19.07.2012

Rolling Cinema

Die Raumwandler
Über Giesing in Untergiesing:
Die Raumwandler
in der Birkenau im Mai 2011
Foto: Massimo Fiorito

Seit 10 Jahren bespielen die Raumwandler München und Umgebung mit Filmraritäten

Von Dunja Bialas

Filme und Kinos – was einmal früher eine notwenige Einheit bildete, löst sich seit Jahren sukzes­sive auf. Die Kinos verschwinden von der Karte der kultu­rellen Praxis. Die Konkur­renz des Wohn­zim­mers macht den Kinos seit der Einfüh­rung des VHS-Abspiel­geräts zu schaffen, die Ablösung der immer perfek­teren Abspiel­me­dien bildet da nur ab, wie das Wohn­zimmer versucht, technisch aufzu­rüsten, um den Kinos den Rang abzu­laufen. Wenn sie dann schließen müssen, verwan­deln sich die Kinos in Super­märkte, Fastfood-Tempel oder Szene-Clubs. Gleich­zeitig verändert sich die Stadt, sie verliert mit den Orten der Kultur ihre Identität und auch den Tiefgang. Worüber werden die Menschen wohl nach­denken, wenn sie aus einem Super­markt kommen? Mit wem wollen sie sich austau­schen, wenn niemand mit ihnen im Wohn­zimmer sitzt und den Film mitguckt?

Genau an dieser Stelle greifen seit 10 Jahren die Raum­wandler ein. Ungefähr seit dem Peak der Multi­plexe und dem Durch­setzen des High-End-»Heimkinos« ziehen sie mit ihren Film­pro­jek­toren durch München und Umgebung. Die unab­hängig agierende Gruppe von Film,- Musik- und Kunst­schaf­fenden zeigt verschol­lene Filme, an die sich niemand erinnern kann, weil keiner sie je sehen konnte. Auch verstehen sie sich als Forum für junge Filme­ma­cher und zeigen deren Debüt. Aber vor allem: sie zeigen die Filme an ausge­wählten Orten, die etwas mit den Filmen zu tun haben, Orte, die Nischen in der Stadt bilden, besonders sind, oder die, kurz vor dem Abriss oder zwischen­ge­nutzt, gerade dabei sind zu verschwinden. Mit ihren Film­vor­füh­rungen wandeln sie Raum in Interims-Kinos und bürsten so die Stadt­ent­wick­lung gegen den Strich.

Streng genommen sind sogar zuerst die Räume da, und dann wird nach dem passenden Film gesucht, erzählt Thomas Kohler, Grün­dungs­mit­glied des Vereins. Ihre erste Aktion war eine Film­pro­jek­tion in einem Foto­studio, gezeigt wurde Blow Up von Antonioni. Dazu haben sie schwere 35mm-Projek­toren in den dritten Stock geschleppt, Nach­bauten des russi­schen TK35, die im Ostblock zur Grund­aus­stat­tung eines Wander­kinos gehörten. Die Leinwand hatten sie damals aus dem soeben entkernten Türken­dolch gerettet, »für zwei Sixpacks« habe er sie von den Bauer­ar­bei­tern bekommen, erinnert sich Frank Müller, »und es war die Leinwand, an die schon Fass­binder gepinkelt hatte!«

Eine Zeitlang wurden die Raum­wandler sogar sesshaft. In Räumen der Blumen­straße betrieben sie drei Jahre lang das »Wohn­zim­mer­kino« und zeigten wöchent­lich zwei Filme. Heute sind sie wieder ausschließ­lich Kino­no­maden. Einen 35mm-Projektor gibt es zwar immer noch, aber bei den mobilen Vorfüh­rungen werden vermehrt DVDs gezeigt, und oft kommt auch der 16mm-Projektor zum Einsatz. Bei vielen Filmen sei es einfach wichtig, das Klackern der Projek­tion im Ohr zu haben, so Raum­wand­lerin Nina Demu­schewski. Die Atmo­s­phäre sei überhaupt wesent­lich, es gibt immer Einlass­musik und Kulnarik, die ganz wie der Raum möglichst zum Film passen sollen. Filme werden bei ihnen inten­siver wahr­ge­nommen, da die Räume, in denen sie gezeigt werden, wie eine Bühne für sie funk­tio­niere, beschreibt Katharina Bierner das Raum­wandler-Gefühl, und die Räume werden umgekehrt durch die Filme präsenter.

Viele der Vorfüh­rungen finden im Freien statt, als spontanes Park­platz­kino beim Open-Air-Festival PUCH, oder letztes Jahr in Unter­gie­sing in der Birkenau. Hier, kurz vor Abriss der ehema­ligen Kutscher­häuser, zeigten die Raum­wandler Über Giesing, einen Film über das Viertel aus Schorn­stein­feger-Perspek­tive, die in die verbor­genen Ecken des Stadt­teils blicken.

Weil immer mehr der beson­deren Orte der Stadt gesicht­losen Wohn­blocks weichen müssen, verschwinden zunehmend die Nischen der Stadt, in denen sie ihre Film­vor­füh­rungen machen können. »Raum­wandler sucht Räume zum Wandeln«, so bringt Michael Pohorsky, nur halb witzelnd, die Stadt­ent­wick­lung aus Sicht der Raum­wandler auf den Punkt. Wenn sie aber einen Ort entdecken, dann sind sie auch prompt mit einem Film da. Wie in der Auto­ga­rage im Glocken­bach­viertel oder im Stem­merhof, dem ehema­ligen Bauernhof in Sendling. In ihrer nächsten Aktion werden sie ein Kino zum Objekt ihrer Aktion machen: Ein Kuhstall in Bayrisch­zell wurde, da sich die Milch­wirt­schaft nicht mehr lohnte, zu einem Kino umgebaut. Heute sind die Peterhof-Licht­spiele wieder geschlossen. Zeit für den Raum­wandler, hier wieder einen Film zu zeigen und erlebbar zu machen, was es heißt, einen Film in diesem Kino zu sehen.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen im Münchner Feuil­leton.
Veröf­fent­li­chung mit freund­li­cher Geneh­mi­gung der Redaktion.