14.04.2011

Garten der Dämonen

Marr(i)ed to a Witch, Afrika.Awal Sunil Shetty, Teshie.
Marr(i)ed to a Witch, Afrika.
Awal Sunil Shetty, Teshie.
Sammlung Stäbler
Foto: Die Neue Sammlung (A. Laurenzo)

Von Sabine Matthes

»Deadly and Brutal. Film­pla­kate aus Ghana« in der Münchner Pina­ko­thek der Moderne

Es war einmal ein Geschäfts­mann in Lagos, Nigeria, der seine Lieferung leerer Video Kassetten aus Taiwan nicht los wurde. Er dachte, wenn etwas darauf wäre, ginge es einfacher und drehte selbst einen Videofilm. So wurde Kenneth Nnebues Living in Bondage 1992 zum ersten »Nollywood« Film, verkaufte sagen­hafte 500.000 Kopien und startete die märchen­hafte Erfolgs­ge­schichte von Nigerias boomender Film­pro­duk­tion – nach Indiens »Bollywood« und vor »Hollywood« die zweit­größte der Welt. Ohne auslän­di­sches Invest­ment und staat­liche Hilfe entwi­ckelte sich aus der Gras­wur­zel­be­we­gung eine unab­hän­gige Film­in­dus­trie von Home Videos, die nach der Ölin­dus­trie Nigerias zweit­größter Arbeits­markt wurde. Unter den Produk­ti­ons­be­din­gungen, für ganze 10.000 Dollar in nur 7 Tagen einen Film abzu­drehen, ist die Qualität weniger wichtig, als der Spaß und die Chance auf schnelles Geld und Glamour. Im Gegensatz zu den wenigen afri­ka­ni­schen Auto­ren­fil­mern, wie dem Sene­ga­lesen Ousmane Sembene, deren Filme haupt­säch­lich auf west­li­chen Festivals laufen, sind Nollywood Filme für die Masse in Afrika, die immer noch von einem Dollar am Tag lebt, und für die Diaspora.

Living in Bondage wurde deswegen so populär, weil er den Nige­ria­nern eine sensa­tio­na­lis­ti­sche Geschichte ihrer eigenen modernen urbanen Realität vorspielte: Andy, der Prot­ago­nist, möchte es in Lagos zu etwas bringen, verschreibt sich einem Kult, der die rituelle Opferung seiner Frau verlangt und dafür Reichtum verspricht, macht seine Millionen, wird aber vom Geist seiner Frau heim­ge­sucht und findet schließ­lich sein Seelen­heil in der Kirche. Solche Themen, wie die Jagd nach Geld und Status, über­na­tür­liche Kräfte, der Horror ritueller Morde, der Fall in die Laster­haf­tig­keit und christ­liche Erlösung, kommen ange­sichts real exis­tie­render großer finan­zi­eller Ungleich­heit, Korrup­tion und Frus­tra­tion in der nige­ria­ni­schen Gesell­schaft gut an. Soge­nannte »Halle­lujah« Filme werden häufig von Kirchen selbst produ­ziert, um größere Gemeinden anzu­ziehen. Anfangs gab es eine Reihe obszöner Filme mit Frauen mit Riesen­brüsten, ein zwer­gen­wüch­siges Duo treibt in Komödien sein blutiges Unwesen. Am belieb­testen aber waren von Beginn an die bizarren »Voodoo Horror« oder »Juju« Videos. Denn trotz des starken christ­li­chen und isla­mi­schen Einflusses ist der Glaube an die okkulten Kräfte von Geistern immer präsent und liefert oft die bessere Erklärung für schick­sal­hafte Ereig­nisse.

Die Visua­li­sie­rung des Okkulten wirkt im Film wie Science-Fiction, böse Geister feuern Killer-Laser­strahlen aus grünen Augen und Messer schwirren magisch durch die Luft. Auf den Film­pla­katen spukt es surreal grotesk, als hätte sich die afri­ka­ni­sche Wasser­göttin »Mami Wata«, die perso­ni­fi­zierte Erotik des Bösen, mit Fisch­schwanz, langem Haar, umgeben von Nixen, Schlangen, Blut oder abge­schla­genen Körper­teilen, in die mittel­al­ter­li­chen Höllen­dar­stel­lungen von Hier­onymus Bosch verirrt. Der alte Kampf zwischen Gut und Böse, Gott und Satan, Versu­chung, Bestra­fung und Erlösung, wird hier auf einem modernen afri­ka­ni­schen Schlacht­feld ausge­tragen, mit Liebe, Intrige, Verrat, Prosti­tu­tion, Betrug, Mord und Kanni­ba­lismus. Ein weib­li­cher Dämon, mit türkis diaman­ten­fun­kelndem Schlan­gen­pe­nis­echsen-Diadem auf runze­liger Stirn, bezüngelt mit schwarz-spitzer Zunge einen blut­trie­fenden Totenkopf-Lolly. »Heads will roll« verspricht ein anderes Plakat. Je schriller die Ankün­di­gung, umso mehr Publikum – sagen sich die Plakat­künstler, die die Filme oft gar nicht gesehen haben, aber mit ihrer eigenen Phantasie ausschmü­cken. 70 solcher Plakate aus der Sammlung Wolfgang Stäbler werden jetzt in der Ausstel­lung »Deadly and Brutal. Film­pla­kate aus Ghana« in der Neuen Sammlung der Pina­ko­thek der Moderne in München gezeigt.

Hand­ge­malte Rekla­me­schilder für Friseure, Heiler und anderes gibt es in ganz West-Afrika, aber die Tradition dieser auf die Rückseite alter Mehlsäcke gemalten Kino­pla­kate gibt es nur in Ghana. Neben afri­ka­ni­schen Produk­tionen bewerben sie Hollywood-Block­buster oder asia­ti­sche Action­filme. Als die ersten Video­re­corder 1980 nach Ghana gelangten, entstanden in den städ­ti­schen Zentren von Accra und Kumasi kleine Straßen­kinos, soge­nannte »Video Clubs«, mit einem Fernseher, Video­re­corder, Stühlen oder Bänken. Seine Blütezeit hatte der Markt für Film­pla­kate zwischen 1985 und 1996, als über 40 Video­theken Videos und Plakate verliehen. Später konnten sich mehr und mehr Städter einen eigenen Farb­fern­seher leisten und das Geschäft verla­gerte sich in länd­li­chere Gebiete. Nachdem die Poster in den städ­ti­schen Video Clubs benutzt sind, gehen sie mit »mobilen Kinos«, bestehend aus einem Auto, Generator, Video­re­corder und Fernseher, auf Reisen über das Land. Als erstes reisendes Kino hatte Alexander Medve­d­kine in den 1930er Jahren den »Kino-Zug« erfunden, mit dem er durch die neu entste­hende Sowjet­union fuhr. In Ghana wählten die Video­theken von Accra und Kumasi seit Anfang der 1980er Jahre einen ähnlichen Weg. So wohnt diesen Film­pla­katen, neben der Phantasie der Künstler und Regis­seure, immer auch das Geheimnis ihres eigenen road-movies inne.

»Deadly and Brutal. Film­pla­kate aus Ghana«, 1.4.-26.6.2011, Die Neue Sammlung – The Inter­na­tional Design Museum Munich, Pina­ko­thek der Moderne, München