den Taumel des Daseins, sind wild, flirrend, riskant. Andere wieder treten einige Schritte zurück, zeigen alles mit stati­scher, unbe­wegter Optik, so als ob die Kamera unbe­tei­ligt und »objektiv« sein könnte, und das uner­schüt­terte Bild zumindest so etwas wie Sicher­heit spenden könnte.

Erst diesen Herbst waren ihre letzten Arbeiten zu sehen: In Locarno ihr Film No Home Movie, den manche Kritiker leicht­fertig als »miss­glückt« abtaten, und bei der Kunst­bi­en­nale von Venedig eine Monta­ge­ar­beit aus Israel. Jetzt ist Chantal Akerman, erst 65-jährig, in Paris gestorben, kurz nach ihrer Mutter, durch Suizid, wie die von ihr gespielte Haupt­figur ihres ersten Films.