Fußballkunst und Filmhandwerk |
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»Deep Play«: Analyse eines Fußballspiels als Mehrkanal-Installation von Harun Farocki, uraufgeführt auf der Documenta 12, 2007 |
»Der Bloomsday ist bei James Joyce kein bedeutender Tag.«Harun Farocki über seine Installation »Deep Play«
Zur Zeit erleben wir gerade wieder, dass Fußball dem Kino den Rang abläuft. In jeder Hinsicht: Fußball bietet Dramatik pur, Tragödien und Komödien, große Erzählungen und kleine Anekdoten, mit Helden, Schurken, gefallenen Engeln und geläuterten Monstern, mit Schönen und Biestern und vor allem mit offenem Ausgang: »Die Leut' gehe' zum Fußball, weil 'se net wisse, wie’s ausgeht«, wusste schon Sepp Herberger.
Diese Beobachtung müsste eigentlich viel mehr eine Herausforderung für Filmemacher sein. Das Kino müsste vom Fußball lernen. Stattdessen gucken zwar Filmemacher fortwährend Fußball, üben sich aber ansonsten in Ignoranz.
Die Frage ist nun aber freilich, was das Kino denn eigentlich vom Fußball lernen könnte?
Allemal könnte man von der Analyse der Fußballbilder einiges über die Kinobildern lernen: Pünktlich zur Eröffnung der neuen documenta und der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine, ist es an der Zeit, hier an den Renner der letzten zu erinnern: Der Berliner Filmemacher Harun Farocki legte dort eine Analyse des WM-Endspiels 2006 zwischen Italien und Frankreich vor. Diese und ihre Konsequenzen sollte man sich in diesen Tagen der Rundumversorgung mit Fernsehfußball nochmals in Erinnerung rufen.
»Im Finale 2006 haben die Italiener manchmal ganz schnell weiter gespielt. Aber mit welchem Erfolg? Null. Diese reine Zahlenlogik ist absurd. Das ist die Systematisierung der Langeweile. Wie viele Duelle verliert Zidane in so einem Spiel, aber wenn er im entscheidenden Moment Erfolg hat, wie bei der WM im Viertelfinale gegen Brasilien, reicht das aus.«
Harun Farocki über »Deep Play«
In seiner Installation »Deep Play« zeigte Farocki das Endspiel synchron und parallel auf zwölf Monitoren. Bildgestaltung und Perspektiven waren allerdings völlig unterschiedlich. Neben dem »Clean Feed« genannten, kommentarlosen, unbearbeiteten Bildmaterial, das an die weltweit etwa 250 angeschlossenen Fernsehsender geliefert wurde, gab es parallele Vollzeit-Beobachtungen zweier einzelner Spieler, des französischen Mittelfeldspieler Patrick Vieira und des italienischen Innenverteidigers Fabio Cannavaro. Sowie auf einem dritten Bildschirm ausschließlich Mimik und Gesten des italienischen Trailers; daneben Bilder der über 50 Überwachungskameras am Berliner Olympiastadion, 3D- und 2D-Animationen, die Passfolgen in Grafiken übersetzten oder die Spielzüge übereinanderlegten, um Symmetrien und Abweichungen deutlich zu machen, oder Bewegungsparameter, die Geschwindigkeit der einzelnen Spieler auf dem grünen Rasen in abstrakte Zeichen übersetzten, oder eine künstliche Computerstimme, mit der das Spielgeschehen digital in objektive Handlungen und Gesten aufgelöst und sprachlich wiedergegeben wird. So wird der Gesamtkörper »Endspiel« seziert und in seine Einzelaspekte zerlegt.
»Deep Play« ist damit nicht allein eine Bildbetrachtung des Fußballs. Fußball dient hier vielmehr als Spiegel und vergleichsweise neutraler Vektor der übrigen Welt, als passendes Objekt, um verschiedene Weisen der Wahrnehmung, der Bemächtigung, der Ästhetisierung, Politisierung und Ökonomisierung darzustellen. Man erfährt also etwas über diese verschiedenen Formen der Weltwahrnehmung.
Man erfährt aber auch einiges über Fußball und dessen Darstellung. Zwei Tendenzen lassen sich feststellen: Farocki selbst spricht von »Taylorisierung«, also der – vermeintlich wissenschaftlichen – Zergliederung des Spiel durch die Darstellung in seine Einzelaspekte sowie die Tendenz zu »hybriden Bildern, zu einer Mischung von analogem Realbild und digitalem Schema« (Farocki im »Spiegel«-Interview). Dort bemängelt Farocki auch die »biedere« Darstellung des Spiels in Kameraführung und Schnitt, die zu einer »Erstarrung« führe. Worum es geht, scheint klar: Man will Sicherheit, man will das Gefühl von Kontrolle. Grafiken, Zahlen und fachmännische Kommentare erzeugen die Illusion von Rationalität im irrationalen Spiel. »Dass Bilder zu Messwerten werden, hat schon auch etwas Fetischistisches, das hat natürlich auch mit den wirklichen Interessen unserer Gesellschaft zu tun.« Aber auch der Einwand, die theoretische Durchdringung des Spiels erzeuge nur eine Scheinrationalität, ist selbst umgekehrt nur eine Art Scheinirrationalität. Denn selbstverständlich verbessert Analyse das Spielverständnis, selbstverständlich steigen die Erfolgschancen eines Teams durch Analyse, Laktatwerte, und Berechnungen gegnerischer Schwächen.
Was zeigt »Deep Play« darüber hinaus einem Fußballliebhaber über das Spiel? Die Installation hilft, Fußball als Erzählung und Inszenierung zu begreifen. Denn zwar verstärkt die Installation – nur scheinbar paradoxerweise – den Eindruck von der Ohnmacht der Analyse. Zwar wird man nie – oder jedenfalls noch sehr lange nicht – vorhersagen können, wie ein Spielergebnis lauten wird. Kontrolle und Bemächtigung des Sports, des Zufallsfaktor der im Spiel liegt, entstehen aber nicht allein durch zutreffende Prognosen. Sie entstehen genauso durch jene Konstruktion, die jede Erzählung bildet.
Schließlich wäre es auch naiv, zu glauben, die Darstellung und digitalisierte Aufbereitung des Fußballs im Fernsehen hätte keinerlei Rückwirkung auf das Spiel selber: »Die Seefahrer hatten ja auch eine ganze andere Orientierung, nachdem die Welt kartografiert war. Genau so ist das beim Fußball. Weil es so viele Bilder gibt, ganz gleich ob digital oder analog, entwickelt ein Fußballer natürlich ein ganz anderes Bewusstsein vom Spielzusammenhang.«