02.10.2008

Gefühle, Familien und andere Pandorabüchsen

Pandora's Box
Goldene Muschel für Pandora’s Box
(Foto: Kairos-Filmverleih)

Großmütter, Elefanten und Terroristen

Von Rüdiger Suchsland

Endlich wieder San Sebastián, das mit weitem Abstand ange­nehmste Festival unter den Großen. Dies nicht nur, weil es in der neben Venedig schönsten Stadt der Festi­val­orte statt­findet, weil hier die Luft am besten ist – immer eine leichte Brise Seewind, trotzdem Tempe­ra­turen konstant über 20 Grad, oft bis zu 30, und wenn es mal regnet, dann ist es schnell wieder vorbei – sondern weil es eine gute Programm­kon­struk­tion hat. Mittags sind zwei Stunden Siesta fest einge­plant, abends kann man bis zwei Uhr nachts Filme gucken, muss es aber nicht, denn die wich­tigsten sind bis neun Uhr gelaufen. Wenig über­schneidet sich, aber wenn man es drauf anlegt, dann kann man auch sieben, acht Filme am Tag gucken.

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Diesmal ist das Programm besonders verfüh­re­risch. San Sebastián ist ja für seine Retro­spek­tiven berühmt, jedes Jahr laufen drei gleich­zeitig, und in diesem Jahr sind sie alle inter­es­sant: Was ich in jedem Fall sehen werde: Möglichst viel von »Japón negro«/»Japanese Film Noir«, eine Mischung aus japa­ni­schen Filmen vom späten Stummfilm bis in die 90er Jahre. Das Konzept ist auf Anhieb erstmal schwer zu durch­schauen- aber darüber werde ich in den nächsten Wochen nochmal gesondert schreiben.

Dann gibt es alle – zugegeben nicht sehr viele – Filme vom Briten Terrence Davies, dessen neuester Of Time And The City mir in Cannes im Mai so sagenhaft gut gefallen hatte. Aber die konnte man erst vor einigen Jahren beim Münchner Filmfest sehen. Echte Konkur­renz zu den Japanern ist dagegen der Italiener Mario Monicelli – schon deshalb, weil mir in Venedig die Italiener-Retro so gut gefallen hat. Monicelli war einst richtig berühmt, hat unter anderem mal den Goldenen Löwen gewonnen, und ist schon deshalb inter­es­sant, weil sein Werk vom Stummfilm bis in die Gegenwart reicht. Immerhin wurde er 1915 geboren. Am Flughafen von San Sebastián war ich Monicelli bereits persön­lich über den Weg gelaufen, ohne aber zu wissen, wer er war – einfach ein sehr nett ausse­hender älterer Herr, der keines­wegs aussieht wie 93.

In seiner Filmo­gra­phie notiert die imdb 66 Regie­ar­beiten, 43 davon laufen hier. Der Mann hat mit nahezu allen großen Darstel­lern des italie­ni­schen Kinos gear­beitet, hat Kriegs­filme gemacht und Sozi­al­dramen, Popmovies und vor allem immer wieder Komödien – zu einer Zeit, als so etwas noch für Erwach­sene gemacht wurde. Seine Filmo­gra­phie ist wahr­schein­lich die authen­tischste des italie­ni­schen Kinos. Dazu gehören dann auch solche Sachen wie Boccacio ‘70, 208 Minuten Episo­den­kino zu dem außer Monicelli auch Visconti, Fellini und de Sica Stücke beigesteuert haben, in denen Anita Ekberg, Romy Schneider und Sophia Loren mitspielen. Das Drehbuch zu Moni­cellis Episode schrieb Italo Calvino. Mit der Loren hat Monicelli dann übrigens einen Film gemacht, der La Morta­della heißt, und dessen Plot sich wunderbar liest: Die Loren will in die USA einreisen, wird dort aber am Flughafen nicht hinein­ge­lassen, weil sie eine Morta­della bei sich führt – Hexenjagd am Flughafen. Oder Casanova ‘70 mit – natürlich – Marcello Mastrio­anni als NATO-Komman­deur!

Wie gesagt: All das hätte ich gerne angeguckt – aber das Festival erleich­tert (?) die Entschei­dung ungemein, weil die Monicelli-Filme im Gegensatz zu allen anderen Filmen des Festivals nur mit spani­schen Unter­ti­teln gezeigt werden. Unver­s­tänd­lich natürlich und eine Blamage für ein inter­na­tio­nales Festival, das sich gern damit brüstet, die »Nummer vier« Europas zu sein. Das Ergebnis waren dann halbleere Kinos.

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Gewonnen hat den Wett­be­werb um die renom­mierte »Goldene Muschel« am Ende die türkische Regis­seurin Yesim Ustaoglu, die bereits mit ihren melan­cho­li­schen Iden­ti­täts-Dramen Journey to the Sun (1999) und Waiting for the Clouds (2004) bekannt wurde, mit ihrem Film Pandora’s Box. Der Film war gut, den Haupt­preis hätte er trotzdem nicht verdient gehabt. Denn das dies­jäh­rige Programm des Wett­be­werbs von San Sebastián war ganz klar das Beste der letzten Jahre, und konnte leicht mit den – zugegeben: sehr schwachen – dies­jäh­rigen Wett­be­werben der Berlinale und von Venedig mithalten. Auffal­lend und sehr angenehm war dabei, dass die Auswahl sich spürbar gegen die gras­sie­rende Tendenz zu Message-Filmen stellte, also der Dominanz von Werken, die alles erklären, die »bedeu­tende Themen« haben, die dann mit einzei­ligen Botschaften versehen auf die Leinwand geklatscht werden – mehr­heits­fähig und politisch unan­greifbar, aber künst­le­ri­sche Offen­ba­rungs­eide.

Die meisten Filme in San Sebastián bewegten sich weg vom thema­tisch »bedeu­tenden«, oder bedeu­tungs­voll daher­kom­menden, »großen« poli­ti­schen Themen wegbe­wegte, und dazu tendierte, privatere Geschichten zu erzählen: über Gefühle, Familien und Bezie­hungen, auch über Gene­ra­tio­nen­ver­hält­nisse.

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Ethno­lo­gi­sche Zwischen­be­mer­kung: Frisch in Venedig gewesen, denkt man, »Der Spanier ist ja sowieso in jeder Hinsicht das Gegenteil vom Italiener«. Kein Mann ist hier angezogen, wie ein Zuhälter, keine Frau sieht hier aus wie eine Mode­ra­torin des Privat­fern­se­hens. Die Bedi­e­nungen sind freund­lich, die Menschen in der Schlange gelassen, keiner schreit, und wenn doch mal, gucken die andren befremdet. Nur in Deutsch­land hält sich noch hart­nä­ckig das Gerücht, Italiener seien stilvoll, längst aber ist Spanien das Land des Stils, das Land mit dem besten Design und der besten Archi­tektur.

Persön­liche Erfahrung: Wenn man in Italien etwas erreichen will, muss man unhöflich und laut werden, mit Freund­lich­keit funk­tio­niert gar nichts. In Spanien muss man höflich sein und leise. Aller­dings büro­kra­tisch, und das heißt: unnötig kompli­ziert und pedan­tisch ist man hier aber nicht weniger, als in Deutsch­land.

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Pandora’s Box erzählt überaus zeitgemäß von drei Gene­ra­tionen: Die Groß­mutter lebt seit Jahr­zehnten auf dem entle­genen Land, und beginnt, ihr Gedächtnis zu verlieren. Eines Tages wird sie vermisst. Ihre drei Kinder, zwei Töchter und ein Sohn, müssen ihr mehr oder weniger ausge­fülltes Leben in der Metropole Istanbul unter­bre­chen. Die ersten Film­mi­nuten zeigen die umständ­liche, lange und erschöp­fende Autofahrt der Geschwister – in einem kleinen Wagen, zwischen­durch ohne Benzin, und andauernd streitend: Über den richtigen Weg zu leben, über die Familie, und über den Umgang mit der Land­be­völ­ke­rung. Kurz­zeitig fürchtet man, das der Film nach Ankunft auf dem Dorf bleibt und eine allzu-schlichte Schwarz­weiß­ge­schichte über einen Stadt-Land-Konflikt erzählt. Aber es ist alles etwas subtiler.

Die Groß­mutter wird bewusstlos im Wald gefunden, und es ist bald klar, dass sie nicht mehr allein leben kann. Weil aber die Kinder ihr eigenes Leben leben, können sie nicht im Dorf bleiben, also muss die Groß­mutter mit in die Stadt – wo wiederum sie nichts verloren hat.

Bald macht ein Arzt klar, dass die alte Dame an Alzheimer leidet und bald nicht mehr ohne Aufsicht gelassen werden kann. Es ist bitter und hart, den Verfall des Verstandes, der Selbst­kon­trolle und der Körper­funk­tionen zu sehen. Ustaoglu zeigt alles sehr freimütig, ohne dass die alte Frau je ihre Würde einbüßt. Die 90-jährige Tsilla Chelton ist so großartig wie wunderbar und scheinbar anstren­gungslos in ihrem Spiel – mehr als jede andere hat sie den Preis als beste Schau­spie­lerin verdient.

Kaum weniger bitter ist das Dilemma der Kinder. Sie leben ihr eigenes Leben, das auch nicht wirklich einfach ist, und in diesem Leben ist definitiv kein Platz zur Pflege einer Alzheimer-Kranken. Wie löst man den Konflikt zwischen Freiheit und Fürsorge?

Klug zeigt Ustaoglu diesen Konflikt als unlösbar: Beide Seiten können und wollen ihr Leben nicht aufgeben. Unüber­sehbar nimmt die Regis­seurin aller­dings Partei für die Groß­mutter. Und gegen die drei Kinder, die sämtlich als irgendwie selbst­süchtig und frus­triert, geschei­tert und unglück­lich und vor allem von der Moderne verdorben portrai­tiert werden – dies ist der Schwach­punkt in einem ansonsten liebe­vollen Film, der vorher­sehbar mit dem Tod der alten Dame endet, die ihren Enkel bittet, sie zurück zu »ihrem Berg« zu bringen, wo sie sich, wie ein afri­ka­ni­scher Elefant, zum Sterben zurück­zieht. Ein tief pessi­mis­ti­scher Blick aufs moderne Leben – gedreht in einem emotional inten­siven Stil.

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Unver­s­tänd­li­cher­weise ganz ohne Auszeich­nung von der von Regisseur Jonathan Demme (Das Schweigen der Lämmer) gelei­teten Jury blieb Still Walking vom Japaner Hirokazu Kore-eda: Zwei Geschwister – ein etwas zu mate­ria­lis­ti­sche Tochter und ein komplex­be­la­dener Sohn – besuchen mit Anhang und Kindern die alten Eltern fürs Wochen­ende. In mancher Hinsicht eine ähnliche Geschichte wie Pandora’s Box, aber humor­voller und sehr mensch­lich erzählt, mit Sinn für die Schwächen aller (!!) Gene­ra­tionen. Die Kinder sind nicht nur gut, aber Eltern sind vor allem nicht besser.

Ein dritter toter Sohn wird von den Eltern heillos idea­li­siert – der Bruder reagiert darauf empfind­lich, fühlt sich ungeliebt und fragt, was wohl aus dem Bruder geworden wäre, wäre er noch am Leben. Der alte Vater war Arzt und ist Musik­lieb­haber, ihn inter­es­sieren seine Miles-Davies-Platten mehr als die Menschen, aber zu seinem Stief­en­kel­kind ist er rührend.

Eine leise Komödie mit kleinen Bosheiten, und hübschen Details, wie dem Satz »There is not much to watch these days in Tele­vi­sion. There is nothing funny, but they lough so loud.« oder dem Lied »Blue Light Yokohama« aus der Zeit der Expo 70, in mancher Hinsicht super gemacht; ein schöner nach­denk­li­cher Film über eine Familie, über das ganz normale Leben, der viel­leicht auch dadurch berührt, dass es zu den ange­nehmen Seiten des Kinos gehört, zu sehen, dass es allen anderen auch nicht besser geht, dass alle die gleichen Probleme haben.

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Am Ende steht dann das nevermore, nevermore… Aus dem Off erzählt der Sohn, dass der Vater drei Jahre später gestorben ist, bald darauf die Mutter. »I didn’t give her that ride in the car... I never went with him to a soccer match...« Und der Sohn steht mit Frau am Grab des Bruders, sie haben zu ihrem Sohn aus erster Ehe noch eine Tochter bekommen, und er erzählt dieser Tochter die Geschichte vom gelben Schmet­ter­ling an der gleichen Stelle, wo sie ihm die Mutter seiner­zeit erzählt hatte.

Und als Zuschauer denkt man sofort, man sollte bald wieder seine Eltern besuchen…

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Zugleich war der an den Stil von Ozu erin­nernde bitter­süße Film ein Meis­ter­werk erzäh­le­ri­scher Ökonomie – und ein Beispiel für den Trend, von Gefühlen ohne Kitsch und senti­men­talen Schmuh zu erzählen. Dafür sehr genau beob­achtet, eher mit einer gewissen analy­ti­schen Kühle – die dann, lässt man sich doch darauf ein, eher noch mehr ans Herz geht, weil sie sich die Erleich­te­rungen des Kitsch' nicht gönnt.

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Im Hotel­fern­sehen die erste Debatte McCain vs. Obama, und die CNN-Kommen­ta­toren erklären dazu, hier trete der street­fighter gegen den consti­tu­tional guy und boyscout an, »the people are not sure, that obama is ready to be commander in chief.« Aha.

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Wie kann man Terro­rismus im Kino zeigen? Ohne ihn zu bana­li­sieren, ohne ihn nur zum Anlass für einen belie­bigen Action­reißer auszu­beuten, statt­dessen mit einem Sinn für den unmit­tel­baren Schock, den er bedeutet, und für die Leiden der Opfer? Zugleich aber auch mit der Bereit­schaft, sich ein Stück weit auf die Perspek­tive der Täter einzu­lassen – und sei es nur, weil eine Gesell­schaft ihre Feinde, um sie erfolg­reich zu bekämpfen, kennen muss.

Diese kompli­zierte Frage, die Bernd Eichin­gers Der Baader Meinhof Komplex in diesen Tagen auf seine Weise beant­wortet hat, debat­tiert gerade auch die spanische Öffent­lich­keit. Der Anlass ist Tiro en la cabeza (zu Deutsch etwa: »Kugel im Kopf«) des aus dem kata­la­ni­schen Barcelona stam­menden 38-jährigen Regis­seurs Jaime Rosales.

Man hätte für die Premiere keinen besseren Ort, als die baskische Haupt­stadt wählen können, denn ausgehend von einem tatsäch­li­chen Fall – dem Mord an zwei Zivil­fahn­dern im vergan­genen Herbst – erzählt Rosales vom Terror der ETA, jener natio­na­lis­ti­schen baski­schen »Befrei­ungs­or­ga­ni­sa­tion«, die als Wider­stands­zelle gegen Francos Diktatur begonnen und viel Sympa­thien geerntet hat, inzwi­schen aber längst zu einer Mörder­bande verkommen ist, die im Mafiastil Schutz­gelder kassiert, und all das mit wirren Ideo­lo­gien angeb­li­cher Unter­drü­ckung der Basken recht­fer­tigen.

Entschei­dend an Rosales Film ist, wie er das tut. Denn die ETA ist in Spanien auf der großen Leinwand nichts Neues mehr. Im Unter­schied zu Main­streamthril­lern ist Rosales aber so ehrgeizig, dass er sowohl das Kino weiter­bringen, wie der spani­schen Terro­rismus-Debatte Wesent­li­ches hinzu­fügen will.

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Ober­fläch­li­chen Beob­ach­tern erschien es im ersten Moment als reine Schnaps­idee: Denn Tiro en la cabeza ist gewis­ser­maßen Anti-Eichinger-Kino: Leise statt laut, eine Art Stummfilm mit Ton, am ehesten erinnernd an Jacques Tatis Playtime. Ein einziger vers­tänd­li­cher Ausruf fällt nach etwa einer Stunde: »Hunde!«, gemeint als Schimpf­wort. Ansonsten hört man zwar viele Geräusche – von einem Sport­platz, Kinder­spielen, aus Cafés, von der Straße. Das Grund­rau­schen eines Stadt­all­tags. Dialoge sind, wenn überhaupt, nur ganz rudi­mentär zu verstehen. Auch alles, was man hier sieht, sieht man nur aus der Distanz: Einen Mann in seiner Wohnung beim Aufstehen. Auf dem Spiel­platz mit einer Frau und einem Kind. Beim Gang durch die Straße, bei der Post, am Geld­au­to­maten. Im Café mit einem anderen Mann. Ist er in Innen­räumen, sieht man nur, was von Außen einsehbar ist.

Was anfäng­lich ungemein irritiert, entwi­ckelt bald einen faszi­nie­renden Sog, und schnell weicht die Irri­ta­tion einer neuen Aufmerk­sam­keit. Weil die Dialoge nicht helfen, sammelt der Zuschauer in dem, was zu sehen ist, die notwen­digen Indizien. Alles bekommt Bedeutung in diesem Protokoll aus dem Leben eines ganz normalen Mannes: eine große Sport­ta­sche, ein Paläs­ti­nen­ser­tuch. Und plötzlich entdeckt man, dass man die Perspek­tive eines Detektivs einge­nommen hat, eines Zivil­fahn­ders viel­leicht. Oder auch eines Terro­risten, der sein nächstes Opfer ausspäht.

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Der geniale Kunst­griff des Regis­seurs ist nicht nur eine ästhe­tisch höchst inno­va­tive Schule der Wahr­neh­mung, ein Stück Kino, das neu sehen lehrt – es hat auch poli­ti­sche Effekte: Mehr­heit­lich nahm die spanische Presse Rosales‘ Film positiv auf. »El Pais« kriti­sierte nur moderat einige künst­le­ri­sche Aspekte. Auffällig war die Lobes­hymne in der konser­va­tiven »El Mundo«, die deutlich die Entmys­ti­fi­zie­rung der ETA hervorhob.

Auch das Publikum in San Sebastián disku­tierte heftig nach der Premiere. Wo kriti­siert wurde, da mit entge­gen­ge­setzten Argu­menten: Indem Rosales einen Mörder beim ganz normalen Leben vor seiner Tat als Aller­welts­spießer zeigt, treibt er ihm allen Glamour aus, den Terro­risten im Kino fast immer haben – siehe Der Baader Meinhof Komplex –, selbst dann, wenn ein Film sie moralisch kriti­siert. Diesem Täter fehlt jeder Wider­stands-Heroismus, jeder Pop-Appeal. Er erscheint als feiger Mörder – und das passt den im Basken­land immer noch erstaun­lich zahl­rei­chen eta-Sympa­thi­santen natur­gemäß nicht in den Kram. Aber auch deren Gegner empörten sich, mit dem vorher­seh­baren Argument, hier werde dem Täter zuviel Aufmerk­sam­keit gegeben, indem man solche Leute nicht als Schurken charak­te­ri­siere, zeige man sie zu freund­lich.

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Das genau ist aber der Clou des Films. Der Film öffnet den Blick für die Viel­schich­tig­keit des Phänomens Terro­rismus, die Spannung zwischen Abgrund und Alltag. Das hat in Spanien noch die zusätz­liche Kompo­nente, dass es seit dem Madrider Attentat von 2004 eine zweite, noch brutalere Terror-Erfahrung in Spanien gibt. Rosales zeigt ganz klar, dass zumindest die eta kein Alien ist, sondern Teil der Gesell­schaft – hier in den engen Gassen der herben Altstadt der baski­schen Haupt­stadt allemal, wo man die Kneipen und Tapas-Bars noch immer danach diffe­ren­ziert, ob sie Pro-Madrid oder natio­na­lis­tisch sind.

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Am Abend sitze ich im Café und beobachte die Kinder auf dem kleinen Platz vor dem »Principe«-Kino beim Fußball­spielen. An den Wänden der Kirche kleben frisch hinge­klebte Portraits der »Märtyrer« der Eta. Bald werden sie von der Polizei mit den maskierten Gesich­tern abge­rissen werden. Die normalen Leute sind alle auf der Straße. Manche Kinder haben ein portu­gie­si­sches Natio­nal­trikot an, und nach Rosales' Film ertappt man sich beim Gedanken, ob dies wohl als kamm­heim­li­ches anti-spani­sches Statement zu sehen sei? Grün-Rot sind schließ­lich auch die Farben des Basken­landes.

(to be continued)