06.07.2017
34. Filmfest München 2017

Spur der Steine

Mesteren
Eins ergibt das andere: Lemkes Mesteren
(Foto: SF Studios Denmark, Tour De Force AS)

Das Filmfest München 2017-Domino: Edelmann und Willmann legen an

Von Thomas Willmann

Das Filmfest München 2017-Domino: Edelmann und Willmann legen an

Von Thomas Willmann und Anna Edelmann

Erst scheint es ein völlig will­kür­li­cher, unüber­sicht­li­cher Haufen. Dann pickt man den ersten Grund-Stein heraus. Findet einen zweiten, findet einen Anschluss. Findet hier, findet dort augen-schein­liche Gemein­sam­keiten. Bis jeder Film einem anderen die Hand reicht. Bis sich wie aus Domi­no­steinen gelegt eine Kette durchs Programm des Münchner Filmfests zieht.

STEIN 1: »Künstler in ihren Ateliers«

Rodin / Mesteren (The Man)

Überall Torsi, Glied­maßen, Köpfe, überall Hände und Füßen in allen Größen, weiße, halb­fer­tige Gesichter: Es gibt wenige Szenen in Jacques Doillons Rodin, wo er seine Titel­figur (gespielt von Vincent Lindon) nicht umgibt, grundiert mit den gipsernen, marmornen Studien, Bauteilen, Vorformen seiner Werke.

Wer den Film über den epochalen Bildhauer sehen will als gewöhn­li­ches Biopic, ihn messen an den Maßstäben (bildungs)bürger­li­chen Realismus' und Oscar-Kinos, wird Probleme damit haben: Zu gestelzt, bruch­s­tück­haft alles, zu gefüllt mit dem Gefühl, die Figuren sprächen in Wikipedia, schon von ihrer späteren Rezeption.

Doch man muss bei Doillon die Bilder ernst nehmen. Rodin reflek­tiert eben genau über die Abbildung und ihre Grenzen. Ist ein Film über den Zusam­men­hang wie Wider­spruch von Leibern und Reprä­sen­ta­tion. Handelt davon, wie man sich dem Ganzen nur müh- und arbeitsam über Fragmente nähern kann.

Das Atelier in Charlotte Sielings Mesteren – eine Meis­ter­leis­tung des Produc­tion Designs – ist, bei allem hippen, künst­le­ri­schen Anstrich, den es sich gibt, eher ein indus­tri­eller Produk­ti­onsort. Man glaubt durchaus, dass Simon Brahe (Søren Malling) sich seinen Ruhm und Erfolg einst redlich verdient hat. Aber jetzt wirkt alles so sehr etablierte Masche wie die Pyjamas, die er zu jeder Tages- und Nachtzeit trägt und die schon längst nicht mehr rebel­li­sches Statement sind, sondern Marken­zei­chen, Uniform.

STEIN 2: »Vater-Sohn-Reunion«

Mesteren (The Man) / Fikke­fuchs

Simon ist zum Estab­lish­ment geworden. Umso weniger kann er verstehen oder verzeihen, dass sein Sohn – zu dem er seit dessen Teen­ager­zeiten kaum mehr Kontakt hatte – als Street­ar­tist Kunst macht, die Simon nicht als solche anerkennt, eher für Vanda­lismus hält. Die aber von der Welt auf wirklich lebendige Weise wahr­ge­nommen wird, die deutlich rele­vanter ist als seine jetzige eigene.

Lange Zeit scheint es so, als ginge es um die klas­si­sche Geschichte eines Sohnes, der gleich­zeitig gegen seinen Vater rebel­liert, als auch dessen Aner­ken­nung sucht. Man glaubt auch, Zeuge einer beider­sei­tigen Annähe­rung zu werden. Aber letztlich ist es der ulti­ma­tive Verrat, der zu wirk­li­chem, gegen­sei­tigem Respekt verhilft. Weil sie beide gleich unfähig sind, eine normale, emotio­nale Beziehung zu anderen Menschen aufzu­bauen – und gleich unfähig, egal wie schmerz­haft, einer Kunst die Hochach­tung zu versagen, die sie als groß erkennen.

Die Konstel­la­tion ist in Jan Henrik Stahl­bergs Fikke­fuchs sehr ähnlich, nur das Metier ist ein leicht anderes: Vater Rocky (Stahlberg) war einst der größte Frau­en­held der Region – aber die Zeiten liegen lange hinter ihm. Auch wenn er das traurige Bild, das sich ihm inzwi­schen im Spiegel bietet, noch nicht wirklich verin­ner­licht hat. Da der Sohn (Franz Rogowski) – eben aus der Psych­ia­trie entflohen – ihn bisher ausschließ­lich aus den Erzäh­lungen der Mutter kennen­ge­lernt hat, ist auch seine Vorstel­lung ziemlich roman­ti­siert. Und selbst die schäbige Realität, und die Weigerung des Vaters, ihn überhaupt anzu­er­kennen, hält ihn nicht davon ab, bei dem vermeint­li­chen »Meister« in die Lehre gehen zu wollen.

Wo das Vater-Sohn-Verhältnis in Mesteren sich letztlich als auf perfide Weise parasitär, aber produktiv entpuppt, wird es in Fikke­fuchs bald symbio­tisch, und bekräf­tigt gerade deshalb beide in ihrem Verharren in der selbst­be­trü­ge­ri­schen Illusion.

STEIN 3: »Vorsprung durch Technik für bezie­hungs­un­fähige Männer«

Fikke­fuchs / Infinity Baby

Es geht in Fikke­fuchs sowohl Vater Rocky als auch Sohn Thorben letztlich nur um Selbst­be­s­tä­ti­gung. Aber wo Rocky seine »Verfüh­rungs­künste« roman­tisch als Wert­schät­zung des weib­li­chen Geschlechts verbrämt, in auto­bio­gra­phi­schen Ratgeber-Frag­menten zum tiefen Vers­tändnis von Frauen hoch­sti­li­siert – da macht Thorben kein Hehl daraus, dass er nichts sucht als Sex; Qualität neben­säch­lich, Haupt­sache Quantität; die Umsetzung der massiv konsu­mierten Internet-Porno­gra­phie in die Realität; der Flatrate-Fick.

Dass sie beide aber statt Erfüllung meist nur Zurück­wei­sung finden, erfüllt sie mit latenter Aggres­sion. Dass just diese Aggres­sion Teil des Problems ist, inter­es­siert sie genau­so­wenig wie die Gründe für die Zurück­wei­sung: Lieber suchen sie nach einer Art Cheatcode, einem Hack. Der Pickup-Artist-Kurs soll’s richten. Wonach sie aber eigent­lich streben, hat nur mittelbar mit Frauen zu tun – es ist der Beweis der eigenen Virilität, Jugend, eine Bestä­ti­gung der Leib­lich­keit mit gleich­zei­tiger Verdrän­gung deren Vergäng­lich­keit.

Die eine natürlich gegebene Linderung für die Sterb­lich­keit flieht Rocky: Das Quasi-Weiter­leben zumindest der eigenen Gene in der nächsten Gene­ra­tion. Seine Vater­schaft versucht er permanent abzu­streiten – will sich nicht einmal der Möglich­keit stellen.

Darin ist er Ben (Kieran Culkin) aus Infinity Baby verwandt. Der zwar vorgibt, eine Beziehung zu wollen – aber jede solche stets abbricht, bevor es droht richtig ernst zu werden. Bzw. abbrechen lässt: Sind die Männer in Fikke­fuchs Pickup-Artists, die Frauen in eine Affäre hinein­ma­ni­pu­lieren, mani­pu­liert Ben sie mit profes­sio­neller Hilfe zum Beenden derselben. Er ist quasi ein Breakup-Artist.

So groß ist seine Phobie vor Familie, Nachwuchs, dass er nicht einmal jene asep­ti­sche Lösung erwägt, welche die Welt von Infinity Baby dafür parat hält: Niedlich gluck­sende Säuglinge, die nie altern, deren lästige Körper­funk­tionen auf ein Minimum reduziert sind – Neben­pro­dukt einer Arznei­studie, das nun willigen Menschen zur Pflege unter­ge­ju­belt werden soll. Es ist die (sehr US-ameri­ka­ni­sche) Sehnsucht nach einem Leben mit allen heraus­ge­pickten Vor- und keinen Nach­teilen, ohne Konse­quenzen.

Diese Babys sind das ulti­ma­tive, ins Extrem getrie­bene Bild für die wahre Sehnsucht all dieser Narzissten: Andere Menschen als reines Mittel zur restlosen Wunsch­er­fül­lung – ohne dass dabei deren eigene Geschichte und Persön­lich­keit in die Quere käme.

Stein 4: »#Genre«
Infinity Baby / Western

Infinity Baby sieht nicht aus wie ein Science-Fiction-Film, fühlt sich nicht an wie ein Science-Fiction-Film. Aber freilich ist ein in naher Zukunft spie­lender Film über medi­zin­tech­nisch mani­pu­lierte Babys ein Science-Fiction-Film. Ausstat­tung, Kostüm etc. verwei­gern jede Distan­zie­rung von der Gegenwart; das eine »fremde« Element ist hin und wieder die blau-chan­gie­rende Augen­farbe des Titelsäug­lings in dem American Indie-Schwarz-weiß des Films. Infinity baby hat etwas von einem Blick aus der Warte der ‘90er Jahre-Blütezeit des Inde­pend­ent­kinos auf die Milen­nials, die Gene­ra­tion des einstigen Science-Fiction-Jahrs 2000.

Bob Byingtons Film hat es bei der feier­li­chen Hashtag-Vergabe des Filmfests nicht einmal in die Kategorie #Science-Fiction/Fantasy geschafft. Während die Rubrik #Western über­ra­schend ein Film für sich allein entscheiden konnte.
Western.
Der Titel von Valeska Grise­bachs ziemlich groß­ar­tigem Werk prokla­miert eine eindeu­tige Verortung – während der Film selbst mit dem Genre lustvoll koket­tiert. Western spielt im Osten, an Europas neuer Frontier. Ein Trupp deutscher Bauar­beiter – Söldner des Kapi­ta­lismus – soll in der tiefsten bulga­ri­schen Steppe ein Wasser­kraft­werk hoch­ziehen. Listet man auf, was Grisebach an typischen Western-Elementen diesem Setting abgewinnt und einflicht, dann mag das sehr gewollt und über­deut­lich wirken: Der wortkarge, einsame Prot­ago­nist, der als Fremder in das kleine Dorf einreitet; das (deutsch) beflaggte Fort des Bautrupps; der »Saloon«, der Mittel­punkt der Dorf­ge­mein­schaft ist; die Pistole, das Messer, die Schlä­gerei; das Feuer­wasser, die Bluts­brü­der­schaft unter Männern über (Sprach-)Grenzen hinweg; die »Squaw«, die von den derben Bauar­bei­tern ange­bag­gert wird. Aber das alles driftet ganz selbst­ver­s­tänd­lich, scheinbar natürlich in den Film – der ohne seinen Titel wohl für viele gar nicht als Western erkennt­lich wäre. Und es dient nicht als Baustein einer Western-Drama­turgie, erfüllt nicht die gewohnten Funk­tionen – sondern folgt dem offenen, ziellosen Fluß des Lebens.
Die »Helden« von Infinity Baby und Western eint, dass sie beide Suchende sind, die eine recht genaue Vorstel­lung davon haben, was sie nicht wollen – jedoch kaum eine davon, wonach sie letztlich streben, wie ihr großer Traum eigent­lich aussieht.

Stein 5: »Männer in der Fremde unter sich«
Western / Jeunesse

Meinhard (Meinhard Neumann) in Western hat viel­leicht bereits zuviel vom Leben gesehen, um noch ernsthaft an dem roman­ti­schen Glauben fest­zu­halten, irgendwo Erfüllung und das Gefühl von Zugehö­rig­keit zu finden. Anders der stür­mi­sche und drängende Prot­ago­nist von Jeunesse: Er weiß, dass da draußen Abenteuer, Ehre, Erfolg nur darauf warten, von ihm an sich gerissen zu werden.
Beide begeben sich in Männer­ge­sell­schaften – in eine selbst­ge­wählte Halb-Isolation, wo eigene Normen herrschen; nicht so sehr Outlaws als Männer, die die Gesetze der bürger­li­chen Gemein­schaft ganz umschiffen.
Für Meinhard ist es eine Art Flucht, in einen Raum, wo die äußeren Umstände wenigs­tens an sein stetes inneres Fremdsein angepasst sind. Zico (Kévin Azaïs) in Jeunesse mag von den konkreten Gege­ben­heiten auf dem herun­ter­ge­kom­menen Fracht­kutter, auf dem er anheuert, gemessen an seinen Träumen, mitunter über­rum­pelt sein – aber im Grunde fühlt er sich am richtigen Platz. Meinhard versucht sich auch in der herme­ti­schen Welt von Western den Hier­ar­chien zu entziehen; Zico sieht in der Schiffs-Rang­ord­nung nur Stufen, die er zu über­springen hat auf seinem Weg nach oben, an den vermeint­lich recht­mäßigen Platz.
Im Gegensatz zu seinen Kollegen, die die Abwe­sen­heit von Frauen als Mangel ihres Jobs empfinden, den es mindes­tens verbal derb zu kompen­sieren gilt, scheint Meinhard darin eine Befreiung zu finden. Für Zico ist die Beziehung zu Frauen ein Opfer, das er bereit­willig bringt; eine fast lustvolle Selbst­geiße­lung, durch die er sich erhöht fühlt. Aber ausge­rechnet Meinhard holt die Sehnsucht ein – während Zico sich von der allzu jugend­lich-naiven Variante seiner Träume verab­schiedet und sie gegen ein illu­si­ons­freieres Begehren eintauscht.
Das Schluss­fazit ist – ebenso wie das latent zwischen homo­so­zial und homo­ero­tisch chan­gie­rende Milieu – keine Erfindung von Regisseur Julien Samani. Sondern eine Anver­wand­lung der lite­ra­ri­schen Vorlage von Joseph Conrad: Jeunesse ist »Youth«, ins 21. Jahr­hun­dert versetzt.

Stein 6: »Stimmen aus dem Nichts«
Jeunesse / Wakefield

Motoren haben die Segel abgelöst, Facebook die Briefe – aber was es ist, was einen wie Zico zur See treibt, das hat sich erstaun­lich unver­än­dert aus dem 19. Jahr­hun­dert herü­ber­ge­rettet. Die Worte des rück­bli­ckenden Off-Erzählers zu Beginn und Ende von Jeunesse klingen nicht offen­sicht­lich nach einer Variation über 100 Jahre alte Prosa – man würde sie auch einem heutigen Drehbuch so abkaufen.
Jeunesse setzt die halb­zi­tie­rende Stimme nur an diesen beiden Punkten und sehr prägnant ein. Sie berei­chert den Film, den Text der Bilder um Schichten, macht ihn größer, komplexer.

Genau den umge­kehrten Effekt erzielt der omni­prä­sente Erzähler in Wakefield. Auch er beruht auf einer Vorlage aus dem 19. Jahr­hun­dert, Hawt­hornes »Wakefield« – vermit­telt durch E.L. Doctorows modernem Riff über die klas­si­sche Kurz­ge­schichte. Aber Robin Swicords Film traut weder der eigenen Bild­sprache, noch ihrem Haupt­dar­steller Bryan Cranston. Jede Szene wird aus dem Off aus- und toter­klärt – selbst als Hörspiel würde das bald lang­weilen. Wo Cranston mit einer Geste, einem Blick, einem Gesichts­aus­druck eine gleich­zei­tige Vielzahl an Dingen ausdrückt, klopft der perma­nente Audio­kom­mentar es platt auf genau eine, die ohnehin offen­sicht­lichste Bedeutung.

Stein 7: »Fremd im eigenen Haus«
Wakefield / Mr. Roosevelt

Dass der Titelheld von Wakefield in seinem Leben die Pause­taste (und sich quasi in eine Art Backstage-Bereich ver-) drückt, ergibt sich durch puren Zufall. Die inter­es­sante Frage ist, warum er den Zuschau­er­posten im Dachboden über der Garage dann nicht mehr aufgeben will – warum er, als seine Form lust­voller Selbst­geiße­lung, lieber dort verwahr­lost und beob­achtet, wie er seiner Frau und den beiden Töchtern, ja, überhaupt in seinem bishe­rigen Leben, mäßig bis nicht fehlt.
Wakefield bringt das Kunst­stück fertig, das einer­seits störend über­zu­er­klären, ohne ande­rer­seits wirklich je nach­voll­ziehbar zu werden. Gleich­zeitig viel zu harmlos und doch ungewollt unan­ge­nehm zu sein. Wakefield wird zum Voyeur und Mani­pu­lator seiner Frau im Haupthaus gegenüber; obwohl ihm der Rückweg in sein Wohl­stands­da­sein jederzeit offen stünde, klaubt er seine Nahrung lieber aus Müll­tonnen, kackt in einen Kübel; lässt sich, ganz in der Opfer­rolle, die ange­fro­renen Zehen von dem engels­glei­chen, schwarzen, geistig beein­träch­tigten Mädchen von nebenan versorgen: Es ist nicht so, dass der Film gar kein Bewusst­sein dafür hätte, dass das alles schon auch eine große Selbst­mit­leid-Nummer des Prot­ago­nisten ist. Nur macht er dennoch Kitsch daraus statt etwas wahr­haftig Unbe­hag­li­chem.

Dass der Prot­ago­nistin von Mr. Roosevelt »ihr« Heim fremd erscheint, hat im Grunde eine sehr simple Erklärung: Es ist längst nicht mehr ihr Zuhause – und war es auch früher nur bedingt. Das Einfa­mi­li­en­häu­schen in Austin gehört ihrem Ex-Freund Eric, sie hat dort lediglich eine Weile mit ihm gewohnt. Und als Emily nun aus Los Angeles zurück­kehrt, da ist längst die neue Lebens­ge­fährtin einge­zogen. Und hat gehörig umde­ko­riert – nicht nur im Haus, sondern auch in Erics Leben.
Fast schon ein Glück, dass die Neue Eric dazu gebracht hat, seine einst so geliebte Gitarre, und mit ihr die Träume von der Musi­ker­kar­riere, in die Garage zu verbannen: Das gibt der noch auf ihren Durch­bruch wartenden Standup-Komikerin Emily wenigs­tens wohl­feilen Anlass zur Abneigung gegen Celeste. Denn die wahre, tiefe Belei­di­gung ist, dass Celeste alles zu gut im Griff hat – und man sich dank ihr in »Emilys Heim« nun merklich wohler fühlt denn damals, als sie dort wirklich wohnte. Und wenn Celeste etwa den schönen Holzboden wenigs­tens mit viel Geld und Mühe instal­liert hätte! Aber nein: Der schlum­merte die ganze Zeit unter dem schäbigen Teppich­boden, den Emily und Eric nie mochten, aber auch nie einfach mal raus­ge­rissen haben.

Stein 8: »Erfolg­lose Künstler geigen ihre Meinung«
Mr. Roosevelt / Fits And Starts

Was Noël Wells (Regis­seurin, Autorin, Haupt­dar­stel­lerin und selbst Komikerin aus dem SNL-Stall) ihrer Heldin nicht gönnt: Das gute Gefühl der wahren Über­le­gen­heit. Anfangs ist es nur der nach­voll­zieh­bare, latente Hass auf Menschen, die ihr Leben geradezu gruslig gut auf die Reihe bringen. Doch dann schleicht sich mehr und mehr das Gefühl ein, dass Celeste tatsäch­lich die Partnerin ist, die Eric besser tut, ihn glück­li­cher macht.
Und wenn Emily bei einem Trauer-Brunch für ihre verstor­bene Katze schließ­lich Celeste und all deren proppere, erfolg­reiche, main­strea­mige Freunde mit einer Wutpre­digt konfron­tiert, ihnen mal wirklich sagt, was sie von ihnen und ihrer ober­fläch­li­chen, wider­wär­tigen Leben­s­tüch­tig­keit hält – da gibt MR. Roosevelt ihr ordent­lich Kontra.
Da hält der Film ihr einen Spiegel vor, wie ichbe­zogen, engstirnig sie selbst ist. Und schubst sie in eine etwas erwach­se­nere Sicht auf den Rest der Mensch­heit.

Das ist der entschei­denste Unter­schied zu Laura Terrusos Fits And Starts – der ebenfalls von künst­le­ri­scher Eifer­sucht, (narziss­ti­schem) Leiden am mangelnden Erfolg handelt. MR. Roosevelt schafft den Schritt aus der Perspek­tive seiner Prot­ago­nistin heraus – während der Held von Fits And Starts eher wie ein Sprach­rohr erscheint. Wobei freilich Fits And Starts ja auch merklich mehr eine Satire sein will als eine Charak­ter­studie.
David (Wyatt Cenac, hurrah!) hat vor Jahren eine Kurz­ge­schichte im New Yorker veröf­fent­licht, seither arbeitet er am ersten Roman – nur hat er mitt­ler­weile eine Studentin seines Uni-Seminars für kreatives Schreiben gehei­ratet. Und die ist unter­dessen zur ange­se­henen und erfolg­rei­chen Autorin avanciert. Durch ein Miss­ver­s­tändnis findet David sich allein beim »Künstler-Salon« in einer Villa irgendwo in Connec­ti­cutt, zu dem er sich eigent­lich nur wider­willig als Begleiter seiner Frau überreden ließ. Und muss dann den Abend mit all den verschro­benen Typen dort verbringen, was ihn immer mehr hadern lässt damit, dass er seine eigene Kunst nicht voran­bringt.
Wenn David als Finale allen Anwe­senden der Soirée schließ­lich in einem großen Rund­um­schlag mal seine Meinung vor den Latz knallt, dann wirkt das auch wie ein »Was ich Euch Poseuren und Möch­te­gerns echt schon immer mal sagen wollte!« der Regis­seurin. Und dann hat das keinen vehe­menten, belei­digten Wider­spruch zur Folge – sondern eine allge­meine, beschämte Selbst­er­kenntnis. Und einem Triumph des Helden. Den man nun endlich als das Genie erkennt, das er schon immer war.
Im Rahmen des Films ist das durchaus lustig und befreiend – aber im Kontrast zu Mr. Roosevelt eben auch ein bisserl simpel, ein bisserl selbst­ge­fällig, ein bisserl unreif.

Stein 9: »Feel(too)good Movies«
Fits And Starts / Handsome Devil

Fits And Starts hat ein wunder­bares Ende. Nur leider hört der Film damit nicht auf. David und seine Frau werden wieder­ver­eint, Jennifer hat inzwi­schen endlich einmal in Davids Manuskript rein­ge­lesen. Und gibt ihm jenes Urteil, das auch er einst (im Scherz) ihrem Erfolgs­debut beschied: Ganz furchtbar sei’s! Schwarz­blende.
Dann aber besteht der Film darauf, in einer Spie­ge­lung seiner Anfangs­szene auch wirklich noch auszu­buch­sta­bieren, dass alles gut wird, dass David endlich den verdienten Ruhm erlangt, und die Ehe eine neue, stabilere Ebene der Liebe und Zufrie­den­heit findet.
Der Impuls dahinter ist legitim: Die Regis­seurin will die Wunsch­er­fül­lungs­ma­schine Kino das volle Programm durch­laufen lassen. Will die bewusste Utopie; will dem wirk­li­chen Leben zeigen, wie man sowas richtig macht.
Aber es trübt para­do­xer­weise das Gefühl, mit dem man aus dem Film kommt. Nicht, weil es »unrea­lis­tisch« wäre, oder weniger glaubhaft als das Erst-Ende, welches all dieses Glück ja durchaus impli­ziert. Sondern weil es in seiner Totalität so eindi­men­sional wird und wegbürstet, was zuvor noch leise mitschwang an dem urmensch­li­chen Rest, Zweifel, Zwie­späl­tig­keit. Es ist schlicht die lang­wei­li­gere Lösung, wenn des Guten derart zuviel ist.

Listete man all die Läute­rungen, Lebens­er­kennt­nisse und -bekennt­nisse, (sport­li­chen und sonstigen) Triumphe, Versöh­nungen und Crescendi am Ende von Handsome Devil auf, müsste man freilich meinen, es sei des Guten viel zuviel zuviel. Es ist als hätte sich Dead Poets' Society mit Pride und allen Underdog-Sport­filmen überhaupt vermählt.
Ned (Fionn O’Shea) kommt auf ein Privat­in­ternat, wo er sich nicht nur durch seine karot­ten­roten gefärbten Haare von den Mitschü­lern unter­scheidet: An der völlig Rugby-verses­senen Lehr­an­stalt hat er allein keinerlei Interesse an Sport – dafür umso mehr an den gutge­bauten Sportlern; bis der junge, unkon­ven­tio­nelle Englisch­lehrer Dan Sherry (Andrew Scott) auftaucht und ihn heraus­for­dert, mogelt er sich so durch, mutiert dann aber so wenig zum akade­mi­schen Über­flieger, wie ihn seine Begeis­te­rung für Punk und Lyrik über die Beherr­schung eines Gitar­ren­ak­kords hinaus­bringt.
Wie üblich, hat das Genre vor Coming of Age und Coming Out die Tortur durch die Front­ver­tei­diger des Status Quo gesetzt. Dass sich alle Konflikte und Kompli­ka­tionen am Ende in völliges Wohl­ge­fallen auflösen, ohne dass einen dabei vom Zucker­schock die Übelkeit befällt, liegt bei Handsome Devil aber nicht nur am trockenen und gut getimeten Humor.

Stein 10: »Will­kommen in der Norma­lität«
Handsome Devil / Brigsby Bear

Handsome Devil lässt seinen Helden Ned durchaus den handelsüb­li­chen Moment seines vermeint­lich größten Sieges über die Into­le­ranz durch­leben. Aber der Film gönnt ihm die Selbst­herr­lich­keit, das Selbst­mit­leid nicht: Einmal mehr ist es der Ich-Erzähler, der aus der zeit­li­chen Distanz zu seinem damaligen Selbst auch dessen eigene narziss­ti­sche Uner­fah­ren­heit benennt und kommen­tiert.
Das nämlich ist es, was John Butlers Film im Grunde seines Herzens unter­scheidet von all den synthe­ti­schen, selbst­ge­fäl­ligen Feelgood Movies: Vers­tändnis fürs Anders­sein ist in Handsome Devil keine Einbahn­straße. Völlig zu Recht fordert Ned von seinen Mitmen­schen Akzeptanz ein – aber die Lernkurve in Handsome Devil endet auch darin, dass er seine eigenen Vorver­ur­tei­lungen in Frage stellt. Dass auch der Außen­seiter lernt, aufzu­hören sich Sorgen zu machen und die soge­nannte »Norma­lität« zu lieben – dass Ned nicht mehr jene Teile der allge­mein­ver­bind­li­cheren Kultur hassen muss, die für ihn lediglich befremd­lich sind statt tatsäch­lich akut bedroh­lich.

Auch Brigsby Bear erzählt von der Versöh­nung eines Außen­sei­ters mit der »normalen« Welt. Wobei »Versöh­nung« nach mehr Reibung, mehr Bewegung klingt, als diese enttäu­schend harmlose, über­ra­schend main­strea­mige Wohl­fühl­komödie im Indie-Bärenfell bieten will. Der Film ergeht sich in purer Versöhn­lich­keit: Er ist voller Dinge, die im Grunde mindes­tens sehr proble­ma­tisch, wenn nicht massiv trau­ma­ti­sie­rend sein sollten. Aber alles löst sich in Wohl­ge­fallen auf, bevor es überhaupt eine Chance bekommt, wenigs­tens kurz weh zu tun – Brigsby Bear ist gegenüber der empfind­samen Seele des Publikums über­behü­tender als das öffent­lich-recht­liche Kinder­pro­gramm.

Stein 11: »Die Rückkehr der verlo­renen Söhne«
Brigsby Bear / Flesh And Blood

Seine gesamte Kindheit und Jugend über wurde der als Baby entführte James (Kyle Mooney) in einem Bunker aufge­zogen. Sein einziges Bild einer Außenwelt, seine mora­li­sche Anstalt ist ein verblüf­fend auf ihn zuge­schnit­tenes Fern­seh­pro­gramm – eben das titel­ge­bende »Brigsby Bear«, eine hand­ge­bas­telte Mischung aus Pezi-Bärli und Power Rangers. Mit Mitte 20 gewaltsam in die »ober­fläch­liche« Welt zurück­ge­zerrt, stellt sich alles, was er kannte und wusste, als so heim­tü­ckisch wie liebevoll insze­nierte Täuschung durch seine »Zieh­el­tern« heraus.
Dass diese komplette Entwur­ze­lung und Klar­spül­gang der Gehirn­wä­sche weder für James, noch für seine leib­li­chen Eltern, seine bisher als (Ersatz-)Einzel­kind groß­ge­wor­dene Teenager-Schwester, aber auch Polizei, Thera­peuten, Mitmen­schen – und freilich auch seine idea­li­sierten Schein-Eltern und deren ahnungs­lose Brigsby-Mitdar­steller – als Konstel­la­tion so ganz einfach und unpro­ble­ma­tisch ist, deutet der Film immer wieder als Ahnung an. Gerade genug, dass einem (insbe­son­dere, wenn es um James' erstmals mit tatsäch­li­chem Fremd-Körper­kon­takt verbun­dene Sexua­lität geht) unan­ge­nehm aufstößt, wie spontan, schmerz- und rück­stands­frei sich dann die Bewäl­ti­gung stets wie von selbst erledigt.
Brigsby Bear hätte ein wunderbar bewusst unbe­hag­li­cher Film werden können darüber, wie man die Instru­mente der eigenen Unter­drü­ckung gegen ihren Zweck kehren, zur Selbst­be­freiung nutzen kann. Noch das höflichste, was man Regisseur Dave McCary, den Autoren Kevin Costello & Kyle Mooney als Grund unter­stellen kann, dass es statt dessen ein solch gruslig versöhn­li­ches Werk ist, das ist eine aggres­sive Naivität.

Die Rückkehr des verlo­renen Sohns in Flesh And Blood ist deutlich unspek­ta­kulärer. Auch er war wegge­sperrt, ein Weile isoliert von der Außenwelt. Aber Mark saß lediglich – offenbar, weil er standhaft seine Dealer­kum­panen nicht verpfeifen wollte – einige Jahre im Knast. Auf den ersten Blick wirkt der Kultur­schock auch fast zu vernach­läs­sigen: Als seine Mutter ihn nach der Entlas­sung abholt und in die beschei­dene Fami­li­en­woh­nung bringt, meint Mark noch im Auto, es habe sich anschei­nend nicht viel verändert. Doch die Mutter listet ihm auf, was sich unter der Ober­fläche an Struk­turen in dem Viertel gewandelt, in was für ein anderes Phil­adel­phia, für andere USA er zurück­kommt. Sie tut das im Tonfall einer Realistin, die gegen die Verhält­nisse kämpft, aber ihre Energie nicht mehr in nutzlose Wut inves­tiert.
Die verhält­nis­mäßige Ruhe des Äußeren ist in Flesh And Blood nie Zeichen für einen inneren Frieden. Auf seine viel kleinere, undra­ma­ti­schere, subtilere Weise macht der Film viel ehrlicher, berüh­render, wahrer all die Reibungen, das Aufrei­bende fühlbar.
Und anders als in Brigsby Bear, wo selbst die »Befreiung« grund­nar­ziss­tisch bleibt, wo Kunst letztlich immer nur einem Ego dient, gibt der Puppen­spieler bei Flesh And Blood – Regisseur, Autor, Haupt­dar­steller Mark Webber – frei­willig eine Kamera aus der Hand, um mehr als nur seine Perspek­tive, Stimme in den Film zu lassen.

Stein 12: »Augmented Reality«
Flesh And Blood / I Am Not a Witch

Es ist sehr schwer, über Flesh And Blood zu schreiben, ohne den Film furcht­ein­flößend sozi­al­pä­d­ago­gisch, nach Betrof­fen­heits-Porn für das Feuil­leton-Publikum klingen zu lassen. Wo er genau das so ganz und gar nicht ist. Weil eine bloße, objektive Beschrei­bung nicht ohne Begriffe auskommt, die sofort im Kopf einen Film ablaufen lassen: Polit­ak­tivstin (die Mutter), Gewalt in der Ehe (ihre Ex-Männer), Aspergers (der Halb­bruder), Drogen­ab­hän­gig­keit (so ziemlich alle anderen)... Und dann auch noch: Laien­dar­steller!
Aber gerade Letzteres rettet den Film davor, dass irgend­etwas davon den Scha­blonen gleicht, die man bei dieser Aufzäh­lung vor Augen hat. Auch »Laien­dar­steller« ist im Grunde eine irre­füh­rende Bezeich­nung. Denn die Menschen in dem Film spielen keine Rollen (wo in den meisten Fällen profes­sio­nelle Schau­spieler para­do­xer­weise ja dann authen­ti­scher wirken) – sie sind als leicht fiktio­na­li­sierte Versionen ihrer selbst präsent. Und deshalb nicht auf das eine Label hin gecastet, sondern unre­du­zier­bare, viel­schich­tige, oft vom Typ her über­ra­schende Personen.
Und vor allem sind sie: Für Mark Webber (der sich auch in Hollywood als Schau­spieler verdingt) zual­ler­erst wirklich Familie, wirklich Mutter, Bruder, Freunde, Wegge­fährten. Die er eben von Anfang an als Menschen kennt. Diesen Blick überträgt er, dieser Blick überträgt sich wie selbst­ver­s­tänd­lich auf das Publikum.
Es ist kein erklä­render, kommen­tie­render, wertender Blick von außen auf etwas. Und wenn Mark seinem Halb­bruder eine Kamera in die Hand drückt und dessen Material auch in seinen Film schneidet, dann nicht mit der Absicht des Doku­men­ta­risten, der ein wohl­wol­lendes Interesse hat, wie die Perspek­tive »dieser Leute« aussieht – sondern einfach, weil sein Bruder schon lange vom Filme­ma­chen träumt. Und darin auch durchaus ein gewitztes Talent beweist.

So wenig wie Flesh And Blood verspürt I Am Not a Witch – wohl unser Lieb­lings­film auf dem Festival – die übliche Verpflich­tung zur Betrof­fen­heit; dies Gefühl, »solche Menschen« mit filmi­schen Samt­hand­schuhen anfassen zu müssen, sie – aus den besten Absichten heraus – entmün­digen, immer in Opfer­rolle denken zu müssen.
Wie Mark Webber, ist auch Regis­seurin Rungano Nyoni In- und Outs­i­derin zugleich: Sie ist geboren in Sambia, groß­ge­worden und heute zuhause in Cardiff. Als Filme­ma­cherin zur Recherche nach Ghana zu gehen, in Sambia einen Spielfilm zu drehen über den dort selbst im sich aufge­klärt gebenden Staats­wesen veran­kerten Hexen­glauben, ist für sie kein Akt der Ethno­gra­phie.
Dass das offi­zi­elle Hexencamp, in das sie ihre junge Prot­ago­nistin begleitet, auch für Nyoni etwas Fremdes, Befremd­li­ches, als Thema latent Reiße­ri­sches hat, geht sie in der Insze­nie­rung gleich zu Anfang offensiv an: Die Kamera kommt als Teil einer Touris­ten­gruppe dort an. Aber nachdem dies etabliert ist, nimmt sie sich die Freiheit, als Künst­lerin sich das Sujet nicht anders anzu­eignen, als ginge es um Waliser oder Dänen.
Sie hat nicht nur ein Auge dafür, was die Realität an wahren, visuell starken Kino­bil­dern hergibt – sondern auch den Mut, selbst welche frei zu erfinden. Wie etwa die riesigen Spindeln mit weißen Bändern, die an die »Hexen« geknüpft werden, um sie »am Wegfliegen zu hindern« – und, als nütz­li­chen Neben­ef­fekt, sie zur Feld­ar­beit zu zerren.
Dadurch, dass der Film das Über­le­bens­große wirk­li­chen Kinos hat; dass er überhaupt nichts Weiner­li­ches hat, und dafür einen sehr trockenen, absurden bis surrealen Humor, lässt ihn der üblichen Falle entgehen, unab­hängig vom Gegen­stand letztlich nur auf eine mani­pu­lativ-rühr­se­lige Ergrif­fen­heit ob eines Einzel­schick­sals abzu­zielen. I Am Not a Witch ist auf verschla­gene Weise im Grunde eine Polit­sa­tire, ohne sich direkt danach anzu­fühlen. Er hat die perfekte Distanz, um zugleich einen Blick für die größeren Struk­turen zu behalten – und einem im entschei­denden Moment ob des Schick­sals seiner Prot­ago­nistin einen Schmerz fühlen zu lassen, der wirklich herb und kein wohlig schluch­zender Taschen­tuch-Moment ist.

SCHLUSSSTEIN

I Am Not a Witch war einer der erfreu­lich vielen Filme, die jenes Gefühl bestä­tigten, das man schon beim Durch­blät­tern des dies­jäh­rigen Filmfest-Magazins hatte: Die Angst der Filme­ma­cherInnen davor schwindet, nicht ernst genommen zu werden, sobald sie das Sinnliche, Künst­liche, Audio­vi­su­elle des Mediums wirklich und mit Freude nutzen, auch wenn es um »wichtige«, »reale« Themen geht.
Die sehr protes­tan­ti­sche Defi­ni­tion von Anspruch und Wert scheint zum Glück auf dem Rückzug. Viel­leicht gerade, weil das Fernsehen zu solch einer starken Konkur­renz erwachsen ist, spürt man einen Drang, wieder wirk­li­ches Kino zu machen. Plötzlich drehen nicht mehr nur Tradi­tio­na­listen wie Nolan und Tarantino auf echtem Film, auf 35mm sondern junge Debut-Filme­ma­che­rinnen wie Noël Wells und Léa Mysius (AVA). Und selbst die Handy­ka­mera ist kein Argument gegen Bilder.
Was nicht der einzige, aber auch nicht geringste Grund war, wie seit Jahren nicht mehr ein ganzes Festival lang durch solch eine lange Reihe von nach­wir­kenden Filmen zu kommen, ohne einem ernst­haften Stol­per­stein zu begegnen.