19.07.2007

Kanadische Grenzerfahrungen

THE TRACEY FRAGMENTS
Im Fokus der Stilkritik:
The Tracey Fragments

Nachbetrachtung zur Maple Movies Tournee 2007

Von Michael Haberlander

So wider­sinnig es auch ist, die künst­le­ri­schen Ansätze der Regis­seure eines Landes zusam­men­zu­fassen, sprechen wir doch immer wieder pauscha­lie­rend vom deutschen Film, von Hollywood (als Synonym für den ameri­ka­ni­schen Film), von der Film­na­tion Frank­reich, vom Hongkong-Kino oder gar dem asia­ti­schen Film.
Aber trotz aller Verein­fa­chung steht jedes Filmland bzw. jede Film­re­gion für eine durchaus markante Charak­te­ristik, wenn auch das Ganze mehr bzw. etwas anderes ist, als die Summe seiner einzelnen Teile.

In diesem Sinne ist der kana­di­sche Film sympa­thisch, offen, unauf­ge­regt und wohl deshalb auch ein ewiger Geheim­tipp, der es bei uns noch nie zu einem (wenn auch beschei­denen) Trend gebracht hat. Das ist um so erstaun­li­cher (und bedau­er­li­cher), da die »Maple Movies« europäi­schen Anklänge (vor allem im fran­zö­sisch­spra­chigen Quebec) mit Einflüsse ihres ameri­ka­ni­schen Nachbarn verbinden, die USA dabei aber oft an Einfalls­reichtum, Mut, Kompro­miss­lo­sig­keit, Ehrlich­keit und Eigen­wil­lig­keit über­treffen.

Wie weit dieser kana­di­sche Eigensinn gehen kann, hat auch die dies­jäh­rige Maple Movies Reihe, die ein buntes Paket kana­di­scher Filme auf Tournee durch Deutsch­land schickt, eindrucks­voll bewiesen. Sie enthielt mit dem Eröff­nungs­film The Tracey Fragments von Bruce McDonald und dem neuesten Streich von Guy Maddin Brand Upon the Brain! zwei Filme, die in ihrer Expe­ri­men­tier­lust sogar an die Grenzen des Kinos gelangen und deshalb eine besondere Betrach­tung verdienen.

Bruce McDonald kam (bei Cineasten) in den 1990er Jahren durch seine Road-Trilogy zu beschei­denem Ruhm, wobei der letzte Teil dieser Reihe, die hervor­ra­gende Mocku­men­tary Hard Core Logo von 1996 die wohl letzte Möglich­keit bot, eines seiner Werke regulär in einem deutschen Kino zu sehen.
Entspre­chend freudig war die Erwartung auf seinen neuesten Film, The Tracey Fragments, der die Geschichte eines Mädchens in der Puber­täts­hölle erzählt.

Eine durchaus inter­es­sante Geschichte, gute Darsteller, lakonisch triste Bilder und eine schöne Musik­aus­wahl bieten ein solides Fundament, auf dem McDonald seinen extra­va­ganten Film aufbaut. Dass die Geschichte nicht chro­no­lo­gisch linear erzählt wird, dass man zeitlich also munter vor und zurück springt, verwun­dert oder verun­si­chert einen als regel­mäßigen Kino­gänger schon seit Jahren nicht mehr. Sofern diese Methode nicht nur zur künst­li­chen Verkom­pli­zie­rung einer an sich lahmen Geschichte dient, ist sie ein durchaus akzep­ta­bles Stil­mittel.
Unge­wöhn­li­cher ist da schon McDonalds Monta­ge­technik, die z.B. durch mehrfache Wieder­ho­lungen auf Techniken aus der Video­kunst verweist. Kann man sich auch damit noch als reizvolle Aufbre­chung der üblichen Filmäs­thetik anfreunden, stößt man bei McDonalds zentralem Gestal­tungs­mittel an die Grenze dessen, was in einem Spielfilm akzep­tabel ist und was nicht.
Der Film ist komplett in Splitt­screens gestaltet, d.h., dass sich das Gezeigte auf der Leinwand von der ersten bis zur letzten Minute in zwei, drei oder noch mehr einzelne unab­hän­gige Bild­ab­schnitte, die zudem laufend ihre Anzahl, Größe und Zusam­men­stel­lung ändern, aufteilt. Da der Gedanke eines Full-Splitt­screen-Films keines­wegs einzig­artig ist (siehe z.B. Timecode von Mike Figgis), bleibt ohne Novitäten- und Avant­gar­de­bonus der Blick auf einen Film, der einen die kritische Beur­tei­lung außer­or­dent­lich schwer macht.

Die Beschäf­ti­gung mit radikalen gestal­te­ri­schen Mitteln im Kino ist immer eine sehr ambi­va­lente Ange­le­gen­heit. Denn einer­seits ist es gut , schön, spannend und mutig, dass ein Regisseur etwas Neues auspro­biert und damit viel­leicht den Weg für eine neue Technik des Erzählens bereitet. Ande­rer­seits besteht hier aber die Gefahr, dass bei allem Streben nach Neuerung und Expe­ri­ment bzw. bei der Auslie­fe­rung an ein ästhe­ti­sches Konzept der Blick auf den Film als Ganzes verloren geht. Lars von Trier z.B. bewegt sich sehr erfolg­reich in diesem schwie­rigen Fahr­wasser, wobei die quali­tativ sehr unter­schied­li­chen Werke der von ihm mitbe­grün­deten Dogma-Bewegung auf die Gefahren und Probleme solcher radikaler Ansätze hinweisen.

Als Betrachter kommt man ange­sichts solch unge­wohnter Filme immer dann in Verle­gen­heit, wenn einem das Ganze nicht gefällt. Da sich der übliche Abgleich mit filmi­schen Standards nicht anwenden lässt, wird man mit ziemlich schwer­wie­genden Fragen konfron­tiert:
Funk­tio­niert hier das künst­le­ri­sche Konzept nicht oder scheitert der Regisseur an der Umsetzung dieses Konzepts oder scheitert er schlicht am Filme­ma­chen? Oder liegt es gar am Zuschauer selber? Hat man (freund­lich ausge­drückt) keinen Zugang zu dieser beson­deren Sicht­weise oder ist man (unfreund­lich ausge­drückt) ein igno­ranter Ewig­gest­riger, der über seine eingeübten Sehge­wohn­heiten nicht hinaus­kommt?
Und zu allem Überfluss bewegen sich solche Filme oft noch an der unklaren Grenze zwischen Film als eigener Kunstform und Film als Medium für die bildende Kunst (man vgl. hierzu etwa die Werke von Matthew Barney), die jeweils sehr unter­schied­liche Sicht­weisen und Bewer­tungs­normen erfordern.

Mit solchen Über­le­gungen plagt man sich nun auch bei The Tracey Fragments, dem man bei aller schwie­rigen Abwägung einen schweren Makel klar zuweisen kann.
Splitt­screen ist ein schöner Effekt, der richtig einge­setzt einen Film berei­chern kann. Entschei­dend daran ist aber, dass es ein Effekt ist (ähnlich wie Zeitlupe), der zur Hervor­he­bung einer bestimmten Szene dient. Ein Film, der komplett als Effekt gestaltet ist, verliert aber diese Qualität des Beson­deren und wird wie ein Text, der jedes Wort mit Unter­strei­chung und drei Ausru­fe­zei­chen versieht, nur unnötig schwer leserlich. Ein ganzer Film in Zeitlupe würde mit dem selben Problem kämpfen bzw. in den Bereich der Kunst hinü­ber­wan­dern wie etwa bei Douglas Gordons berühmten 24 Hours Psycho.

Nach anfäng­li­cher Neugier schleicht sich deshalb beim Betrachten von The Tracey Fragments zunehmend eine gewisse Gleich­gül­tig­keit ein, trotz der guten Grund­lagen und trotz der zwei­fels­frei geschickten Montage, die den Film aber nicht davor retten kann, dass er regel­recht »zerfällt« und dadurch einen Großteil seiner Spannung verliert.
Irgend­wann sehnt man sich danach, dass die Bilder endlich zusam­men­finden, man sich auf eine Einstel­lung konzen­trieren darf und man die diffusen Eindrücke in eine Richtung lenken kann. Doch Bruce McDonald bleibt bis zum Ende konse­quent, und so verlässt man das Kino ohne auch nur ein nach­hal­tige Szene im Kopf zu behalten, obwohl auf der Leinwand dreimal so viele Bilder zu sehen waren als bei einem normalen Film der gleichen Länge.

Während McDonalds Radi­ka­lität ein wenig unver­hofft kommt (seine frühen Film waren weit­ge­hend »konven­tio­nell« gestaltet), ist man von seinem Landsmann Guy Maddin schon manche Extra­va­ganz gewohnt. Maddins Neu- bzw. Umin­ter­pre­tie­rung vergan­gener Filmäs­thetik (vor allem des Stumm­films) führte immer wieder zu einzig­ar­tigen Filmen, die geradezu beispiel­haft für die positiven Möglich­keiten von Expe­ri­men­tier- und Fabu­lier­lust im Kino stehen. Sein neuester Film Brand upon the brain folgt dieser Tradition und hätte erneut das Potential für ein absei­tiges Kino­ver­gnügen, wenn Maddin (mögli­cher­weise in dem Bemühen immer neue Ausdrucks­mittel zu finden), diesmal nicht ein weiteres Stil­mittel hinzu­fügen würde. In Brand Upon the Brain! dauert keine Einstel­lung länger als (durch­schnitt­lich) eine Sekunde. Solche Schnitt­fre­quenzen schaffen übli­cher­weise nur (darob gerne geschol­tene) hyper­ak­tive Action­filme und da auch nur in den spek­ta­kulären Kampf- und Verfol­gungs­szenen. Daneben greift aber auch das anspruchs­volle Kino auf diese Technik zurück, um einzelne Szenen hervor­zu­heben, als klas­si­sches Beispiel gilt hier etwa die Duschszene aus Hitch­cocks Psycho.

Seine Wirkung kann dieser Effekt aber nur im Wech­sel­spiel mit normalen Schnitt­folgen entwi­ckeln, weshalb sich in Maddins Film trotz allem künst­le­ri­schen Bemühen nur Hektik und (unan­ge­nehme) Nervo­sität breit macht. Was er damit erreichen will, bleibt unklar (Eine Remi­nis­zenz an die höhere Bilder­ge­schwin­dig­keit der frühen Stumm­filme? Eine Anspie­lung auf manch rasant montierte Sequenz bei Eisen­stein?). Schluss­end­lich bleibt nur der ungute Eindruck, dass hier das Gelingen des gesamten Films der Durch­set­zung einer fixen künst­le­ri­schen Idee geopfert wurde. Gerade bei jemanden wie Guy Maddin fällt es jedoch schwer, solche Kritik zu üben, da man seinem kompro­miss­losen Brechen vom üblichen Film­stan­dards und seiner Resistenz gegenüber (wohl­ge­meinter) Kritik einige wunder­bare Filme zu verdanken hat.

Die Erkennt­nisse, die man nun aus all dem ziehen kann, sind äußerst schlicht:
1. Lieber ein Film, der sich auf einem neuen Weg verrennt, als einer, der auf ausge­latschten Bahnen langweilt.
2. Wer sich als Film­ma­cher bewusst außerhalb der gewohnten Konven­tionen bewegt, sollte nicht mit dem gleichen Maß wie der neue Harry Potter gemessen werden. Über einer kriti­schen Beur­tei­lung steht er aber auch nicht.
3. Kanada bleibt auch weiterhin der nette Underdog der Kinowelt.