The Zone of Interest

USA/GB/PL 2023 · 105 min. · FSK: ab 12
Regie: Jonathan Glazer
Drehbuch:
Kamera: Lukasz Zal
Darsteller: Christian Friedel, Sandra Hüller, Ralph Herforth, Max Beck, Imogen Kogge u.a.
Könnte auch heute am Tegernsee sein...
(Foto: Leonine)

Menschen wie wir

Jonathan Glazers Film über das Ehepaar Höß im KZ Auschwitz ist nicht nur eine so aufregende wie beunruhigende Verschiebung der üblichen Perspektive, sondern auch schauspielerisch überragend

»An Macht gewöhnt sich schnell, wer nie welche hatte.«
– David Van Reybrouck, Revolusi – Indo­ne­sien und die Entste­hung der modernen Welt

Wer von Jonathan Glazers The Zone of Interest einen weiteren Auschwitz-Film erwartet, der die Opfer­per­spek­tive einnimmt, dürfte enttäuscht werden. Denn anders als in fast allen sich dieses Themas anneh­menden Filmen wie László Nemes Jeles' Son of Saul (2015), Roman Polańskis The Pianist, (2002), Roberto Benignis Das Leben ist schön (1997) oder Steven Spiel­bergs Schind­lers Liste, (1993) sind es dieses Mal nicht die Opfer, sondern die Täter und ihr Alltag, die im Zentrum stehen.

Zwar ist diese Perspek­tiv­ver­schie­bung nicht wirklich revo­lu­ti­onär, haben das im Sachbuch schon Chris­to­pher R. Browning mit Ganz normale Männer und in lite­ra­ra­ri­scher Bear­bei­tung Jonathan Littell mit Die Wohl­ge­sinnten getan und natürlich Martin Amis mit The Zone of Interest, den Glazer für seinen Film unter starken Verän­de­rungen adaptiert hat.

Anders als bei Amis nennt Glazer in seinem Film Klarnamen. Heißt bei Amis das Lager­kom­man­dan­ten­paar von Auschwitz noch Hannah Doll und Paul Doll und gibt es bei Amis eine außer­ehe­liche Liebes­ge­schichte, einen Mord­an­schlag und einen Epilog im Jahr 1948, fokus­siert Glazer ganz auf die mit ihren Namen genannten Rudolf Höß (Christian Friedel) und seine »Königin von Auschwitz«, Hedwig Höß (Sandra Hüller) und ihr Alltags­leben.

Glazer schildert diesen Alltag mit doku­men­ta­ri­schem Blick. Er zeigt, wie die Kinder zur Schule gehen, er zeigt, wie Rudolf zur Arbeit reitet, und er zeigt Hedwig in ihrem zweis­tö­ckigen Haus, das an das Konzen­tra­ti­ons­lager angrenzt, doch von einem von Hedwig entwor­fenen und von Häft­lingen gepflegten Garten »verschö­nert« wird, der zwischen Haus und Lager­mauern liegt. Glazers Blick ist ein Blick auf die kleinen Gegen­s­tände, Türgriffe und Türen, Tische und Porzellan, Licht­schalter und Lampen, die Praxis des Neben­säch­li­chen, die natürlich ganz der Banalität des Bösen geschuldet, aber hier anders kontex­tua­li­siert sind, als es Hannah Arendt im Zusam­men­hang mit dem Eichmann-Prozesses gemeint hatte. Aber Glazer geht auch noch in anderen Belangen weiter, als die bisherige, filmische Auschwitz-Exegese. Er zeigt, wie Hedwig und ein paar befreun­dete Frauen aus der Nach­bar­schaft die Säcke mit Wert­ge­gen­ständen aufteilen, die ihnen mit jedem einkom­menden Zug vorbei­ge­bracht werden. Und die Züge sind es dann auch, die den Film im Film einleiten, die zweite, unter­schwel­lige, aber nie ganz verstum­mende Tonspur. Zwar sehen wir vom Grauen hinter den Lager­mauern nichts, doch wir hören es immer wieder: den Pfiff der Loko­mo­tiven, das metal­li­sche Rattern der Vernich­tungs­öfen, Schüsse, ein Schrei. Und im Wasch­be­cken findet sich dann und wann Asche, die durch das Fenster rein­ge­trieben wird. Wenn Rudolf zur Arbeit geht, bittet Hedwig ihn um Klei­nig­keiten, ein bisschen Scho­ko­lade, wenn er welche finde.

Sandra Hüller spielt diese Hedwig mit einer furcht­ein­flößenden Norma­lität. Hüller hat in einem Interview betont, dass sie diese Rolle gerade nicht versucht hat, empa­thisch zu ergründen wie sonst und viel­leicht ist es genau das, was in unseren Augen einer fernen Zukunft so authen­tisch wirkt, weil wir glauben, dass auch die wirkliche Hedwig es nicht anders hat machen können, sie diese Norma­lität nur habe so normal leben können, weil sie alle Empathie in sich ausgelöscht hat. Hüllers Schritte sind stamp­fende, immer wieder plumpe und dennoch ener­gi­sche Schritte, so wie ihre Bezie­hungs­ar­beit mit Rudolf und die Hinwen­dung zu ihrem Garten. Glazer erzählt uns aller­dings nicht, warum das Ehepaar in getrennten Betten schläft. Das hat Hedwig viele Jahre nach dem hier gezeigten Geschehen, als schon alte Frau, die in den USA lebte, erstaun­lich offen­herzig berichtet.

Glaubt man diesen Aussagen, hat sie tatsäch­lich erst von dem Leben und Sterben hinter den Lager­mauern erfahren, als ein befreun­deter Komman­dant zum Essen bei ihnen war und vom syste­ma­ti­schen Töten erzählt hat. Sieht man Glazers Film, kann man Hedwigs späten Aussagen kaum Glauben schenken. Doch hat Hedwig nicht ihren auf der Ratten­linie Nord unter­ge­tauchten Mann Rudolf verraten, um sich später ein neues Leben mit einem neuen Mann bei Stuttgart aufzu­bauen? Nichts ist hier normal, gerade weil es so normal ist.

Bei Glazer ist die Familie mit ihren fünf Kindern noch intakt und Höß nach dem Verrat seiner Frau, dem Prozess und seiner Hinrich­tung im Jahr 1947, am Ort seiner größten Erfolge, noch am Leben. Glazer zeigt diese Familie, diese Beziehung wie ein gegen­wär­tiges, deutsches Bezie­hungs­drama. Denn als Rudolf nach Orani­en­burg versetzt wird und die häusliche Idylle ob dieser Fern­be­zie­hung droht verloren zu gehen, wehrt sich Hedwig dagegen, dieses Leben aufzu­geben, von dem sie beide geträumt hätten und das so viel besser ist als das Leben, als sie noch 17 Jahre alt waren. Sie bleibt mit den Kindern, um ihr Heim und ihre so mühsam errungene Macht zu schützen, und Rudolf geht in die büro­kra­ti­sche Einsam­keit Orani­en­burgs.

Auch hier bleibt Glazer wild entschlossen, das Böse fast völlig zu igno­rieren. Erst in einer ikoni­schen Szene, in der sich der von Christian Friedel so subtil wie brutal verein­nahmte, unter­be­wusste Körper von Höß wehrt, wird deutlich, dass auch das verdrängte, büro­kra­ti­sierte, norma­li­sierte Grauen Folgen hat, die der Einzelne nicht mehr kontrol­lieren kann.

Dieses klug von Glazer einge­pflegte psycho­lo­gi­sche Detail deckt sich verblüf­fend mit den Beob­ach­tungen von Joshua Oppen­heimer in seiner über­ra­genden Doku­men­ta­tion The Act of Killing (2012), in der er die Massaker in Indo­ne­sien an meist chine­sischs­täm­migen, vermeint­li­chen Kommu­nisten in den Jahren 1965–1966 durch Re-Enact­ments der Täter von damals wieder in Erin­ne­rung rief und die Täter, die nie für ihre Taten belangt worden waren, von ganz ähnlichen körper­li­chen Reak­tionen berich­teten, wie sie Rudolf Höß hat, als er in Orani­en­burg die Treppen an seinem Arbeitsort hinab­steigt.

Wie Robert Schwentke in seinem inno­va­tiven Der Hauptmann, wagt auch Glazer am Ende den Bruch mit der Histo­ri­zität, zeigt uns die Gegenwart von Auschwitz, dort, wo Glazer auch gedreht hat. Wir sehen die Putz­ko­lonnen von heute in den Räumen von damals und verstehen, dass die Norma­lität von damals auch die Norma­lität unserer Gegenwart ist. Wir mögen – viel­leicht unfähig zum sonst so verfüh­re­ri­schen, iden­ti­fi­ka­to­ri­schen Sehen – in diesem Film nur stille Beob­achter bleiben, doch jedem dürfte bei jeder der subtil und perfekt insze­nierten Szenen in Garten oder Wohn­zimmer ein Schauer des Erkennens über den Rücken laufen.

Denn die hier darge­stellte Spießig­keit mit ihrem klein­bür­ger­li­chen Bildungs­ethos, ein Mann mit Karriere, ein Haus mit Garten und die neueste Mode zu einem »unschlag­baren« Preis sind genauso wie das verzwei­felte Klammern an der Norma­lität im Grauen auch unser Alltag. Zwar gibt es in diesem gnaden­losen Räderwerk der Norma­lität auch mensch­liche Licht­blicke – zeigt Glazer uns ein histo­risch verbrieftes Mädchen, das nachts Äpfel für die Gefan­genen deponiert – doch Glazer macht allein schon über die Wärme­bild­ka­meras, mit der diese Momente insze­niert sind, deutlich, dass diese Momente kaum zu »erkennen«, kaum existent sind, und es allemal besser ist, uns zu »erkennen«, um der Verfüh­rung durch das Böse zu entgehen.

Die Banalität des Bösen

Jonathan Glazer zeigt in seinem neuesten Film den Alltag einer Familie von Nationalsozialisten – und schafft damit ein Werk über den Holocaust, das so einprägsam ist wie wenige andere

Auf den ersten Blick begleitet das Publikum in The Zone of Interest eine ganz normale Familie. Mutter, Vater und ihre fünf Kinder baden gemeinsam im See, paddeln mit einem Kanu durch einen Fluss oder empfangen Arbeits­kol­legen in ihrem Haus. Doch der Vater ist nicht irgend­je­mand, sondern Rudolf Höß (Christian Friedel), der Komman­dant des KZ Auschwitz. Das Haus der Familie grenzt direkt an die Lager­mauer an, das Innere des KZ sehen die Zuschau­enden aber nie. Höchstens die Geräusch­ku­lisse, geprägt von Hunde­bellen und Rufen, gibt Aufschluss darüber, was auf der anderen Seite der Mauer geschieht, genauso wie der Rauch des Krema­to­riums, der immer wieder im Hinter­grund zu sehen ist.

Auch andere Ereig­nisse im Haus der Familie Höß zeigen indirekt die Gräuel­taten der Natio­nal­so­zia­listen: Etwa, wenn plötzlich eine Fuhre neuer Kleidung ankommt, aus denen sich jeder etwas aussuchen kann. Zwar wird im Film nicht darüber gespro­chen, doch wird deutlich, dass es sich hierbei um Klei­dungs­stücke handelt, die vorher den KZ-Häft­lingen gehört haben. Beinahe als würde sie sich dafür schämen, zieht sich Hedwig (Sandra Hüller), die Ehefrau von Rudol Höß, in ein Zimmer zurück, während sie einen Pelz­mantel anpro­biert. Als sie dort den Lippen­stift der Vorbe­sit­zerin findet, zögert sie nur kurz und trägt ihn dann auf.

Genau solche Szenen sind es, die den Film so perfide machen: Regisseur Jonathan Glazer (Under the Skin) zeigt, wie alltäg­lich und norma­li­siert die Taten der Nazis waren. Hannah Arendt spricht in ihrem Werk »Eichmann in Jerusalem« von einer »Banalität des Bösen«. Der SS-Ober­sturm­bann­führer Adolf Eichmann sei ein ganz normaler Mensch gewesen, der einfach seinen Job gemacht habe. The Zone of Interest setzt Arendts These filmisch um. Hier gibt es niemanden, der die Juden retten will, wie in Schind­lers Liste, und keinen KZ-Insassen, mit dem das Publikum mitfühlen kann, wie in Son of Saul. Einzig und allein die Familie Höß ist zu sehen, was für eine unmit­tel­ba­rere Ausein­an­der­set­zung mit der NS-Thematik sorgt. Schließ­lich wird hier verdeut­licht, wie leicht es sein kann, Hass und Gewalt auszu­blenden und in den eigenen Alltag aufzu­nehmen. Die Darsteller zeigen dabei sehr klar die Ignoranz und kalte Selbst­be­zo­gen­heit der Charak­tere: Sandra Hüllers Figur pflanzt Wein an der Lager­mauer, um diese zu verdecken, und fängt an zu weinen, weil ihr Mann versetzt werden soll – schließ­lich ist sie nicht bereit, das lieb­ge­won­nene Haus zu verlassen.

Und genau das hebt Glazers Werk von anderen Filmen über den Holocaust ab. Er nutzt den Holocaust nicht als Mittel zum Zweck, um Spannung oder Emotionen zu erzeugen. Auch wenn Steven Spielberg für Schind­lers Liste viele Auszeich­nungen erhalten hat, wurde er auch immer wieder für den Film kriti­siert. Etwa für eine Szene, in der er Spannung dadurch erzeugt, dass zunächst nicht sicher ist, ob aus den Duschen im KZ nun Wasser oder Gas kommen wird. Solche Momente vermeidet Glazer mit seiner subtilen Erzähl­weise – und erzielt dadurch eine äußerst intensive, beun­ru­hi­gende Atmo­sphäre, die auch nach dem Kino­be­such noch lange nachwirkt.

Nur in einigen wenigen Szenen steht nicht die Familie Höß im Mittel­punkt, sondern ein Mädchen, welches ein Teil des Wider­stands zu sein scheint. Nachts verteilt sie Äpfel rund um das Lager, in der Hoffnung, dass die Häftlinge diese bei ihrer Arbeit finden. Kamermann Łukasz Żal (Cold War – Der Brei­ten­grad der Liebe) hat diese Szenen in schwarz-weiß und mit Wärme­bild­ka­meras gedreht. Dadurch erscheint das Mädchen zwischen all der Dunkel­heit als strahlend weiße Figur. Dadurch wird sie aller­dings nicht nur als Hoff­nungs­schimmer insze­niert, sondern auch als Außen­sei­terin. Diese so fremd­artig, beinahe surreal wirkenden Sequenzen, zeigen ganz deutlich, wer zu dieser Zeit als Fremd­körper gilt und wer nicht. So wie die Taten der Nazis durch unauf­ge­regte Szenen verdeut­licht werden, wird auch der Wider­stand mit ruhigen Szenen darge­stellt. Hier werden keine großen Aufstände geplant, es gibt keine heroi­schen Figuren. Nur ein Mädchen, das hofft, zumindest einen kleinen Unter­schied zu machen.

Nicht nur in dieser, sondern in allen Momenten des Films, ist es nicht zuletzt die Kame­ra­ar­beit, die die unan­ge­nehme Atmo­sphäre unter­streicht. Gedreht wurde der Film mit versteckten Kameras, die sich überall im Haus befanden. Die Crew beob­ach­tete das Geschehen in einem Wagen außerhalb des Drehorts, wodurch die Schau­spieler zumeist allein waren. Das Kino ist ohnehin schon ein voyeu­ris­ti­sches Medium, doch durch das hier verwen­dete System bekommen die Zuschau­enden bei The Zone of Interest besonders den Eindruck, eine reale Familie zu beob­achten. Eine künst­liche Setbe­leuch­tung wurde nie verwendet, nur natür­li­ches Licht, das stets kühl wirkt. Die meisten Szenen kommen ohne einen Score aus, wenn dieser aller­dings zu hören ist, dann umhüllt die Musik von Mica Levi (Under the Skin) das Publikum mit einem wirr klin­genden Chor und unheim­lich wirkenden Strei­chern. Das ist äußerst effektiv, führt aber auch dazu, dass man beim Abspann so schnell wie möglich den Saal verlassen möchte, um dem erschla­genden Sound­track zu entkommen. Denn wie Sandra Hüller sagt, hat Jonathan Glazer hier einen ganz beson­deren Film geschaffen: »A film to make us unsafe in the cinema.«

Es war einmal in Auschwitz...

Ordnung ist das halbe Leben – die andere Hälfte ist der Tod: Wie dreht man einen Film über das Unaussprechliche? Jonathan Glazers Meisterwerk The Zone of Interest führt in das Vernichtungslager

»Kunst will die extremsten Aspekte mensch­li­cher Erfahrung vermit­teln ... Literatur will ein Fenster hin zum Unver­s­tänd­li­chen öffnen...«
Jonathan Littell

»Die Zeit ist günstig – der Winter ist da, 1943 klopft an die Tür – für eine 'Bestands­auf­nahme', eine Atempause einzu­legen und auf die Vergan­gen­heit zurück­zu­bli­cken. Nicht alle von uns sind Über­men­schen, ganz und gar nicht; und es gab Augen­blicke im Laufe dieser unserer großen Anstren­gung (etwa die fürch­ter­liche Schlappe vor Moskau), in denen mich ein albtraum­hafter Taumel von Schwäche und Zweifel ange­wan­delt hat. Jetzt nicht mehr. Ach, Recht­be­halten ist süß. Wir haben also doch recht!«
Martin Amis: »Inter­es­sens­ge­biet«

Der abgrün­digste Auftritt in Sandra Hüllers Karriere beginnt mit einer Idylle: Ein Dutzend Menschen, Erwach­sene und Kinder verbringen einen Sommer­sonntag am See. Picknick und Badespaß, das Ganze spielt offen­sicht­lich irgend­wann in der Vergan­gen­heit des 20. Jahr­hun­derts. Erst als alle in zwei Autos wieder nach Hause fahren, bemerkt man die SS-Runen an den Nummern­schil­dern...

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Jonathan Glazers The Zone of Interest ist die Verfil­mung des gleich­na­migen Romans des briti­schen Schrift­stel­lers Martin Amis, der auf deutsch: »Inter­es­sens­ge­biet« heißt, aber vor allem als Mate­ri­al­vor­lage diente. Der Film erzählt vom Privat­leben der Hedwig Höß und ihres Mannes Rudolf Höß, der von 1940 bis Ende 1943 Komman­dant von Auschwitz war.
Man sieht hier einer Familie mit fünf Kindern, mit Hund und drei Dienst­boten in ihrem Alltags­leben zu, einem Alltag, der direkt neben dem Vernich­tungs­lager nur durch eine Beton­mauer getrennt, nicht etwa ungestört, sondern in einem pseu­do­idyl­li­schen Neben­ein­ander von Grauen und Norma­lität statt­findet.

Ein solches Leben ist nur als ein hoch­gradig psycho­ti­scher, schi­zo­phrener Zustand erklärbar, in dem Menschen nicht etwa »nur« gegenüber dem Leiden der Anderen abge­stumpft sind, sondern vor allem gegenüber dem eigenen Tun, den eigenen Mordtaten und sonstigen Bruta­li­täten. Kinder plant­schen im Pool, Erwach­sene laden zu Garten­partys, während über die meterhohe Mauer immer wieder Hunde­ge­bell, Befehle, Schreie und Wehklagen zu hören sind, und vor allem der Höllen­lärm des Dauer­be­triebs der Verbren­nungs­öfen, deren Feuer­schein hier auch die Nacht zum Tage macht.
Nichts ist normal in diesem »normalen« Leben, das Hedwig Höß »Heimat« und »Paradies« nennt.

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Sie reden über »Ring-Einä­sche­rungs­öfen«, über Karrie­re­pläne und drohende Verset­zungen, sagen »Der Osten ist unser Morgen!« Die Menschen reden über alles, nur über das Entschei­dende nicht.

Christian Friedel spielt Rudolf Höß als seltsam weichen Massen­mörder, der im pervers »ordent­li­chen« Stil eines deutschen Durch­schnitts­be­amten seine Arbeit macht, die SS-Kameraden in Briefen zum Schutz der Flie­der­bü­sche im »Interesse der Gemein­schaft zur Ausschmü­ckung unseres gesamten Lagers« auffor­dert, und nur ab und zu zur Erleich­te­rung mal kotzen muss. Auch gibt es gele­gent­liche sexuelle Dienste von Häft­lingen, nach denen sich Höß im heimi­schen Keller­werk­raum mit viel Seife Hände und Seele schrubbt. Denn Sauber­keit ist dem Nazi-Mörder wichtig.

Dagegen ist Hüllers Hedwig Höß »die Königin von Auschwitz«, eine extrem ehrgei­zige Spießer-Frau, die ihren Mann auf seinem Karrie­reweg antreibt, und sich ansonsten so regel­mäßig Pelz­mäntel und Damen­wä­sche der Ermor­deten liefern lässt, wie heute der Durch­schnitts­deut­sche die Amazon-Pakete.

Überhaupt liegt das größte Grauen, das dieser Film entfaltet, in der leicht erkenn­baren großen Nähe dieses deutschen Lebens am Rande des Mord­be­triebs zu unserer eigenen Gegenwart. Die alten Holzmöbel sind heute in der Mittel­klasse von Berlin-Mitte wieder groß in Mode, die geblümten Kleider und Schürzen gibt es bei Manu­factum, für das weiße Weiß der deutschen Hemden – »weißer geht’s nicht!« – sorgt damals wie heute Persil.

Und in der Wohnung leuchtet dieses indirekte, pastel­lige, nicht zu helle Licht. Das deutsche Licht, das wir alle aus unserer Kindheit kennen.

Dies ist auch die Geschichte einer Jugend. Das Nicht-Erzählte des Natio­nal­so­zia­lismus ist die Alltäg­lich­keit: Der Garten, die Dienst­boten, die Damen­un­ter­wä­sche, die Pelz­mäntel.

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So wirft uns dieser Film auch mitten hinein in jetzige Anti­se­mi­tis­mus­de­batten.

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Zugleich muss die Machart ein Thema sein: Glazer und Kame­ra­mann Łukasz Żal instal­lierten bis zu zehn Kameras im und um das Haus herum und ließen sie gleich­zeitig laufen, ohne dass ein Team am Set anwesend war. Dieser Ansatz, den Glazer »Big Brother in the Nazi House« nannte, ermög­lichte es den Schau­spie­lern, während der Dreh­ar­beiten ausgiebig zu impro­vi­sieren und zu expe­ri­men­tieren. Ein Leben der Schau­spieler in Auschwitz.

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Wie dreht man einen Film über das Unaus­sprech­liche? Über das Einmalige? Über das Grauen? Über das Schweigen?

Regisseur Jonathan Glazer zeigt die Deutschen so, wie sie sind, jeden­falls auch sind, wie Ausländer sie sofort (er)kennen, vor allem aber so, wie sie in deutschen Filmen nie gezeigt werden.

Zugleich bringt er noch eine mytho­lo­gi­sche Erzäh­le­bene in seinen Film hinein: Eine märchen­hafte Geschichte, die von den Gebrüdern Grimm stammen könnte.
Glazer ist ein tadel­loser konse­quenter Film gelungen. Glazer schüttelt uns, unser Magen zieht sich zusammen. Der Film tut uns weh.

Aber alles, was der Film schildert, ist so unglaub­lich und bizarr, wie im Detail belegbar. Es war einmal im Osten. Und viele dieser damals ganzen jungen Männer waren in der Bundes­re­pu­blik zum Teil bis in die 90er Jahre an der Macht. Dies ist nicht, wie manche sagen, einfach nur ein Film über das Wegschauen, sondern dieje­nigen, die hier wegschauen, sind die Täter. Sie schauen nicht weg vor dem Leiden anderer, sie schauen weg vor dem, was sie selber ange­richtet haben.

Das Grauen liegt nicht nur im Herzen der Fins­ternis, sondern in der Art und Weise, wie wir es aus unserer Gegenwart heraus betrachten.