Vanilla Sky

USA 2001 · 136 min. · FSK: ab 16
Regie: Cameron Crowe
Drehbuch:
Kamera: John Toll
Darsteller: Tom Cruise, Penélope Cruz, Cameron Diaz, Kurt Russell u.a.
Bei Cruz/ise zu Haus

Das Leben als Traum

Dieser Blick. In den Spiegel. Die Zähne werden gebleckt, sorgsam greifen die Finger nach der Pinzette neben dem Wasch­be­cken, zielen – und zupfen ein schnee­weißes Haar aus der dunklen Frisur des nicht mehr ganz jungen Mannes. Er grinst. Der Tag kann beginnen. Gleich zweimal.

Schon immer schien Tom Cruise ein wenig am Peter-Pan-Syndrom zu leiden: Ein Mann, für den das Erwachsen-werden eine mission impos­sible ist, ein großes Kind, das das Pubertär-Jungen­hafte in sich kulti­viert, als Holly­wood­held seine Nase zwar an den Hüften vieler schöner Frauen reibt, abseits der Leinwand aber von Gerüchten um Impotenz, Scien­to­logy und Homo­se­xua­lität verfolgt wird – und viel­leicht gerade darum lange Zeit im Kino den starken Mann markierte.
In den letzten Jahren ist das anders gewesen, hat Cruise seine Rollen­aus­wahl auf intel­li­gente Weise erweitert. An der Seite seiner damaligen Frau Nicole Kidman war er in Kubricks Eyes Wide Shut die schwächere Hälfte eines Paares, in Cameron Crowes Jerry Maguire brach er konse­quent mit den Erwar­tungen des Publikums an eine romantic comedy, und in Magnolia ironi­sierte er als Macho-Guru, der eine Selbst­hil­fe­gruppe für frau­en­geschä­digte Männer leitet, voller Humor die harten Kerls in Hollywood-Filmen. Nur den Peter Pan in sich wurde er nicht so recht los.

Vanilla Sky, der fünfte Spielfilm von Cameron Crowe, ist über weite Strecken ein Essay über männliche Eitelkeit und irri­tierte Selbst­bilder. Mit gutem Grund kann man sie als neuer­li­chen, in vielem intel­li­genten und mutigen Versuch des Schau­spie­lers (Cruise hat das Script von Alejandro Amenábars Abre los ojos – der unter dem Titel Open Your Eyes zeit­gleich mit Vanilla Sky in deutsche Kinos kommt – gekauft und das Remake copro­du­ziert) ansehen, sich mit seinem Starimage offen ausein­an­der­zu­setzen und ihm damit auch ein Stück weit zu entkommen.
Die verfloch­tene, auf mehreren Zeit- und Realitäts­ebenen erzählte Handlung ist Amenábars Film über weite Strecken angelehnt. Um so wichtiger sind die Ände­rungen, das Hinzu­ge­fügte und Wegge­las­sene und der grund­sätz­lich gewan­delte Ton. Denn dort, wo Amenábar bewußt an Motive der Schwarzen Romantik – Dr. Jekyll & Mr. Hyde, Das Phantom der Oper, Die Schöne und das Biest – anknüp­fend, in blau­grauer Blässe vom Scheitern und der Nacht­seite eines Don Juan handelt, da zeigt uns Crowe statt­dessen das warme Gelbrot eines Vanil­le­him­mels und erzählt neben Intel­li­gentem zu Funktion und Faszi­na­tion der Popkultur vor allem die Geschichte vom armen reichen Kind David, das verwaist und Schnee­witt­chen-gleich in einem kalten gläsernen Gefängnis abge­schlossen von der wahren Welt darauf wartet, erlöst zu werden. Selbst die sieben Zwerge, auf die man hier auch trifft, sind noch böse.

Penélope Cruz ist in beiden Filmen als die gleiche Traumfrau Sofia zu sehen, die David begegnet und so erschüt­tert, dass sich nicht nur sein Äußeres verändert. Die wesent­lichste Neuerung des Remake ist aber, dass der Regisseur hier dieser Sofia eine gleich­be­rech­tigte Konkur­rentin zur Seite stellt, eindring­lich gespielt von Cameron Diaz. Crowe, der seinen Huma­nismus außer in Filmen zuletzt auch in einem wunder­baren Interview-Buch mit Billy Wilder (Hat es Spaß gemacht, Mr.Wilder?; Diana Verlag) unter Beweis stellte, ignoriert so die gothic tale, und fragt statt­dessen ganz realitätsnah nach den Bedin­gungen der Möglich­keit des Liebes­glücks.

Als David nach einem Unfall mit verun­stal­tetem Gesicht wieder aufwacht, ist dies daher einer­seits ein irri­tie­rendes Spiel mit Cruise' Aussehen, zugleich aber auch ein starkes Bild für innere Irri­ta­tion und Verwun­dung. Hier kann einer sich nicht mehr in die Augen sehen, entgleitet ihm sein Selbst. Mehr und mehr verwan­delt sich der Film nun in ein hitch­cock­haftes Puzzle, das in seiner Suche nach Erin­ne­rungs­spuren, in der Verdop­pe­lung einer Frau­en­figur nicht zuletzt an Vertigo erinnert, und über dem mitunter die vorherige Aufmerk­sam­keit für die Emotionen verlo­ren­zu­gehen droht. Es wird auch für den Zuschauer unklar, wo er sich gerade befindet, und insofern lässt sich alles auch als Traum verstehen. Über den ganzen Film verstreut sind Metaphern des Erwachens, Aufwa­chens – »Wake up, man« heißt es öfters. Doch ebenso könnte es sich auch um einen Cyber­thriller handeln, eine bessere, weil inten­si­vere und weniger auf Schau­werte auswei­chende Version von Matrix.
Indem Crowe alle möglichen Lesarten, sogar die, dass David eigent­lich ein auf die Welt gekom­mener Gott ist, nahe legt, ohne sich für eine zu entscheiden, zele­briert er genau jene offene Verab­schie­dung des einen, fest­ge­fügten Realitäts­stand­punktes, die man dem Kino schon zu Hoch­zeiten der Post­mo­derne nach­ge­sagt hat, die es aber erst in den letzten Jahren wirklich einlöst. Wie in so unter­schied­li­chen Filmen wie Matrix, eXistenZ, Memento und Mulhol­land Drive führen auch hier die Erzähl­spi­ralen ins Leere. Es gibt eine Art Auflösung, die aber genau genommen doch keine ist, und überdies mit dem letzten Satz ein weiteres Mal aus den Angeln gehoben wird. Die Arbeit der Sinn­fin­dung nimmt dem Zuschauer also keiner ab, doch auch, wer lieber festen Boden unter den Füßen hat, wird sich dabei wohl­fühlen.

»Open your eyes« – man muss schon die englische Fassung sehen, um zu hören, dass es einmal die Stimme von Penélope Cruz, beim zweiten und dritten Mal die Stimme von Cameron Diaz ist, die das sagt. Schon zuvor hatte sie die aller­stärksten Auftritte des Films, als sie David ihre Liebe gestand und nach den Bedin­gungen des Glücks fragte, indem sie ihm – »Wenn Du mit jemandem schläfst, macht Dein Körper ein Verspre­chen, ob Du willst oder nicht.« – vor Augen führte, dass jede Wahl ihre Konse­quenzen hat. Dadurch bringt sie ihn in eine Situation, der er nicht mehr auswei­chen kann, und zwingt ihn dadurch, sein hedo­nis­ti­sches Paradies – im Schnee­witt­chensarg, aber glücklich – zu verlassen und endlich erwachsen zu werden. Insofern ist Vanilla Sky vor allem ein Film über die Angst des Mannes vor der Ehe, vor Bindung und Entschei­dung, die in diesem Fall auch die Angst vor der blonden Frau ist. Im Traum, wie im Leben.