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12.05.2004
 
 
       

Auf der Suche nach der Realität
Impressionen vom Dokfest München 2005

 
 
Ein Cocktail
   
 
 
 
 

Ein plötzlicher Ruck, Scharniere rasten ein: Eine resolute Dame mit Dutt stellt weiße Klappstühle auf. Im Hintergrund ahnt man ein Gewässer - wie weit, wie tief, bleibt ungewiss. "Bitte Platzzunehmen für einen Ausflug in eine andere Welt!", scheint der Trailer des diesjährigen Münchner Dokfests zu sagen.

Und tatsächlich passiert wieder einmal genau dass: Wir tauchen ein in andere Realitäten, begegnen Menschen, Orten, Zeiten, die wir sonst nie gesehen hätten. Das Faszinierende am Dokumentarischen ist die Illusion von unmittelbar erfahrbarer Realität, die sie vermitteln.

Doch die Kamera dokumentiert die Wirklichkeit nicht nur, sie inszeniert sie auch und verändert die Welt, die sie beobachtet - eine ungeheure Verantwortung, die jeder Dokumentarfilmer schultern muss.

In Thorsten Trimpops Film DER IRRATIONALE REST wird der Eingriff in die Wirklichkeit zum Motor der Geschichte und zum entscheidenden Stilmittel. 1987 versuchen Susanne und Matthias, zwei junge DDR-Bürger, in den Westen zu fliehen - und werden geschnappt. Ihre Freundin Suse bleibt zurück und gerät dennoch in die Mühlen der Stasi. 16 Jahre herrscht Funkstelle zwischen den Beteiligten. Trimpop bewegt drei ehemalige Freunde zu einem Wiedersehen - miteinander und den Orten des Geschehens - ein riskantes Experiment.

Auch die Wiener Medienkünstlerinnen Simone Bader und Jo Schmeiser greifen auf ihre Weise in das Leben ihrer Protagonistinnen ein - doch geschieht das hier mit ganz anderer Zielsetzung und folglich mittels einer völlig anderen Methode. Unter dem Eindruck des Rechtsrucks in Österreich reisten sie nach London, um zwölf jüdische Frauen zu befragen: Holocaustflüchtlinge und ihre Töchter. In THINGS. PLACES. YEARS geht es nicht darum zu Konfrontieren, Emotionen und Betroffenheit herauszukitzeln: Die Interviewfragen, die um jüdische und weibliche Identitäten und den schwierigen Umgang mit dem Erbe des Holocaust kreisen, erhalten die Frauen darum lange vorab. "Wir wollten den Frauen die Möglichkeit geben, das zu erzählen, was Ihnen wichtig ist", sagt Bader.

Auch in dem Film A DECENT FACTORY stehen Frauen im Mittelpunkt. Im Auftrag des Handygiganten Nokia nehmen zwei Ethik-Inspektorinnen die Arbeitsbedingungen eines Zulieferers in China unter die Lupe. Denn dass die Produktion nicht nur möglichst hohe Profite abwirft, sondern auch moralisch sauber bleibt, wird immer mehr Investoren wichtig. Das Haken ist nur: mit der Moral hapert es - weltweit. Die Kamera enthüllt allerlei Verlogenheit: "Schafft die Dinger umgehend in die Küche", ordnet ein Aufseher an, als das toughe Damenduo aus Europe moniert, dass Kanister mit Chemikalien in der Teeküche stehen. Vor laufender Kamera wird das Unbehagen von gehobenem (feisten Europäern) und mittlerem Management (feisten Chinesen) immer greifbarer. Bis den Herren schließlich aufgeht, dass das Material nicht nur für interne Gebrauch bei Nokia gedacht ist, sondern womöglich im Kino gezeigt wird: Die Anwesenheit der Kamera wird zur moralischen Instanz.

Wieder eine andere Funktion erfüllt der Akt des Filmes im diesjährigen Eröffnungsfilm: In HORST BUCHHOLZ MEIN PAPA dient er der Annäherung zweier Menschen, die sich eigentlich ohnehin sehr nahe stehen sollten. Christopher Buchholz holt seinen Vater vor die Kamera. Doch der alte Schauspieler beherrscht das Spiel mit dem Medium perfekt und gibt wenig preis. Offene Antworten erhält der Sohn nicht. Und doch entsteht aus Gesprächen mit anderen Familienmitgliedern und eingestreuten Filmsequenzen eine Ahnung von dem Menschen, der Buchholz wirklich war. Eine Annäherung über Umwege und eine Liebeserklärungi

Nani Fux

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