Der Tod und die Mädchen |
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Torpedo von Helene Hegemann auf den 42. Hofer Filmtagen |
Es war ein schweres Geschütz, das in die beschauliche Ruhe der Hofer Filmtage einschlug: Die Geschichte über ein Little Lost Girl, das seine Mutter verloren hat, erzählt mit beeindruckender Unbeirrbarkeit im Niemandsland zwischen Genie und Wahn, mit viel Tempo, in fragmentarischen Szenen getreu dem bekannten Godard-Ausspruch, ein Film müsse einen Anfang, eine Mitte, und ein Ende haben – aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Torpedo heißt das Debüt der erst 16-jährigen Helene Hegemann. Alice Dwyer beeindruckte einmal mehr in der Hauptrolle, mit dabei waren auch mehrere Volksbühnestars, allen voran Jule Böwe.
Nur 40 Minuten lang ist der Film, aber als man nach diesen 40 Minuten wieder den Himmel sah, blickte man auch anders auf das deutsche Kino. So könnte es sein: Wild, riskant, gefährlich. Mit Mut, dem Zuschauer etwas
zuzumuten, aber auch der Lust, es zu bezaubern und zu verführen – so es sich denn verführen lässt, und einer Regisseurin genug Vertrauen gibt, einfach mit ihr mitzugehen auf unbekanntes Terrain.
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So muss es gewesen sein, als vor 41 Jahren alles in Hof anfing: Der junge, neue deutsche Film, der sich selbst und seinem Publikum einen neuen Blick auf scheinbar Bekanntes entdeckte. Heute herrschen, auch nicht zuletzt in Hof, überwiegend Ruhe und Routine, manchmal nahe an der Selbstgenügsamkeit. Von Achternbusch über Rosa von Praunheim, der den städtischen Filmpreis bekam, bis Wenders schauen die alten Helden immer wieder vorbei, und man registriert das gern, auch wenn sie dem Kino schon seit Jahren nichts Wesentliches hinzugefügt haben. Nicht umsonst nennt man das Festival häufig ein Familientreffen, und auch wenn man gern hinfährt, und schaut, was so aus der Verwandtschaft geworden ist, und was es Neues gibt – echte Überraschungen waren in den letzten Jahren selten.
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Trotzdem: Es hätte keine bessere Woche für die Hofer Filmtage geben können, als diese vergangene! Denn in der starteten mit Anonyma und Nordwand gleich zwei dieser typischen neuen deutschen Großproduktionen im Kino, mit denen die deutsche Film-Branche mal wieder nach den internationalen Sternen
greifen will. Der Flop beider Filme an der Kasse steht schon nach wenigen Tagen fest und war Gesprächsthema Nummer eins rund um den legendären Hofer Bratwurststand bei den diesjährigen Filmtagen. Ohne Gehässigkeit, aber doch mit einiger Genugtuung (und ein paar spitzen Kommentaren über den gerade 80 gewordenen Münchner Anonyma-Produzenten Günther Rohrbach, der seit Jahren mit der
Behauptung hausieren geht, er wüsste, wie man gehobene Publikumsfilme und Kassenerfolge mit Anspruch dreht und jetzt vom Publikum ein verdientes Geburtstagspräsent erhält) registrierten viele der anwesenden Filmemacher, dass man mit Geld allein jedenfalls im Kino keinen Erfolg kaufen kann.
Die Internationalen Hofer Filmtage, seit ihren Anfängen in schöpferischer Unbeirrbarkeit von Festivalchef Heinz Badewitz gelenkt, haben sich schon immer als ein Gegenentwurf zu
allen Formen von Industriekino verstanden. Die Zukunft des deutschen Films, das registrierten in Hof hinter vorgehaltener Hand selbst einige der einflussreichen Fernsehredakteure, liegt jedenfalls nicht bei den in manchen Produzenten und TV-Intendantenkreisen so beliebten Historiengemälde und Heimatfilmschinken. Das bestätigte auch die diesjährige Auswahl in Hof, die neben manch' ausländischem Werk 32 Spiel- und Dokumentarfilme aus Deutschland präsentierte, dazu
viele Kurzfilme – eine Gelegenheit, diejenigen Filmemacher kennenzulernen, die das deutsche Kino in den nächsten Jahren prägen werden.
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Zu ihnen gehört Matthias Luthardt. Sein Debüt Pingpong schaffte es in die »Semaine de la Critique« von Cannes und dann einen Überraschungserfolg an den deutschen und französischen Kinokassen. In seinem neuen Film, einer SWR-Produktion mit dem arg umständlichen Titel Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf hat Luthardt nun einen Roman verfilmt, in dessen Zentrum Helene steht, eine junge Frau, die mit dem Verschwinden ihres Mannes nicht fertig wird. Vermutlich ist er tot, doch die Leiche wurde nie gefunden. Man könnte das ganze als sozialpsychologische Studie verstehen, über die Überforderung von Helene in ihren ganzen neuen Rollen, als Chefin, alleinerziehende Mutter und plötzlich wieder von vielen Männern umworbene Frau. Und durchs Drehbuch schimmern manchmal ganz kurz die Klischees der Fernsehdramaturgie. Doch der Regisseur hat seine Story fern von allen Frauenzeitschriftsproblemen und Befindlichkeitsstudien angelegt, als fast schon schwarzromantische Gefühlsreise einer Schlafwandlerin auf der Grenze zwischen Traum und Wachen. Die Doppelgänger- und Geistermotivik, die von Beginn an angelegt ist, wird offensichtlich, als Helene einen Mann trifft, den sie für den Verschwundenen hält – und der Zuschauer muss es wider bessere Einsicht zwischendurch für möglich halten, dass sie recht hat. Der Film überzeugt vor allem in der Inszenierung, zu der grundsätzliche Intensität ebenso gehört, wie immer wieder betörende Bilder (Kamera: Christian Marohl) und eine – bei diesem Märchen für Erwachsene erstaunliche – Stimmigkeit des Milieus.
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Die Retrospektive 2008 galt der US-Regisseurin Allison Anders, die hierzulande vor allem mit Gas Food Lodging (1992) bekannt wurde. Anders ist eine Vertreterin des Independent-Kinos, das in Amerika auch schon in die Jahre gekommen ist. Eine gute und mutige Entscheidung von Festivalchef Heinz Badewitz, denn im Kontrast warfen diese Filme unwillkürlich die Frage auf, ob und wo es jenseits von überfinanzierten Repräsentativfilmen der Industrie à la Anonyma und dem überall spürbaren Einfluss der Fernsehdramaturgen eigentlich noch ein unabhängiges deutsches Kino gibt?
Tangerine von Irene von Alberti gehört gewiss dazu. Die Regisseurin erzählt von einem Cultural Clash in Tanger, Marokko, von der unmöglichen Freundschaft zwischen
einer deutschen Musikerin und höheren Tochter und einem Mädchen, das als Tänzerin arbeitet. Grenzen zur Prostitution sind fließend. Ein flanierender, flirrender, mit Handkamera gedrehter Film über die Verschränkung von Geld und Gefühl, über Ausbeutungs-verhältnisse, mit zwei sehr überzeugenden Hauptdarstellerinnen (Nora von Waldstetten und Sabrina Ouazani), dem man einen deutschen Kinostart wünscht – nicht zuletzt auch, weil die Regisseurin sich im Gegensatz zu vielen
Kollegen dafür interessiert, aus den üblichen deutschen Mittelstandsverhältnissen wegzukommen und andere Lebens-wirklichkeiten einzufangen.
Wie deutsches Independent-Kino produktionstechnisch gehen könnte, das machte in Hof unter anderem Hans Christoph Blumenberg vor: Warten auf Angelina entstand ohne Fernsehbeteiligung und Förderung in nur zehn Drehtagen, zwei Monate
nachdem Blumenberg die erste Idee hatte, »einen Film über diesen Celebrity-Wahnsinn« zu drehen. Der Film besitzt alle Mängel wie Vorzüge seiner Produktionsbedingungen, es überwiegt aber die Lust aller Beteiligten an der Möglichkeit, auf der Leinwand Spontaneität zu zeigen. So verschafft Blumenberg unter anderem Barbara Auer und Gudrun Landgrebe die überfällige Rückkehr auf die Leinwand – allein dafür muss man den Film schon mögen. Zudem ist diese anspielungsreiche
Odd-Couple-Geschichte über einen naiven Fanboy und einen abgebrühten Promi-Paparazzo, die beide in Berlin Mitte auf Angelina Jolie und Brad Pitt warten, die dort angeblich ihr neues Appartement beziehen sollen, überraschend witzig. Und Komödien, zumal für Erwachsene, sind selten im deutschen Kino.
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Unter den 32 deutschen Spiel- und Dokumentarfilmen der Auswahl überwogen sehr private und eher traurig-melancholische Stoffe. Vieles kreiste um den Tod, auch etwa Caroline Links Eröffnungsfilm Im Winter ein Jahr. Link gehört längst zu den festen Größen des deutschen Kinos. Einziges Manko: Dass sie so wenige Filme macht, sich sehr viel Zeit lässt zwischen ihren Produktionen. Der neue Film
– Links erster, seit ihrem Oscargewinn 2003 für Nirgendwo in Afrika – dreht sich wieder um eine Familie. Corinna Harfouch spielt eine Mutter, die ihren Sohn durch Selbstmord verloren hat, und mit diesem Tod nicht fertig wird. Bei einem Maler gibt sie ein Bild in Auftrag, das den Toten gemeinsam mit seiner Schwester (Karoline Herfurth) zeigen soll. Der Film kreist zu einem großen Teil um die
Beziehung der jungen Frau zu dem Maler, der wie ein Psychoanalytiker versteckte Wunden zutage fördert – ein Hauch von der »schönen Querulantin« in einem Film über Trauerarbeit und »die heilsame Kraft von Kunst« (Link).
Den Maler spielt Josef Bierbichler, der auch hier wieder einmal bestätigte, dass das deutsche Kino da, wo es am besten ist, immer noch in erster Linie ein Schauspielerkino ist, und weit mehr, als das in anderen Ländern der Fall ist, dem Theater verdankt.
Bierbichler war in gleich vier Filmen zu sehen, unter anderem einer Dokumentation über Herbert Achternbusch und einem witzigen Kurzfilmauftritt, in dem er fast sich selbst spielt: einen Schauspieler, der eine Filmpremiere heimlich verlassen will, weil er seinen Auftritt in der Hauptrolle nicht erträgt.
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Stärker am Entfalten einer Situation interessiert, als an dem, was in den Augen der finanzierenden TV-Redakteure als »stringente Geschichte« gilt, ist seit jeher Michael Klier, auch einer der wenigen Independents und subversiven Geister im deutschen Film: Alter und Schönheit heißt sein neuer Film. Im Zentrum steht mit Henry Hübchen, Burghart Klaussner, Armin Rohde und Peter Lohmeyer eine
beeindruckende Schauspielerriege. Sie spielen eine Gruppe von Freunden, die in die Jahre gekommen sind. Mit Jahrgang 49 sind sie so alt wie die Bundesrepublik und gehören genau der goldenen Generation an, der es immer gut und für die es zumindest lange Jahre aufwärts ging. Klier zeigt sie aber als emotional gescheitert. Als einer von ihnen, Lohmeyer, im Sterben liegt, werden die anderen auch mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert, zur Zwischenbilanz gezwungen. Aber das Ende
des einen könnte für die anderen immerhin zum neuen Anfang führen.
Fern von aller Melodramatik registriert Klier wie ein Seismograph minimale Erschütterungen, zumal mit Sybille Canonica eine souverän Widerspenstige hinzukommt, die das Trio aufmischt. Oft und vor allem gegen Ende hat das eine unheimliche Leichtigkeit, nur manchmal nimmt schwere deutsche Tiefe überhand. Schön an diesem Film ist neben dem ausgezeichneten Klaussner und einem souveränen Hübchen, dass dieser Film
nicht auf die neue Modewelle der Greisenkomödien über »fröhliche Alte« aufspringt, sondern den Mut hat, sich auch der Tristesse des Alterns zu stellen, und nichts verklärt.
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Auf eine andere Weise vom Sterben handelt Andrea Thieles souverän inszenierter Dokumentarfilm Wanted, der mit der Suche nach einem Mörder beginnt, und dann vor allem das Talent der Regisseurin belegt, aus dem Scheitern der Ausgangsidee noch etwas Sehenswertes zu machen.
Unter den Dokumentationen stach Aysun Bademsoys Ich gehe jetzt rein heraus. 1995 hatte Bademsoy
mit Mädchen am Ball als erste Regisseurin einen Film über Frauenfußball gemacht, über die erste türkische Mädchenfußballmannschaft Europas, die in Kreuzberg trainierte. 13 Jahre später suchte die Regisseurin die Mädchen von damals wieder auf, und fragte, was aus ihnen geworden ist. Sie sind jetzt Ende 20, eine ist Trainerin, andere sind verheiratet oder schon geschieden. Eine präzise, aber
auch berührende Studie über Identität, Heimat und Ausgrenzung in unserer Gesellschaft.
In dem phänomenalen Das Verschwinden der Zeit (auf den wir noch einmal zurückkommen werden) spürt die Regisseurin Ina Bormann ihrer Jugendzeit nach. Das ist vor allem in der Verwendung unterschiedlichster Filmsprachen und Techniken beeindruckend, ebenso aber auch in der Schonungslosigkeit der Selbstbefragung und ihrem Humor.
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Ein wenig litt die diesjährige Hof-Auswahl unter der Überfülle deutscher Filmfestivals und dem derzeitigen Fehlen neuer Produktionen: Alles Neue wartet auf die Berlinale. So waren viele Fernsehproduktionen im Programm, und neben zuviel TV-Dramaturgie kennzeichnete auch eine gewisse Bilderbeliebigkeit und schwerfällige Dialoge viele Produktionen. Inhaltliche Trends: Ein Rückzug ins Private, in kleine Familiengeschichten, und eine gewisse Vorliebe für Handlungen, die um Tod und Sterben kreisen. Wenige Komödien. Es kann nach dieser Woche keine Frage sein: Der deutsche Film braucht mehr »Torpedos«!