artechock präsentiert
Wie der Kinobesuch mit einem guten Freund |
![]() |
|
Die Artechocken (vl.n.r.): Rüdiger Suchsland (unterm Arm), Anna Edelmann, Thomas Willmann, Axel Timo Purr (als Anstecker), Stefanie Schulte-Krude, Claus Schotten, Nani Fux, Anna Woll, Dunja Bialas, Irene Nana Kullmer |
Von Redaktion
»artechock« ist ein Worthybrid, zusammengesetzt von ital. arte + dem Benjamin'schen »Chock«. Walter Benjamin schrieb 1939 in seinem berühmt gewordenen Aufsatz »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«:
»'Ich kann schon nicht mehr denken, was ich denken will. Die beweglichen Bilder haben sich an den Platz meiner Gedanken gesetzt.' In der Tat wird der Assoziationsablauf dessen, der diese (Film-)Bilder betrachtet, sofort durch ihre Veränderung unterbrochen. Darauf beruht die CHOCK-Wirkung des Films, die wie jede Chockwirkung durch gesteigerte Geistesgegenwart aufgefangen sein will.«
Treffend charakterisiert Benjamin im selben Aufsatz Film als »die der gesteigerten Lebensgefahr, der die Heutigen ins Auge zu sehen haben, entsprechende Kunstform«. »Das Bedürfnis«, so Benjamin weiter, »sich Chockwirkungen auszusetzen, ist ein Anpassung der Menschen an die sie bedrohenden Gefahren. Der Film enspricht tiefgreifenden Veränderungen des Apperzeptionspparates – Veränderungen, wie sie im Maßstab der Privatexistenz jeder Passant im Großstadtverkehr, wie sie im geschichtlichen Maßstab jeder heutige Staatsbürger erlebt.«
Der Filmkritiker ist also nach Benjamin derjenige, der »schon nicht mehr denken kann«, angesichts des rasanten Wechsels der Bilder. Auge in Auge mit dem Film, blickt er der allgemeineren Lebensgefahr ins Gesicht, zu vergessen, was soeben noch so greifbar und klar war. Filmkritik ist also auch: das Anschreiben gegen das Vergessen, der Filmkritiker derjenige, der mit »gesteigerter Geistesgegenwart« dem Film begegnet.
»artechock« erinnert natürlich auch verballhornt an die »Artischocke«, dieses widerspenstige Distelgewächs, innen durch und durch wohlschmeckend, bei der man aber wissen muss, wie man sie genießt. Will heißen: Kritik à la »artechock« ist eine komplexe Pflanze, präziös, aber nicht anbiedernd, mit Gehalt und Substanz.
Wozu aber überhaupt Filmkritik, warum ein Magazin wie »artechock«, das immer nur zwei Mausklicks von dreißig anderen Homepages und Blogs zum gleichen Thema entfernt ist, warum die Mühe einer kritischen Auseinandersetzung, die über banales Infotainment hinausgeht?
Wenn gewisse Regisseure (Vilsmaier und Co.) auf die mäßigen Zuschauerzahlen ihres letzten Films angesprochen werden, erklären sie dies manchmal damit, dass ihr Werk von der Filmkritik »kaputtgeschrieben« wurden. Kaputtschreiben heißt in diesem Fall, dass an einem schönen, soliden, eigentlich publikumswirksamen Film von der Kritik so lange rumgemäkelt wird, bis keiner mehr Lust hat, ihn anzuschauen. Die abgehobenen, weltfremden und verkopften Spaßbremsen der Filmkritik haben dem unbedarften Publikum mal wieder ihre Meinung aufgezwungen.
Ein schlichter Blick auf die wöchentlichen Kinocharts zeigt aber jedem, dass die Realität anders aussieht, dass etwa die Filme, mit den meisten Zuschauern sicher nicht die mit den besten Kritiken sind (eher im Gegenteil), dass sogar solche, die von der Kritik einhellig abgelehnt werden (weil sie dumm, schlecht gemacht und mit einer verwerflichen Botschaft sind) immer noch mehrere 100.000 Zuschauer finden, dass dagegen die, die von der Kritik ebenso einhellig gelobt und mit Preisen bedacht werden, kaum über 10.000 Zuschauer hinauskommen. Den offensichtlichen Widerspruch, dass manche ihrer schlecht besprochenen Film sehr erfolgreich sind, erklären die Regisseure (wenn überhaupt) mit dem wenig schlüssigen Argument, dass in diesem Fall das Publikum klug genug war, sich das Vergnügen von der Kritik nicht kaputtmachen zu lassen, dass gewissermaßen die »Schwarmintelligenz« über die Einzelignoranz gesiegt hat. Eine Erklärung für diese wechselnden Machtverhältnisse bleiben die Regisseure üblicherweise schuldig.
Auffällig ist, dass die Kritiker der offensichtlich falschen Behauptung, sie könnten Werke oder ganze Künstler vernichten (oder auch aus dem Nichts erschaffen), selten widersprechen. Und tatsächlich sehen sich Filmkritiker gerne in der Rolle des mächtigen Fürsten, der mit geschliffenen Worten über das Schicksal – wenn schon nicht über das der Welt, so doch über das eines Films – entscheidet. Die Realität ist aber (zum Glück oder leider?) eine andere. Mag sein, dass es einmal Zeiten und Gegenden gab, in denen einzelnen Personen oder Medien solche Macht zukam, in der heutigen Multi- und Megamedia-Welt, in der dutzende Kanäle dutzende Ansichten zu jedem Thema und jedem Film anbieten, nehmen die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten der Kritik ab.
»artechock« ist anders: Denn bei »artechock« geht es nicht um eine einseitige Belehrung darüber, was von dem Film zu halten sei und wie er gefälligst zu verstehen ist. Es geht auch nicht darum, den Film punktgenau in ein ewiges Ranking einzureihen. Und es geht schon gar nicht darum, dem Leser klar zu machen, dass sein geschmackliches Urteil falsch ist.
Filmkritik auf artechock ist wie der Kinobesuch mit einem guten Freund. Wer hat nach einem anregenden Film nicht das
Bedürfnis, mit dem Freund über diese cineastische Erfahrung zu sprechen, abzugleichen, wie der andere das gesehen, verstanden und empfunden hat, Begeisterung oder Ablehnung zu teilen oder bei abweichender Meinung darüber zu streiten? Die Rolle dieses immer auskunftsfreudigen Filmfreundes nimmt »artechock« nun schon seit 15 Jahren ein.
»artechock« wird von uns allwöchentlich im Ehrenamt hergestellt. Wir sind die Internet-Urgesteine und – wenn man so will – »Ewiggestrigen« im großen Ozean der Banner-beworbenen Online-Plattformen. Wie ein kleines gallisches Dorf kämpfen wir für die unabhängige und sich selbst nach ihren Voraussetzungen befragende Filmkritik. Wo andere auch kein Geld für ihre Texte bekommen, sich aber bestimmten Formatvorgaben beugen müssen, bieten wir unseren Autoren Veröffentlichungen im »Director’s Cut« und eine große Spielwiese. Das »Kinobestiarium«, die »Cinema Moralia« und die Kino-Empfehlungen des »Filmonkels« sind nur einige Beispiele dafür.
Diese durch und durch heroische, weil aufopfernde Arbeit für die gute Sache muss belohnt werden, und zwar mit einer schönen Geburtstagsfeier. Wir feiern an diesem Samstag, den 18.6., und unsere Leser sind herzlich eingeladen! Einfach eine E-Mail an uns schreiben (untenstehend oder im Impressum zu finden), und Ihr bekommt Zeit und Ort mitgeteilt.