Der erste Impuls ist Liebe |
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Alexis und Nika |
Von Julia Teichmann
Als ich es erfuhr, fehlten mir die Worte. Und wenn ich es aussprach, hörte es sich hohl und unwirklich an: Eine Freundin von mir ist ermordet worden. Ich suchte jeden Fetzen an Information im Internet, ich suchte ihre letzte Mail, ich starrte Fotos an. Nika Bohinc war auch eine Kollegin. Sie war Filmkritikerin wie ich. Am Dienstag, den 1. September gegen 22 Uhr sind sie und ihr Freund Alexis A. Tioseco in ihrem Haus in Quezon City, Manila, erschossen worden – vermutlich, als sie Räuber bei ihrem Einbruch überraschten. Nika war Slowenin, sie war erst vor kurzem wegen Alexis von Ljubljana nach Manila gezogen.
Nika und ich haben uns vergangenes Jahr kennen gelernt, wir waren zusammen in der FIPRESCI-Jury auf dem Filmfestival Indielisboa in Lissabon. Sie war mitreißend in ihrer Begeisterung für Film und für Menschen, sie war scharfsinnig, ernsthaft, humorvoll. So klar und überzeugend sie ihre Meinung darlegen konnte, so neugierig war sie auf die Perspektive ihres Gegenübers. Es war eine Herausforderung und eine Lust, mit ihr zu diskutieren.
Nika war die Chefredakteurin von Ekran, einem traditionsreichen slowenischen Filmmagazin, für das sie zahlreiche internationale Autoren gewinnen konnte. Unter ekranuntranslated.wordpress.com kann man, in erster Linie auf Englisch, Artikel zum Beispiel auch vom philippinischen Filmemacher und Freund der beiden, Khavn de la Cruz, lesen. Nika gab diesen Job auf, ließ ihre Familie und Freunde zurück, um ans andere Ende der Welt zu ziehen. Das war keine leichte Entscheidung für sie. Sie hatte trotzdem das Gefühl, den richtigen Schritt getan zu haben. Zuletzt arbeitete sie als europäischer Content Provider für SEA Images – eine Webseite, die den filmischen Austausch zwischen Europa und Asien unterstützt.
Alexis und Nika hatten sich auch auf einem Festival getroffen, in Rotterdam, Anfang 2007. Man trifft viele Menschen auf Festivals, Kritiker und Filmschaffende, selten genug ergeben sich aus der kurzen, intensiven Zeit dauerhafte Freundschaften, noch seltener wohl Liebesgeschichten. Bei Nika und Alexis war es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. Alexis sei der aufmerksamste, gegenwärtigste Freund den man sich vorstellen könne, erzählte sie mir, trotz der Distanz, die sie damals noch trennte. Zwei Seelenverwandte hatten sich gefunden, die noch so viel mehr verband als ihre Leidenschaft für Film, ihr Idealismus.
Alexis war auch Filmkritiker und mehr noch: Förderer des unabhängigen philippinischen Films, die Regisseure Lav Diaz, Raya Martin und Apichatpong Weerasethakul zählten zu seinen Freunden, letzterer hat ihm einen Kurzfilm gewidmet. Alexis war Gründer der hervorragenden Webseite www.criticine.com über südostasiatisches Kino, er unterrichtete an der Universität. In seinem intimen Nachruf lobt der amerikanische Kritiker Gabe Klinger Alexis' Engagement für den philippinischen Film; und er nennt dessen »Letter I Would Love To Read To You In Person« für das Rogue Magazine als ultimatives Manifest für diesen. »Der erste Impuls jeder guten Filmkritik«, so schreibt er, »ist Liebe«. Sein Brief ist ein Liebesbrief, auch und vor allem an Nika, die damals noch weit weg war. Auf Flickr sind Bilder von dem Paar zu sehen, das endlich glücklich vereint war.
Nika und ich teilten viele Ansichten über Film – aber nicht nur das. Wir trafen uns an Wendepunkten in unser beider Leben und wurden Freunde. Wir blieben in losem Kontakt per Mail, per Skype, wir verabredeten einen Besuch in Manila, später.
Am Abend des 1. September hatte eine Hausangestellte drei bewaffnete Männer eingelassen. Vielleicht warteten diese auf das Paar, vielleicht wurden sie beim Einbruch überrascht, es kursieren verschieden Versionen, zuletzt im Blog von Cargo Film. Einer der drei tötete die beiden mit mehreren Schüssen. Ein Verdächtiger wurde am Samstag, den 5. September verhaftet. Am 3. September wäre Nika für einen längeren Aufenthalt nach Europa geflogen. Nika Bohinc wurde 29, Alexis Tioseco 28 Jahre alt.