07.12.2017
Kinos in München – Neues Maxim

Phönix aus der Asche

Fassade Neues Maxim
»Cinema is art. TV is furniture.« Das Neue Maxim braucht den Angriff durch das Wohnzimmer nicht zu fürchten
(Foto: Dunja Bialas)


Mit freund­li­cher Unter­s­tüt­zung durch das Kultur­re­ferat München

Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es mal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von DVD und erhöhten Kino­mieten mehr denn je keine Selbst­ver­s­tänd­lich­keit mehr ist, stellen wir hier besondere Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.

Das Neue Maxim ist das einzige Kino im Münchner Stadtteil Neuhausen und zeigt seit kurzem wieder, wie lebendiges Kino geht

Von Dunja Bialas

»Nein, mit uns konnten die kleinen Kinos kaum mehr das große Geschäft machen – und die Eltern saßen sowieso meist vor der Glotze. Gegen die Schließung des Park-Kinos trugen sich einige tausend (insbe­son­dere viele junge) Leute in die Unter­schrifts­listen ein, aber statt dort die Filme zu besuchen oder eine Spen­den­ak­tion zu initi­ieren, wurde auf Flug­blät­tern der Feind klar definiert: Die bösen Haus­ei­gen­tümer wollen das Park-Kino schließen.« – Karl Königs­bauer in »Hollywood in Neuhausen – Glanz und Nieder­gang der Kinos im Münchner Westen«

Der spätere Neuhau­sener Real­schul­rektor Karl Königs­bauer hat trefflich erkannt, mit welchen Reflexen wir zu tun haben, wenn sich etwas zu verändern droht. Das Aus wird bedauert, aber trotzdem ist keiner hinge­gangen. Ob der Elek­trohändler an der Ecke oder eben ein Kino: wenn etwas verschwindet, sind nicht zwingend die Haus­ei­gen­tümer schuld – auch wenn das so gut zu München passt.

Ähnlichem Reflex ausge­setzt sind alle Cineasten, deren Lieb­lings­kinos zumachen (in München waren dies seit 2010 das Tivoli in der Fußgän­ger­zone, das OmU-Kino Atlantis, das Film­ca­sino am Odeons­platz, in dem heute unter dem Motto »erst dinieren, dann amüsieren« ein Dinner Club feiert, und letztes Jahr im Dezember das Eldorado an der Sonnen­straße). Beim Neuen Maxim entspann sich um die drohende Schließung ein regel­rechter Krimi, mit einem Schurken in der Haupt­rolle: dem bösen Vermieter. Er hatte eine Mieter­höhung für das Kino an Lands­huter Allee um fünfzig Prozent vollzogen, was das faktische Aus für das von Sigi Daiber geführte Licht­spiel­haus bedeutete. In den vergan­genen Jahren hatte dieser nur noch erratisch Filme gezeigt, ein Dauer­brenner war ein Doku­men­tar­film über den Wunder­heiler Bruno Gröning, der ihm regel­mäßig ein volles Haus bescherte und vorü­ber­ge­hend im Arena eine neue Heimat gefunden hatte (dort aber wieder rausflog, nachdem die Gröning-Anhänger die anderen Kino­be­su­cher bekehren wollten). Enga­gierte Menschen, die das Kino mit neuem Leben einhau­chen wollten, fanden sich regel­mäßig ein, es gab sogar eine erfolg­reiche Spen­den­ak­tion im Ruffini-Café für neue Kino­sessel – das Geld holte sich Daiber jedoch nie ab. So richtig im Haus haben wollte er die Helfer nie.

Nachdem Daiber die Mieter­höhung durch den Vermieter publik gemacht hatte, war klar, dass er das Kino nicht würde halten können. Schnell fanden sich Inter­es­senten ein (die aller­dings teilweise bereits in den Vorjahren vorbei­ge­schaut hatten) und begut­ach­teten die Immobilie. Zu den bekannten Namen aus der Münchner Kinoszene gesellte sich auch das Institut für Thea­ter­wis­sen­schaft, das eine neue Studio­bühne suchte (und bis heute nicht gefunden hat). Inter­es­siert am Kino zeigten sich auch vier Freunde, die man in München bislang nicht gekannt hatte und deren Traum es war, ein gemein­sames Kino zu haben: die künftigen Kino­be­treiber hatten das Parkett betreten.

Vier Freunde und ein Kino

Wenn sich Anne Harder, Beate Muschler, Regine Stoiber und Bernd Krause heute an die Unter­zeich­nung des Miet­ver­trags vor über einem Jahr erinnern, sind sie sich einig über den Gefühls­cock­tail, der sie damals beglei­tete: Es war eine Mischung aus »Hilfe, wir haben jetzt ein Kino!« und »Wow, ein Traum ist wahr geworden!« Heute sagen sie, noch immer ein wenig ungläubig über das »Luft­sschlös­schen«, das sie jetzt betreiben: Wenn man sich etwas zu sehr wünscht, wird es plötzlich wahr.

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Vier Freunde müsst ihr sein: Beate Muschler, Regine Stoiber, Anne Harder, Bernd Krause (Foto: Martina Dobrusky)

Soeben hat der Stadtrat in München unter dem Stichwort »Unter­s­tüt­zung von Programm­kino-Neugrün­dungen und –über­nahmen« jährliche Gelder in Höhe von 20.000 Euro frei­ge­macht. Damit werden Programm­kinos über die Bestands­er­hal­tung hinaus ein wichtiger Punkt auf der Agenda der kommu­nalen Kultur­för­de­rung. Ob sich wohl weitere Kino-Neugründer finden lassen? Und wie macht man ein totes Kino wieder lebendig?

Die vier Freunde wissen, wie es geht. Denn so einfach vom Himmel gefallen ist das Luft­schloss natürlich nicht. Nach einem ersten Termin beim Vermieter 2015, bei dem sich noch ein Gerangel der Inter­es­senten abzeich­nete, wurden die Kino-Pläne erst einmal wieder auf Eis gelegt. Anne Harder entdeckte eines Tages auf Immoscout, dass die Immobilie an der Lands­huter Allee noch immer zu haben war. Da haben sie wieder losgelegt.

Neben den erneuten Verhand­lungen mit dem Vermieter, die immer noch von ernst­haften Konkur­renten begleitet waren, erstellten sie einen Busi­ness­plan, reichten entspre­chende Förder­an­träge bei den öffent­li­chen Stellen ein, sprachen mit der Lokal­bau­kom­mis­sion und der Brand­di­rek­tion, gaben ein Wirt­schaft­lich­keits­gut­achten bei der Film­för­der­an­stalt in Auftrag – und kauften 140 Kinos­tühle. »Es wäre alles irgendwie noch verkraftbar gewesen, wenn es nicht geklappt hätte«, erinnert sich Anne Harder, »aber: Was will ich mit einem Wirt­schaft­lich­keits­gut­achten und 140 Kinos­tühlen, wenn kein Kino da ist?« Bernd Krauss macht deutlich: »Der Druck erhöht sich auto­ma­tisch, weil man aus der Nummer nicht mehr so leicht rauskommt.«

Auftau­chen im Kino-Aquarium

Am Tag der Vertrags­un­ter­zeich­nung konnten sie alles fertig auf den Tisch legen, inklusive der Umbau­pläne. Diese waren von Archi­tektin Regine Stoiber entworfen worden. Eröffnet werden sollte nach der Wiesn, nur drei Monate später. »Es war eine sehr wichtige Idee, im Herbst statt im Januar zu starten, denn sonst nimmt man drei Super­mo­nate nicht mit. Wenn man bedenkt, was man alles vorfi­nan­ziert und in was man inves­tiert, muss man schauen, dass man einen guten Start hinkriegt, sonst geht das nicht gut aus.« Anne Harder weiß als heute haupt­amt­liche Kino-Geschäfts­füh­rerin, wovon sie spricht. Von Anfang an war klar: sie wird als jüngste der vier Freunde komplett ins Kino einsteigen, die anderen bleiben in ihren Berufen und unter­s­tützen im Alltag ener­ge­tisch und ehren­amt­lich die Kino­ar­beit.

Energie braucht man viel, wenn man so ein Projekt angeht. Vieles wäre auch nicht möglich gewesen, wenn nicht Regine Stoiber Archi­tektin wäre mit den entspre­chenden Kontakten zu Innen­ar­chi­tekten, Baustoff­lie­fe­ranten und dem wichtigen Wissen darüber, wie man einen Zeitplan einhält. In Windes­eile wurde entkernt, ein weiterer Saal und neue Sani­tär­an­lagen eingebaut, ein Büroraum einge­zogen, die Kino-Theke und das Foyer entworfen. Hinzu kam Martina Dobrusky, die das Logo und den Inter­net­auf­tritt entwarf. Alles war wie Phönix aus der Asche.

Parallel dazu wurde eine Crowd­fun­ding-Campagne gestartet. »Da kam einiges zusammen«, erzählt Anne Harder, »es war auch ein gutes Marketing-Instru­ment. Den Leuten, die inves­tiert haben, gehört jetzt ein kleiner Teil vom Kino. Für uns war es damals auch ein Test: Wenn viele mitmachen, wird es funk­tio­nieren.«

Anfang Oktober 2016 wurde dann eröffnet, und die Besucher staunten nicht schlecht über das wieder­auf­er­stan­dene, jetzt fast skan­di­na­visch-hyggelig anmutende Kleinod an der Lands­huter Allee. Blumen­bou­quets und ein Sofa sorgen für eine einla­dende Atmo­sphäre im Eingangs­be­reich, angesagte Designer-Glüh­birnen verströmen warmes Licht.

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Die neue Hygge­lig­keit: Die Blumen bekommen sie von einem Händler geschenkt, der das neue Kino sympa­thisch findet (Foto: Martina Dobrusky)

Das Foyer mit seinem Decken­fresko ist bestückt mit selbst­ge­schrei­nerten Sitz­bänken und Tischen, an denen man eine Auswahl keines­wegs lang­wei­liger Getränke genießen kann (die Gurken-Limo sei besonders empfohlen, man kann sich damit auch einen Munich Mule mixen lassen). Beson­derer Gimmick: ein waghalsig plat­zierter Tisch auf dem Trep­pen­ab­satz, an dem man sich wirklich nur dann nieder­lassen sollte, wenn man abolut schwin­del­frei ist. Noch eine Kurio­sität: die Vorführ­luken sind in den Eingangs­be­reich gewandert und geben nun den Blick auf histo­ri­sche Ansichten des drit­täl­testen Kinos Münchens frei.

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Der neue Saal im Keller gibt Möglich­keit, mit dem Programm auch ein wenig zu expe­ri­men­tieren (Foto: Martina Dobrusky)

Der kleine Saal im Keller umfasst neben seinen 33 Plätzen auch vier Fatboys, die »Wohn­zim­mer­fee­ling« verbreiten sollen. Insgesamt erinnert das Arran­ge­ment aber eher an einen 70er-Jahre-Party­keller, mit roter Ausleg­ware im Retro-Muster und groben Wänden, deren Mauer­struktur von Schum­mer­licht betont wird. Er ist das genaue Gegenteil vom großen Saal im Erdge­schoss. Man betritt ihn durch die Flügeltür, und es öffnet sich ein für ein Kino ganz und gar unge­wöhn­li­cher Raum: Anstatt in einer Black Box befindet man sich im Inneren eines »Aquariums«, wie ihn Beate Muschler liebevoll nennt. Groß­zü­gige Fenster geben den Blick frei auf eine über­ra­schend stumme Lands­huter Allee. Erst kurz vor Film­be­ginn wird der Vorhang zu-, zu Filmende wieder aufge­zogen, und dann taucht man langsam wieder auf, kommt zurück in die reale Welt, in der man die Autos draußen vorbei­ziehen sieht.

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Das Kino-Aquarium von außen: die Fenster gewähren groß­zü­gigen Einblick ins Innere des Kinosaals (Foto: Martina Dobrusky)

Die Fenster sind die Sensation des Umbaus. Sie markieren die histo­ri­schen Rundbögen, hinter denen sich einst ein Kaufhaus mit großen Schau­aus­lagen befand. Erst ab 1912 wurde das Erdge­schoss zum Kino und die Fenster durch Türen ersetzt. Der Vermieter hatte die Idee, den orginalen histo­ri­schen Zustand der Fassade wieder herzu­stellen und spen­dierte das schall­dichte Glas. Überhaupt kann man die gestal­tende Rolle des Vermie­ters nach der schlechten Presse, die er sich wegen der Mieter­höhung für Sigi Daiber einge­han­delt hatte, gar nicht genug hervor­heben. Auch der Keller­saal war ihm eine Inves­ti­tion wert. »Er will hier ein Kino haben, das merkt man, er schaut auch immer vorbei«, sagt Beate Muschler, die im Team so etwas wie die Pres­se­spre­cherin ist.

Ein Kino, das lebt

Und wie fühlt sich das Kino­ma­chen an nach einem Jahr?

Der erste Sommer wurde gut über­standen. »Kino ist der beste Sonnen­schutz«, verkündet Anne Harder. Viele Gäste beleben die Film­vor­füh­rungen, das Maxim ist »mehr als nur eine Abspielstätte für Filme«, das wissen die Kino­be­su­cher zu schätzen. Manchmal wird bis spät in die Nacht hinein disku­tiert. Die Besu­che­rinnen und Besucher kommen haupt­säch­lich aus Neuhausen, schließ­lich finden sie hier in der Nach­bar­schaft viele Filme, die gerade angesagt sind. In einer Dispo­si­ti­ons­ge­mein­schaft mit den Betrei­bern von Monopol und Arena, also einer gemein­samen Buchung bei den Verlei­hern, werden die Filme ausge­wählt und die Termine aufein­ander abge­stimmt. Dabei behält jedes Kino seine Eigenheit. Das Maxim setzt gerne auf ein Programm, das dem alter­nativ-bürger­li­chen, nicht ganz so Glocken­bach-hippen Neuhau­sener Publikum entge­gen­kommt. Der Tradition des alten Maxims folgend, sind auch viele Doku­men­tar­filme dabei oder enga­gierte Film­reihen wie »Femmes Totales« des noch jungen Eksystent Verleihs. Festivals der Filmstadt München finden hier ebenfalls einen Abspielort, außerdem zeigt das Kino regel­mäßig Kurzfilme statt Werbung – die gibt es hier nämlich nicht. Dafür aber selbst­ge­machtes Popcorn, süßes, und am OmU-Tag, für den gehobenen Anspruch der Cineasten, salziges.

Es brummt nun nicht mehr nur auf der Lands­huter Allee. Das Kino ist wieder ein lebhafter sozio­kul­tu­reller Ort im Viertel geworden. Was sich der Leiden­schaft seiner Betreiber verdankt, aber auch dem Umstand, dass sie ihre Besucher einfach gerne im Haus haben: »Die meisten sind nett!« Immer fragen sie, wie der Film gefallen hat, manchmal werden sie auch ins Ratschen verwi­ckelt, »wie beim Friseur« – was ja auch kein Wunder ist bei dem Logo, das den Eingangs­be­reich ziert: Es zeigt eine Frau unter einer Haube aus Popcorn. Der Zukunft sehen sie entspannt entgegen, sie haben keine Angst, dass ihnen Strea­ming­dienste die Zuschauer wegnehmen und wagen den Vergleich: »Auch wenn ich ein Bier im Kühl­schrank habe, gehe ich trotzdem noch in die Kneipe.« Aus Gründen, die auch für den Kino­be­such sprechen: um andere Leute zu treffen, sich auszu­tau­schen, dabei zu sein. Das ist Kino, wie es lebt.

Literatur:

– »Hollywood in Neuhausen«, Band 1: Glanz und Nieder­gang der Kinos im Münchner Westen, hg. Geschichts­werk­statt Neuhausen, anti­qua­risch
– »Neue Paradiese für Kinosüch­tige – Münchner Kino­ge­schichte 1945 bis 2007«, hg. von Monika Lerch-Stumpf mit HFF München, Dölling und Galitz Verlag, 368 Seiten, 42 Euro.