Hitchcock

USA 2012 · 98 min. · FSK: ab 12
Regie: Sacha Gervasi
Drehbuch:
Kamera: Jeff Cronenweth
Darsteller: Anthony Hopkins, Helen Mirren, Scarlett Johansson, Danny Huston, Toni Collette u.a.
Ein unechtes Paar: Hopkins als Hitchcock, Johansson als Leigh

Immer Ärger mit Alfred

»Guten Abend, mein Name ist Alfred Hitchcock... Hinter dem Fenster dort im ersten Stock, da über dem Eingang, hat man die Frau zum ersten Mal gesehen. Gehen wir hinein!« – So kannten ihn die deutschen Zuschauer schon in den späten 50er Jahren, auf dem Höhepunkt seines Ruhms: In den Trailern, die seinen jeweils neuen Film bewarben, im Stil seiner Fern­seh­show »Mr. Hitchcock presents«, trat Hitchcock auch in deutschen Kinos höchst­per­sön­lich auf. In seiner unver­wech­sel­baren Mischung aus Eitelkeit und Selbst­ironie führte er das Publikum mit starkem briti­schen Akzent durch den Schau­platz seines neuesten Thrillers und versprach: »Ein schlimmes Verbre­chen ... es ist zu grau­en­voll... nicht zu beschreiben. Ich hoffe, sie sehen sich meinen nächsten Film an.« Hitchcock war einer der ersten Regis­seure der Welt, der sich selbst zur Marke machte, und als Person noch bekannter wurde, als seine Filme, die er mit diesem Bild seiner Person vermark­tete. Nicht nur ein Kinogenie, sonder auch eines des Marketing.

Aber was für ein Mensch, welcher Charakter stand tatsäch­lich hinter dem Bild des Dicken, mit dem schwarzen Humor, des skurrilen Briten, der diese ganz beson­deren, schreck­lich faszi­nie­renden und atem­be­rau­bend furcht­baren Thriller machte? Diese Frage versucht jetzt Sacha Gervasis Film Hitchcock zu beant­worten. Es ist ein eher wohl­wol­lendes Portrait geworden, das einige von Hitch­cocks aus Biogra­phien bekannten Abgründen ausblendet: Um Hitch’s uner­füllte sexuelle Obsession geht es kaum, ebenso wird seine tyran­ni­sche Art deutlich beschö­nigt: Ein Egoman war er schon, aber halt für das Wohl der Kunst. Stimmt ja irgendwie auch.
Dazu kommt das wohl ebenso recht zutref­fende sehr sehr freund­liche, sympa­thi­sche Bild seiner Beziehung zu seiner Frau Alma. Helen Mirren spielt in einem wunder­baren Auftritt diese »Frau an seiner Seite«, die von zuhause aus ein matri­ar­chales Regiment führt, klug aus dem Hinter­grund dirigiert, und doch auch weiß, was sie an ihrem Gatten hat.

Alma die Unter­schätzte, Alma, die mit ihrem Alfred, immer wieder Ärger hat, weil der einfach nicht auf sie hören will, Alma, die Patente hinter dem Neuro­tiker. Das ist die eine Geschichte, die Gervasi erzählt. Alle Spießbürger dieser Erde werden ihn dafür lieben, denn hier bekommen sie die Bestä­ti­gung, dass große Künstler im Grunde perverse Deppen sind, kaum fähig, ein Frühs­tückei aufzu­schlagen, geschweige denn, selbst eins zu kochen. Hätten sie nicht alle ihre Alma, würden sie natürlich auch ihre Werke nicht zustande bringen.

Doch das ist nur die eine Seite. Hitchcock selbst hat zu dieser Sicht­weise auf Bürger­lich­keit im Allge­meinen und über­grif­fige Durch­schnitts­frauen im Beson­deren in seine Filme zahllose sarkas­ti­sche Kommen­tare gestreut.

Wichtiger ist aber Gervasis Bild des Titel­helden. Der wird von einem Anthony Hopkins verkör­pert, den man kaum erkennt unter seiner zenti­me­ter­di­cken Maske, unter der er mit seinem volu­minösen Doppel­kinn und dickem Bauch eher ein wenig an den »Pinguinman« aus Tim Burtons Batman Returns erinnert. Die Inter­pre­ta­tion aller­dings ist hoch­in­ter­es­sant: Hopkins' Hitchcock ist ein Genie, einer der seiner Umgebung haushoch überlegen ist, geistig, sensitiv, taktisch und in puncto Courage. Er ist ein Spieler, der weiß, wann man alles riskieren muss, weil man sonst seine Selbst­ach­tung verlieren würde. Und ein Ehemann, der weiß, wann es nötig ist, Alma zu sagen, dass sie jetzt bitte ihre Klappe halten muss.

Hitchcock ist ein Zurück­hal­tender, Schüch­terner, der recht hat, wenn er sagt: »Ich bin nur der Mann, der sich in einer Ecke versteckt und mit seiner Kamera zusieht.« Aber er ist eben auch so selbst­be­wußt, zu wissen, dass er recht hat, wenn er fest­stellt: »Meine Kamera wird Ihnen die Wahrheit sagen, die absolute Wahrheit.«

Hopkins Hitchcock ist ein Genie, das sein Altern spürt, das begreift, dass er viel­leicht noch zwei, drei gute Filme machen kann, bevor der Verfall einsetzt, und der diese verblei­bende Zeit perfekt nutzen will. Und er ist ein Regisseur, der weiß, dass er sich dazu neu erfinden muss, weil er instinktiv erkennt, dass auch sein Stil bereits einem vergan­genen Zeitalter angehört, dass gerade – der Film beginnt 1959, in dem Jahr, in dem Fellini La dolce vita dreht, und Godard Außer Atem – im Kino eine neue Zeit­rech­nung beginnt: Die des Auto­ren­kinos. Die Filme werden zugleich expli­ziter und härter wie intel­lek­tu­eller. Hitchcock nimmt diese Heraus­for­de­rung mit viel Sinn für die Zukunft an.

Im Jahrzehnt davor hatte er einen Kassen­schlager nach dem anderen geliefert, balan­cierte souverän zwischen Unter­hal­tung auf höchstem Niveau (North by Northwest) und psycho­ana­ly­ti­schem Tiefsinn (Vertigo). Nun wollte er etwas irgendwie anderes machen – »Ich brauche etwas Frisches« –, suchte neue Heraus­for­de­rungen und dafür eine zündende Idee. Er findet sie eines Abends auf der Bett­kannte, als ihm seine Frau aus dem Roman vorliest, den sie gerade verschlingt: »'Es war dieses Messer, das nur einen Moment später ihren Schrei abschnitt – und ihren Kopf'. Charmant! Doris Day sollte daraus ein neues Musical machen.«
Es handelt sich um »Psycho« von Robert Bloch – die blutige Geschichte um einen Seri­en­mörder.

Hitchcock erzählt die spannende, anek­do­ten­reiche Hinter­grund­ge­schichte dieses berühmten Films. Ein Making-Of in Spiel­film­länge. Und er tut das im Rahmen des üblichen Kunst-Genie­kults: Der Große, Einzelne, allein gegen alle. Gegen das Kapital, für die Kunst. Ein eigent­lich ausge­latschtes Muster.

Inter­es­sant ist es trotzdem: Psycho war dem Paramount-Studio zu drastisch, also bot Hitchcock an, den Films selbst zu finan­zieren – für 60 Prozent der Einnahmen. Hitchcock verpfän­dete dafür sein Haus. Der Deal kam zustande, und nie hatte Hitchcock mehr künst­le­ri­sche Freiheit. Er nutzte sie, Psycho wurde sein größter Kassen­er­folg. Dies gelang auch deshalb, weil der Regisseur einen Marketing-Hype schuf. Und weil es ihm gelang, mit Janet Leigh einen Star zu verpflichten. Da diese von Scarlett Johansson gespielt wird, wirkt Leigh hier aller­dings eher wie eine Kopie von Marilyn Monroe. Die einzige echte Fehl­be­set­zung: Denn wie wenig das glub­schäu­gige Mädchen Johansson mit der glutäu­gigen Frau Leigh zu tun hat, begreift jeder, der sich Psycho nochmal anschaut.

Am berühm­testen ist Leighs Dusch-Szene, bei der sie ermordet wird. Gervasis nutzt ein Vorge­spräch zwischen Darstel­lerin und Regisseur, für ein wenig Kino-Klipp­schule: Janet Leigh: »Ich bin neugierig, zu erfahren, ähem..., wie Sie genau vorhaben, diese Dusch­szene zu drehen.« – »Erlauben Sie mir, Sie zu beruhigen... Ich werde verschie­dene Einstel­lungen aus verschie­denen Winkeln drehen. Geschnitten deutet die Montage die Nacktheit allen­falls an. Ebenso die Gewalt. Nichts wird tatsäch­lich gezeigt. Aber natürlich: Dadurch, dass Sie in der Dusche sind, wird es gleich besonders... nun ja: reizvoll.«

Dass die Haupt­dar­stel­lerin nach einer guten halben Stunde einfach starb, war ein Schock für das Publikum, und die Dusch­szene wurde eine der berühm­testen Momente der Film­ge­schichte. Von nun an wusste man, dass in Hitch­cocks Kino einfach alles möglich war.

Natürlich bedient dieser Film über den Kino­voyeur Hitchcock nicht zuletzt den Voyeur in uns Zuschauern. Endlich erfahren wir mal, wie es in Hollywood und am Set wirklich zugeht.

Oder doch nicht? Es in geworden, in einigen der Bespre­chungen in den USA und nun auch hier, Hitchcock gegen Julian Jarrods The Girl auszu­spielen, eine hoch­ge­lobte HBO-Doku­fic­tion über Hitchcock und den Dreh zu Marnie. Dieser Film folgt den – bisher nicht bewie­senen, aber mit hand­festen Indizien beleg­baren – Anklagen der Darstel­lerin Tippi Hedren, immerhin zweifache Leading Lady in Die Vögel und eben Marnie, die sich in ihrer Biogra­phie über Hitch­cocks angeb­li­chen Sadismus beklagt.

Kann nicht sein, könnte aber tatsäch­lich sein, dass blonde Darstel­le­rinnen an Hitch­cocks Set oft Objekt einer Zwangs­vor­stel­lung ihres Regis­seurs waren. Nehmen wir einmal an, dass Hedrens Vorwürfe zutreffen. Nur: Was besagen sie, von mora­li­schen Fragen abgesehen? Sind Hitch­cocks Filme deshalb schlechter? Oder plötzlich irre­le­vant für die Film­ge­schichte?

Insgesamt ragt Hitchcock über die inzwi­schen üblich gewor­denen Anek­do­ten­spiele der »Film im Film«-Verfil­mungen weit hinaus. Er zeigt einen komplexen Charakter, und rückt die Kunst und den Künstler ins Zentrum. Er stellt sich auf dessen Seite im Kampf um eine künst­le­ri­sche Vision und gegen das Kompro­miss­lertum der Betrieb­wirt­schafts­krämer, die zu keinem Risiko bereit sind.

Was dem Film auch gelingt? Er macht dem heutigen Publikum, 34 Jahre nach Hitch­cocks Tod, 50 Jahre nach seiner größten Zeit, Lust, einmal all dessen Filme wieder­zu­sehen. Sie sind, wie die Person Hitch­cocks, mit den Jahren nicht unin­ter­es­santer geworden, sind nicht gealtert, sondern unge­bro­chen aktuell, wirken erstaun­lich zeit­genös­sisch. Wie Chaplin, Lang, Antonioni und Godard und ganz wenige andere hat er unser Bild des Kinos geformt, gelang es ihm, über seine großar­tige und unver­wech­sel­bare persön­liche Hand­schrift hinaus auch universal Gültiges zu schaffen.