Workingman's Death

Österreich/Deutschland 2005 · 122 min. · FSK: -
Regie: Michael Glawogger
Drehbuch:
Musik: John Zorn
Kamera: Wolfgang Thaler
Arbeiten im Extrem

Arbeit (um zu) überleben

Anfang diesen Jahres kriti­sierte der Autor (bekannt durch seine Wallander-Krimis) und profunde Afri­ka­kenner Henning Mankell in der Wochen­zei­tung Die Zeit äußerst lesens­wert die einsei­tige und tenden­ziell zu negative Art, wie die Medien unser Bild vom »schwarzen Kontinent« bestimmen (im Internet immer noch nach­zu­lesen).

Eine seiner zentralen Aussagen lautet dabei: »Die Flut von halben Lügen, die in trüge­ri­sche Wahr­heiten verwan­delt werden, oder das Umge­kehrte, Halb­wahr­heiten, die nur zu verwor­renen Schluss­fol­ge­rungen führen, prägen gegen­wärtig die Bericht­er­stat­tung über Afrika« ... und das Bild, das die westliche Film­in­dus­trie von diesem Kontinent zeichnet – möchte man hinzu­fügen.

Spiel­filme wie The Constant Gardener oder Lord of War und Doku­men­ta­tionen wie Darwins Alptraum stehen exem­pla­risch für die Kritik­punkte Mankells, die sich auch nicht durch eine (wie ehrlich oder unei­gen­nützig auch immer gemeinte) gute Absicht rela­ti­vieren lassen.

Wie man es besser bzw. einzig richtig macht, zeigt nun der heraus­ra­gende Doku­men­tar­film Workingman’s Death von Michael Glawogger, der einmal mehr beweist, dass ein künst­le­risch außer­ge­wöhn­li­ches Werk in der Regel auch sozial und moralisch richtig platziert ist.

Glawog­gers Film doku­men­tiert in fünf Kapiteln die Arbeit in ukrai­ni­schen Berg­werken, indo­ne­si­schen Schwe­fel­minen, nige­ria­ni­schen Schlacht­höfen, pakis­ta­ni­schen Schiffs­schrott­plätzen und chine­si­schen Stahl­werken, denen allen gemeinsam ist, dass uns die dort herr­schenden Arbeits- und Lebens­be­din­gungen mehr oder minder uner­träg­lich erscheinen.

Am extremsten zeigt sich dies wohl beim nige­ria­ni­schen Schlachthof, der manchen Kritiker schon zum Vergleich mit Dantes Inferno veran­lasst hat und der gerade im Kontrast zu den eingangs erwähnten Filmen (vor allem Darwins Alptraum von Glawog­gers Landsmann Hubert Sauper) die Stärken von Workingman’s Death augen­fällig macht.

Was auf diesem Schlachthof (im eigent­lich Wortsinn, da es sich dabei nicht um ein über­dachtes Gebäude, sondern eine Freif­läche handelt) im nige­ria­ni­schen Port Harcourt geschieht, wirkt im ersten Moment wie ein weiterer Blick in der Herz der afri­ka­ni­schen Fins­ternis. Ein Gewirr von Menschen und Tieren, die ein bizarres Ballet aufführen, reihen­weise Ziegen und Kühe, denen der Hals aufge­schlitzt wurde und die nun dem Tod entgegen röcheln, dichte Rauch­schwaden von bren­nenden Auto­reifen, auf denen Tiere geröstet werden um sie von ihrem Fell zu befreien, überall Lärm, Dreck, Blut, Innereien und inmitten all dessen die zahllosen Arbeiter, die als Muskeln dieser apoka­lyp­ti­schen Todes­ma­schi­nerie dienen.

Was unter­scheidet nun Glawog­gers Blick auf dieses stre­cken­weise schwer erträg­liche Geschehen, von den Bildern der Fisch­in­dus­trie aus Saupers Film? Glawogger zeigt das Leben, Sauper dagegen das Elend. Dass für viele Menschen im Hinblick auf Afrika beides identisch ist und dass Filme­ma­cher wie Sauper diese Ansicht noch fördern, ist das, was Mankell kriti­siert. Glawogger geht bei seinem Film den einzig möglichen Weg, um solche extremen Szenen glaubhaft und korrekt zu zeigen; er doku­men­tiert sachlich, ohne Wertung, voll­s­tändig(!) und auf das Wesent­liche reduziert.

Das mag für einen Doku­men­tar­film als selbst­ver­s­tänd­lich erscheinen, ist es heute aber zu oft nicht mehr. Zu groß ist die Verlo­ckung für Doku­men­tar­filmer, ihren Filmen mehr Spannung zu verleihen, indem sie das Negative zum Horror überhöhen, das Gute dafür um so strah­lender und unfehl­barer machen, indem sie dem Publikum leicht zu verste­hende Probleme und noch leichter klingende Lösungen präsen­tieren, indem man das zeigt, was einem als Filme­ma­cher ins Konzept passt und man sich auch schon mal vom eigent­lich Objekt der Doku­men­ta­tion entfernt, um es durch Verweise auf große Zusam­men­hänge und Verknüp­fungen noch gewich­tiger erscheinen zu lassen.

Auf all diese (unlau­teren) Mittel verzichtet Glawogger. Er zeigt unge­schönt das Negative, aber ebenso das Positive, das darin exsis­tiert. Der Schlachthof in Nigeria mag uns als Hölle erscheinen, doch für die Menschen, die dort arbeiten, ist er Alltag, ja sogar wichtige Rettung vor der Armut.

In allen fünf Episoden von Workingman’s Death gibt es Momente des Glücks oder der Zufrie­den­heit, was ange­sichts der harten Lebens­be­din­gungen für uns chronisch unzu­frie­dene Wohl­stands­bürger die wahr­schein­lich bitterste Pille des Films ist.

Dass dabei ein so diffe­ren­ziertes Bild der einzelnen Arbeiter gelingt, hat einen einfachen Grund. Der Regisseur beschränkt sich auf sie und degra­diert sie nicht zum mitleid­er­re­genden Ausgangs­punkte seiner Suche nach den »Hinter­män­nern« und abstrakten globalen Problemen.
Wir erfahren nichts über den Ursprung der Schiffe, die in Pakistan mühselig ausein­an­der­ge­schnitten werden oder was mit dem Schrott geschieht und wer daran verdient. Wir erfahren es deshalb nicht, weil diese Infor­ma­tionen nichts am Leben der Arbeiter (und nur darum geht es hier) auf dem Schrott­platz ändern.

Scheinbar paradox führt diese Beschrän­kung dazu, eine viel größere Wahrheit erkennbar zu machen. In der Fokus­sie­rung auf die Plackerei der einzelnen Personen ergeben sich so allgemein gültige Erkennt­nisse zum abstrakten Begriff der Arbeit.

Entschei­dend dafür, dass Glawogger auch ohne all die gebräuch­li­chen Tricks und Verein­fa­chungen ein derart packender und span­nender Film gelingt, ist seine Besinnung auf die eigent­li­chen Aufgaben eines Doku­men­ta­risten, was u.a. bedeutet, vielfach eine Auswahl zu treffen.
Es gilt die richtigen Schau­plätze auszu­wählen, die richtigen Prot­ago­nisten, die richtigen Momente, die richtigen Szenen, die richtigen Einstel­lungen. Wer das gewis­sen­haft macht, den belohnt das Leben mit den span­nendsten Geschichten.

Das nützt natürlich alles nichts, wenn man ausge­rechnet bei der Wahl der Mitar­beiter Fehler macht und so die Stimmung auf dem Weg vom Schau­platz auf die Leinwand verloren geht. Doch diese Gefahr besteht hier nicht, da Glawogger auf einen Kreis bewährter Mitar­beiter (die um die Regis­seure Glawogger, Pepe Danquart und Ulrich Seidl eine Art »Krea­tiv­pool« bilden) zurück­greifen kann. Ganz ausdrück­lich sei darunter der Kame­ra­mann Wolfgang Thaler genannt, der hier erneut Bilder zaubert, die einen vor Kraft und Inten­sität schier umwerfen.

Außer­ge­wöhn­lich gut auch die Tonspur, die sich als perfekte Melange aus Origi­nal­tönen, Sound­de­sign und dem Sound­track von John Zorn, der diesmal kein Klang­ge­witter entfacht, präsen­tiert.

Trauriger- bzw. perver­ser­weise hat Michael Glawogger unter diesen Voraus­set­zungen einen doppelt schweren Stand. Zum einen, weil sich Henning Mankell Kritik nicht nur auf die Beschäf­ti­gung mit Afrika, sondern auf alle sozialen Themen anwenden lässt, weshalb die Aufmerk­sam­keit des Publikums wieder bei den Drama­ti­sie­rern, Verein­fa­chern und Welter­klä­rern und nicht bei dieser viel­schich­tigen Reflexion liegen wird. Zum zweiten, weil Workingman’s Death eine echtes, in vielerlei Hinsicht heraus­for­derndes Kunstwerk ist und gerade davor scheinen die Zuschauer (zum eigenen Schaden) zunehmen zurück­zu­schre­cken.

Es ist leider bezeich­nend, dass Workingman’s Death in München in sage und schreibe einem Kino mit einer einzigen Vorfüh­rung pro Tag (die bei meinem Besuch auch noch schlecht besucht war) gestartet ist. Dabei hätte dieser Film mindes­tens (!!!) das Interesse verdient, das die Öffent­lich­keit Dokus wie Darwins Alptraum oder aktuell We Feed the World entge­gen­bringt.
Damit dies eintritt, sei jedem noch einmal ausdrück­lich der Besuch von Workingman’s Death empfohlen. »Keine Lust« ist dabei eine Ausrede, die ange­sichts der Arbeiter im Film und der Mühen des Regis­seurs nicht akzep­tiert wird.