14.06.2012

Fußball­kunst und Film­hand­werk

DEEP PLAY von Harun Farocki
»Deep Play«:
Analyse eines Fußballspiels als Mehrkanal-Installation von Harun Farocki, uraufgeführt auf der Documenta 12, 2007

Die Tendenz zu »hybriden Bildern« und die »Taylorisierung« – was sehen wir, wenn wir Fußball sehen? Der visual turn am Beispiel des Fernsehfußballs, Kontrolle und Bemächtigung des Zufalls durch Erzählung und die Systematisierung der Langeweile im Hybrid-Bild

Von Rüdiger Suchsland

»Der Bloomsday ist bei James Joyce kein bedeu­tender Tag.«Harun Farocki über seine Instal­la­tion »Deep Play«

Zur Zeit erleben wir gerade wieder, dass Fußball dem Kino den Rang abläuft. In jeder Hinsicht: Fußball bietet Dramatik pur, Tragödien und Komödien, große Erzäh­lungen und kleine Anekdoten, mit Helden, Schurken, gefal­lenen Engeln und geläu­terten Monstern, mit Schönen und Biestern und vor allem mit offenem Ausgang: »Die Leut' gehe' zum Fußball, weil 'se net wisse, wie’s ausgeht«, wusste schon Sepp Herberger.

Diese Beob­ach­tung müsste eigent­lich viel mehr eine Heraus­for­de­rung für Filme­ma­cher sein. Das Kino müsste vom Fußball lernen. Statt­dessen gucken zwar Filme­ma­cher fort­wäh­rend Fußball, üben sich aber ansonsten in Ignoranz.
Die Frage ist nun aber freilich, was das Kino denn eigent­lich vom Fußball lernen könnte?

Allemal könnte man von der Analyse der Fußball­bilder einiges über die Kino­bil­dern lernen: Pünktlich zur Eröffnung der neuen documenta und der Euro­pa­meis­ter­schaft in Polen und der Ukraine, ist es an der Zeit, hier an den Renner der letzten zu erinnern: Der Berliner Filme­ma­cher Harun Farocki legte dort eine Analyse des WM-Endspiels 2006 zwischen Italien und Frank­reich vor. Diese und ihre Konse­quenzen sollte man sich in diesen Tagen der Rund­um­ver­sor­gung mit Fern­seh­fuß­ball nochmals in Erin­ne­rung rufen.

»Im Finale 2006 haben die Italiener manchmal ganz schnell weiter gespielt. Aber mit welchem Erfolg? Null. Diese reine Zahlen­logik ist absurd. Das ist die Syste­ma­ti­sie­rung der Lange­weile. Wie viele Duelle verliert Zidane in so einem Spiel, aber wenn er im entschei­denden Moment Erfolg hat, wie bei der WM im Vier­tel­fi­nale gegen Brasilien, reicht das aus.«
Harun Farocki über »Deep Play«

In seiner Instal­la­tion »Deep Play« zeigte Farocki das Endspiel synchron und parallel auf zwölf Monitoren. Bild­ge­stal­tung und Perspek­tiven waren aller­dings völlig unter­schied­lich. Neben dem »Clean Feed« genannten, kommen­tar­losen, unbe­ar­bei­teten Bild­ma­te­rial, das an die weltweit etwa 250 ange­schlos­senen Fern­seh­sender geliefert wurde, gab es parallele Vollzeit-Beob­ach­tungen zweier einzelner Spieler, des fran­zö­si­schen Mittel­feld­spieler Patrick Vieira und des italie­ni­schen Innen­ver­tei­di­gers Fabio Cannavaro. Sowie auf einem dritten Bild­schirm ausschließ­lich Mimik und Gesten des italie­ni­schen Trailers; daneben Bilder der über 50 Über­wa­chungs­ka­meras am Berliner Olym­pia­sta­dion, 3D- und 2D-Anima­tionen, die Pass­folgen in Grafiken über­setzten oder die Spielzüge über­ein­an­der­legten, um Symme­trien und Abwei­chungen deutlich zu machen, oder Bewe­gungs­pa­ra­meter, die Geschwin­dig­keit der einzelnen Spieler auf dem grünen Rasen in abstrakte Zeichen über­setzten, oder eine künst­liche Compu­ter­stimme, mit der das Spiel­ge­schehen digital in objektive Hand­lungen und Gesten aufgelöst und sprach­lich wieder­ge­geben wird. So wird der Gesamt­körper »Endspiel« seziert und in seine Einzel­as­pekte zerlegt.

»Deep Play« ist damit nicht allein eine Bild­be­trach­tung des Fußballs. Fußball dient hier vielmehr als Spiegel und vergleichs­weise neutraler Vektor der übrigen Welt, als passendes Objekt, um verschie­dene Weisen der Wahr­neh­mung, der Bemäch­ti­gung, der Ästhe­ti­sie­rung, Poli­ti­sie­rung und Ökono­mi­sie­rung darzu­stellen. Man erfährt also etwas über diese verschie­denen Formen der Welt­wahr­neh­mung.

Man erfährt aber auch einiges über Fußball und dessen Darstel­lung. Zwei Tendenzen lassen sich fest­stellen: Farocki selbst spricht von »Taylo­ri­sie­rung«, also der – vermeint­lich wissen­schaft­li­chen – Zerglie­de­rung des Spiel durch die Darstel­lung in seine Einzel­as­pekte sowie die Tendenz zu »hybriden Bildern, zu einer Mischung von analogem Realbild und digitalem Schema« (Farocki im »Spiegel«-Interview). Dort bemängelt Farocki auch die »biedere« Darstel­lung des Spiels in Kame­ra­füh­rung und Schnitt, die zu einer »Erstar­rung« führe. Worum es geht, scheint klar: Man will Sicher­heit, man will das Gefühl von Kontrolle. Grafiken, Zahlen und fach­män­ni­sche Kommen­tare erzeugen die Illusion von Ratio­na­lität im irra­tio­nalen Spiel. »Dass Bilder zu Mess­werten werden, hat schon auch etwas Feti­schis­ti­sches, das hat natürlich auch mit den wirk­li­chen Inter­essen unserer Gesell­schaft zu tun.« Aber auch der Einwand, die theo­re­ti­sche Durch­drin­gung des Spiels erzeuge nur eine Schein­ra­tio­na­lität, ist selbst umgekehrt nur eine Art Schei­nir­ra­tio­na­lität. Denn selbst­ver­s­tänd­lich verbes­sert Analyse das Spiel­ver­s­tändnis, selbst­ver­s­tänd­lich steigen die Erfolgs­chancen eines Teams durch Analyse, Laktat­werte, und Berech­nungen gegne­ri­scher Schwächen.

Was zeigt »Deep Play« darüber hinaus einem Fußball­lieb­haber über das Spiel? Die Instal­la­tion hilft, Fußball als Erzählung und Insze­nie­rung zu begreifen. Denn zwar verstärkt die Instal­la­tion – nur scheinbar para­do­xer­weise – den Eindruck von der Ohnmacht der Analyse. Zwar wird man nie – oder jeden­falls noch sehr lange nicht – vorher­sagen können, wie ein Spiel­ergebnis lauten wird. Kontrolle und Bemäch­ti­gung des Sports, des Zufalls­faktor der im Spiel liegt, entstehen aber nicht allein durch zutref­fende Prognosen. Sie entstehen genauso durch jene Konstruk­tion, die jede Erzählung bildet.

Schließ­lich wäre es auch naiv, zu glauben, die Darstel­lung und digi­ta­li­sierte Aufbe­rei­tung des Fußballs im Fernsehen hätte keinerlei Rück­wir­kung auf das Spiel selber: »Die Seefahrer hatten ja auch eine ganze andere Orien­tie­rung, nachdem die Welt karto­gra­fiert war. Genau so ist das beim Fußball. Weil es so viele Bilder gibt, ganz gleich ob digital oder analog, entwi­ckelt ein Fußballer natürlich ein ganz anderes Bewusst­sein vom Spiel­zu­sam­men­hang.«