Raus aus der Komfortzone |
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Höchste filmische Meisterschaft: Still the Water |
Komfort, das war der inhaltliche Fokus des diesjährigen Internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund Köln. In Anbetracht der multiplen Bedeutungen, die Festivaldirektorin Silke Räbiger dem Begriff bei ihrer Eröffnungsrede zugestand, wirkte der vermeintliche rote Faden des Programms dann aber doch ein wenig konstruiert. So ließen sich zwar unter anderem mit dem Verweis auf eine gesellschaftliche Komfortzone bzw. das Verlassen derselben problemlos alle Filme unter die diesjährige Überschrift fassen, doch hätte man mit dieser sehr weitreichenden Definition des Komfort-Begriffs wohl auch so manch anderes Festival betiteln können.
Und dennoch trifft die Beschreibung den Nagel auf den Kopf. Denn wie so oft, wenn Filmfrauen zusammenkommen, drehte sich auch in Dortmund alles um gesellschaftliche Normen und Missstände, Diskriminierung und mangelnde Gerechtigkeit in verschiedenen soziokulturellen Kontexten. Oder anders formuliert: Viele der vorgestellten Filme widmeten sich „unbequemen“ Themen.
Der polnische Dokumentarfilm Die Königin der Stille – demnächst auch bei Arte zu sehen – begleitet zum Beispiel ein gehörloses Roma-Mädchen und ihre kleine Gemeinschaft am Rande einer polnischen Großstadt. Filmemacherin Agnieszka Zwiefka verleiht dem von Armut und Diskriminierung gekennzeichneten Alltag der Roma durch von Protagonistin Danisa initiierte schillernd-bunte Bollywood-Tanzeinlagen einen besonderen Glanz, findet Schönheit in der Tristesse und Lebensfreude in der Not. Ebenfalls zu sehen in der Unterkategorie Broken Landscapes war der belgische Film Devils Rope, in dem Sophie Bruneau die historischen und zeitgenössischen USA anhand von Drahtzäunen porträtiert, die Landbesitz kennzeichnen, Viehherden zusammenhalten, aber eben auch Gefängnisse umschließen und eine amerikanisch-mexikanische Grenze ziehen.
Beschäftigte sich Broken Landscapes mit Globalisierung und Migration, widmete sich die Sektion 9 to 5 der Arbeitswelt, frei nach dem Motto „Erst die Arbeit, dann der Komfort“. Diese Devise wird wohl auch den Jugendlichen in Claudine Bories’ und Patrice Chagnards Doku Rules of the Game ans Herz gelegt, denn hier unterziehen sich französische Jungen und Mädchen ohne Berufsausbildung einem Bewerbungstraining. Fernab von der traurigen Realität des Arbeitsmarktes entwickeln die Bilder des – manchmal vergeblichen – Coachings einen ganz eigenen, bitteren Humor, der jedoch bedauerlicher Weise manchmal auch zu Lasten der Protagonisten geht.
Ein Highlight des Festivals waren die filmhistorischen Entdeckungen, wie beispielsweise die beeindruckenden Werke der Amateurfilmerin Elisabeth Wilms, die ihre Heimat Dortmund vor und nach dem Krieg porträtierte. Die „filmende Bäckersfrau“ schuf damit einzigartige Zeugnisse der deutschen Nachkriegsrealität. Mit Vorstellungen wie dieser füllt das Festival auch eine überfällige Wissenslücke zu der Bedeutung von Frauen für die deutsche und internationale Filmgeschichte.
Neben dieser wichtigen filmfeministischen Aufgabe verfügt natürlich auch das internationale Frauenfilmfestival Dortmund Köln über einen internationalen Wettbewerb, bei dem unter anderem der Berlinale-Beitrag Body von Malgorzata Szumowska mit sieben weiteren Werken um den RWE-Filmpreis konkurrierte. Das Thema Komfort lässt sich problemlos auch auf diese Filmauswahl anwenden, werden doch auch hier gesellschaftspolitische Zusammenhänge in Frage gestellt und Missstände angeprangert. So zum Beispiel in Sepideh Farsis Red Rose: Vor dem Hintergrund der Demonstrationen in Teheran 2009 inszeniert die Regisseurin ein berührendes Kammerspiel um die zärtliche Begegnung der jungen Aktivistin Sara mit dem von der iranischen Realität längst entwaffneten älteren Ali. Auch Mariana Rondóns Pelo malo wirft einen kritischen Blick auf die Heimat der Filmemacherin. Hier versucht ein lockiger Mischlingsjunge seinen queeren Weg in einer von Machismo und Patriarchat geprägten Gesellschaft zu finden. Hautfarbe, sexuelle Identität, Sexismus und Armut – Rondón versucht einfach zu viele Aspekte ihrer venezolanischen Heimat abzudecken und schießt damit bedauerlich über das Ziel hinaus. Pelo malo wird zum pessimistischen Betroffenheitskino. Gar nicht betroffen machte Jasmila Zbanics Komödie Love Island, mit der sie Fans ihrer betont ernsten Vorgängerfilme positiv zu überraschend vermochte. Angesiedelt in einem kroatischen All Inclusive Hotel und in Anlehnung an Jacques Tatis Die Ferien des Monsieur Hulot, erzählt Zbanic hier eine zum Schreien komisch, gekonnt überdrehte queere Beziehungskomödie.
Mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurde schließlich jedoch Naomi Kawases Still the Water. »Die Kinematographie der Regisseurin, mit der sie kraftvoll die Natur einsetzt um die Emotionen der Figuren herauszuarbeiten oder zu konterkarieren, hat uns mehr als beeindruckt. Still the Water zeugt von höchster filmischer Meisterschaft, ist visuell atemberaubend und steckt bis zum Ende voller Überraschungen«, begründete die Jury ihre Entscheidung. Der Publikumspreis ging an Amals Ramsis für ihre Dokumentation der ägyptischen Revolution in The Trace of the Butterfly, ebenfalls ein Film, der das Kinopublikum mit unbequem realistischen Bildern fehlender Demokratie und Gerechtigkeit dazu aufforderte, die eigene Komfortzone zu verlassen.
Einzelkritiken zu ausgewählten Filmen aus dem Programm des IFFF finden sich unter filmloewin.de.