23.04.2015

Raus aus der Komfort­zone

STILL THE WATER
Höchste filmische Meisterschaft: Still the Water

Das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund Köln 2015

Von Sophie Charlotte Rieger

Komfort, das war der inhalt­liche Fokus des dies­jäh­rigen Inter­na­tio­nalen Frau­en­film­fes­ti­vals Dortmund Köln. In Anbe­tracht der multiplen Bedeu­tungen, die Festi­val­di­rek­torin Silke Räbiger dem Begriff bei ihrer Eröff­nungs­rede zugestand, wirkte der vermeint­liche rote Faden des Programms dann aber doch ein wenig konstru­iert. So ließen sich zwar unter anderem mit dem Verweis auf eine gesell­schaft­liche Komfort­zone bzw. das Verlassen derselben problemlos alle Filme unter die dies­jäh­rige Über­schrift fassen, doch hätte man mit dieser sehr weit­rei­chenden Defi­ni­tion des Komfort-Begriffs wohl auch so manch anderes Festival betiteln können.

Und dennoch trifft die Beschrei­bung den Nagel auf den Kopf. Denn wie so oft, wenn Film­frauen zusam­men­kommen, drehte sich auch in Dortmund alles um gesell­schaft­liche Normen und Miss­stände, Diskri­mi­nie­rung und mangelnde Gerech­tig­keit in verschie­denen sozio­kul­tu­rellen Kontexten. Oder anders formu­liert: Viele der vorge­stellten Filme widmeten sich „unbe­quemen“ Themen.

Der polnische Doku­men­tar­film Die Königin der Stille – demnächst auch bei Arte zu sehen – begleitet zum Beispiel ein gehör­loses Roma-Mädchen und ihre kleine Gemein­schaft am Rande einer polni­schen Großstadt. Filme­ma­cherin Agnieszka Zwiefka verleiht dem von Armut und Diskri­mi­nie­rung gekenn­zeich­neten Alltag der Roma durch von Prot­ago­nistin Danisa initi­ierte schil­lernd-bunte Bollywood-Tanz­ein­lagen einen beson­deren Glanz, findet Schönheit in der Tristesse und Lebens­freude in der Not. Ebenfalls zu sehen in der Unter­ka­te­gorie Broken Land­scapes war der belgische Film Devils Rope, in dem Sophie Bruneau die histo­ri­schen und zeit­genös­si­schen USA anhand von Draht­zäunen porträ­tiert, die Land­be­sitz kenn­zeichnen, Vieh­herden zusam­men­halten, aber eben auch Gefäng­nisse umschließen und eine ameri­ka­nisch-mexi­ka­ni­sche Grenze ziehen.

Beschäf­tigte sich Broken Land­scapes mit Globa­li­sie­rung und Migration, widmete sich die Sektion 9 to 5 der Arbeits­welt, frei nach dem Motto „Erst die Arbeit, dann der Komfort“. Diese Devise wird wohl auch den Jugend­li­chen in Claudine Bories’ und Patrice Chagnards Doku Rules of the Game ans Herz gelegt, denn hier unter­ziehen sich fran­zö­si­sche Jungen und Mädchen ohne Berufs­aus­bil­dung einem Bewer­bungs­trai­ning. Fernab von der traurigen Realität des Arbeits­marktes entwi­ckeln die Bilder des – manchmal vergeb­li­chen – Coachings einen ganz eigenen, bitteren Humor, der jedoch bedau­er­li­cher Weise manchmal auch zu Lasten der Prot­ago­nisten geht.

Ein Highlight des Festivals waren die film­his­to­ri­schen Entde­ckungen, wie beispiels­weise die beein­dru­ckenden Werke der Amateur­fil­merin Elisabeth Wilms, die ihre Heimat Dortmund vor und nach dem Krieg porträ­tierte. Die „filmende Bäckers­frau“ schuf damit einzig­ar­tige Zeugnisse der deutschen Nach­kriegs­rea­lität. Mit Vorstel­lungen wie dieser füllt das Festival auch eine über­fäl­lige Wissens­lücke zu der Bedeutung von Frauen für die deutsche und inter­na­tio­nale Film­ge­schichte.

Neben dieser wichtigen film­fe­mi­nis­ti­schen Aufgabe verfügt natürlich auch das inter­na­tio­nale Frau­en­film­fes­tival Dortmund Köln über einen inter­na­tio­nalen Wett­be­werb, bei dem unter anderem der Berlinale-Beitrag Body von Malgorzata Szumowska mit sieben weiteren Werken um den RWE-Filmpreis konkur­rierte. Das Thema Komfort lässt sich problemlos auch auf diese Film­aus­wahl anwenden, werden doch auch hier gesell­schafts­po­li­ti­sche Zusam­men­hänge in Frage gestellt und Miss­stände ange­pran­gert. So zum Beispiel in Sepideh Farsis Red Rose: Vor dem Hinter­grund der Demons­tra­tionen in Teheran 2009 insze­niert die Regis­seurin ein berüh­rendes Kammer­spiel um die zärtliche Begegnung der jungen Akti­vistin Sara mit dem von der irani­schen Realität längst entwaff­neten älteren Ali. Auch Mariana Rondóns Pelo malo wirft einen kriti­schen Blick auf die Heimat der Filme­ma­cherin. Hier versucht ein lockiger Misch­lings­junge seinen queeren Weg in einer von Machismo und Patri­ar­chat geprägten Gesell­schaft zu finden. Hautfarbe, sexuelle Identität, Sexismus und Armut – Rondón versucht einfach zu viele Aspekte ihrer vene­zo­la­ni­schen Heimat abzu­de­cken und schießt damit bedau­er­lich über das Ziel hinaus. Pelo malo wird zum pessi­mis­ti­schen Betrof­fen­heits­kino. Gar nicht betroffen machte Jasmila Zbanics Komödie Love Island, mit der sie Fans ihrer betont ernsten Vorgän­ger­filme positiv zu über­ra­schend vermochte. Ange­sie­delt in einem kroa­ti­schen All Inclusive Hotel und in Anlehnung an Jacques Tatis Die Ferien des Monsieur Hulot, erzählt Zbanic hier eine zum Schreien komisch, gekonnt über­drehte queere Bezie­hungs­komödie.

Mit dem Haupt­preis ausge­zeichnet wurde schließ­lich jedoch Naomi Kawases Still the Water. »Die Kine­ma­to­gra­phie der Regis­seurin, mit der sie kraftvoll die Natur einsetzt um die Emotionen der Figuren heraus­zu­ar­beiten oder zu konter­ka­rieren, hat uns mehr als beein­druckt. Still the Water zeugt von höchster filmi­scher Meis­ter­schaft, ist visuell atem­be­rau­bend und steckt bis zum Ende voller Über­ra­schungen«, begrün­dete die Jury ihre Entschei­dung. Der Publi­kums­preis ging an Amals Ramsis für ihre Doku­men­ta­tion der ägyp­ti­schen Revo­lu­tion in The Trace of the Butterfly, ebenfalls ein Film, der das Kino­pu­blikum mit unbequem realis­ti­schen Bildern fehlender Demo­kratie und Gerech­tig­keit dazu auffor­derte, die eigene Komfort­zone zu verlassen.

Einzel­kri­tiken zu ausge­wählten Filmen aus dem Programm des IFFF finden sich unter film­lo­ewin.de.