The Visit – Eine außerirdische Begegnung

The Visit

DK/Ö/IRL/FIN 2015 · 83 min. · FSK: ab 16
Regie: Michael Madsen
Drehbuch:
Kamera: Heikki Färm
Schnitt: Nathan Nugent, Stefan Sundlöf
Facettenreich und anregend

Extraterrestrische Selbstbespiegelung

Im Film hat er schon sehr oft statt­ge­funden: der Besuch außer­ir­di­scher Lebewesen auf dem Planeten Erde. Dabei spiegelt ein Großteil der SF-Filme von Kampf der Welten (1953) über Mars Attacks! (1996) bis hin zu Inde­pen­dence Day: Wieder­kehr (2016) unsere Angst davor, dass solch eine Begegnung eher uner­freu­li­cher Natur sein könnte. Da war es wie Balsam für die mensch­liche Seele, als sich ein aus dem All kommender Besucher in E.T. – Der Außer­ir­di­sche (1982) zur Abwechs­lung einmal als ausge­spro­chen freund­lich und knuffig erwies. Tatsäch­lich fanden die Erdlinge dies dermaßen knorke, dass sie E.T. gleich mehrfach zum bis dahin erfolg­reichsten Film der Kino­ge­schichte erhoben.

Jetzt beschäf­tigt sich in The Visit – Eine außer­ir­di­sche Begegnung auch der Däne Michael Madsen (Into Eternity: A Film for the Future, 2010) mit dem wich­tigsten Ereignis der Geschichte, dass – entgegen anders lautenden Gerüchten – noch niemals statt­ge­funden hat. Der dänische Konzept­künstler und Filme­ma­cher nähert sich der für einen Doku­men­tar­film eher unge­wöhn­li­chen Thematik auf denkbar origi­nelle Weise:

In The Visit schlüpft der Zuschauer in die Rolle des Aliens, das zum ersten Mal mit mensch­li­chen Wesen Kontakt aufnimmt. Zu sehen und zu hören sind im Film somit nur diese terres­tri­schen Gesprächs­partner – und das, was sie uns als außer­ir­di­schen Besucher am drin­gendsten zu sagen oder zu fragen haben. Hierbei reicht das Spektrum an mensch­li­chen Kontakt­per­sonen von Poli­ti­kern und Militärs über Techniker und Wissen­schaftler bis hin zu einem Theologen sowie einer Sozi­al­psy­cho­login. Entspre­chend unter­schied­lich fallen deshalb auch die betref­fenden Fragen bzw. State­ments aus:

So fragt der als Ethik­be­rater bei der fran­zö­si­schen Raum­fahrt­agentur CNES ange­stellte Theologe Jacques Arnould vorsichtig: „Kannst du zwischen Gut und Böse unter­scheiden?“ Dahin­gegen vertritt der Militär- und Öffent­lich­keits­be­rater Paul Beaver eher eine Diplo­matie mit gezückter Axt und poltert sofort Rumsfeld-like los: »Wir werden große Schwie­rig­keiten haben, unsere Leute unter Kontrolle zu halten, wenn wir nicht bald Antworten erhalten. Ich bin nicht berech­tigt, dir irgend­etwas anzu­bieten. Ich bin hier, um etwas heraus­zu­finden, aber ich bekomme keine Antworten.«

Als ein wesent­lich reflek­tier­terer Vertreter der mensch­li­chen Spezies erweist sich wiederum der ehemalige UNO-Gene­ral­se­kretär Dr. Kurt Waldheim. Dieser sinniert leicht verlegen: »Als die Menschen die Voyager-Aufzeich­nungen zusam­men­ge­stellt haben, war eine der schwie­rigsten Fragen: Sprechen wir auch über unsere Eigen­schaften, auf die wir nicht so stolz sind? Die Dinge, von denen wir wünschten, dass sie nicht so wären? Berichten wir von Krieg, über Kämpfe zwischen den Menschen? Erzählen wir von unserer Fähigkeit, unsere eigene Zivi­li­sa­tion zu zerstören? Solche Bilder wurden nicht in die Voyager-Aufzeich­nungen aufge­nommen, und es gab die Kritik von manchen, dass diese Nachricht damit nicht ehrlich sei.«

Diese Beispiele zeigen bereits sehr klar, dass The Visit letzten Endes weniger von Außer­ir­di­schen handelt, sondern ein Film ist, in dem der fiktive Besucher aus dem All uns Menschen als ein ausge­zeich­neter Spiegel gilt, vor dem wir uns selbst erkennen bzw. dies könnten ... Dies betrifft zum einen die jeweilige mit solch einem „Erst­kon­takt“ verbun­dene Erwar­tungs­hal­tung. Aber noch inter­es­santer sind die vielen möglichen philo­so­phi­schen Fragen, die allesamt auf den Kern unseres Selbst­ver­s­tänd­nisses abzielen.

Inter­es­sant ist darüber hinaus ebenfalls, dass einige der fiktiv Inter­viewten bei einer wirk­li­chen Begegnung mit Außer­ir­di­schen zu den für solch einen Erst­kon­takt von uns auser­se­henen Personen gehören würden. Dies zeigt, wie sehr die Idee solche einer Begegnung bis hinein in höchste Regie­rungs­kreise zahl­reiche Experten auf sehr konkrete Art beschäf­tigt. Da gibt es neben SETI (Search for Extra­ter­restrial Intel­li­gence), einem Institut, das sich mit der realen Suche nach außer­ir­di­schem Leben beschäf­tigt, sogar ein in Wien behei­ma­tetes UNO-Büro für Welt­raum­fragen.

Auf diese Weise gelingt Michael Madsen ein sehr facet­ten­rei­cher und zum Nach­denken anre­gender Film, der am Ende auch nicht das größt­mög­liche mit einer Begegnung der dritten Art verbun­dene Horror­sze­nario ausspart: Was wäre, wenn die Außer­ir­di­schen einfach wieder abreisen würden, ohne sich überhaupt erst näher mit uns zu beschäf­tigen?