11.11.2010

Cine­philer Feti­schismus

George Hickenlooper, American Independent
George Hickenlooper, American Independent
Foto: American Zoetrope

Von Rüdiger Suchsland

Trauer und Erschöp­fung: Erin­ne­rungs­skizzen um Tod des Regis­seurs George Hicken­looper

Einen halben Tag vor seinem Tod führte er noch ein Publi­kums­ge­spräch, beim Film­fes­tival in Austin, Texas. Die Erin­ne­rung an George Hicken­looper, der jetzt viel zu früh, mit nur 47 Jahren gestorben ist, ist auch eine persön­liche – an die Zeit, in der ich das Münchner Filmfest noch als Zuschauer besuchte, und dort seine ersten Filme sah, in Ulla Rapps formi­da­bler, inzwi­schen legen­därer Inde­pen­dent-Sektion. Den Namen konnte man sich immer gut merken, weil er auffiel, weil er so bis zur Karikatur »typisch ameri­ka­nisch« war. Dann 1997, als er mit Dogtown da war, und ich erstmals auch etwas über ihn schreiben konnte, eine Nacht bis zum Morgen­grauen auf der Terrasse einer Villa in der Geor­gen­straße – wem gehörte sie noch. Peter habe ich an dem Abend kennen­ge­lernt, der immer noch in München wohnt, und heute die Filme von Benjamin Heisen­berg produ­ziert, Natascha war dabei, mit der George dann eine Weile zusammen war, Julia, Nina.

Zwei Jahre später kam er wieder, mit The Big Brass Ring, jetzt nicht mehr in der Inde­pen­dent-Reihe, ein »großer« Film, voller Erwartung begrüßt im Send­linger-Tor-Kino, und dann anhand der Erwar­tungen leicht enttäuscht aufge­nommen. Danach, im kleinen Kreis, erzählte er von Affairen unter seinen Schau­spie­lern, liebevoll und sarkas­tisch, und bedauerte, vers­tänd­li­cher­weise, selbst keine Affaire mit Irène Jacob gehabt zu haben. Da kannten wir uns schon besser, saßen im Stadtcafé mit Jason Freeland, der mit der Ellroy-Verfil­mung Browns Requiem in Ullas Reihe lief, und mit Julia, an einem der ersten Abende, mit viel Hellem. Und dann wieder mit Nina, Natascha, Peter. Dieser schöne, ganz besondere Sommer 1999 war der letzte, an dem George in Deutsch­land war. Seine späteren Filme liefen, aber er kam nicht mehr, und so lief der Kontakt aus.

Im Internet kann man ihn noch sehen, sogar zwei Tage vor seinem Tod – eine bizarre Erfindung – ihm da noch einmal zuhören, freund­lich, gelassen, offen, zugleich von der Energie getrieben, die ihn auszeich­nete, und die wohl nötig war, um sich treu zu bleiben – in einer US-Film­land­schaft, in der auch das Inde­pen­dent-Kino immer gleich­ge­schal­teter ist, war George Hicken­looper einer der letzten wirklich Unab­hän­gigen, ein Regisseur, der auch den Moden den Autoren­kinos nicht nachlief, der »die Post­mo­derne« genauso ablehnte, wie jedes akade­mi­sche Idoli­sieren von Apartem, oder den feigen Rückzug in Forma­lismen. Er bewun­derte Orson Welles, dessen unver­öf­fent­lichtes Drehbuch The Big Brass Ring er 1999 verfilmte, mit William Hurt, Nigel Hawthorne, Irène Jacob und Miranda Richardson. Doch die meisten seiner Filme erinnern eher an die ungla­mourö­sere Seite des New-Hollywood-Kinos, an die Provinz­por­traits von Peter Bogd­a­no­vich und Monte Hellman.

Am Ende bleiben viel­leicht wirklich seine film­his­to­ri­schen Erkun­dungen. Und der eine Film, der George Hicken­looper früh bekannt machte, sein aller­erster, im Rückblick eher unty­pi­scher, ist es, der auch in den Nachrufen der ameri­ka­ni­schen Zeitungen immer wieder als erstes genannt wird: Heart of Darkness: A Film­ma­kers von 1991 erzählt von Francis Ford Coppolas Dreh­ar­beiten zu Apoca­lypse Now.

In dieser Zeit beschäf­tigte sich Hicken­looper, dessen filmi­sches Initia­ti­ons­er­lebnis der Besuch von Disneys Fantasia als Kind gewesen ist, und dessen erster Kurzfilm als Schüler eine Zeichen­trick­hom­mage an Disneys Werk war, auch in anderer Weise mit der US-Film­ge­schichte der Umbruchs­jahre nach Ende des alten Studio­sys­tems: Er arbeitete für Roger Corman, drehte ein Kurz­por­traits Dennis Hoppers und eine Doku­men­ta­tion über Peter Bogd­a­no­vich; zudem veröf­fent­lichte er sein Buch »Reel Conver­sa­tions«, ein Inter­view­band in dem Hicken­looper den Kosmos seiner Inter­essen entfaltet – er enthält unter anderem Gespräche mit Scorsese, Cimino, David Lynch, John Milius, Richard Schickel, Roger Ebert.

Was wird bleiben von Hicken­loo­pers Werk? Viel­leicht seine Trilogie des ameri­ka­ni­schen Westens, The Low Life, Persons Unknown und Dogtown (1995-97), ein auf versteckte Weise sehr persön­li­ches Werk. In den nächsten Wochen kommt sein letzter Film ins Kino: Casino Jack, ein Portrait der moralisch korrupten poli­ti­schen Verhält­nisse in den USA und ein Comeback für Kevin Spacey, der hier in der Haupt­rolle als rechter Polit-Lobbyist zu sehen ist.

Hicken­loo­pers Haltung kann man als cine­philen Feti­schismus bezeichnen, und daran ist nichts verächt­lich gemeint. Voller Liebe fürs Kino, voller erotisch gefärbter Zuneigung für seine Idole. Er schaute lieber zurück, in die 70er, die 60er Jahre, zu Warhol, Hopper und New Hollywood, zur Orson Welles und dessen Perspek­tive auf Amerika. Weil viel­leicht früher manches tatsäch­lich besser war. Es war ein männ­li­ches und weißes Kino, aber Inde­pen­dent. Trauer und Erschöp­fung, eine grund­sätz­liche Melan­cholie war seinen Filmen schon immer eigen. Und als Filme­ma­cher ist George Hicken­looper ein Unvoll­endeter geblieben. Es lohnt sich, gerade darum, alle seine Filme zu sehen, zu entdecken, nun selbst sein Werk in sich zu vollenden. Es lohnt sich, ihn nicht zu vergessen. Am 30. Oktober ist er in Denver gestorben, wie es heißt an einem Herz­in­fakt, wie es heißt im Schlaf, nach einer Party, wie wir ihn nicht anders kannten.

Lesen sie auch »Anatomie der Melan­cholie« – Rüdiger Suchs­lands Point of View zu George Hicken­looper aus dem Jahr 2008.