13.11.2014

»Ich will das jetzt nicht als Purismus verstanden wissen«

»Enthält gewissermaßen das ganze Kino in sich«: John Ford in Peter Bogdanovichs Directed By John Ford (1971)

Alexander Horwath, Leiter des Öster­rei­chi­schen Film­mu­seums, über die Viennale-Retro­spek­tive, die »Mission« seines Hauses und das zwie­späl­tige Gefühl – Ein Interview in vier Kapiteln

Ein früh­lings­hafter Tag, an dem man auf dem Platz vor der Albertina sitzen kann, wo das Öster­rei­chi­sche Film­mu­seum behei­matet ist. Es ist der vorletzte Tag der Viennale, der November hat gerade begonnen. Alexander Horwath nimmt sich an diesem Mittwoch Nach­mittag Zeit für ein Gespräch. 2002 trat er die Nachfolge der in Pension gehenden Direk­toren und Gründer des Öster­rei­chi­schen Film­mu­seums, Peter Konlechner und Peter Kubelka, an und ist seitdem dessen allei­niger Direktor. Von 1992-1997 war Horwath außerdem – in den ersten drei Jahren zusammen mit dem soeben verstor­benen Wolfgang Ainberger – Leiter der Viennale und wurde dann von Hans Hurch abgelöst, der sie zumindest bis 2016, so lange geht sein derz­ei­tiger Vertrag, leiten wird. Das Gespräch wird eine Unter­hal­tung über Grund­sät­z­li­ches. Das Öster­rei­chi­sche Film­mu­seum feiert dieses Jahr sein 50jähriges Bestehen, und Horwath hält viele Anekdoten parat. Im Hinter­grund bleiben die Pres­se­auf­reger der letzten Tage anläss­lich der Neueröff­nung der Spiel­s­tätte des Film­ar­chivs Austria im neu umge­bauten Metro-Kino. Horwath nimmt es gelassen.

Am Ende unseres fast dreis­tün­digen Treffens geht Peter Konlechner über den Platz. Schloh­weißes Haar, würde­voller Gang, heller Trench­coat: einer, der die Wiener Kultur maßgeb­lich mitge­prägt hat. Konlechner, den man nur selten sieht. Der Geist des Filmm­seums. Ich blicke ihm nach und staune ein wenig.

Das Gespräch führte Dunja Bialas.

1. »Offene Motiv­lagen« – Die Tradition der Viennale-Retro­spek­tive

artechock: Das Öster­rei­chi­sche Film­mu­seum ist seit 1966, zwei Jahre nach seiner Gründung und sechs Jahre nach Gründung des Wiener Film­fes­ti­vals, mit einer eigenen Retro­spek­tive fester Bestand­teil des Viennale-Programms. Wie kam es zu der Einbin­dung des Film­mu­seums in das Festival?

Alexander Horwath: Die erste Retro­spek­tive, die das noch junge Film­mu­seum für die Viennale ausge­richtet hat, waren die Marx Brothers. Ein perfekter Auftakt, da Groucho Marx selbst nach Wien kam. Es war ein unfass­ba­rerer Publikums- und Medien­er­folg, selbst die ganz seriösen Medien wie »Die Presse« oder die »NZZ« schrieben begeis­tert, dass ganz Wien von den Marx Brothers infiziert sei. Das hat sich im Grunde bis heute gehalten, denn das Film­mu­seum begann wenig später mit der Tradition, zwischen Weih­nachten und Neujahr Filme der Marx Brothers zu zeigen.

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Marx Brothers forever: Die erste Viennale-Film­mu­seum-Retro

Die erste Schau zur Viennale war einer der defi­nie­renden Erfolge des Film­mu­seums in seinen Anfangs­jahren. Das Festival selbst war damals in der Größen­ord­nung noch relativ über­schaubar, und die Retro­spek­tive trug wesent­lich dazu bei, dass es inter­na­tional wahr­ge­nommen wurde. Ein Welt­pre­mie­ren­fes­tival zu sein, das war für die Viennale keine sinnvolle Perspek­tive, und dies ist auch heute noch so. Insofern war die Retro schon von früher Zeit an ein Haupt­at­traktor des Festivals. Viele inter­na­tio­nale Jour­na­listen kamen, die das Festival auch wegen seiner Retro­spek­tive wahr­nehmen wollten. Die »Film­kritik« hat ganze Abord­nungen geschickt. Einmal waren sie zu acht da, um die Howard-Hawks-Retro zu sehen, das war 1970. Daraus ist ein ganzes Heft der »Film­kritik« entstanden. Für das Film­mu­seum brachte das den Vorteil, dass die eigene Arbeit rasch eine inter­na­tio­nale Öffent­lich­keit erhielt. Das wuchs sehr schnell über die nationale und teilweise auch klein­li­chen Öffent­lich­keit hinaus. Hier in Öster­reich war ein Teil der Diskus­sion von der Frage geprägt, ob das Land überhaupt ein zweites Archiv bräuchte. Womit das Film­mu­seum gemeint war.

Was wurde denn damals konkret in Frage gestellt?

Die Vorstel­lung vieler Hofräte und anderer kultur­po­li­ti­scher Akteure war, dass es in Wien keine Cine­philie gäbe und deshalb auch kein Bedarf an einem Film­mu­seum bestünde. Wer solle denn da kommen, hieß es, wir brauchen das nicht, »wir haben eh ein Archiv!« Das Öster­rei­chi­sche Film­ar­chiv, das damit gemeint war – heute das Film­ar­chiv Austria – wurde 1955 gegründet, das Film­mu­seum neun Jahre später. Die Frage, ob dessen Gründung notwendig war, erübrigte sich aber recht schnell, da der Ansturm vom ersten Tag an gewaltig war, ganz egal ob Filme der Avant­garde oder von Kurosawa, in japa­ni­scher Origi­nal­fas­sung und ohne Unter­titel, gezeigt wurden. Heute kann man sich das überhaupt nicht mehr vorstellen. Das war natürlich in einer Zeit vor der Einfüh­rung der VHS, vor der Criterion-Collec­tion und der Online-Welt, sprich, vor der gegen­wär­tigen Situation, dass Menschen ihre film­ge­schicht­liche Bildung aus den verschie­densten Sektoren, Segmenten und Anschau­ungs­weisen von Filmen zusam­men­setzen können.

Wie kam es dann dazu, dass Sie als Viennale-Leiter eine Retro­spek­tive ausrichten konnten, das Film­mu­seum dies sozusagen an eine andere Insti­tu­tion abgab?

Die Entschei­dung über die Themen der Viennale-Film­mu­seum-Retro wurde immer gemeinsam getroffen, soweit ich weiß, aber vermut­lich legte das Film­mu­seum lange Zeit die Themen autonom fest und das Festival nickte sie ab. Für mich selbst war die Retro immer ein faszi­nie­rendes Element des Festivals, und ich war auch abseits der Viennale ein Dauer­be­su­cher des Film­mu­seums. Als ich 1992 zusammen mit Wolfgang Ainberger das Festival über­nommen habe, trafen wir uns mit Peter Konlechner, um über die Retro­spek­tive zu sprechen, und dabei haben wir auch Themen vorge­schlagen. Als Viennale-Direktor sind mir dann auch die ökono­mi­schen Sorgen des Film­mu­seums bewusster geworden, Konlechner hat uns rasch die prekäre Budget­lage seines Hauses vermit­telt. Insofern haben wir es auch als Aufgabe angesehen, von der Stadt Wien höhere Sonder­mittel für die Viennale-Retros zu kriegen, mit denen das Film­mu­seum dann arbeiten konnte.

Die erste Retro­spek­tive zu meiner Zeit als Co-Direktor der Viennale handelte vom Subgenre des»Boxkampf­kinos«, ein Projekt der beiden Film­his­to­riker Christian Dewald und Elisabeth Büttner, das wir Peter Konlechner vorlegten. Im nächsten Jahr, 1993, gab es die große Schau „Aufbruch ins Ungewisse“ über die öster­rei­chi­sche Film­e­mi­gra­tion, wiederum ein Vorschlag von außen, von Michael Omasta und Christian Cargnelli, die sich schon länger mit dem Thema befassten, zum Teil im Rahmen der Gesell­schaft für Film­theorie (heute: Synema). Wir haben die Retro­spek­tive sehr groß werden lassen, und sie wurde zu einer zwei­mo­na­tigen Schau.

Wir haben diese Retro­spek­tive sehr groß werden lassen, sie lief über zwei Monate. Und mit Recht hat das Film­mu­seum damals höhere Mittel für die Durch­füh­rung der Schau erhalten. Hinzu kam eine zwei­bän­dige Publi­ka­tion, ein erstes Stan­dard­werk, bei dem die ganze Thematik »Filmexil und -emigra­tion« für Öster­reich zum ersten Mal überhaupt syste­ma­tisch erar­beitet wurde. Das war zur Zeit der Nachwehen der Waldheim-Ära, der ganzen Debatte darüber, wie sich Öster­reich gegenüber seiner Zeit­ge­schichte verhält. Sehr verspätet, in den späten 80er, frühen 90er Jahren hat Öster­reich eine neue – und ehrli­chere, wie ich finde – Ausein­an­der­set­zung mit der NS-Ära etabliert, und das inklu­diert den Umgang mit dem Exil und der Emigra­tion. Das »Einheimsen« derer, die man zunächst vertrieben hatte, als die »großen Öster­rei­cher in Hollywood«, Fritz Lang, Billy Wilder, Fred Zinnemann usw., das war ja gang und gäbe. Aber eher verschwiegen wurden die Umstände, warum sie überhaupt emigriert waren! Es genügte der Hinweis darauf, dass sie aus Wien sind. Unser ganzer Stolz. Und natürlich war das auf die promi­nenten Emigranten fokus­siert, nicht auf die Hundert­schaften weniger bekannter Filmleute, die es im Exil viel schwerer hatten.

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Retro '93 »Aufbruch ins Ungewisse«: G.W. Pabsts Die Büchse der Pandora mit Francis Lederer und Louise Brooks

Die poli­ti­sche Dimension, wie sie Günter Peter Straschek oder andere in Deutsch­land schon früher thema­ti­siert haben, gab es hier nicht. Was das Exil für die öster­rei­chi­sche Film- bzw. Kultur­ge­schichte bedeutet, und welch ein gebro­chenes Gelände sie ist, kam dann bei der Retro­spek­tive stark zum Ausdruck. Es waren rund fünfzehn Persön­lich­keiten da, darunter Francis Lederer, Amos Vogel, Vanessa Brown. Es war uns wichtig, Personen aus den nicht-regie­füh­renden Bereichen einzu­laden, einen Kame­ra­mann wie John Alton, Autoren, Schau­spieler, Leute, die im Anima­ti­ons­film gear­beitet haben oder, wie Amos Vogel, in der Film­kultur. Auch der Produzent und heutige Viennale-Präsident Eric Pleskow war damals unser Gast. Als Die Büchse der Pandora in der Retro­spek­tive lief, trat der 93-jährige Francis Lederer vor den vollen Saal und sprach in altem »Prager Deutsch« einfüh­rende Worte über sein jetziges Leben in Kali­for­nien und sein damaliges Selbst, vor 65 Jahren. Dann springt das Bild um, und der Film zeigt tatsäch­lich den 27-jährigen Franz Lederer in der Rolle des Alwa Schön, ein unglaub­lich fescher Jüngling, der Louise Brooks begehrt. Das war gespens­tisch schön! Es war auch sehr inter­es­sant zu sehen, dass manche wieder ganz in ihrer alten Liebe zu Wien aufgingen, trotz allem, was ihnen geschehen war. Andere, z.B. Theodore Bikel, wollten die geschicht­li­chen Prozesse nicht verdrängen. Das war ja auch die Zeit, in der Jörg Haider immer stärker wurde – für Fred Zinnemann war das der Grund, nicht nach Wien zu kommen. Insofern wurde es doch recht politisch. Einige haben sehr freund­lich, aber bestimmt gesagt, es sei schön, wie sie hier von vielen jungen und inter­es­sierten Menschen begrüßt würden, dennoch fiele es schwer, über den Ring zu gehen und die FPÖ-Plakate zu sehen. Das war noch nicht »gesunkene Geschichte«, es war alles in einem Span­nungs­ver­hältnis mit der Gegenwart.

Hat sich das Film­ar­chiv damals zu dieser Retro­spek­tive posi­tio­niert oder in irgend­einer Form mitge­macht?

Ich kann mich an keine Posi­tio­nie­rung seitens des Film­ar­chivs zur Emigra­ti­ons­frage im Rahmen der Retro­spek­tive erinnern. Walter Fritz, der bis 1996 Direktor des Öster­rei­chi­schen Film­ar­chivs war, hatte als Film­his­to­riker auch Bände zur öster­rei­chi­schen Film­ge­schichte veröf­fent­licht. Da kam die Emigra­tion durchaus vor, aber mehr am Rande. Das Vers­tändnis der natio­nalen Film­ge­schichte bezog sich vorwie­gend auf öster­rei­chi­schen Grund und Boden, auf öster­rei­chi­sche Produk­tionen oder Co-Produk­tionen, als National Cine­ma­to­graphy des Landes. Da kann man nicht ohne weiteres Double Indemnity oder Der Verlorene rein­nehmen. Das Film­schaffen der Emigranten kam im Öster­rei­chi­schen Film­ar­chiv immer wieder vor, aber es gab dies­be­züg­lich keinen Forschungs- oder Samm­lungs­schwer­punkt.

Wie stellte sich denn damals das Verhältnis des Film­ar­chivs zur Viennale dar? Gab es da auch schon gemein­same Programme?

Das Film­ar­chiv war damals nicht sehr stark als zeigende Insti­tu­tion tätig. Bis in die späten 1990er Jahre gab es einen kleinen Vorführ­raum, der ein paar Mal im Monat für Archiv-Vorfüh­rungen genutzt wurde. Zusät­z­lich wurden im niederös­ter­rei­chi­schen Laxenburg, wo die Archiv­ge­bäude stehen, über den Sommer öfters Ausstel­lungen und Film­reihen gezeigt, vor allem in den 70er Jahren. Von 1976 bis 1981 gab es, unab­hängig von der Viennale-Film­mu­seums-Retro, jährlich eine Schau während der Viennale, die der Filmclub »Action« und das Film­ar­chiv gemeinsam veran­stal­teten, in wech­selnden Kinos wie dem Bellaria-Kino – z.B. die erste Werner-Hochbaum-Wieder­ent­de­ckung in Öster­reich, 1976.

Es gab generell, soweit ich das beur­teilen kann, für das Film­ar­chiv keinen Anlass für Pikiert­heiten ange­sichts des Umstands, dass die Viennale seit 1966 jedes Jahr mit dem Film­mu­seum eine große Retro­spek­tive machte. 1991 lief einmal Die Stadt ohne Juden als Film­ar­chiv-Restau­rie­rung im Rahmen der Viennale, aber in den Jahren danach hat sich das Film­ar­chiv nie mit Vorschlägen an das Festival gewendet. Ich kann mich erinnern, dass ich selber 1995 oder 96 als Viennale-Direktor zu Walter Fritz gegangen bin, um anzuf­ragen, ob es da etwas zu zeigen gäbe. Ich habe mich z.B. für Ost und West inter­es­siert – einen jiddi­schen 20er-Jahre-Film. Aber dabei ist nichts heraus­ge­kommen. Diese Haltung des Archivs hat sich dann ab Ende der 90er Jahre sehr schnell verändert.

Aber Sie haben dann doch noch als Viennale-Direktor eigene Themen für die Film­mu­seums-Retro­spek­tive einge­bracht?

Die drei Retro­spek­tiven 1994-96 waren tatsäch­lich Projekte, die ich vorge­schlagen und kura­to­risch betreut habe. Ich wollte z.B. etwas Mehr­tei­liges über das post­klas­si­sche ameri­ka­ni­sche Kino machen. Das habe ich Peter Konlechner vorge­schlagen, weil ich fand, dass die 60er und 70er Jahre Holly­woods unter­be­lichtet waren – was man sich heute kaum noch vorstellen kann. Heute ist New Hollywood unwi­der­spro­chen eine zweite Goldene Ära im ameri­ka­ni­schen Kino! 1994/95 fanden diese beiden Retro­spek­tiven statt, in einer Zeit, als es in Amerika dazu noch keine Retro­spek­tiven gab, auch Peter Biskinds Buch »Easy Riders, Raging Bulls« gab es noch nicht. Es war eine relativ frühe Behaup­tung, dass man diese Ära genauso ernst nehmen sollte wie die soge­nannte klas­si­sche Studio-Ära.

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Samuel Fullers Shock Corridor war in der »Cool«-Retro '94 zu sehen

Und es gab eine erste Retro­spek­tiven-Broschüre…

1994 war ich noch zusammen mit Wolfgang Ainberger Leiter, und konnte mehr Arbeit in Publi­ka­tionen stecken. Die »Cool«-Broschüre zum ersten Teil der Retro­spek­tive war erstmals ausführ­li­cher gestaltet. 1992 hatte es bereits eine intensive Aufbe­rei­tung der Viennale-Retro zum Boxkampf­kino gegeben, aber die war – leider – noch inte­griert in den allge­meinen Viennale-Katalog. 1993 wurden zwei Bände im Wespen­nest-Verlag zur Retro »Aufbruch ins Ungewisse« publi­ziert. Dann kam 1994 die »Cool«-Broschüre, 1995 gab es mit »The Last Great American Picture Show« wieder ein eigenes Buch bei Wespen­nest, und 1996 mit »Before the Code« eine Viennale-Publi­ka­tion zur Retro­spek­tive über die Pre-Code-Ära, also die Jahre vor 1934, vor der Durch­set­zung des Hays Code in Hollywood. Ich hab damals in den USA, vor allem im Film Forum in New York, wie verrückt diese Filme »getankt«, da begann man auch, VHS-Tapes unter dem Label »Forbidden Hollywood« zu veröf­fent­li­chen, mit Filmen, die in Europa kaum jemand kannte.

Als Hans Hurch die Viennale übernahm, wurde diese Art von Katalogen zur Retro­spek­tive fort­ge­setzt. Ab 2006 wurden sie noch »buch­för­miger« und fanden zum heutigen Format. Schon zu meiner Viennale-Zeit hat es sich etabliert, dass die Publi­ka­tionen komplett von der Viennale betreut werden, sie waren eine Zusat­z­leis­tung des Festivals, für die dem Film­mu­seum keine Kosten entstanden sind. Während die Schau selber vom Film­mu­seum orga­ni­siert und finan­ziert wird.

Seit 2002 sind Sie Leiter des Öster­rei­chi­schen Film­mu­seums und können nun gewis­ser­maßen von der anderen Seite her die Viennale-Retro­spek­tive gestalten. Hat sich die Richtung der Diskus­sionen verändert in dem Sinne, dass Sie Hans Hurch, der die Viennale schon fünf Jahre vor ihrem Amts­an­tritt als Film­mu­seums-Direktor über­nommen hat, Vorschläge für die Retro­spek­tive machen?

Seit ich Direktor des Film­mu­seums bin, ist es Routine, dass ich mich mit Hans Hurch zusam­men­setze und wir verschie­dene Optionen wälzen. Wir haben in unserer Themen­fin­dung keine Syste­matik, deshalb ist es etwas schwer, den Prozess genau zu umreißen. Was man viel­leicht sagen kann, ist, dass wir beide nicht darauf aus sind, »aktuelle« Aufreger- oder Polit-Themen allzu buchs­täb­lich in Retro­spek­tiv­en­themen umzu­wan­deln.

Uns beiden ist es wichtig, dass wir nicht in diese Gespräche hinein- oder aus ihnen heraus­gehen mit dem Gefühl, etwas durch­ge­setzt zu haben. Wir wissen beide, dass das Ganze nur Sinn hat, wenn beide Insti­tu­tionen froh darüber sind, Rivette, Akerman, Ford, Lang, Jerry Lewis, den Essay-Film, die »Kinostadt« Los Angeles, Straub/Huillet oder Warhol würdigen zu können. Das ist die Grundlage, die profes­sio­nelle Basis für die Zusam­men­ar­beit. Sie hat eine außer­or­dent­lich lange Tradition und es gibt überhaupt keinen Grund, eine so schöne Tradition weniger schön werden zu lassen.

Die Inter­es­sens­lage eines Film­mu­seums-Direktor an einer Retro­spek­tive könnte dennoch etwas anders aussehen als die eines Festi­val­lei­ters?

Für mich ist es sicher einfacher, denn das Arbeits­spek­trum eines Film­mu­seums umfasst ja die gesamte Film­ge­schichte. Ob wir eine große John-Ford-Retro jetzt mit der Viennale zusammen machen oder im Mai 2016, ist für das Film­mu­seum relativ egal. Konkret spielt sich das so ab: Wir sitzen zusammen im Café Bräu­n­erhof, jeder macht Vorschläge, manche halten sich eine Weile in der Diskus­sion, andere werden daheim abge­klopft, über wieder andere beschließen wir, sie sein zu lassen, weil das Thema doch nicht so stimmig erscheint. Es gibt auch prak­ti­sche Gründe. Wenn zum Beispiel Locarno ein Thema als Retro­spek­tive bringt, über das man selbst nach­ge­dacht hat, wird man es aus nach­voll­zieh­barer Viennale-Sicht nicht mehr machen, für das Film­mu­seum wäre das nicht so entschei­dend. Die Viennale hat andere Vergleichs­größen als das Film­mu­seum. Unser Gegenüber ist öfter die Land­schaft anderer Film­mu­seen, manchmal auch in Form von Part­ner­schaften, um eine bestimmte Schau oder ein Thema in verschie­denen Städten zeigen zu können. Die jeweilige Motivlage für Viennale und Film­mu­seum muss jeden­falls offen benannt werden. Manches hat man jahrelang im Gespräch – Jerry Lewis ist so ein Fall, bis es letztes Jahr dann so weit war, die Retro zu machen. Oder ein Thema taucht wieder auf, das wir schon zur Seite gelegt hatten.

Wäre das 16mm-Programm dieses Jahr auch als Retro­spek­tive des Film­mu­seums denkbar gewesen?

Das war zuletzt immer wieder im Gespräch, als Vorschlag von Hans Hurch. Ich hielt und halte es für eine gute Idee, was das Festival betrifft, aber für eine Film­mu­seums-Retro kam es aus mehreren Gründen für mich nicht in Betracht. Das Film­mu­seum thema­ti­siert seit Dekaden die Frage der Mate­ria­lität des Kinos, den Umstand, dass Formate und Werkzeuge eng mit der Ästhetik und auch mit »sozio­lo­gi­schen« Aspekten des Kinos zusam­men­hängen. Die »kleinen« Formate, die Avant­garde, die ephemeren Film­formen spielen dabei eine wichtige Rolle. Insofern wäre eine spezielle vier- oder sechs­wöchige Thema­ti­sie­rung von 16mm für das Film­mu­seum ein bisschen wie die Verdop­pe­lung dessen, was wir ohnehin laufend tun. Wir fokus­sieren auf die Avant­gar­de­ge­schichte des 16mm-Films und auf das Thema Amateur­film, wir laden zeit­genös­si­sche Künstler/innen wie Tacita Dean oder Luke Fowler ein, die solche Format- und Mate­ri­al­fragen stark betonen, wir behandeln andere Aspekte des nicht-indus­tri­ellen Film­schaf­fens wie Amateur­film, anonyme Dokumente usw. Schon 1984 hat Peter Kubelka den in Wien statt­fin­denden FIAF-Kongress (Kongress der Inter­na­tional Fede­ra­tion of Film Archives) unter dieses Thema gestellt: »Die Bedeutung des nicht-indus­tri­ellen Films für unser kultu­relles Erbe«. Da wurden neben­ein­ander Tage­buch­filme von Jonas Mekas, anonyme Amateur­ar­beiten, Pornos und wissen­schaft­liche Filme gezeigt, fast alles bewusst Artefakte in 16mm. Oder Trai­nings­filme, in denen Sportler zur Verbes­se­rung ihrer Leistung mittels Film­ka­mera »studiert« wurden.

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Legendär ist die 16mm-Urversion von John Cass­a­vetes' Shadows

Insofern wäre es mir etwas komisch vorge­kommen, wenn das Film­mu­seum im Rahmen der Viennale noch einmal »erklären« würde, was es mit dem 16mm-Film auf sich hat. Dazu kommt noch, dass die Formate nicht so rein vonein­ander geschieden werden können. Vieles ist auf 16mm gedreht, aber nur als 35mm-Film öffent­lich geworden. Umgekehrt haben Millionen Menschen vor der Video-Ära die 35mm-Film­ge­schichte in 16mm-Reduk­ti­ons­ko­pien zu Gesicht bekommen – da war 16mm ein flexibles Verbrei­tungs­me­dium für Werke eines anderen Formats. Von John Cass­a­vetes' Shadows, den film­his­to­ri­sche Mythen gern als 16mm-Film beschreiben, gibt es tatsäch­lich eine Urversion auf 16mm, von der Mekas immer sagte, sie sei die inno­va­ti­vere. Aber die kann nicht gezeigt werden. Die bekannt gewordene Version ist auf 35mm aufge­blasen. 16mm ist auch das Format, in das viele 8mm-Filme aufge­blasen und distri­bu­iert wurden. In diesem Sinn muss man sagen: »16mm-Film ist mehr als 16mm-Film«. Es bedürfte einer anderen Art von Kultur­ge­schichte und anderen Formaten als einer Filmretro, um das wirklich zu umkreisen, insofern fand ich das – fürs Film­mu­seum und die Linie der Viennale-Film­mu­seum-Retros gespro­chen – nicht wirklich vermit­telbar. 

Gleichz­eitig finde ich es wichtig und legitim, das Thema in einer über­schau­baren Anzahl von zehn oder zwölf Programmen auf bestimmte Aspekte so herun­ter­zu­bre­chen, dass man eine Vielzahl von Fragen ausklam­mern kann. So wird das Thema als Programm vermit­telbar.

Was ist, wenn auf der anderen Seite die Viennale Themen ablehnt, die Sie stark inter­es­sieren?

Wir haben das Glück, solche Themen auch ein paar Monate später als Schauen im Film­mu­seum darbieten zu können, wir sind da nicht auf die Viennale ange­wiesen. Hans Hurch lehnt öfters Themen­vor­schläge ab, die ihn nicht inter­es­sieren und die wir dann eben in anderem Kontext machen, zuletzt z.B. die Retro­spek­tive zum sowje­ti­schen »Tauwetter«-Kino, die ich sehr spannend fand, oder die Schau »The Real Eighties« zum ameri­ka­ni­schen 80er Jahre-Kino. Das war eine späte und schöne Erwei­te­rung der New Hollywood-Thematik und wurde von einer Berliner Kurator/inn/en-Gruppe, The Canine Condition, erar­beitet. Sie war dann in kleinerer Form auch im Berliner Arsenal und im Züricher Film­po­dium zu sehen.

Natürlich kann man sich bei Figuren wie Fritz Lang und John Ford die Frage stellen: Muss das jetzt gerade die Viennale-Retro sein? Weil sie viel­leicht nicht wie »außer­ge­wöhn­liche« Ideen erscheinen.

Ande­rer­seits ist Zwangs­o­ri­gi­na­lität auch keine Lösung. Ich bin so wie Hans Hurch sehr froh über solche Entschei­dungen, denn das sind Figuren, die gewis­ser­maßen das ganze Kino in sich enthalten – womit sie auf jeden Fall auch für ein Film­fes­tival »gültig« sind.

Wie aber fällt dann konkret die Entschei­dung für beispiels­weise die John-Ford-Retro­spek­tive? Ist die Kopi­en­lage ein Entschei­dungs­kri­te­rien für die Durch­füh­rung einer Retro?

Nein. Wenn wir die Retro entscheiden, wissen wir in sehr vielen Fällen noch gar nicht, wie die Kopi­en­lage sein wird. Deshalb gibt es auch von meiner Seite immer den Wunsch, das möglichst früh entschieden zu haben.

Wann wird die Retro entschieden, und wie sieht es dann mit der Reali­sier­bar­keit aus?

Manchmal beschließen wir das endgültig erst nach Cannes, also Ende Mai, Anfang Juni, manchmal auch schon im April, aber nie früher. Nur 2003 war das anders, als die »Art Theatre Guild«-Retro schon einein­halb Jahre im Voraus feststand, eine Idee des Kurators Roland Domenig, der das Terrain sehr gut kannte und recher­chiert hatte.

Die tatsäch­liche Kopi­en­lage wird also erst deutlich, wenn wir zu arbeiten beginnen. Bei der letzt­jäh­rigen Retro zu Jerry Lewis hatte ich aber schon vorher das Gefühl, dass es schwierig werden würde. Die meisten seiner Filme hat Lewis für Paramount gemacht, wo es keine sehr aktive Restau­rie­rungs- bzw. Archiv­ab­tei­lung gibt – anders als bei Sony oder Fox, die darauf achten, dass ihre Studio Library in ordent­li­cher, restau­rierter Form auch für Kine­ma­theken verfügbar ist. Bei Paramount weiß man nie, was einen erwartet, und so war es dann auch. Sie konnten uns zwar die Auffüh­rungs­rechte geben, aber keine einzige Kopie dieser riesigen Jerry-Lewis-Schau kam von Paramount. Im »besten« Fall, der für uns aber nicht in Frage kommt, bieten sie Blu-rays oder DCPs (Digital Cinema Packages) an.

Michael Pogorz­elski, der Leiter des Academy Film Archive hat mir damals gesagt, dass die Lewis-Retro eine case study werden würde: ob man im Jahr 2013 noch eine Film­re­tro­spek­tive im Origi­nal­format machen kann, oder ob das grandios scheitert. Wir haben es glück­li­cher­weise geschafft und konnten alle ausge­wählten Filme zeigen. Wir mussten auf keinen Film verzichten, weil er nicht im Origi­nal­format ausfindig zu machen war.

2. »Keine Faksi­miles« – Film­mu­se­ums­ar­beit im Zeitalter der Digi­ta­li­sie­rung

Wenn also ein Film nicht im Origi­nal­format vorliegt, wird er nicht gezeigt?

Ja, das ist unsere Politik. Ich weiß, dass das nicht überall so ist, auch an manchen renom­mierten Stätten hat sich diese Haltung in den letzten Jahren verändert. Oft wird argu­men­tiert, dass dies ein Wunsch des Publikums sei, das primär am Filmin­halt und nicht am Format inter­es­siert sei. Und man sehe ja auch auf DVD und online Filme. Alles schön und gut – und jeder wie er meint. Aber ich bin der festen Überz­eu­gung, dass eine solche Praxis für ein Museum nicht in Frage kommt. Wenn man eine andere Art von Haus ist, und sich auch nicht »Museum« nennt, dann führt das viel­leicht zu einer anderen Defi­ni­tion der eigenen Mission. Aber ein Haus, das als Museum und innerhalb eines entspre­chenden öffent­li­chen Auftrags und Bewusst­seins auftritt, sollte trans­pa­rent und ehrlich sein und dem Publikum nicht laufend Faksi­miles präsen­tieren, so als ginge es in der Kultur­ge­schichte nur um irgend­wel­chen »Content«. Was ich also für proble­ma­tisch halte, ist vor allem der nicht­trans­pa­rente Umgang mit der mate­ri­ellen Geschichte einer Ausdrucks­form.

Ich möchte das nicht als Purismus miss­ver­standen wissen. Das wäre auch absurd, ange­sichts der Vielzahl von Möglich­keiten, Filme in allen möglichen Varianten zu sehen. Es wird ja keinem Menschen verboten, Filme so zu sehen, wie er oder sie möchte. Man muss sich eher fragen, wieso die wenigen verblei­benden Häuser, die Bewegt­bilder so präsen­tieren, wie es deren jewei­liger histo­ri­scher Realität zum Zeitpunkt der Veröf­fent­li­chung am ehesten entspricht, als »Puristen« abge­kanzelt werden. Das ist eine sehr seltsame Entwick­lung der Diskurse. Es geht auch nicht im Mindesten darum, die Werke, die in jüngeren Medien oder Formaten geschaffen wurden, irgendwie fern­zu­halten. Natürlich zeigen wir aktuelle Werke, die so produ­ziert und veröf­fent­licht worden sind, als DCP, als File oder als Video. Es geht im Museum einfach nur um ein Trans­pa­renz- und Vertrau­ens­ver­hältnis, sowohl gegenüber den Betrach­tern als auch gegenüber den Werken und ihrer histo­ri­schen Wirk­lich­keit, also der technisch-ästhe­ti­schen Konstel­la­tion, in der sie gemacht und gedacht und veröf­fent­licht worden sind. Ein »Cinéastes de notre temps«-Film, der in den 60er Jahren fürs fran­zö­si­sche Fernsehen gemacht und dort ausge­strahlt wurde, kann durchaus auf Video wieder­ge­geben werden. Korrek­ter­weise müsste man ihn sogar auf einem Monitor zeigen! Da gibt es unendlich viele »unreine« Verhält­nisse. Es geht nicht darum, eine hundert­pro­zen­tige Reinheit zu behaupten. Es geht darum, Leute möglichst trans­pa­rent über die Umstände aufzu­klären, in denen sich Bild­ge­schichte abge­spielt und die Öffent­lich­keit erreicht hat, weil diese mate­ri­ellen, tech­ni­schen Aspekte auch für die Werke selbst, für ihre ästhe­ti­sche Form von beträcht­li­cher Bedeutung waren. Das sollte man als Museum wieder­geben können.

Das Museum also als perma­nenter Ort der Reflexion dessen, was es tut, und warum es dies tut…

Ja, genau. Das prägt auch unsere Vermitt­lungs­ar­beit mit Kindern und Lehrern, in den »Summer­schools«, wo wir Lehrern, die mit Bewegt­bild arbeiten wollen, Module in die Hand geben. Wir achten darauf, das mediale Unter­schei­dungs­ver­mögen zu stärken, weshalb alle Veran­stal­tungen im Kinosaal statt­finden. Die digitale Ära hat eine so starke Tendenz, alles, auch die histo­ri­schen Werke, auf dasselbe Display und denselben »Code« hin zu rendern, als hätten die Bilder keine Geschichte. Als gäbe es keinen Unter­schied zwischen neu entstan­denen Bildern, die im und für das digitale Medium produ­ziert sind, und älteren Bildern, die mit anderen Werk­zeugen und damit auch in einem anderen Denken entstanden sind. Ein Geschichts­be­wusst­sein, in dem Unter­schei­dungs­ver­mögen hoch gehalten wird, erlaubt es, die unter­schied­li­chen Herkünfte, Praktiken und Denk­sys­teme zu verstehen, die sich mit kultu­rellen Arte­fakten verbinden. Diese Fähigkeit, nämlich unter­scheiden zu können, ist meines Erachtens überhaupt eine zentrale Frage für die Demo­kratie. Und das kann man eben auf unserem kleinen Gebiet des Films zu befördern versuchen. In den Vermitt­lungs­ver­an­stal­tungen reden wir nicht einfach »inhal­tis­tisch« über Filme, wie zum Beispiel Brokeback Mountain, damit die Lehrer mit ihren Schülern über Homo­se­xua­lität disku­tieren können. Die Medi­en­päd­agogik im deutsch­spra­chigen Raum ist zu 98 % von solchen Sicht­weisen geprägt. Umso mehr sehen wir unsere Aufgabe darin, das Medium als solches zu thema­ti­sieren und möglichst mit diversen Fragez­ei­chen zu versehen. Was ist der Film, wozu führt dieses technisch-ästhe­ti­sche System namens Kine­ma­to­gra­phie?

Wir machen auch jedes Semester eine Uni-Veran­stal­tung, damit angehende Film­wis­sen­schaftler eine gewisse Idee davon erhalten, was Film Studies jenseits der Beschrän­kung auf die zeit­genös­si­schen medialen Verwand­lungen sein könnten. Eigent­lich müsste ja der proji­zierte Film ein zentrales Thema in dieser Disziplin sein, de facto ist es aber fast ausschließ­lich der »textuell« gemachte, buch­för­mige Film, mit dem das Studium betrieben wird – der Film zum Vor- und Zurück­blät­tern wie in der Germa­nistik: der Film als DVD oder online-File. Ich bin natürlich nicht dagegen, sich eine Ford-Szene shot by shot und immer wieder­an­zu­sehen. Aber die Film Studies wären eine viel inter­es­san­tere Disziplin, wenn sie sich verstärkt dem Umstand stellen würden, dass weite Teile der Film­ge­schichte aus Werken bestehen, die vergingen, während man sie sah.

Histo­risch gesehen ist die Kultur des Films und seine Präge­kraft bis weit in das 20. Jahr­hun­dert hinein markiert durch Gescheh­nisse, die sich verbrau­chen, während sie statt­finden – in der Zeit ihres Erschei­nens, der Projek­tion. Das zu verstehen bzw. mit dieser beson­deren Zeit­lich­keit auch wirklich umzugehen, haben die Film Studies nur rudi­mentär geschafft. Ihre Durch­set­zung als akade­mi­sche Disziplin fand statt, als der Film bereits »buch­förmig« verfügbar wurde.

Lehnen Sie aus dieser kultu­rellen Haltung heraus digitale Forma­tie­rungen histo­ri­scher, auf Film­ma­te­rial entstan­dener Filme ab?

Wenn Sie ins Kunst­his­to­ri­sche Museum gehen, sollten Sie auch in Zukunft erwarten können, dass dort die Brueghels wirklich an der Wand hängen. Das heißt natürlich nicht, dass es keine Kataloge geben soll, in denen die Brueghels repro­du­ziert sind. Deshalb gibt es bei uns DVDs, in der »Edition Film­mu­seum«, das ist für uns das Äqui­va­lent für einen sorg­fältig editierten Katalog zu einer Ausstel­lung in einem Museum der Bildenden Kunst. Auch das ist Unter­schei­dungs­ver­mögen. Natürlich soll man Klas­sen­ver­hält­nisse auch auf DVD sehen können. Aber das soll nicht dazu führen, dass die Leute meinen, das wäre es auch schon komplett gewesen. Wir laden sie dezidiert dazu ein, das Ereignis der Film­pro­jek­tion ebenfalls wahr­zu­nehmen oder nach­zu­holen.

Für diese Art von Bewusst­seins­schär­fung ist ganz entschei­dend, wie trans­pa­rent das Präsen­ta­ti­ons­format gemacht wird. Filme auf Blu-ray kann ich auch daheim ansehen, deshalb muss ich nicht ins Film­mu­seum gehen.

Die Brillanz der gezeigten Kopien bei der dies­jäh­rigen John-Ford-Retro hat mich hingegen schlichtweg umgehauen. Wie schwierig ist es, solche tollen Kopien ausfindig zu machen?

Es wird nicht unbedingt leichter. Die jüngste studio policy geht oft dahin, dass ein DCP angeboten wird, selbst wenn noch wunder­bare Film­ko­pien vorliegen. Es wird also in Zukunft immer mehr zu Engpässen kommen. Es ist eine Frage, wie viel Zeit man der Kopi­en­be­schaf­fung widmet und wo man spart. Wir müssen an allen Ecken und Enden sparen, aber wir sparen nicht dabei, Kopien aus entle­genen Ländern, Archiven und von Sammlern herbei­zu­schaffen. Manchmal auch zwei, um sie zu verglei­chen. In einzelnen Fällen muss man auch einge­stehen, dass sich keine bessere Kopie finden ließ, auch dies sollte trans­pa­rent gehalten werden. Besser, die Leute bekommen eine Kopie zu sehen, die die Spuren ihres Lebens preisgibt, als dass das Format und die Kopi­en­lage nicht thema­ti­siert werden.

Es geht darum, Bezie­hungen zu den Studios zu etablieren, wo gegen­sei­tiges Vertrauen herrscht und unsere Arbeits­weise auch respek­tiert wird. Wir sind mitt­ler­weile einer der wenigen Orte, die noch so arbeiten, das hat sich mitt­ler­weile herum­ge­spro­chen, und wir müssen immer weniger E-Mails dahin­ge­hend beant­worten, dass wir leider keine Blu-ray oder DCP spielen. Natürlich versuchen wir auch auf Festivals wie Bologna und Pordenone und insgesamt in der Fachwelt unsere Haltung zu arti­ku­lieren.

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Rotstich hier in der Fotoshop-Simu­la­tion: John Fords Two Rode Together

Inter­es­sant war es auch, die rotsti­chige Kopie zu sehen von Peter Bogda­no­vichs Directed By John Ford, im Vergleich zu den farben­satten Ford-Filmen der Retro…

Der Kompi­la­ti­ons­film von 1971 enthält die damals verwen­deten Ford-Film­aus­schnitte, die nun mitver­blasst sind, während die Filme von Ford in der Zwischen­zeit meist restau­riert oder neu kopiert worden sind. So lassen sich auch die verschie­denen »Zwischen­s­tände« der Film­ge­schichts­schrei­bung in einem Film­mu­seum darstellen.

Film­mu­seen können die Haltung einnehmen, dass sich die Dinge gewis­ser­maßen von selbst verstehen, ohne dass die eigene Rolle als Vermittler proble­ma­ti­siert und die eigenen Posi­tionen laufend thema­ti­siert werden. Viel­leicht hält man es auch für eine Gefahr, diese Hinter­gründe zu proble­ma­ti­sieren, weil man befürchtet, das könnte die Besucher nicht inter­es­sieren. In unserem Fall ist das schon aufgrund der Insti­tu­ti­ons­ge­schichte etwas anders, denn Peter Kubelkas Verhältnis zum Kino war stark vom unab­hän­gigen, nicht­in­dus­tri­ellen Film geprägt – und nicht vom »illu­sio­nis­ti­schen« Vers­tändnis des Films wie in der Film­in­dus­trie. Der Film ist hier nicht das »problem­lose« Fenster zu irgend­einer Wirk­lich­keit, sondern etwas, das seine Rahmungen mitdenkt. Es stand hier von Anfang an die Konkret­heit des filmi­schen Ereig­nisses im Mittel­punkt, und nicht der Mythos Kino, wie ihn die Film­in­dus­trie bewirbt. Darum sind auch viele soge­nannte marginale Posi­tionen der Film­ge­schichte immer Teil der hiesigen Präsen­ta­tionen und Samm­lungen gewesen.

Ein anderer Aspekt dieser Betonung des Rahmens, der »Maschine Kino« und der Qualitäten der Film­wahr­neh­mung war Peter Konlech­ners inten­siver Versuch, Welt­klas­se­be­din­gungen zu schaffen, was die Vorfüh­rungen betrifft, bei aller Limi­tiert­heit der Mittel. Er kam von der TU, vom Studium der Nach­rich­ten­technik, und hatte große Kennt­nisse über die tech­ni­sche Seite des Mediums, auch was den Filmton betraf. Auch dies der Versuch einer Bewusst­ma­chung: dass es verschie­dene Qualitäten geben kann. Der Akt eines Muse­ums­be­suchs muss ja nicht nur den Genuss der dort ausge­stellten male­ri­schen oder filmi­schen Illusion beinhalten, sondern auch die besondere Freude, dass man des Artefakt-Charak­ters gewahr wird, den jegliche Muse­ums­dar­bie­tung mit sich bringt. Beides kann außer­or­dent­lich plea­surable sein. Man hat mit jedem Muse­ums­be­such, wenn man ihn erst nimmt, eine konkrete und doppelte Erfahrung, wie beim Besuch des »Unsicht­baren Kinos« im Film­mu­seum.

Man kann es auch mit dem Besuch eines Konz­ert­saals verglei­chen, nicht im Sinne eines elitären, hoch­kul­tu­rellen Konzepts, sondern als eine in der Zeit ablau­fenden Erfahrung an einem konkreten Ort, zu einem konkreten Zeitpunkt, die von einem Werk in bestimmter Dauer vorge­geben wird. Diese Dauer an einem fest­ge­legten Ort zu einer bestimmten Tageszeit mit anderen geteilt zu haben, ist eine Erfahrung, die natürlich nicht dieselbe ist, wie einen Schau­spie­l­er­körper auf der Thea­ter­bühne oder einen Musi­ker­körper auf der Konz­ert­bühne erlebt zu haben. Aber es hat doch in vieler Hinsicht etwas von diesen vorbei­ge­henden Ereig­nissen. Und es beinhaltet eben nicht nur die Erfahrung von »Content«, sondern die Erfahrung einer spezi­fi­schen, mate­ri­ellen Wirk­lich­keit, die nicht ablösbar ist vom soge­nannten Inhalt der Kunst, um die es gerade geht. 

Je besser es gelingt, diese Art von Gedanken über das Medium Film mit bewusst zu machen, desto eher glaube ich, dass ein Film­mu­seum seiner Aufgabe nachkommt und dazu beitragen kann, dass der Film in seinen medialen Eigen- und Beson­der­heiten über­lie­fert wird. Anstatt sich damit zu begnügen, das Medium Film ausschließ­lich faksi­mi­liert zu über­lie­fern. Bei anderen Künsten, Ausdrucks­formen und Kultur­tech­niken der Mensch­heits­ge­schichte sind wir selbst­ver­s­tänd­lich davon überzeugt, dass es nicht nur wichtig ist, möglichst viel digitalen access zu bieten, sondern dass es auch eine wesent­liche Aufgabe ist, die histo­ri­schen Werke in ihrem ursprüng­li­chen mate­ri­ellen Charakter zu bewahren und zugäng­lich zu halten. Was den Film betrifft, scheint Letzteres hingegen für viele Menschen müßig zu sein.

Der Film, der 120 Jahre der Mensch­heits­ge­schichte massiv geprägt hat, bis weit in das gesell­schaft­lich-poli­ti­sche Vers­tändnis der Menschen und ihre Wahr­neh­mungs­weisen hinein, könnte die erste Kultur­technik sein, bei der es kultur­po­li­tisch nicht für notwendig gefunden wird, sie auch als solche zu über­lie­fern, und sei es nur an zehn Orten der Welt. Um das 20. Jahr­hun­dert, seine Getaktet­heit und seinen Zeit- und Geschichts­be­griff verstehen zu können, muss man, so behaupte ich, das prägende Medium des Jahr­hun­derts verstehen können. Das ist der Grund für meine Haltung gegenüber dem Film­ma­te­rial. Nicht ein Feti­schismus, nicht die Aura, sondern etwas, das für alle kultur­ge­schicht­li­chen Ausein­an­der­set­zungen gilt: Hat man die Kultur­tech­niken nicht mehr parat, kann man die betref­fende Epoche nicht mehr verstehen.

Ihre Position als Film­mu­se­ums­leiter ist ja mitt­ler­weile eher rar, wenn nicht sogar einzig­artig geworden. Denken Sie, dass Ihre Haltung auch so etwas wie eine Gewähr­leis­tung darstellen kann: Solange es Spiel­s­tätten wie das Öster­rei­chi­sche Film­mu­seum gibt, wird es auch noch Film­ko­pien geben, die für den Einsatz dort verfügbar gehalten werden? Impli­ziert Ihre Haltung auch ein Bewahren vor dem Verschwinden?

Das hofft man natürlich, aber es braucht sicher mehr als nur eine oder wenige Insti­tu­tionen und Initia­tiven dieser Art. Die Savefilm.org-Kampagne, begonnen von Tacita Dean und Guillermo Navarro, ist so ein Beispiel. Da sind mehrere relevante Film­in­sti­tu­tionen wie das George Eastman House aktiv mit dabei, und zum Glück auch viele renom­mierte Kunst­mu­seen. Ich glaube mitt­ler­weile, dass es die Film­mu­seen alleine nicht schaffen. Chris­to­pher Nolan und Quentin Tarantino können die Studios dazu bringen, mit Kodak Verein­ba­rungen zu treffen, damit weiterhin eine gewisse Band­breite von Film­stocks produ­ziert wird – dies ist heuer im Frühjahr gelungen. Die Film­mu­seen sind zu schwach und kommer­ziell zu irre­le­vant, um dies bewirken zu können. Über bildende Künstler, die mit Film arbeiten, ist es auch möglich geworden, dass viele ange­se­hene Kunst­mu­seen bei dieser Kampagne mitmachen, wie das Metro­po­litan Museum in New York, das Musée d'Art Moderne in Paris oder das LACMA in Los Angeles.

Ich hoffte immer, dass der Film überleben kann als eine Kultur­technik, die nicht »hoch­kul­tu­rell« werden muss. Aber genau das passiert jetzt natürlich, so wie es etwa mit der Oper passiert ist, die auch einmal ein »popkul­tu­relles« Medium war. Übrig­ge­blieben ist ein hoch­prei­siges, von bestimmten, beson­deren Häusern der Welt ange­bo­tenes Großer­eignis. Wenn es denn gelingt, den Film zu über­lie­fern, dann wird dies durch die Kunst­mu­seen, durch soge­nannte elitäre, hoch­kul­tu­relle Diskurse geschehen. Was schon ein Erfolg wäre, wenn auch nur ein halber, weil in diesem Prozess sicher auch viel an Kennt­nissen verloren gehen wird, was den nicht-»hoch­kul­tu­rellen« bzw. nicht-kano­ni­schen Film betrifft. Man wird sehen, wie stark die Verarmung des film­ge­schicht­li­chen Bewusst­seins in 50 Jahren sein wird, ob es noch möglich gewesen sein wird, Film­ge­schichte in einer großen Band­breite zu erhalten, so dass man auch weiterhin neben­ein­ander John-Ford-Filme, Avant­garde-, Doku­mentar-, und Werbe­filme, Kunst­filme und Slas­her­filme sehen kann. Und eben nicht nur drei Bergmans, drei Fellinis und drei Fritz Langs. Ich erwarte das durchaus mit gemischten Gefühlen. Ich bin sehr dankbar über die Savefilm-Initia­tive und sehr froh über Leute wie Nolan und Tarantino, die aus ihrer prak­ti­schen und cine­philen Erfahrung zur Erkenntnis über die Über­lie­fe­rungs­pro­ble­matik kommen und die ihre einfluss­reiche Rolle in Hollywood sinnvoll nützen, um Druck auf die Industrie auszuüben, damit weiterhin Rohfilm herge­stellt wird, denn das ist ein entschei­dender Faktor.

Es gibt aber auch noch eine andere Entwick­lung. Die Firma Ferrania hat eine Kick­starter-Kampagne gestartet und es sind in kürzester Zeit mehrere Hundert­tau­send Dollar für die Erneue­rung eines Produk­ti­on­be­triebs für analoges Film- und Foto­ma­te­rial zusam­men­ge­kommen. Entweder man vertraut darauf, dass Hollywood und Eastman/Kodak dafür sorgen, dass es weiterhin Film gibt: das ist der Nolan/Tarantino-Weg. Ob da auch inter­me­diary stocks für die analoge Konser­vie­rung mitab­ge­deckt sein werden oder der Bedarf einer Künst­lerin wie Tacita Dean, das ist die Frage. Der andere Weg ist der vieler kleiner Labo­ra­to­rien, die in den letzten Jahren entstanden sind, wie L'Abominable in Paris. Das sind sozusagen artis­anale Workshops und Verei­ni­gungen für eine »subkul­tu­relle« Über­lie­fe­rung von Film, wo nicht nur Filmkunst entsteht, sondern auch an Emul­sionen und Kopier­tech­niken gear­beitet wird, weil man dort verstanden hat, dass man die Kinem­to­grafie im Ganzen, inklusive der Tech­no­logie über­lie­fern muss. Das inklu­diert die Herstel­lung von Film­stocks in kleinerer Dimension, für eine Klientel, die sich ernsthaft darauf vorbe­reitet, auch in den nächsten Jahrzehnten Film nicht einfach vom Erdboden verschwinden zu lassen.

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Keine Werbung (1): Film- und Foto­ma­te­rial

Bei früheren Kultur­tech­niken ist dies ähnlich gewesen. Die Freske ist auch kein Massen­me­dium mehr. Bestimmte Werkzeuge und Werk­stoffe wurden und werden nur mehr herge­stellt, weil Kunst­re­stau­ra­toren sie brauchen, um die Fresken im Vatikan zu restau­rieren. Aber nicht, weil eine zeit­genös­si­sche »Fres­ken­in­dus­trie« diese Dinge bräuchte... Das ist also ein Pfad, der bestimmt wird durch den Wunsch, cultural heritage zu erhalten – und den braucht es beim Film auch, abseits der Medi­en­in­dus­trie. Das hat natürlich Auswir­kungen auf die Preise. Eine 16mm-Kopie eines Films von Bruce Baillie zu ziehen, wird in zehn Jahren um ein Viel­fa­ches mehr kosten als noch vor zehn Jahren.

Wie schlägt sich das in den Kosten des Archivs und des Film­mu­seum-Programms nieder?

Vor allem die Kosten, die wir für eigene Restau­rie­rungen haben, sind natürlich gestiegen. Es gibt nicht mehr viele Firmen, wo man z.B. hoch­wer­tige Ergeb­nisse auf 16mm bekommen kann. Das wird alles sukzes­sive teurer. Das ist der Prozess der Opern- oder Fres­ken­wer­dung des Films. In den Leih­mieten schlägt sich das nicht nieder, da wir mit Partnern zu tun haben, die in einer ähnlichen Situation sind wie wir. Innerhalb der FIAF wird die gegen­sei­tige Ausleihe fast durchwegs ohne Gebühren durch­ge­führt. Das betrifft noch nicht die Rechte, nur die Kopien. Dennoch zeigen sich auch Schwie­rig­keiten, beispiels­weise eine Ozu-Retro zu machen, da hier die Rechts­ab­gel­tungen immer teurer werden.

3. »Nicht immer nur den Idea­lis­ten­trupp spielen« – Finan­zie­rung und reco­gni­tion in Öster­reich

Wie ist denn das Öster­rei­chi­sche Film­mu­seum finan­ziell aufge­stellt, was ist der Republik das Haus wert?

Hinter dem Film­mu­seum steht ein Träger­verein, übrigens ebenso wie beim Film­ar­chiv Austria.

Beide Insti­tu­tionen kommen aus der Gesell­schaft von Inter­es­sierten, von enga­gierten Enthu­si­asten. Das Film­mu­seum wurde 1964 gegründet, weil die Gründer dachten, es sei Bedarf da und die Tätigkeit des damals schon beste­henden Film­ar­chivs reiche nicht aus, um den Bedarf zu befrie­digen.

Wann immer die öffent­liche Hand überlegte, die beiden Archive zusam­men­zu­legen, zeigte sich, dass das gar nicht so einfach ist, weil es sich eben um autonome Vereine handelt. Die öffent­liche Hand könnte höchstens mit Subven­ti­ons­entzug vorgehen. Statt­dessen wählt sie wohl eher die Perspek­tive: Wunderbar, dass es zwei sind – da fällt es viel­leicht nicht auf, wie wenig Subven­tion wir für diesen Bereich insgesamt geben…

Es ist ein eigen­tüm­li­cher Zustand. Wenn man betrachtet, was man uns als Bundes­bei­trag für die Jahres­tä­tig­keit zuteil­werden lässt – 1,2 Millionen für das Film­ar­chiv und 600.000 Euro für das Film­mu­seum – dann ist die Summe daraus im europäi­schen Vergleich nur ein Drittel bis Fünftel dessen, was vergleich­bare Insti­tu­tionen in vergleich­baren Ländern wie Schweiz, Belgien, Holland, Schweden oder Dänemark vom Staat erhalten. Einer­seits hält sich also in Öster­reich die Anomalie, dass es zwei solcher Häuser gibt, während in allen vergleich­baren Ländern nur eines existiert, ande­rer­seits kommt die Republik seit vielen Jahrzehnten unglaub­lich günstig dazu, eine sehr hohe Repu­ta­tion in diesem Bereich vorweisen zu können. Als Bemes­sungs­grund­lage wären dabei gar nicht primär unsere schönen Besu­cher­zahlen zu nennen, sondern vor allem quali­ta­tive Kriterien.

Was wären denn die Kriterien, an denen sich Insti­tu­tionen wie das Film­mu­seum messen lassen sollten?

Häuser unserer Art sind kultu­relle Infra­struktur und nicht daran zu messen, ob sie eine hohe Quote haben, obwohl das Film­mu­seum auch aus dieser Sicht sehr gut dastünde. Aber darum geht es nicht. Als Kriterien der Bedeut­sam­keit könnten wahr­schein­lich gelten: die Akzeptanz und Betei­li­gung filmin­ter­es­sierter Kreise der lokalen Bevöl­ke­rung und derer, die an dem betref­fenden Ort selber im Film­be­reich tätig sind; weiters die Reflexion dessen, was ein Haus tut, durch die schrei­bende Fachwelt im In- und Ausland; dann auch die Frage, inwieweit so ein Haus das eigene Tun und die eigene Sammlung selber reflek­tiert und damit auch Fach­dis­kurse mitprägen kann; die Frage, welche Band­breite und welche Formen der Beschäf­ti­gung mit den Samm­lungen und mit Film im Allge­meinen angeboten werden; und sicher auch der Grad der inter­na­tio­nalen reco­gni­tion durch die Kolle­gen­schaft im eigenen Metier – das wären für mich gewisse Markie­rungen, an denen ich die Bedeutung solcher Insti­tu­tionen messen würde. Und insofern erlaube ich mir, zu sagen, dass die Republik Öster­reich froh sein muss, dass sie für so wenig Geld das Öster­rei­chi­sche Film­mu­seum bekommt.

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Keine Werbung (2): Jeden Dienstag stellt sich das Film­mu­seum der Frage »Was ist Film«. Hier ein Cover-Ausriss des gleich­na­migen Buchs, das den Film­zy­klus von Peter Kubelka begleitet

Wir arbeiten wirklich nicht unter luxu­riösen Bedin­gungen. Aber ich bin mir bewusst, dass genau diese Situation bei gleichz­ei­tiger Autonomie auch einen Vorteil darstellt, weil sie Beweg­lich­keit fast erzwingt, und weil sie auch zu einer hohen Iden­ti­fi­ka­tion und »Streb­sam­keit« im Team beiträgt. Die Autonomie ist die Voraus­set­zung dafür, dass das Haus bestimmte Posi­tionen und Überz­eu­gungen vertreten konnte und kann, die nicht auf Main­stream­taug­lich­keit abge­klopft sind. Dass man ein bestimmtes Programm und eine bestimmte Sammlungs- und Vermitt­lungs­po­litik vertritt, die nicht vorher durch zig Gremien gehen mussten. Dass man im Zusam­men­spiel mit den inter­es­sierten Commu­nities, die uns umgeben, auch Bestär­kung erfährt und ein gewisses Selbst­be­wusst­sein entwi­ckelt. Dass das alles also nicht nur ein indi­vi­du­elles, subjek­tives Spiel ist, sondern dass sich rund um so ein Haus über Jahrzehnte eine bestimmte Kultur entwi­ckeln kann, die nicht konven­tio­nell und austauschbar ist und trotzdem eine gewisse Verbind­lich­keit ausstrahlt. Das kann so ein Haus jeden­falls besser als unmit­telbar staat­liche oder stärker büro­kra­tisch verfasste Insti­tu­tionen. Viel­leicht ist das der Deal – geringe Mittel, aber Eigen­s­tän­dig­keit. Der kostet halt leider viel Energie und verlangt, dass man sich diesem Tun nahezu mit Haut und Haaren widmet.

Natürlich darf sich daraus keine Selbst­le­gi­ti­ma­tion der Förderer ergeben, nach dem Motto, »das sind eh alles Idea­listen«, weshalb der geringe öffent­liche Beitrag schon in Ordnung sei. Man kann nicht immer nur den Idea­lis­ten­trupp spielen. Es sind, vergli­chen mit den Ausgaben in anderen Kunst­be­rei­chen, wirklich läppische Summen.

Die Förderung des aktuellen Kino­film­schaf­fens wurde in Öster­reich in den letzten Jahren massiv erhöht, mitbe­dingt durch die großen künst­le­ri­schen Erfolge von Michael Haneke und anderen Filme­ma­cher/innen – und diese Entwick­lung finde ich natürlich äußerst positiv. Aber leider galt diese Verdopp­lung der Mittel nur für den Sektor Kinofilm, und nicht im Geringsten für die sonstige Film­kultur, für Insti­tu­tionen wie uns oder Sixpack Film, für Film­for­schung und Film­ver­mitt­lung, für Festivals, oder für das inno­va­tive, avant­gar­dis­ti­sche oder junge Film­schaffen, wo oft in kürzeren Formaten und äußerst viel­fältig gear­beitet wird. Die öffent­li­chen Mittel für diesen anderen Sektor stagnieren seit etwa 15 Jahren, d.h. ange­sichts der Inflation: sie gehen zurück. Haneke und Ulrich Seidl wären die ersten, die zustimmen würden, dass die öster­rei­chi­sche Film­kultur den Humus für die positive Entwick­lung und Wahr­neh­mung des öster­rei­chi­schen Kinofilms mit all seinen Beson­der­heiten bildet. Es braucht ein diskur­sives Klima, die Möglich­keit zur Ausein­an­der­set­zung mit der Film­ge­schichte und der Vielfalt filmi­scher Formen, es braucht die Lehre und die Möglich­keit, zu publi­zieren usw. Diese kultu­relle Infra­struktur ist ein mitent­schei­dender Faktor für das Gedeihen oder Nicht­ge­deihen eines Film­landes oder einer -region, einer Kine­ma­to­gra­phie. Daher ist es fatal – ganz abgesehen von unserem eigenen Budget –, wenn die Förderung so einseitig verteilt ist und die Schere zwischen den beiden Bereichen so extrem aufgeht.

Sie hatten vorhin erwähnt, dass Sie zur Zeit Ihrer Viennale-Leitung zusät­z­liche Mittel bei der Stadt bekommen konnten, die in die Retro­spek­tive des Film­mu­seums flossen. Gibt es immer noch die Möglich­keit, über die Viennale-Retro­spek­tive die Mittel zu erhöhen?

Nein. Das hat sich seitdem geändert. Die Stadt Wien gab dem Film­mu­seum früher nur eine sehr geringe Jahres­för­de­rung und machte dann zusät­z­lich noch Geld für die Viennale-Retro frei. Als ich im Film­mu­seum begann, war das ein äußerst prekärer Zeitpunkt: Die Albertina war eine Baustelle und hatte überdies Begehr­lich­keiten gegenüber dem Film­mu­seum, und die schwarz-blaue Bundes­re­gie­rung hatte kein Interesse am autonomen Fort­be­stand des Film­mu­seums; man hat sogar versucht, die Bestel­lung eines Nach­fol­gers zu verhin­dern. In dieser Situation ist es uns gelungen, die Stadt Wien als zweiten großen Finan­zie­rungs­partner für das Film­mu­seum zu gewinnen. Das war damals die Rettung. Das Film­mu­seum hatte 2001 ein Gesamt­jah­res­budget von circa 750.000 Euro. Jetzt sind es um die 2,1 Millionen. Der Bund und die Stadt sind jetzt auf unge­fährer Augenhöhe die beiden Haupt­för­derer und decken jeweils etwa ein Drittel des Gesamt­jah­res­bud­gets ab. Das dritte Kuchen­s­tück sind die Eigen­ein­nahmen, die Mitglied­schaften, Kino­ein­tritte, die Einnahmen durch Archiv­nut­zung und Publi­ka­tionen, Sponsoren und andere Dritt­mittel bei bestimmten Projekten.

4. »Unter­schiede und Spezifika« – Zwei Archive in Wien

Noch eine abschließende Frage zur aktuellen Aufregung in den öster­rei­chi­schen Medien, die aufgrund der Eröffnung des soge­nannten »Kino­kul­tur­hauses« im Metro-Kino durch das Film­ar­chiv Austria eine neue Konkur­ren­z­si­tua­tion des Hauses mit dem Öster­rei­chi­schen Film­mu­seum sugge­riert. Wie sieht es aus mit den Reibungs­punkten zwischen den beiden Archiven?

Es gab sicher in der Geschichte immer wieder konkur­ren­zhafte Momente, gerade dort, wo es um die öffent­liche Mittel­ver­tei­lung ging. Aber beide Häuser hatten von Beginn an komple­men­täre Schwer­punkte, und vor allem extrem verschie­dene Zugänge zum Film. Sie waren, was die Persön­lich­keiten wie auch die Posi­tionen betrifft, nicht die besten Freunde, das weiß ich sowohl von Konlechner und Kubelka, als auch von Walter Fritz. Die Gründung dieses Hauses wurde seitens des Film­ar­chivs und in manchen Teilen der Kultur­po­litik mit allen Mitteln der Büro­kratie zu verhin­dern versucht. Später gab es aber auch Momente, wo die beiden Häuser rich­tig­ge­hend »zusam­men­ge­halten« haben, wenn es um Einfluss­nahmen von außen ging. Man hat auch, manchmal sehr mühevoll, gemein­same Dinge reali­siert wie den gemein­samen Nitro­film­bunker Anfang der 70er Jahre und dessen zeit­genös­si­sche Variante vor einigen Jahren, oder das Projekt einer digitalen Film­re­stau­rie­rung, das vor etwa zehn Jahren begann.

Wichtiger als die jewei­ligen Selbst­dar­stel­lungen, die nie vor berech­tigtem oder unbe­rech­tigtem Eigenlob gefeit sind, sind wohl die Unter­schiede und Spezifika, die aus Sicht der Kultur­po­litik und der Öffent­lich­keit erkennbar werden – nämlich, was die jeweilige kultu­relle Mission und die Qualität ihrer Erfüllung betrifft. Dort, wo öffent­liche Förderung vergeben wird, sollte klar sein, für welche Dinge eine Insti­tu­tion zuständig ist. Dazu braucht es aber auch Kennt­nisse und Posi­tionen seitens der Kultur­po­litik, was man bei mehreren Ministern in der Vergan­gen­heit eher vermisste.

Das »Kino­kul­tur­haus« des Film­ar­chiv Austria im Metrokino müssen sicher­lich andere beur­teilen als ich. Ich wundere mich nur ein bisschen, dass das als große Neuheit disku­tiert wird. Das Film­ar­chiv hat dieses Kino 2002 über­nommen und seither bespielt. Dann war drei Jahre Pause – Baustelle. Jetzt gibt es einen neuen, zweiten Kinosaal mit 49 Sitz­plätzen und Gale­rieräumen, in denen künftig Ausstel­lungen statt­finden werden. What’s the big deal? Ändert das irgend­etwas an der Art und Weise, wie – einer­seits im Film­ar­chiv, ande­rer­seits im Film­mu­seum – mit dem Medium Film umge­gangen wird?

Ich glaube, dass Insti­tu­tionen, meist über viele Gene­ra­tionen hinweg, einen bestimmten Geist vertreten, ein Grund­ver­s­tändnis bezüglich ihres Gegen­stands. Das wirkt sich auf alle prak­ti­schen Akti­vitäten aus, und es schreibt sich auch fort. In 40 oder 50 Jahren wachsen Struk­turen und festigen sich Iden­ti­täten. Das hat nicht unmit­telbar und schon gar nicht ausschließ­lich etwas mit den handelnden Personen zu tun, aber natürlich »suchen« sich die Struk­turen und Iden­ti­täten die entspre­chenden Personen, die dann unter Umständen die prin­zi­pi­ellen Unter­schiede weiter vers­tärken. Jeden­falls ändert sich an solchen Unter­schieden rein gar nichts, nur weil das eine Haus zusät­z­liche Räume erhält, das zweite Haus neue Samm­lungen erwirbt und das dritte Haus neue Vermitt­lungs­pro­gramme einführt.

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Literatur:

  • Fünfzig Jahre Öster­rei­chi­sches Film­mu­seum, Hg. von Alexander Horwath unter Mitarbeit von Eszter Kondor, Synema – Gesell­schaft für Film und Medien, Wien 2014
  • Was ist Film – Peter Kubelkas Zykli­sches Programm im Öster­rei­chi­schen Film­mu­seum, Hg. von Stefan Gris­se­mann, Alexander Horwath, Regina Schlagnit­weit, Synema – Gesell­schaft für Film und Medien, Wien 2010
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