Self/less – Der Fremde in mir

Self/less

USA 2015 · 118 min. · FSK: ab 12
Regie: Tarsem Singh
Drehbuch: ,
Kamera: Brendan Galvin
Darsteller: Ryan Reynolds, Natalie Martinez, Matthew Goode, Ben Kingsley, Victor Garber u.a.
Er ist nicht mehr er selbst: Ryan Reynolds. Wer's glaubt…

Neues Leben, neue Sorgen

Während das Science-Fiction-Genre erst kürzlich durch das visionäre Kammer­spiel Ex Machina origi­nelle Impulse erhalten hat, zeigt Tarsem Singhs neueste Regie­ar­beit Self/less – Der Fremde in mir, wie man inter­es­sante Gedan­ken­spiele und ethisch-mora­li­sche Frage­stel­lungen durchweg ober­fläch­lich angeht. Hier werden große thema­ti­sche Geschütze aufge­fahren, aller­dings nie ernsthaft vertieft, sodass die reizvolle Grundidee zusehends verpufft. Ausgangs­punkt des Films ist der seit Ewig­keiten exis­tie­rende Wunsch des Menschen nach Unsterb­lich­keit, der bereits in unter­schied­lichsten Erzäh­lungen – lite­ra­ri­scher wie filmi­scher Natur – als Hand­lungs­motor diente.

Welchen Preis müssen wir zahlen, wenn wir beliebig lange leben wollen und uns anschi­cken, dem Tod ein Schnipp­chen zu schlagen? In Self/less ist es zunächst einmal ein statt­li­ches Vermögen, das der unheilbar erkrankte Immo­bi­li­en­ty­coon Damian Hale (betont unter­kühlt: Ben Kingsley) aufbringen muss, um den Traum vom Weiter­leben wahr werden zu lassen. Behilf­lich ist dem rück­sichts­losen Geschäfts­mann der Wissen­schaftler Albright (distin­gu­iert und sinister zugleich: Matthew Goode), dessen geheim operie­rendes Unter­nehmen zahlungs­kräf­tigen Kunden die Verlän­ge­rung ihres Daseins möglich macht. Mittels eines medi­zi­ni­schen Verfah­rens – Shedding genannt – wird das Bewusst­sein des Patienten in einen anderen, jüngeren Körper über­tragen. So auch im Falle Damians, der nach erfolg­rei­chem Eingriff zu einem virilen Aufreißer mutiert und unter dem Namen Edward (nun: Ryan Reynolds) ein neues Leben beginnt. Als er jedoch die Pillen, die ihm Albright gegen mögliche Neben­wir­kungen verschrieben hat, nicht mehr regel­mäßig einnimmt, wird der junge Mann plötzlich von unheim­li­chen Erin­ne­rungen geplagt, denen er auf den Grund zu gehen versucht – was ihn rasch in tödliche Gefahr bringt.

Eigent­lich klingt das Angebot des Wissen­schaft­lers zu schön, um wahr zu sein. Immerhin führt Albrights Firma nicht nur den Umwand­lungs­pro­zess durch, sondern kümmert sich auch um alle sonstigen Vorkeh­rungen. Der natür­liche Tod des Prot­ago­nisten wird glaubhaft vorge­täuscht, das Aufbau­trai­ning nach dem Eingriff ausführ­lich begleitet und das neue Leben samt schicker Behausung sorgsam vorbe­reitet. Der Haken an der Sache: Albrights Augen sind überall. Bevor die Bedrohung aber konkret Gestalt annimmt, lässt Singh den Zuschauer in schnell geschnit­tenen Bild­ab­folgen an Edwards rausch­haftem Alltag – bestimmt von Partys und Affären – teilhaben. Gebrochen werden der Exzess und die Sorg­lo­sig­keit schließ­lich durch das Auftau­chen der ersten Visionen, die darauf hindeuten, dass das bahn­bre­chende Shedding ein dunkles Geheimnis birgt.

Genau an dieser Stelle treffen Regie und Drehbuch – verfasst vom spani­schen Bruder­ge­spann Àlex und David Pastor – eine Entschei­dung, die den dysto­pi­schen Gehalt des Films zunehmend schmälert. Stehen anfangs noch faszi­nie­rende Über­le­gungen – etwa die elitäre Sicht­weise Albrights oder die Beziehung zwischen Körper und Geist – im Raum, weichen diese Betrach­tungen auf einmal blei­hal­tige Ausein­an­der­set­zungen und rasanten Verfol­gungs­jagden. Mehr und mehr wandelt sich der Scifi-Thriller zu einem Action­reißer, der trotz unüber­seh­barer Logik­löcher (Warum schießen Albrights Schergen alles kurz und klein, wo die Firma doch absolute Geheim­hal­tung anstrebt?) halbwegs spannend bleibt, die Grund­the­matik jedoch zunehmend aus den Augen verliert. Verwun­dern muss es daher nicht, dass Self/less am Ende eine kitschig-banale Post­kar­ten­idylle beschwört und auf diese Weise fast alle aufge­wor­fenen Irri­ta­tionen zerstört.

Ähnlich unaus­ge­reift fällt auch die visuelle Gestal­tung des Films aus, selbst wenn Tarsem Singh im Anfangs­drittel mehrmals sein Gespür für eigen­willig-betörende Bilder aufblitzen lässt. Etwa als der kranke Damian Blut auf seinen Compu­ter­bild­schirm hustet oder aber in seinem prunk­vollen New Yorker Loft in einem Meer aus goldenen Farben versinkt. Betont futu­ris­tisch wirkt Albrights Forschungs- und Behand­lungs­zen­trale, die sich in einer alten Lager­halle befindet und aus einer Planen-Konstruk­tion besteht. Ist der Action-Motor einmal ange­worfen, muss sich der Betrachter aller­dings zumeist mit wenig origi­nellen, zweck­haften Bildern begnügen. Was durchaus über­rascht, wenn man bedenkt, dass Singh bislang vor allem für optischen Ideen­reichtum stand.

Besser als hirnlos

Alle Menschen sind sterblich – aber wie lange wohl gilt das noch? Nicht nur leben wir alle immer länger – längst gibt es ganz ernst­ge­meinte Expe­ri­mente, um den Tod als solchen per Hightech zu über­winden.

Mitt­ler­weise gibt es auch im realen Leben eine Chance auf Unsterb­lich­keit: »Indu­zierte pluri­po­tente Stamm­zellen« nennt sich dieses Verfahren. Hoff­nungs­träger sind körper­ei­gene Stamm­zellen, die künstlich eine Re-Program­mie­rung von Zellen vornehmen. Weltweit führen Univer­sitäten und Forschungs­zen­tren Studien auf diesem Gebiet durch. Die Büchse der Pandora scheint geöffnet. Und wieder einmal steht unsere Zivi­li­sa­tion vor exis­ten­ti­ellen Fragen.

Mit solchen realen Hinter­gründen spielt nun Self/less von Tarsim Singh. Im Zentrum steht ein super­rei­cher ameri­ka­ni­scher Oligarch: Damian Hayes kann sich für sein Geld nahezu alles kaufen, aber nicht Gesund­heit und das ewige Leben. Oder doch? Als Damian von einer tödlichen Krebs­er­kran­kung erfährt, ist ihm jedes Mittel recht, und er läßt sich auf einen Deal mit einer dubiosen Orga­ni­sa­tion ein. Diese bietet Reichen – natürlich gegen viel Geld – einen neuen, jungen Körper für ein – neues? weiteres? – Leben an. Hayes, ganz Geschäfts­mann, kalku­liert und willigt ein ins »Shedding«.

Für den Rest der Welt, seine einzige, aber ihm entfrem­dete Tochter (Michelle Dockery) und seine wenigen Freunde, stirbt er. Tatsäch­lich wird Hayes Hirn für 250 Millionen Dollar in den Körper eines jungen Sportlers trans­plan­tiert. Bis dahin spielte Ben Kingsley den Milli­ardär, mit der Selbst­ver­s­tänd­lich­keit eines mächtigen, überaus boshaften Zynikers, nach der Operation übernimmt Ryan Reynold den Part – auch das eine schil­lernde, nicht unin­ter­es­sante Trans­for­ma­tion.
Der Clou dieses Szenarios liegt nun darin, dass es gar nicht so sehr um die Frage des ausblei­benden Todes geht, als um eine biolo­gi­sche wie soziale Wieder­ge­burt. Ein weiterer Aspekt ist natürlich die Frage, ob ein Mensch natürlich derselbe bleibt, obwohl er in einem neuen Körper lebt. Schließ­lich glaubt man heute an die Existenz eines »Körper­ge­dächt­nisses«, und viele Mediziner vertreten ganz­heit­liche Menschen­bilder, in denen Leib und Geist sich nicht trennen lassen.

Filmfigur Hayes aber erlebt zunächst mit neuer Identität und hübschem Körper einen kompletten Neustart ihres Lebens. Ausge­rechnet in New Orleans, der Stadt vieler Hollywood-Horror­filme, verbringt sie ein paar tolle Tage als Playboy – denn sein Geld konnte der Mann glück­li­cher­weise mitnehmen. Doch dann gibt es Probleme: Das Leben des Körper­spen­ders schleicht sich in Hayes' Existenz ein, er wird von Albträumen geplagt, und Rück­blenden erinnern ihn an die Frau des anderen (Natalie Martinez) und deren gemein­same kleine Tochter, die auch noch krank ist. Wie der deutsche Unter­titel sagt: Ein Fremder schleicht sich in einen Körper ein, Leib kämpft gegen Hirn.

Tarsem Singh, der ameri­ka­ni­sche Regisseur indischer Herkunft, ist seit The Cell und The Fall bekannt für Geschichten, die mit der Phantasie des Zuschauers spielen, und seine Wahr­neh­mung bewusst verwirren: Wer ist hier wer? Wer will hier was? Mit Self/less gelingt Singh ein Film, der weit über ein Durch­schnitts­pro­dukt hinaus­geht, ein span­nender Science-Fiction und eine Geschichte, die viele Facetten verbindet, und sich vage von einem 50 Jahre alten Film inspi­rieren lässt: John Fran­ken­hei­mers Seconds, in dem Rock Hudson die Haupt­rolle spielte. Der ist ein Paranoia-Thriller, der psycho­lo­gi­siert, noch kein Körper­ge­dächtnis kennt, aber mit subjek­tiver, ganz hervor­ra­gender Kamera kafkaeske Szenarien kreiert: Ein Mann, reich, aber weit entfernt von Miliarden, der in eine Art Anstalt – ein »Schloss« – gerufen wird, wo ihn jeder kennt, und man ihm, seine heim­li­chen Phan­ta­sien auf Ausbruch aus der Ange­stell­ten­e­xis­tenz ausnut­zend, einen neuen Körper gibt, plus Künst­ler­exis­tenz – doch wieder sagen ihm andere, was er tun und lassen soll. Das auf Effizienz gepolte, Orwell-artige System ist nicht zu besiegen – am Ende wird der Alte im Rock-Hudson-Körper getötet.

Singh gelingt es auch in diesem Film wieder, visuell aufre­gende Momente und unge­se­hene Bilder zu kreieren. Zugleich wandelt sich sein Film zunehmend in einen Psycho-Thriller a la Hitchcock.

Nur gegen Ende mischen sich in das utopische Szenario ein paar Merk­wür­dig­keiten: Für Genre­kenner vorher­sehbar verliebt sich natürlich Hayes Tochter in den Körper mit dem Geist des Papas – eine wech­sel­sei­tige Inzest­phan­tasie. Zudem gibt es gegen einen seltsamen mora­li­sie­renden Grundton: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Der Traum vom ewigen Leben darf nicht schön enden, nicht belohnt werden, und ein Mensch darf in Hollywood zumindest nicht aus Hirn allein bestehen.