16.04.2020

Kein Koller auf Korona, Teil 5

Crash Landing on You
»Crash Landing on you« wagt die direkte Konfrontation zwischen Nord- und Südkorea auf sehr überraschende und innovative Weise
(Foto: Netflix)

Zu Besuch in Nordkorea, um die eigene Freiheit wieder schätzen zu lernen und dann auch noch zu erfahren, dass es neben Regisseuren wie Lee Chang-dong (Burning) und Bong Joon-ho (Parasite) mit »Crash Landing on you« auch ein unfassbar aufregendes Serien-Südkorea gibt, das gegenwärtig mehr für die Politik tut als jeder Politiker

Von Axel Timo Purr

Ohne das mit den üblichen »Physical-Distancing«-Auflagen der WHO arran­gierte Treffen mit meiner korea­nisch-austra­li­schen Freundin B. auf der Flaucher-Wiese in München wäre ich wohl gar nicht auf die Idee gekommen. Aber B.s schon immer konse­quente Miss­ach­tung des südko­rea­ni­schen Kinos zeigte sich auch jetzt wieder. Sie erzählte von dem, was auch in Deutsch­land gerade angesagt ist, von der Mini-Doku Tiger King z.B., aber als ich sie fragte, wie es denn mit dieser südko­rea­ni­schen Nordkorea-Serie aussehe, die nicht nur in Südkorea (fast) alle Quoten gesprengt hat, sondern auch in Indo­ne­sien, Malaysia, den Phil­ip­pinen und Thailand zu so abstrusen Hand­lungen wie das von thailän­di­schen Stars führte, die auf Instagram ihr Porträt mit den Helden der Serie »verpho­to­shoppten«, und dass die letzte Folge in China wegen der massiven Zugriffe gar die Streaming-Server zum Absturz gebracht hätte, da schüt­telte B. nur den Kopf. Nein, nichts davon gehört. Aber sie werde mal reinsehen.

Das habe jedoch bislang nur ich gemacht. Nicht nur, weil es mir höchste Zeit schien, nach der großar­tigen Slapstick-Komö­di­en­aus­wer­tung des Themas »Nordkorea« durch Seth Rogens und Evan Goldbergs anar­chis­tisch-grotesken The Interview oder der eindring­lich-sensiblen Doku­men­ta­tion der Deutsch-Südko­rea­nerin Sung-Hyung Cho in Meine Brüder und Schwes­tern im Norden das Thema auch im Serien-Format mit drama­ti­schen Ansätzen umgesetzt zu sehen, sondern weil es ja gerade in unserem Corona-bedingten Lockdown inter­es­sant sein könnte, einen Spiegel von einer Gesell­schaft vorge­setzt zu bekommen, die sich im Grund seit Jahr­zehnten im »Lockdown-Modus« befindet.

Die von Park Ji-eun, einer der großen Dreh­buch­au­torinnen Südkoreas, geschrie­bene (und in Deutsch­land auf Netflix abrufbare) Serie greift auf ein reales Ereignis zurück. Durch dichten Nebel verirrte sich die südko­rea­ni­sche Schau­spie­lerin Jung Yang mit drei Freunden 2008 in ihrem Boot in nord­ko­rea­ni­schen Gewässern und musste mit großem Aufwand gerettet werden. In Ji-euns »Crash Landing on You« ist es keine Schau­spie­lerin, sondern die Erbin eines großen Firmen­im­pe­riums, die mit ihrem Para­glider durch einen Sturm nach Nordkorea abge­trieben wird und dort auf einen nord­ko­rea­ni­schen Offizier trifft, der ihr in ihrer miss­li­chen Lage nicht nur versucht zu helfen, sondern sich auch noch in sie verliebt. Und sie natürlich in ihn. Und das trotz politisch kaum zu über­brü­ckender Diffe­renzen und gesell­schaft­li­cher Sozia­li­sie­rungen und Rollen­mo­delle, die unter­schied­li­cher nicht sein könnten.

Schon dieser kurze Abriss einer sich über 16 Folgen mit immer wieder unkon­ven­tio­neller Überlänge und einer sich immer komplexer windenden Handlung zeigt, dass Park Ji-eun sich nicht nur das Drama und die »roman­ti­schen Komödie« bedient, sondern auch Themen verhan­delt, die wir aus den letzten Filmen von Lee Chang-dong und Bong Joon-ho kennen­ge­lernt haben. Gesell­schaft­liche (und persön­liche) Entfrem­dung, der Graben zwischen reich und arm und natürlich die fast schon verdrängte Politik eines Landes, das immer am Rande einer mili­tä­ri­schen Konfron­ta­tion steht. Verdrängen Lee Chang-dongs Prot­ago­nisten in Burning diese Realität durch einen Joint nur unweit der Grenze zu Nordkorea, wagt Park Ji-euns »Crash Landing on You« aller­dings die direkte Konfron­ta­tion. Durch die Zusam­men­ar­beit mit nord­ko­rea­ni­schen Über­läu­fern wie dem Autor (und in Nordkorea am Film­in­stitut ausge­bil­deten Regisseur) Kwak Moon-wan und etlichen anderen auch im Sicher­heits­dienst der Armee tätigen Nord­ko­rea­nern gelingt es der Serie, ein unge­wöhn­lich realis­ti­sches Bild nord­ko­rea­ni­schen Alltags zu zeigen. Und zwar nicht nur das des Militärs und einer privi­le­gierten Ober­schicht – die als ein fast schon gespens­ti­scher Spiegel der südko­rea­ni­schen Ober­schicht gezeichnet wird – sondern auch der länd­li­chen, völlig vernach­läs­sigten, aber politisch umso stärker indok­tri­nierten Bevöl­ke­rung.

Diese akkurate Darstel­lung wird für westliche Betrachter aller­dings nicht immer ganz einfach zu rezi­pieren sein, da »Crash Landing on You« durch Anspie­lungen auf andere südko­rea­ni­sche Serien und die gezielte Einbe­zie­hung von klas­si­schen Soap-Opera-Elementen natürlich ein ganz anderes »Kino« als das von Lee Chang-dong, Park Chan-wook, Kim Jee-woon oder Oscar-Preis­träger Bong Joon-ho ist, mit denen wir ja gewis­ser­maßen »korea­nisch sozia­li­siert« worden sind. Das »komö­di­an­ti­sche« Over­ac­ting, das auch in einer ähnlich unge­wöhn­li­chen, inno­va­tiven japa­ni­schen Serie wie The Naked Director gerade im Kontrast zu den behan­delten Themen einer gewissen Adap­ti­ons­phase bedarf, aber dann ganz hervor­ra­gend funk­tio­niert, ist nur ein Punkt; auch die poli­ti­schen Kompro­misse sind nicht sofort erkennbar, so wie etwa die Ausklam­me­rung des Begriffs »Honorific Chairman« für nord­ko­rea­ni­sche Führungs­per­sön­lich­keiten oder die (viel­leicht dem einen oder anderen noch aus DDR-Zeiten bekannten) poli­ti­schen Ansteck­na­deln, die hier um ein Drittel verklei­nert worden sind.

Diese »rück­sichts­volle«, klas­si­schen Stereo­typen wider­spre­chende Sicht­weise und der im ethno­lo­gi­schen Kern korrekte Umgang mit dem »anderen« Korea hat nicht nur nord­ko­rea­ni­sche Über­läufer »Crash Landing on You« loben, sondern auch die akade­mi­sche Welt aufhor­chen lassen. Ähnlich wie in der (süd-) afri­ka­ni­schen Netflix-Serie Queen Sono könnte auch hier durch ein »Re-Framing« der Stereo­typen tatsäch­lich poli­ti­sche Realität verändert werden, glaubt etwa Sarah A. Son, Dozentin für Korea-Studien an der Univer­sity of Sheffield.
Dieser Re-Framing-Effekt dürfte aber nicht nur für inner-korea­ni­sche Verhält­nisse funk­tio­nieren, sondern auch für die restliche Welt, mehr noch in unserer gerade so stark durch Corona regle­men­tierten Alltags­welt. Denn so wie wir uns ja weiterhin »ganz normal mensch­lich« funk­tio­nieren sehen, so zeichnet auch »Crash Landing on You« das Bild eines mensch­lich, herrlich allzu­mensch­li­chen Nordkorea, endlich einmal jenseits der »Achse-des-Bösen-Realität« und dummer, nuklearer Mach­t­re­prä­sen­ta­tionen.