21.07.2005

»Woody lebt in seiner eigenen Welt«

Chloe Sevigny als Melinda
Melinda and Melinda

Chloé Sevigny über ihre Rolle in Woody Allens Melinda and Melinda

Aufge­wachsen im erzkon­ser­va­tiven New Yorker Nobel­vorort Darian, einein­halb Fahr­stunden von Manhattan entfernt, wurde Chloé Sevigny, geboren 1974 im Ostküs­ten­städten Spring­field, in den frühen 90ern zum Star der New Yorker Szene, trat in diversen Musik­vi­deos auf und modelte für Under­ground­ma­ga­zine. Der New Yorker feierte sie als »it girl«. Seit ihrem Film-Debüt in Larry Clarks berühmtem Film Kids vor zehn Jahren ist Sevigny etwas Beson­deres, ja Einma­liges in der US-Film­land­schaft – eine selten authen­ti­sche, kompro­miß­lose Darstel­lerin mit viel Mut zu gewagten Auftritten. Voller Inte­grität und Idea­lismus wählt sie ihre Rollen konse­quent nach künst­le­ri­schen, nicht ökono­mi­schen Kriterien. Das brachte ihr wieder­holte Auftritte in Filmen von Lars von Trier, Jim Jarmush, Larry Clark ein.

Sevigny spielte in Trees Lounge von Steve Buscemi, Gummo von ihrem damaligen Lebens­ge­fährten Harmony Korine, in American Psycho von Mary Harron und Demon­lover von Olivier Assayas. Für ihre Neben­rolle in Kimberly Peirce' Boys Don’t Cry wurde sie 2000 sogar für einen Oscar nominiert. Jetzt hat Sevigny zum ersten Mal bei einem Woody Allen-Film mitge­spielt. Über ihre Rolle in Melinda and Melinda sprach Rüdiger Suchsland für artechock mit Sevingy auf dem Film­fes­tival im baski­schen San Sebastián.

artechock: Wie war der erste Drehtag mit Woody Allen?

Chloé Sevigny: Ich bin richtig neuro­tisch geworden. Andere Schau­spieler erzählen einem zwar ganz selbst­si­cher: »Oh, ich drehe jetzt mal mit Woody Allen, klar.« Aber ich habe ziemlich gezittert. Seit meiner High­school-Zeit war ich immer schon ein Fan. Und kurz vor dem Dreh hab ich mir dann aus der Videothek etwa zehn Filme von ihm geholt – das war das dümmste, was ich hätte tun können. Denn nun war ich noch viel mehr einge­schüch­tert. Es ist toll, wie er mit Schau­spie­lern arbeitet – und ich dachte: Allein schon diesen Sprach­rhythmus bekomme ich niemals hin. Ich bin auch eine große Bewun­derin von Diane Keaton. Sie ist eine meiner Lieb­lings­schau­spie­le­rinnen. Und auch neben ihren Filmen mit Woody Allen hat sie ganz tolle Sachen gemacht.

artechock: Es heißt immer, Allen sei so schüch­tern...

Sevigny: Er ist sehr schüch­tern! Vor allem im persön­li­chen Umgang. In der Öffent­lich­keit ist er immer so eloquent, er flirtet mit dem Publikum, und scheint so viel mehr bei sich selbst zu sein. Erst wenn man ihn kennen lernt, merkt man, wie sensibel er ist, auch kompli­ziert und in sich gekehrt. In den Dreh­pausen macht er sich oft Notizen, kritzelt in einem Buch herum. Einmal hat eine Kollegin in irgend­einem Magazin eine Notiz entdeckt: »Idee für einen Film: Es ist das Jahr 2060...« [Lacht lange] Er lebt in seiner eigenen Welt.

artechock: Ist es Ihnen lieber, mit einem Regisseur zu arbeiten, der mit Ihnen spricht, Ihnen sagt, was er von Ihnen erwartet?

Sevigny: Nein, eigent­lich mag ich es ganz gern so, wie es mit Woody Allen war. Woody war ganz geradeaus, klar und kurz. Als ich beispiels­weise Boys Don’t Cry gedreht habe, wollte die Regis­seurin ganz viele persön­liche Infor­ma­tionen und war sehr sehr neugierig; sie wollte alles von mir wissen – und die ganze Arbeit war ungemein emotional. Es kommt natürlich immer auf die Rolle an. Viel­leicht war das für diesen Film damals wichtig.

artechock: In Melinda and Melinda spielen Sie eine höhere Tochter, eine junge Ober­klassen-Frau, die aus einem ähnlichen Milieu stammt, wie dem, in dem Sie aufwuchsen...

Sevigny: Ja, ich kenne diese bleichen Mädchen mit Perlen­kette und Kasch­mir­rock ganz gut – es gab sehr viele dieses Typs an meiner High School – ich selbst war aller­dings nie so. [Lacht] Es ist nett, ein solches nettes Mädchen zu spielen. Auch wenn diese Laurel ja gar nicht so nett ist. Immerhin betrügt sie ihren Mann, und nimmt ihrer besten Freundin den Liebhaber weg. Ich werde öfters für solche Rollen gecastet. Woody Allen hatte mich glaube ich auch zuerst in The Last Days of Disco gesehen, wo ich auch so ein Yuppie-Mädchen spielte

artechock: Wie kam Woody Allen auf Sie zu?

Sevigny: Er kam gar nicht persön­lich auf mich zu. Er ist nicht sehr 'social'. Seine Agentin sprach mich an, und sagte: Woody will Dich wirklich in diesem Film haben, aber er will Dich noch mal sehen. Und dann bin ich in sein Büro in der Park Avenue gefahren, und er hat mir die Hand geschüt­telt, und dann bin ich wieder gegangen. [Lacht] Es war tatsäch­lich sehr kurz. Und dann kam ein Anruf, dass ich die Rolle hätte, und dann musste ich wieder in das gleiche Büro, weil ich nur dort das Drehbuch lesen dürfte, auch nur jene Teile, die mich betroffen haben. Woody verschickt seine Dreh­bücher nie, aus Angst, der Falsche könnte sie bekommen.

artechock: Wie geht es Ihnen sonst? Sie galten in den Neun­zi­gern als eine der Kult­fi­guren der New Yorker Jugend­kultur. Zuletzt hieß es, dass sie nach Vincent Gallos Skan­dal­film The Brown Bunny, wo sie am Ende in einer Oralsex-Szene zu sehen waren, ziemlich viel Ärger mit den Kultur-Puri­ta­nern bekommen hätten. Ihr Agent soll sie raus­ge­worfen haben…

Sevigny: Nein – das ist komplett gelogen. Ich gebe zu: die Agentur war nicht sehr glücklich, dass ich den Film gemacht habe. Aber der Wirbel um den Film hat ihnen dann schon gefallen. Ich habe danach auch einige Filme gemacht, die die Agentur mir nahe gelegt hatte, die sehr kommer­ziell waren – wie Party Monster und so etwas. Aller­dings hat William Morris, mein eigent­li­cher persön­li­cher Agent, dann die Firma für einen neuen Job verlassen, und kurz darauf habe ich auch die Agentur gewech­selt. Ich hatte den Eindruck, dass die mit mir nicht mehr so viel anfangen konnten.

artechock: Wie stehen Sie im Rückblick zu Brown Bunny?

Sevigny: Ich bin sehr stolz auf den Film. Auch wenn er mir ein paar Schwie­rig­keiten gemacht hat, bedaure ich nichts daran. In der US-Kultur­szene geben derzeit die Konser­va­tiven den Ton an. Es gibt sehr wenig Mut. Aber man darf sich das nicht gefallen lassen.

artechock: Sie haben auch zweimal mit Lars von Trier gear­beitet, der gilt nicht gerade als Freund Amerikas…

Sevigny: Er ist kein Freund von Bush. Aber ich war mit Dogville sehr zufrieden. Man sollte den Film aller­dings nicht nur auf seine poli­ti­schen Provo­ka­tionen redu­zieren – das gilt überhaupt für jeden Film. In der Dogville-Fort­set­zung Manderlay hatte ich nur einen ganz kleinen Part – wie eine Statistin, mit genau zwei Sätzen. Ich dachte: Das wird ganz locker, aber es war sehr sehr anstren­gend, weil ich die ganze Zeit am Set herum­hängen musste. Ich habe immerhin während­dessen fünf Bücher durch­ge­lesen. Lars versprach mir am Ende: »Das nächste Mal habe ich eine viel größere Rolle für Dich« – wir werden sehen.

artechock: Glauben Sie es denn noch, wenn Sie ein Regisseur aufs »nächste Mal« vertröstet?

Sevigny: Ja, ich möchte es glauben, dass er sein Wort hält. Ich hoffe, dass er eine Rolle für mich hat. Aber wenn es nicht klappt, werde ich das auch überleben.

artechock: Nach welchen Kriterien suchen Sie sich denn überhaupt Ihre Rollen aus?

Sevigny: Zuerst schaue ich auf den Regisseur. Dann darauf, wer noch mitmacht. Natürlich ist das Script und meine Rolle wichtig. Aber in Jim Jarmushs neuem Film spiele ich zum Beispiel die Sekre­tärin eines Tier­psych­ia­ters, und zwar eine, die lesbisch ist [lacht].

artechock: Sie haben mit Larry Clark gear­beitet, Lars von Trier, Woody Allen, Jim Jarmush. Das liest sich wie eine Liste der Wunsch­kan­diaten eines jeden Schau­spie­lers. Ist auf Ihrer persön­li­chen Liste noch jemand offen?

Sevigny: Ich würde wahn­sinnig gerne mit Claire Denis arbeiten. Oder mit den Coen-Brüdern.

artechock: Und für Main­stream-Filme inter­es­sieren Sie sich gar nicht? Oder werden die Ihnen nicht angeboten, weil Sie zu hip und schräg dafür wirken?

Sevigny: Ich würde gerne ein paar kommer­zi­el­lere Filme drehen. Aber ich habe tatsäch­lich noch nicht die Rolle gefunden, oder angeboten bekommen.