17.08.2006

»Nostalgie kann ganz schön langweilig sein«

Nina Proll und Claudia Basrawi in DIE QUEREINSTEIGERINNEN
Nina Proll und Claudia Basrawi sind Die Quereinsteigerinnen

Rainer Knepperges und Christian Mrasek über Die Quereinsteigerinnen

Es gibt ja dann doch immer wieder Hoffnung. Diverse artechock-Alumni waren ja schon auf dem Filmfest München 2005 hinrei­chend über die bloße Existenz des Ausnahme-Glücks­falls von deutschem Film begeis­tert, den Die Quer­ein­stei­ge­rinnen darstellt. Nun hat diese cine­as­ti­sche Rückkehr zur Beson­nen­heit endlich auch einen mutigen Verleih gefunden. Aus diesem Anlass präsen­tieren wir ein Interview mit den Regis­seuren Rainer Knep­perges und Christian Mrasek – per e-Mail geführt.

Zudem sei der Besuch des Films allen Lesern ausdrück­lich befohlen.

Mit Rainer Knep­perges & Christian Mrasek korre­spon­dierte via e-Mail Thomas Willmann.

artechock: Dürfte ich Euch zunächst um eine typische Hand­be­we­gung bitten?

Rainer Knep­perges & Chrstian Mrasek: Die glück­li­chen Menschen, die in Was bin ich? diese Bitte erfüllen konnten, die hatten ja alle ein ordent­li­ches Handwerk gelernt. Wir haben ja noch nicht mal ein Film­schul­di­plom. Wir könnten allen­falls so ein nervöses Haare­glatt­strei­chen oder Ziga­retten-selber-dreh-gefummel anbieten.

artechock: Was war die größte Umstel­lung beim Umstieg von Super8-Kurz­filmen zu einem (auf Video gedrehten) Langfilm?

Rainer Knep­perges & Chrstian Mrasek: Je nachdem wieviel Geld wir gerade hatten, waren manche unserer Kurzfilme ja auf 16mm, andere bereits auf Video oder eben noch auf Super8 gedreht. Das Gefühl, uns umstellen zu müssen, hatten wir also nicht. Es galt eher, die vielen Frei­heiten des Kurzfilms beim langen Film nicht falschen Ansprüchen zu opfern. Die körper­liche Komik unserer Super8-Filme ist zum Beispiel drin in der absurden Verfol­gungs­jagd im Wald. Unser Kame­ra­mann, Matthias Rajmann, hat ja sehr effizient dafür gesorgt, daß dieser offene Film eine schöne Geschlos­sen­heit hat. Beim Licht­setzen hat ihn unser Tonmann, Ralf Weber, unter­s­tützt, der selber ohne Assistent auskommen – also selber den Ton angeln mußte. Den großen Umstieg zum Langfilm – das heißt: mehr Team, mehr Aufwand, mehr Wartezeit – konnten wir uns ja zum Glück gar nicht leisten.

artechock: Wie konkret funk­tio­niert bei Euch das Co-Regie­führen?

Rainer Knep­perges & Chrstian Mrasek: Keine Ahnung, es funk­tio­nierte ja schon bei einigen Kurz­filmen, bei Tour Eifel und Das nasse Grab der Grenz­ban­diten. Und zu zweit Regie zu führen ist ja kein großes Mysterium. Bei Brüder­paaren hat das ja eine Tradition so alt wie das Kino. Das Problem ist ja eher der einsam tätige Film­kri­tiker, der zwei Namen zu nennen umständ­lich findet. Unsere Vornamen zu verheim­li­chen und als »Knep­perges und Mrasek« aufzu­treten, wie zwei tsche­chi­sche Pianisten, das hätte sicher verhin­dert, dass mal der eine – mal der andere in Festi­val­pro­grammen unerwähnt bleibt. Aber innerhalb der Kölner Gruppe hatten wir beide auch immer mal andere Regie­partner, Jukka Schmidt oder Bernhard Marsch etwa, deshalb könnte es gut sein, dass wir auch künftig Layoutern Schwie­ri­keiten bereiten.

artechock: Habt ihr die »waghal­sige« Einrich­tung des Feri­en­hauses einfach so vorge­funden, oder war da die Austat­tung tätig? Und hingen die 70er-Kostüme auch noch so im Schrank?

Rainer Knep­perges & Chrstian Mrasek: Diese tollen Kleider hat uns die Kostüm­bild­nerin, Elena Wegner, besorgt. Die kleine Orgel hat uns Jacques Palminger geliehen. Aber alles andere war tatsäch­lich da, sogar dieses rote Plüsch­tier, das so zärtlich gestrei­chelt wird. Unsere Ausstat­terin, Claudia Stock, hatte alle Hände voll zu tun, das Bildfeld eini­ger­maßen frei­zu­räumen und farblich geschickt zu ordnen. Die unglaub­lich netten Besitzer des Häuschens treten im Film als Ehepaar Färber auf.

artechock: Wieviel an dem Film ist wirklich impro­vi­siert, was wirkt nur so? Und war es schwer, bei Letzterem am Eindruck der Impro­vi­siert­heit zu arbeiten?

Rainer Knep­perges & Chrstian Mrasek: Sehr, sehr wenig ist impro­vi­siert. Wenn es trotzdem den Anschein hat – was uns freut – dann liegt das daran, daß wir manche Szenen so oft wieder­holt haben, bis eine kleine Verdre­hung im Satz oder ein Zur-Hilfe-kommen des Dialog­part­ners oder ein Lachen oder irgendein »Fehler« plötzlich allen das tolle Gefühl gab: das war’s, was fehlte.
So hat zum Beispiel das zufällige Durchs-Bild-laufen eines Joggers nicht zum Abbruch des Takes geführt, sondern wurde gleich als Glücks­fall erkannt: Dass der Entführte diesen Passanten nicht zur Hilfe ruft, verrät ja mehr, als mit Worten in dieser Szene zu sagen gewesen wäre. Da fragt man sich: warum bin ich darauf beim Schreiben nicht gekommen. Aber gut so, den joggenden Komparsen hat man gespart.
Und unser Cutter, Kawe Vakil, hat ein wunder­bares Gespür für diese Leben­dig­keiten, die beim Schnitt viel­leicht auch hätten getilgt werden können.
Es hat aber viel­leicht auch grund­sätz­lich mit der Gewohn­heit zu tun, dass alles Gespro­chene, zumindest in deutschen Filmen, als Mittei­lung zu verstehen sein soll, und recht selten, wie bei uns, das Sprechen selbst frohe Tätigkeit ist. Diese Freiheit inter­pre­tiert man dann viel­leicht als Abweichen vom vorge­schrie­benen Text. Bei uns war sie aber da schon drin.

artechock: Ganz entgegen dem Feeling des Films bringst Du, Rainer, als Darsteller den »Harald Winter« ja doch so rüber, als würde Dir das Auto­ri­täre eigent­lich ziemlich gut liegen. Schau­spiel­kunst oder Ausleben verdrängter Wesen­s­züge?

Rainer Knep­perges & Chrstian Mrasek: Aller­höchste Schau­spiel­kunst. Nein, ich fürchte, es liegt nur an dem Anzug. Denn kurz vor Dreh­be­ginn geriet ich auf der Suche nach dem richtigen Hemd im richtigen Blau mit dem richtigen Kragen so ins Schwitzen, das mir schlag­artig klar wurde: ohne die richtige Ritter­rüs­tung, ohne die richtige Brille mit der richtigen Verlauf­stö­nung, als Visier quasi, kannst du diesen Typ nicht spielen, aber: Er selber könnte es auch nicht. Das Auto­ri­täre ist ja gar kein Wesenszug, sondern ein Panzer aus sehr dünnem Material. Wirklich erstaunt war ich dann aller­dings, als man die einge­trock­nete Suppe tatsäch­lich problemlos abklopfen konnte.

artechock: Wenn man den Film sieht, stellt man sich die Dreh­ar­beiten unwei­ger­lich als einge­schworen-fröh­li­chen Feri­en­haus­ur­laub vor. War das wirklich so? Und wie lang und unter welchen Umständen habt Ihr überhaupt gedreht?

Rainer Knep­perges & Chrstian Mrasek: Ich bin gar nicht sicher, ob man einem Film ansehen kann, ob die Leute beim Dreh froh und glücklich waren. Wir waren, Darsteller und Team – alle zusammen nur elf Leute, unter­ge­bracht in zwei Fami­li­en­pen­sionen ganz in der Nähe des Drehorts. Siebzehn Tage, also etwa drei Wochen. Unser Koch, Guy Nanetti, der im Film die Tele­fon­zelle aufstellt, hat uns anfangs zwei warme Mahl­zeiten gekocht, zwei sehr üppige Mahl­zeiten, sogar das Frühstück kam aus mehreren Pfannen. Davon konnten wir ihn glück­li­cher­weise abbringen, obwohl er sehr gerne kocht – und auch sehr gut, aber zuviel ist zuviel. Das Besondere war aber folgendes: dass Guys Mißfallen an einer bereits fertig gedrehten Szene unsere eigenen Bedenken so vers­tärken konnte, dass wir die Szene am nächsten Tag voll­kommen neu angingen, und ihm sehr dankbar waren, weil er gesagt hatte, was er dachte. So was passiert, glaube ich, nur, wenn der übliche Wett­streit um Aufmerk­sam­keit und Aner­ken­nung am Set ausbleibt.
Eine der beiden Pensionen hieß Poppig, die andere hieß Hornig. Und Claudia Basrawi hatte ihren schlimmsten Lach­krampf, als sie eines Tages selber sagte: »Gehen wir jetzt alle erst zu Hornig, oder direkt zu Poppig.« Damit will ich keinen falschen Eindruck erwecken, nur andeuten, dass viel gelacht wurde.

artechock: Auf dem Münchner Filmfest hast Du, Rainer, Dich auch sehr begeis­tert gezeigt von Lemkes großer Tirade gegen die Film­för­de­rung. Wie sah denn bei Euch konkret die Erfahrung mit diversen Förde­rungs­an­stalten aus?

Rainer Knep­perges & Chrstian Mrasek: Eine Kurz­film­för­de­rung, die es so inzwi­schen nicht mehr gibt, und dazu noch ein kultu­relles Gremium, in dem zwei Frauen einen Mann über­stimmt haben, – es fällt der Film­för­de­rung halt mal ein Groschen auf den Bürger­steig. Weil eben seit vierzig Jahren mit vollen Händen Kleingeld verteilt wird, damit das stete Klim­per­geräusch ein paar Geschäfts­leuten Planungs­si­cher­heit sugge­riert. Aber so ehrlich wie Lemke kann man das Ganze nur dann atta­ckieren, wenn man nicht am Rande dieses – Gott sei Dank – unplan­baren Geschäfts auf eine feste Stelle hofft.

artechock: Als wich­tigste Einflüsse für den Film hat Rainer mal Max Zihlmann, Howard Hawks und Wald­frei­bäder genannt. Könntet Ihr das noch etwas elabo­rieren?

Rainer Knep­perges & Chrstian Mrasek: Viel­leicht weiß nicht jeder, dass Zihlmann Dreh­buch­autor der ersten Filme von Thome und Lemke war. Howard Hawks und Wald­frei­bäder sollte eigent­lich jeder kennen.

artechock: Ein im Film nicht zu über­se­hendes Vorbild ist Klaus Lemke. Wie kam der in Euren Film, wie war die Arbeit mit ihm, was bedeutet Euch seine Mitarbeit?

Rainer Knep­perges & Chrstian Mrasek: Lemke hat 1999 einen Film gedreht, der nie ins Kino kam: Running out of Cool. In dem klauen ein paar Leute bei Arri in Schwabing eine Kamera, um ihren ersten Film zu drehen. Martin Müller, Lemkes Regie­as­sis­tent bei Rocker und bei Amore, gab uns ein VHS-Band von der 35mm-Arbeits­kopie von Running out of Cool. Wenn wir diese VHS nicht bekommen hätten und wenn wir Lemke nicht angerufen und in München besucht hätten, dann wären uns viel­leicht noch ewig Ausreden einge­fallen, und wir hätten unseren ersten Film nie gemacht.

artechock: Ich habe mich in gewisser Weise auch an die hier­zu­lande weit­ge­hend als Nonsense-Komödien unter­schätzten Filme von Helge Schneider erinnert gefühlt, speziell an den ziemlich arthousigen, melan­cho­li­schen, geerdeten Jazzclub. Seht Ihr da eine Geis­tes­ver­wand­schaft?

Rainer Knep­perges & Chrstian Mrasek: Gibt es Geis­tes­ver­wand­schaft zwischen Gott und Mess­die­nern? Mag sein, ja.

artechock: »Harald Winter« scheint ja mehr noch als von allem anderen insbe­son­dere von der Unpro­fes­sio­na­lität des ganzen Entfüh­rungs­un­ter­neh­mens genervt zu sein. Als wäre das die entschei­dende persön­liche Belei­di­gung ihm gegenüber. Den Film selbst aber sehe ich geradezu als ein großes Lob der Unpro­fes­sio­na­lität. Würdet Ihr da zustimmen?

Rainer Knep­perges & Chrstian Mrasek: Na ja, lieber: eine Attacke auf die Pose der Profes­sio­na­lität. Denn diese Unter­schei­dung zwischen Profi und Amateur betreibt ja nur derjenige Profi mit solcher Inbrunst, der sich aus Angst vor dem Amateur in die Hosen macht.

artechock:Wie bei Lemke hat man auch bei Euch das Gefühl, dass das Filme­ma­chen unter anderem auch ein Weg ist, mit Frauen zusam­men­ar­beiten zu können, auf die man irgendwie steht. Ist da was dran? Und, wo wir grade beim Thema sind: Wie kam überhaupt Nina Proll zu dem Film?

Rainer Knep­perges & Chrstian Mrasek: Wir hatten Nina Proll in Nordrand bewundert. Und ein Zufall wollte es, dass ihr Agent unseren Kurzfilm Tour Eifel kannte und sehr mochte, deshalb gab er ihr wohl das Drehbuch, das wir ihm schickten, und ihr gefiel’s und sie sagte tatsäch­lich zu. Welch ein Segen! Was soll man sagen.

artechock: An entschei­dender Stelle im Film ist die Rede davon, dass das (poli­ti­sche) Ziel Beson­nen­heit sei, und nicht simple Nostalgie. Sagt doch mal ein bisschen mehr zum Unter­schied zwischen beidem...

Rainer Knep­perges & Chrstian Mrasek: Nostalgie kann ganz schön lang­weilig sein.

artechock: Eine gewisse Sehnsucht nach den ‘70ern, und damit nach der Zeit Eurer, unserer Kindheit lässt sich aber nicht leugnen, oder?

Rainer Knep­perges & Chrstian Mrasek: Wir würden wohl keinen Lügen­de­tek­tor­test über­stehen, wenn wir sagen würden: Techno mögen wir auch ganz gern.

artechock: Seht Ihr Eure Vision von »Beson­nen­heit«, die urugu­ay­ische Utopie, als eine reale Poli­ti­k­al­ter­na­tive, oder nur als schönen Traum?

Rainer Knep­perges & Chrstian Mrasek: Dass die Leute in Uruguay den ganzen Tag im Cafe sitzen, und alle Arbeit haben, das ist tatsäch­lich unwahr­schein­lich. Unwahr­schein­lich schön.

artechock: Eine Eurer unge­wöhn­lichsten Alter­na­tiven zum heute üblichen (deutschen) Film­busi­ness ist unbe­zahltes (ich hoffe, das war wirklich unbezahlt...) »Product Placement« aus Über­zeu­gung. Wie kam es dazu?

Rainer Knep­perges & Chrstian Mrasek: Mario Mentrup erzählte mir, dass Claudia Basrawi diesen Werbe­mo­nolog mal eines morgens gehalten hatte, also nahm ich einen Kasset­ten­re­korder und bat sie, das zu wieder­holen. Auch all das über Uruguay und manches andere kam so erst ins Drehbuch rein. Ihr Humor und ihre Art zu Sprechen hat unserem Film sicher die Tonlage vorge­geben.

artechock: Die Quer­ein­stei­ge­rinnen redet ja nicht nur von dieser »Beson­nen­heit«, vom Fest­halten am Bewährten, er prak­ti­ziert das auch. Glaubt Ihr, dass es schwer sein könnte, den Leuten klar zu machen, dass ein Film nicht aus Unver­mögen sondern mit voller Absicht unmodisch ist, nicht am vermeint­lich tech­ni­schen und ästhe­ti­schen »Fort­schritt« teilhat?

Rainer Knep­perges & Chrstian Mrasek: Das könnte schwer sein, oder auch aussichtslos. Aber zum Glück gibt es ja neben »den Leuten« noch dieses seltsame Phänomen, das abends in dunklen Sälen auftritt: das befreite Lachen des Publikums.
Und dann gibt es auf Festivals immer wieder welche, die jünger als wir, gerade irgendwo Film studieren, und uns mit strah­lenden Augen danken, als ob wir mit unserem Film von einem anderen Stern kämen. Das ist ein schönes Gefühl.