23.09.2010

Das Apatow-Prinzip

FWMS DIE NIBELUNGEN: Hagen Tronje
SUPERBAD. Während er noch unmissverständlich erklärt, lacht sie sich (oder ihn) schon schlapp.

Von Michael Haberlander

Komö­dien­ent­de­ckungen im Münchner Werk­statt­kino

Wem immer noch nicht klar ist, dass sich der Film und die Popmusik hinsicht­lich ihrer Entwick­lung, Funk­ti­ons­weise und allge­meinen Wahr­neh­mung geradezu zwil­lings­haft gleichen, der brachte nur einmal die verän­derte Rolle des Produ­zenten in diesen beiden Kunst­formen betrachten.

Obwohl Pop- und Film­pro­du­zenten immer schon großen Einfluss auf einzelne Werke oder ganze Genres und Stil­rich­tungen hatten (darüber wie maßgeb­lich dieser Einfluss tatsäch­lich war, wurde und wird natur­gemäß hitzig gestritten), blieben sie in der Öffent­lich­keit doch weit­ge­hend unbekannt, so dass in der Regel nur Einge­weihte und Kenner etwas mit ihrem Namen verbanden und ihnen eine indi­vi­du­elle Hand­schrift zuordnen konnten. Dass in den letzten Jahren zunehmend Produ­zenten in den Vorder­grund treten und auch einer größeren Menge bekannt sind, hat zwei (sich bedin­gende Gründe). Zum einen hat sich der Verweis auf »die Macher« eines Kunst­werkes (die eben nicht nur ein Interpret bzw. eine Band oder ein Regisseur sind) als überaus hilf- und erfolg­rei­ches Werbe­ar­gu­ment etabliert. Zum anderen treten die Produ­zenten heute offen­siver und in viel­fa­cher Funktion (etwa auch als eigent­li­cher Künstler) auf. Die Herren Timbaland und Pharrell Williams kennt man eben nicht nur wegen den unzäh­ligen Tracks, die sie für andere produ­ziert haben, sondern auch durch ihre Tätigkeit als Interpret.

Eine ähnliche Vermi­schung kann man auch im Kino beob­achten, wo anstatt des reinen Produ­zenten das dreh­buch­schrei­bende, regie­füh­rende und produ­zie­rende Multi­ta­lent tritt. Im Gegensatz zum klas­si­schen Auto­ren­filmer geht es hierbei aber nicht darum, die totale Kontrolle über einen einzigen (den eigenen) Film zu behalten, sondern darum, auf viel­fäl­tige Weise und in vielen verschie­denen Filmen künst­le­ri­sche Spuren zu hinter­lassen. Steven Soder­bergh steht für dieses Prinzip ebenso wie Spike Jonze oder Judd Apatow. Letzterer reprä­sen­tiert eine neue, oft noch verkannte Form der ameri­ka­ni­schen Komödie, die man vom 23.9.10 bis 29.9.10 mit zwei Filmen im Werk­statt­kino (aber auch im regulären Kino­pro­gramm mit Männer­trip) kennen­lernen kann bzw. kennen­lernen sollte. Dass man auf die Filme Superbad und Adven­tu­re­land vom Regisseur Greg Mottola so explizit hinweisen muss, verwun­dert auf den ersten Blick, da man es vorder­gründig mit typischen unter­leibs­ori­en­tierten Teenie­komö­dien zu tun hat, die sich übli­cher­weise auch ohne jeden film­kri­ti­schen Kommentar (egal ob positiv oder negativ) von selbst verkaufen.

Bei genauer Betrach­tung stellt man aber fest, dass es hier zwar stre­cken­weise etwas derb und politisch unkorrekt zugeht, man dabei aber trotzdem weit entfernt von American Pie und ähnlichem Unsinn ist. Es ist wohl diese Ziel­grup­penun­klar­heit bzw. -unge­nau­ig­keit, die dazu führt, dass manche Filme aus dem Apatow-Umfeld enorm erfolg­reich sind, während andere – trotz des schein­ba­reren Erfolgs­sie­gels »Von den Machern von…« – kommer­ziell scheitern. Das geschieht dann, wenn der anspruchs­volle(re) Kinogeher sich vorschnell von scheinbar schlichten, jugend­li­chen Themen und derben Späßen abschre­cken lässt, während der anspruchs­arme Comedyfan vergeb­lich auf die Bedienung von gross out- oder romantic comedy-Standards wartet. Hilfreich wäre bei solchen Werken der Hinweis: »Dieser Film erscheint in der Werbung und in der Kritik primi­tiver, als er tatsäch­lich ist.«

Klas­si­sches Beispiel hierfür ist Superbad, der von drei ziemlich uncoolen Jungs handelt, die alles daran setzen, sich Alkohol zu beschaffen, um damit bei einer bevor­ste­henden Party das Urteils­ver­mögen der ange­him­melten Mädchen derart zu beein­flussen, dass es zum verzwei­felt ersehnten Sex kommt. Da die Jungs aber zu jung für den legalen Kauf von Alkohol sind, gestaltet sich dieses Vorhaben als äußerst schwierig. Das Ergebnis ist eine aber­wit­zige Odyssee, in der auch zwei »unkon­ven­tio­nelle« Poli­zisten eine maßgeb­liche Rolle spielen. 'Wie geist­reich kann das schon sein?' denkt man ange­sichts eines solchen Plots (den man ähnlich aus tausend peinlich doofen Filmen kennt) vorschnell. Doch so einfach (struk­tu­riert) wie es klingt ist es nicht. Natürlich ist hier mancher Gag unter der Gürtel­linie und natürlich ist das Geschehen über­zeichnet und überdreht und natürlich werden hier reihen­weise Klischees bedient. Aber zugleich ist der Film auch erstaun­lich geist­reich, emotio­nell tief­gründig und in mancherlei Hinsicht wahr­haftig.

Wer jemals die Höhen und Tiefen einer Pubertät durchlebt hat und die Fähigkeit besitzt, ehrlich und ohne Verklä­rung auf diese Zeit zurück­zu­bli­cken, der wird durch Superbad (wie bei einer post­trau­ma­ti­schen Belas­tungs­stö­rung) so manche Episode aus der Jugend erneut durch­leben und das obwohl der Film zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort spielt (was nur wieder verdeut­licht, dass gewisse Erfah­rungen univer­sell sind). Dass das Ganze nicht zu einem arg quälenden coming-of-age Drama wird, verdankt sich dem enormen humo­ris­ti­schen Potential von Superbad. Perfektes Timing, messer­scharfe Dialoge, geschickt konstru­ierte Situa­tionen und schil­lernden Figuren, die von komik­be­gabten Schau­spie­lern verkör­pert werden, fügen sich zu einer erfreu­lich witzigen Einheit, die sich in ihrer gesamten Pracht wohl nur dem erschließt, der sich über­durch­schnitt­lich mit (Pop)Kultur im Allge­meinen und Komödie im Spezi­ellen beschäf­tigt. Ein weiterer Beleg dafür, dass der Film eher für cine­as­ti­sche Connais­seur und weniger für ober­fläch­liche Zerstreu­ungs­süch­tige geeignet ist. Ohne Adven­tu­re­land gesehen zu haben, wage ich die Behaup­tung, dass vieles vom Vorste­henden auch darauf zutrifft und das, obwohl Judd Apatow an diesem Film überhaupt nicht direkt beteiligt war (ihm wird im Abspann nur – wofür auch immer – gedankt). Viel­leicht erkennt man die wirklich großen Produ­zenten ja daran, dass sie es schaffen ein Werk zu prägen, ohne es unmit­telbar zu beein­flussen.