Starbuck Holger Meins

Deutschland 2001 · 92 min. · FSK: ab 12
Regie: Gerd Conradt
Drehbuch: ,
Kamera: Armin Fausten, Hans Rombach, Steffen Grossmann, Phillip Virus
Schnitt: Nelia Ibeh
Holger Meins – Symbol oder Symptom?

Jung war Holger Meins auch noch, als er schon wieder starb. Mit nur 33 Jahren hungerte er sich 1974 zu Tode, die zwei Jahre davor hatte er in Haft verbracht, das Jahr wiederum davor im Unter­grund, je nach Stand­punkt als »Befrei­ungs­kämpfer«, »Terrorist« oder einfach politisch verrannter junger Mann. Zuvor, seit 1966, war Meins bereits an der Berliner Film­hoch­schule DFFB einge­schrieben, studierte dort unter anderem bei dem Fass­binder- und Scorsese-Kame­ra­mann Michael Ballhaus. Ende 1968 wurde er »wegen poli­ti­scher Akti­vitäten« von der Hoch­schule verwiesen. Danach führte der Weg zur RAF.

Regisseur Gerd Conradt, auch 1941 geboren, studierte gemeinsam mit Holger Meins an der Film­hoch­schule. Seit Jahr­zehnten beschäf­tigt sich Conradt mitseinem Studi­en­kol­legen, hat ein Buch über ihn gemacht und konnte nun endlich, nach Jahren der Vorbe­rei­tung seinen Film fertig stellen: Starbuck: Holger Meins. Der Titel bezieht sich auf einen von Meins' Tarnnamen innerhalb der RAF, den ihm Gudrun Ensslin gegeben hatte, nach der Figur des Steu­er­manns in Hermann Melvilles Roman Moby Dick. Conradts Film reiht sich ein in die Fülle von Filmen und überhaupt Kunst­werken mit dem Thema »Deutscher Terro­rismus«. Während die Spiel­filme Die innere Sicher­heit (Regie: Christian Petzold), Die Stille nach dem Schuss (Regie: Volker Schlön­dorff) und Baader (Regie: Chris­to­pher Roth) dem Thema seine imaginären, phan­tas­ti­schen Seiten abge­winnen konnte, es als Material nutzte, um eigene Geschichten zu erzählen, ähnelt Starbuck: Holger Meins Andres Veiels Black Box BRD.

Auch hier erlebt man unbe­kannte Seiten einer nur scheinbar bekannten Person. Der Terrorist als Mensch. Und hinter der Fratze der Fahn­dungs­photos wird er tatsäch­lich mensch­lich: Ein junger Mann, freund­lich und sympa­thisch, eher schüch­tern, der einmal bei den christ­li­chen Pfad­fin­dern gewesen war, eigent­lich Künstler werden wollte. Viel­fältig begabt, gebildet, sensibel, aus soge­nanntem »guten Haus«. Kaum etwas deutete auf das hin, was folgen sollte, wenn man ihn mit den Augen seiner Freunde, Bekannten und Lehrer erlebt, in Inter­views unter anderem mit Michael Ballhaus, Harun Farocki, Wolfgang Petersen, und in alten Aufnahmen, die oft berau­schend zufällig im Beiläu­figen unwissend Bedeu­tendes einfangen.

Conradts Sicht­weise ist dabei immer politisch, inter­es­siert an Meins als Symbol wie Symptom einer bestimmten, keines­wegs abge­schlos­senen und einfach histo­ri­sier­baren Phase der Geschichte unserer Republik; er vermeidet ästhe­ti­sche Verklä­rung oder mora­li­sie­rende Kritik, also alle Mytho­logie. Was ihn inter­es­siert, ist die Person. Und so wird aus den Puzzle­teilen dieses faszi­nie­renden Films Holger Meins tatsäch­lich erstaun­lich lebendig; verstehbar als ein Mensch, mit dem man sich viel­leicht in bestimmten poli­ti­schen Entschei­dungen nie einig geworden wäre, der aber auf diese Entschei­dungen nicht zu redu­zieren ist, und der auch ein ganz anderes Leben hätte führen können. Und ein wenig empfindet man die Trauer des Regis­seurs nach, dass es nicht dazu kam.