12.02.2016
66. Berlinale 2016

Im Labyrinth des Redens

Ehemaliges Krematorium Wedding
Im ehemaligen Krematorium von Wedding wurde über den deutschen Films nachgedacht
(Foto: privat)

Unter dem Titel »Kino machen andere – Warum der deutsche Film nur unter sich feiert« ging eine Konferenz am Vorabend der Berlinale dem »anhaltenden Misserfolg deutscher Filme auf internationalen Festivals« nach

Von Dunja Bialas

Sicher­lich, der Ort war eine Steil­vor­lage. »Wird heute der deutsche Film beerdigt?!«, fragt mich aufgeregt-begeis­tert eine Kollegin des Kommu­nalen Kinos bei meiner Ankunft im ehema­ligen Krema­to­rium im Wedding, elegant umgetauft in »Silent Green«. Da sitzen sie also. 300 Gäste, die sich tatsäch­lich ange­meldet haben, um einer Mammut­kon­fe­renz beizu­wohnen zur Frage: »Warum spielt der deutsche Film auf den großen inter­na­tio­nalen Festivals keine Rolle?« Die großen deutschen Autoren­namen sind verschwunden, konsta­tiert später auf dem Panel Locarno-Programmer Sergio Fant. Und nicht einmal der Berlinale gelang es, neue Werke der verläss­li­chen Berlin-Autoren Christian Petzold, Rudolf Thome, Thomas Arslan oder Angela Schanelec zu befördern. Im Wett­be­werb läuft als einziger deutscher Beitrag ein Abschluss­film, 24 Wochen von Anne Zohra Berrached. Was ja nicht schlecht sein muss. Viel­leicht ein Zeichen für einen über­fäl­ligen Wechsel. Regisseur Christoph Hoch­häusler, der die vom Verband der deutschen Film­kritik zusammen mit der grünen­nahen Heinrich-Böll-Stiftung (»Silent Green«…) veran­stal­tete Konferenz als Zuschauer besuchte, wird nach der Veran­stal­tung auf Facebook verkünden: Was für eine Frechheit, von namhaften Experten, die aller­dings den deutschen Film überhaupt nicht kennen, eine Diagnose über den Zustand des deutschen Kinos erstellt zu bekommen.

Aufs Podium waren drei Teil­nehmer einge­laden: neben dem bereits erwähnten Sergio Fant saßen der mit einem beein­dru­ckenden grauen Rausche­bart versehene New Yorker Kritiker Richard Brody und Charles Tesson, Leiter der Semaine de la Critique in Cannes. Letzterer gab sich ziemlich schmal­lippig. Nicht nur, dass ihm die englische Konfe­renz­sprache nicht lag – Brody machte hierzu die sehr inter­es­sante Bemerkung, dass die frei­wil­lige Unter­wer­fung der Deutschen unter die englische Sprache ja durchaus auch sympto­ma­tisch für das mangelnde Selbst­be­wusst­sein des deutschen Films sein könne – Tesson war leider gänzlich unvor­be­reitet, was sich in einer impro­vi­sierten und in die Länge gezogenen Keynote offen­barte. Im Vorfeld war dennoch, um Unwis­sen­heit zuvor­zu­kommen, den Teil­neh­mern eine Sich­tungs­liste von Filmen zuge­gangen, darunter erfolg­reiche Seller wie Im Labyrinth des Schwei­gens oder Victoria und Nischen­filme wie Zeit der Kanni­balen oder Das merk­wür­dige Kätzchen. Sergio Fant empfand trotz der Viel­fäl­tig­keit die Auswahl als »sado­ma­so­chis­ti­sche« Geste der Veran­stalter, Brody wies darauf hin, dass auch andere Kino­na­tionen es mit Wellen (einer lang anhal­tenden aller­dings in Frank­reich) oder nur wenigen Autoren zu tun haben, und dass sich auch das spanische oder italie­ni­sche Kino seit langem in einer Krise befindet – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Fant stellte die spannende Frage, weshalb er es als Programmer in Locarno eigent­lich immer nur mit ersten, zweiten oder dritten deutschen Filmen zu tun bekäme – und danach keine deutschen Produk­tionen mehr einge­reicht würden (ist Locarno als ausge­wie­senes A-Festival etwa den deutschen Produ­zenten zu mickrig, zu unbekannt?).

Es hätte eine Brücke zum zweiten, dann auf deutsch gehal­tenen Panel und mit Bettina Reitz (ehemals Fern­seh­di­rek­torin des BR, heute HFF-Präsi­dentin, also direkt an den Wurzeln der Misere verortbar), Lars Henrik Gass (Leiter der Kurz­film­tage Ober­hausen) oder der in Berlin lebenden ameri­ka­ni­schen Dozentin und »Senses of Cinema«-Kriti­kerin Brigitta Wagner gleich­falls hoch­karätig besetzten Podium werden können. Leider aber ging die Dialo­gi­zität der gesamten Konferenz mit ausufernden Rede­bei­trägen der Teil­nehmer flöten und wurde zum letztlich unsteu­er­baren Schiff. Das versenkt wurde, als viel zu früh auf das Audi­to­rium geöffnet wurde, und Bettina Reitz mit ausge­buffter Profes­sio­na­lität unge­bremsten Charme versprühen durfte. Ihr sicht­bares Verlangen, selbst auf einem Podium, auf dem dem deutschen Film krema­to­ri­scher Gegenwind entge­gen­blies, es jedem Recht zu machen, kris­tal­li­sierte sich in einer nicht greif­baren, nicht angreif­baren Nicht-Position. Erhellend waren im zweiten Teil des Abends allein die Impuls­vor­träge von Brigitta Wagner und Lars Henrik Gass. Wagner wagte doch tatsäch­lich den Medi­en­ein­satz und führte anschau­lich an Beispielen aktueller Film­pro­duk­tionen vor, woran es dem deutschen Film mangelt, aber auch, wo seine Chancen liegen: die histo­ri­sche und touris­ti­sche Falle (Elser, Kirsch­blüten – Hanami) umgehen, sich der Gegenwart, den unkon­ven­tio­nellen Blicken und neuen, auch inter­kul­tu­rellen Terri­to­rien oder den Nich­torten öffnen (Oh Boy, Victoria, Orly). Lars Henrik Gass, der mit Ober­hausen jenseits des großen Marktes agiert, hatte poin­tierte Seiten­hiebe für die Film­stif­tung parat. Leider ging es im folgenden dann auch nur mehr um die Film­fi­nan­zie­rung, die inhalt­lich-thema­ti­sche Frage nach dem Stoff und seiner Gestal­tung, wie von Wagner vorge­stellt, verpuffte.

So offen­barten sich am Ende von über vier Stunden Veran­stal­tung in den oberen Rängen wieder unbe­setzte Urnen-Nischen, in die sich bei dem großen Andrang die Zuhörer anfangs hinein­ge­quetscht hatten. Der deutsche Film war nicht beerdigt, aber fast. Erkennt­nisse, jenseits der Metaebene, gab es leider kaum. Außer: Der deutsche Film muss besser werden. Seit Joe Hembus eine wieder­keh­rende Erkenntnis.