Lady Vengeance

Chinjeolhan geumjassi

Südkorea 2005 · 115 min. · FSK: ab 16
Regie: Park Chan-wook
Drehbuch: ,
Kamera: Jeong Jeong-hun
Darsteller: Lee Young-ae, Choi Min-sik, Kwon Yea-young, Kim Si-hu u.a.
Auf dem Rachefeldzug: Lady Vengeance

Die Frau, die in der Kälte blieb

Rache als schöne Kunst betrachtet

Rache ist süß und lieblich und Mitleid kann sehr kalt sein in Lady Vengeance, dem Abschluß­film der Rache­tri­logie des korea­ni­schen Regis­seurs Park Chan-wook. Nach Sympathy for Mr. Vengeance und Oldboy ist Lady Vengeance der poetischste und sanfteste Teil der Trilogie. Park zeigt: Es mag eine Errun­gen­schaft der Zivi­li­sa­tion sein, Rache­denken zu über­winden. Aber dennoch bleiben Rache und Rache­phan­ta­sien weiterhin das Andere der Zivi­li­sa­tion.

Aus dem Off erklingt Barock­musik von Vivaldi, und die Kamera bewegt sich über einen fast völlig weißen, nur als Schat­ten­riss noch sicht­baren Frau­en­körper. Zugleich sieht man die schwarz gefärbten Triebe einer Rose im Zeit­raffer wachsen und mit diesem Körper verschmelzen. Schnee fällt, wird aufge­wir­belt von Windböen, weißes Mehl wird geknetet, eine Messer­klinge erscheint, ein weib­li­ches Augenlied wird rot geschminkt, eine Träne löst sich, verwan­delt sich in einen Bluts­tropfen, fällt in klares Wasser, mischt sich zu einer roten Flüs­sig­keit, die sich kreis­förmig ausbreitet und die Form einer Blüte annimmt, um dann wieder in einen diffusen kreis­runden Körper über­zu­gehen – eine ebenso wunder­schöne wie surreale Vorspann­se­quenz voller Andeu­tungen und Geheimnis, die die Primär­farben dieses Films – Weiß, Rot und Schwarz – ebenso vorgibt, wie einige wichtige Symbole und Leit­mo­tive, sowie, nicht zuletzt, seinen Ton, das Verfahren der Erzähl­weise: In Lady Vengeance vermi­schen sich Erin­ne­rungen der Haupt­figur mit ihren Träumen und dem realen Hand­lungs­ge­schehen und bilden ein untrenn­bares Ganzes. Manchmal ist nicht auf den ersten Blick erkennbar, auf welcher Erzäh­le­bene wir uns gerade bewegen, doch wenn dies der Fall ist, hat es Methode.

Denn überaus souverän und noch eleganter als in seinen vorhe­rigen Filmen bedient sich Park Chan-wook, neben Kim Ki-Duk heute der inter­na­tional bekann­teste und wich­tigste Regisseur der korea­ni­schen »Neuen Welle«, der verschie­denen narra­tiven Mittel. Mal bleibt alles ganz konven­tio­nell, dann wieder erinnern Split­screens und wegklap­pende Bilder an Erzähl­weisen des Comics, oder es kommt statt­dessen zu fließenden Über­gängen zwischen Zeit- oder Raume­benen durch einen Kame­ra­schwenk oder eine Über­blen­dung. Der Gesamt­ein­druck ist musi­ka­lisch, und zwar nicht der schneller Beats oder sich wieder­ho­lender Rhythmen; dieser Film hat den langen Atem einer Symphonie, holt aus und lässt sich Zeit, um die ausge­brei­teten Bestand­teile dann im letzten Drittel zu einer Klimax zu verdichten. Auch Räume und Einstel­lungen sind in ausge­suchter, extrem virtuoser Weise stili­siert und verste­cken dies nicht, ohne dass sich die Form hier je in den Vorder­grund schöbe, zum Selbst­zweck würde. Immer wieder erzeugt Park filmische Augen­blicke von atem­be­rau­bender Schönheit, etwa, wenn wir die Haupt­figur, umrahmt von zwei bren­nenden roten Kerzen in einem knallrot gestri­chenen Raum vor einem Schmink­spiegel sitzen sehen, dessen aufge­klappte Seiten ihr Gesicht verdrei­fa­chen – wie vor einem Altar.

Die eigent­lich ganz klare, einfache Geschichte, teilt sich grob in zwei Hälften. In ihrem Zentrum steht Geum-ja, eine junge Frau Anfang 30. Gleich zu Beginn wird sie nach 13 Jahren aus der Haft entlassen. Ernst, fast ausdruckslos wirkt sie, voller gebän­digter Leiden­schaft. Noch vor dem Gefäng­nistor weist sie einen weißen Tofu, in Korea ein Symbol mora­li­scher Reinigung, das ihr ein von einem Weih­nacht­schor beglei­teter katho­li­scher Priester über­reicht, rüde zurück. »Why don’t you screw yourself?« Mit der Zeit versteht man, dass dies nicht nur mora­li­sche Provo­ka­tion ist: Geum-ja fühlt sich alles andere als »rein«, sie leidet unter tiefen Schuld­ge­fühlen, zugleich ist sie von Sehnsucht nach Rache getrieben. Stück für Stück entfaltet der Film nun virtuos im Wechsel aus Geum-jas ersten Schritten in Freiheit, Schlag­lich­tern aus der Gefäng­nis­zeit, TV-Nach­rich­ten­bil­dern und Erin­ne­rungs­fetzen zunächst eine komplexe Vorge­schichte: Geum-ja wurde erpresst, den Mord an einem sechs­jäh­rigen Jungen zu gestehen, den sie nicht beging. Jetzt will sie sich an dem, der so ihr Leben zerstörte, rächen, und zugleich die eigenen Schuld­ge­fühle verrin­gern. Denn der wahre Täter, der Lehrer Baek, brachte in der vergan­genen Dekade noch mehrere andere Kinder um.

Nebenbei erfährt man auch viel über die anderen Häftlinge und ihre Taten, und man erlebt die Mecha­nismen der medialen Öffent­lich­keit, die zumindest mitver­ant­wort­lich dafür ist, dass aus Geum-ja eine Rächerin wird. So entsteht zugleich auch ein Profil von Geum-ja’s zutiefst ambi­va­lenter Persön­lich­keit. Für die einen ist sie – »They say, she’s a real angel«, »Everyone in there calls her kind-hearted« – ein strah­lender Unschulds­engel, von Mitleid getrieben, eine weltliche Heilige, die sich für andere aufopfert, und einer Mitge­fan­genen sogar eine Niere spendet – dies ist auch eine von vielen Anspie­lungen auf die beiden Vorgän­ger­filme von Parks »Rache­tri­logie«, Sympathy for Mr. Vengeance und Oldboy. Für andere ist sie eiskalt, eine »Hexe«, zu jeder Gewalttat fähig. Der Zuschauer erkennt im Verlauf des Films, dass beide Urteile zutreffen. Denn Geum-ja ist eine sehr asia­ti­sche Figur: Lady Snowblood oder die Sasori-Filme kommen einem sofort in den Sinn. Eine kontem­pla­tive Rächerin voller Humanität, aber gnadenlos gegenüber jenen, die ihr Unrecht taten. Eine Kunst­figur womöglich, obwohl hier zutiefst mensch­liche Charak­ter­züge verschmelzen, aber auch die Story ist ein offenes Konstrukt. Dem Regisseur geht es nicht um Natu­ra­lismus, sondern um eine ethische Medi­ta­tion über die Rache.

Die zweite Hälfte beschreibt, wie Geum-ja zunächst ihre geliebte Tochter ausfindig macht, die einst nach ihrer Verur­tei­lung als Baby zur Adoption frei­ge­geben wurde, in Austra­lien aufwuchs und wie sie dann versucht, ihre Rache zu voll­ziehen. Die Tochter zeigt sich schnell als ganz die Mutter. Das Verhältnis ist liebevoll, aber nicht unkom­pli­ziert: »Why did you dump me?« fragt sie irgend­wann. Und schon zuvor sang sie: »No friend, no mother, I don’t need anybody/ Wind do you know, who I am/ just tell me, where I am from.«

Als Geum-ja dann Baek in ihrer Gewalt hat, bringt sie es aller­dings genauso wenig über sich, ihn zu töten, wie sie ihn wieder frei­lassen kann. Es gibt keine Lösung dieses mora­li­schen Dilemmas, also wählt sie einen dritten Weg: Sie führt die Eltern der ermor­deten Kinder zusammen, und überlässt die Entschei­dung dem Hinter­blie­benen-Kollektiv – aller­dings erst, nachdem sie ihnen den Gefan­genen und dann Täter­vi­deos gezeigt hat, die die letzen schreck­li­chen Leidens­mi­nuten ihrer Kinder doku­men­tieren. Gerade diese Momente schildert Park in aufre­gender Weise: Man sieht eine Katze, die einen Vogel gefangen hält – was doppelt lesbar ist, auf die Kinder ebenso bezogen, wie auf den Mörder, der nun seiner­seits in der Falle sitzt. Mehrfach wirft die Kamera einen Blick in Zukunft, nimmt die Reaktion und das Leid der Eltern vorweg – ein Bruch mit der Chro­no­logie, der glei­cher­maßen distan­ziert, wie inten­si­viert.
Nach langer Debatte über die Alter­na­tiven Rechts­staat­lich­keit und Selbst­justiz und über ihren jewei­ligen Preis, entscheiden sich die Eltern für die letztere, einen »mehr perso­na­li­sierten Tod« des Mörders. Gemeinsam und langsam bringen sie Baek zu Tode – und Park zeigt dieses Geschehen nicht, macht seinen Horror wie seine Banalität in wenigen, für seine Verhält­nisse überaus dezenten Bildern sichtbar.

Geum-ja, die Draht­zie­herin des Ganzen, hat die Eltern zwar dazu gezwungen, eine Entschei­dung zu treffen, und deren Härte ins Auge zu sehen, aber sie hat sich an der Tat nicht direkt beteiligt. Die ersehnte Erlösung hat sie am Ende nicht gefunden, viel­leicht gerade deshalb; sie muss mit ihrer Schuld – aber was genau ist hier eigent­lich Schuld? – weiter­leben. »Sei weiß. Lebe weiß.« sagt ihr vers­tänd­nis­voll die Tochter und über­reicht ihr noch einmal einen Tofu. Die Mutter beißt nicht nur zu, sie vergräbt ihr Gesicht und ihre Tränen darin.

Rache ist also für diesen Regisseur etwas Ernst­haftes. Lady Vengeance ist der Abschluss von Parks Rache­tri­logie, die 2002 mit dem Meis­ter­werk Sympathy for Mr. Vengeance, dem narrativ ausge­feil­testen, viel­fäl­tigsten, an sozio­kul­tu­rellen Anspie­lungen reichsten und insgesamt intel­lek­tu­ellsten der drei Filme begann, 2003 mit dem wuchtigen Crowd­pleaser Oldboy fort­ge­setzt wurde, und nun hier seine poetischste Ausfor­mung erhält.
Lady Vengeance ist ein hoch­äs­t­he­ti­sierter, hoch­äs­t­he­ti­scher Film. Neben der beschrie­benen Insze­nie­rung trifft das auch auf die Haupt­figur Geum-ja zu, der wir fast nur in coolen Posen begegnen, mit Zigarette, Sonnen­brille, High Heels. Eine Frau, die in der Kälte blieb. Ein weib­li­cher Dandy. »A woman’s gotta do, what a woman’s gotta do.« Aber Kälte, Coolness sind manchmal auch nur ein Schutz vor Verzweif­lung. Außerdem ist der Film voller Refe­renzen an andere Filme und Genres – auch des Exploi­ta­ti­on­kinos in seinem Bezug auf Frau­en­gefäng­nis­filme.
Zugleich gibt es auch eine katho­li­sche Erzäh­le­bene. Motive und Verweise auf Reli­giöses sind zahlreich, die Haupt­figur ist als Heilige – in einer Szene strahlt sie des Nachts, jeden­falls in den Augen ihrer Mithäft­linge – und Märty­rerin verstehbar, ihre Erlö­sungs­sehn­sucht, und deren Scheitern wurden genannt. Gleich­zeitig ist sie auch eine Sünderin, die – mögli­cher­weise – zum Guten konver­tiert. »Prison is an ideal place to learn to pray. We know, we are all sinners here.« Und immer wieder wirkt sie scheinbar schon ganz entrückt, schmilzt dahin in Zwie­sprache mit Gott.

Aber – und das ist ein großes Aber – trotz all dieser katho­li­schen Attribute darf man nicht vergessen: Sie ist Buddhistin. Das erklärt sie in einer Szene dem katho­li­schen Priester, der sie während der Haftzeit betreute – natürlich auch, um ihn zu scho­ckieren. Ist dies wahr, oder nur eine ihrer vielen Lügen. Ihren »perfekten Plan« präsen­tiert sie in einem Buch The way to Dhamma. Aber wie gesagt: Wenn Geum-ja mögli­cher­weise eine Heilige ist, ist sie doch auch eine Sünderin.

Schließ­lich bietet der Film auch die welt­an­schau­liche Summe von Parks Beschäf­ti­gung mit dem Rache­thema. Lady Vengeance versagt sich dabei ebenso allen Sadismen und reak­ti­onären Zügen, die US-Filme über Rache und Selbst­justiz prägen – zuletzt noch The Departed – wie reiner Ästhe­ti­sie­rung a la Kill Bill – bei aller Brillanz-, wie auch umgekehrt dem Übermut des guten Gewissens, der moralisch Arroganz all jener, die jedes Rache­denken von vorn­herein von sich weisen.
Gewiss: Es ist eine Errun­gen­schaft der Zivi­li­sa­tion, Rache­denken zu über­winden. Aber das bedeutet nicht, dass es verschwindet. Rache­phan­ta­sien sind das Andere der Zivi­li­sa­tion, darauf besteht Park, und spielt in seiner Trilogie deren Moti­va­tions- und Varia­ti­ons­breite durch. Lady Vengeance ist, wie seine beiden Vorgän­ger­filme, eine mora­li­sche Fabel. Voller Zärt­lich­keit für die Haupt­figur, voller Sinn für filmische Poesie und Schönheit ist dem Regisseur ein Meis­ter­werk gelungen.