Herr Wichmann von der CDU

Deutschland 2003 · 78 min. · FSK: ab 0
Regie: Andreas Dresen
Drehbuch:
Kamera: Andreas Höfer
Schnitt: Jörg Hauschild
Wahlkampf in der Provinz

»Wenn se sonst nischt wollen, aber einen Kugel­schreiber wollen se alle«, sagt Herr Wichmann. Es ist Sommer 2002 und Herr Wichmann macht Wahlkampf in der Uckermark bei Berlin. Als Direkt­kan­didat der CDU tritt der 25jährige Jura­stu­dent uner­schro­cken gegen den starken Vertreter der SPD an. Unver­drossen steht er mit seinem rot-weißen CDU-Schirm­chen auf Märkten und in Fußgän­ger­zonen, verteilt Falt­blätter und Post­karten mit seinem Konterfei. »Eine frische Brise«, fordert er für die Politik der nächsten Jahre und pole­mi­siert gegen die Grünen, die sich »wegen jedem Frosch« dem Fort­schritt versperren. Manchmal bläst ihm der viel­be­schwo­rene frische Wind dann auch die Broschüren um die Ohren. Wahlkampf ist kein Zucker­schle­cken.

Andreas Dresen hat ihn auf seiner Tour durch die ostdeut­sche Provinz begleitet. Situa­ti­ons­komik gibt es reichlich in dem Film, der in der Reihe »Denk ich an Deutsch­land« für das kleine Fern­seh­spiel produ­ziert wurde. Herr Wichmann ist vergräzt, als beim Drehen eines Werbe­spots immer wieder Leute stören. »Da kommen sie wieder: schlürf, schlürf, schlürf«, stöhnt der Jung­po­li­tiker. »Henryk das sind deine poten­ti­ellen Wähler«, mahnt eine Stimme aus dem Hinter­grund. »Nee, die bestimmt nicht«, sagt Herr Wichmann, denn er ist bei allem Opti­mismus auch Realist. Dass aus ihm bei der CDU was werden kann, das sieht man gleich. Brille im Gesicht, den Kragen hoch geschlossen, blüten­weiße Hemden.

»Wenn man einen Kandi­daten begleitet, kommt man den Leuten näher. Ich habe gehofft, mit dem Film die Stimmung im Land einzu­fangen«, beschreibt Dresen die Idee für das Projekt. Vor allem Poli­tik­ver­dros­sen­heit, Hoff­nungs­lo­sig­keit, Resi­gna­tion und Enttäu­schung schwappen rüber und werfen dunkle Schatten auf die schönen Sommer­tage. Deutsch­land im Sommer 2002, das ist ein Land, in dem junge Fami­li­en­väter offen ihren Rechts­ra­di­ka­lismus vor laufender Kamera kundtun. Eine tiefe Trau­rig­keit kommt immer wieder auf, bei den Menschen auf der Leinwand ebenso wie davor. Beim Stim­men­fang im Altenheim klagt ein alter Mann, dass er keinen Kontakt zu seiner Familie hat. »Sehen sie, da können sie froh sein, dass man sich hier so gut um sie kümmert«, mahnt Wichmann jovial. Anschließend empfiehlt er der verwirrten Runde alter Leutchen, sich an kleinen Dingen zu freuen. Und dann isst er noch ein Stück Kuchen, denn sonst fällt ihm nichts mehr ein.

Herr Wichmann kann seine Sprech­blasen für den Stim­men­fang aus dem Effeff: »Zuwan­de­rungs­ge­setz­kippen«, »Frische­brise«, »Perspek­ti­ve­für­die­ju­gend«. Seine Rede für den Auftritt mit Angela Merkel schreibt er in ein paar Minuten, denn das meiste ist ohnehin das »übliche Blabla«. Wahlen werden heute mit Fern­seh­prä­senz und Slogans und nicht mit Inhalten gewonnen – diese bittere Wahrheit wird hier trans­pa­rent.

Dresen zeigt Wichmann nicht als Person sondern als Prototyp. »Wir hätten auch jeden anderen Politiker begleiten können«, sagt der Regisseur. Das Ergebnis wäre ähnlich ausge­fallen. Dass Wichmann kein routi­nierter Polithase ist, macht ihn eher sympa­thisch. Er weiß, dass das hohle Klappern zum Handwerk gehört. Seine Sache zieht er durch, auch wenn auf der Groß­ver­an­stal­tung auf dem Markt­platz nur wenige Leute gelang­weilt in der Sonne hocken. Gegen diese bundes­weite Resi­gna­tion tritt Herr Wichmann an, ein Don Quijote mit Kugel­schreiber und Sonnen­schirm­chen.

Unbe­ein­druckt von dem Polit­spek­takel quakt derweil auf einer Land­straße in der Uckermark ein Frosch und hält den Fort­schritt auf.

Der Wind des Wahlkampfs

Ein Mann steht einsam im kalten Ostwind, der ihm das Haar zerzaust. Die Prospekte fliegen weg, trotz Brief­be­schwerer, und mit ihnen die Sprüche von Freiheit und Aufbau Ost, vom Wechsel in Berlin und dem Wunder­mann aus Bayern und mit ihm auch die kleinen Hoff­nungen des Herrn Wichmann. 20 Prozent Stimmen hat sein Vorgänger beim letzten Bundes­tags­wahl­kampf für die CDU in diesem Bran­den­burger Wahlkreis geholt, und auch wenn man wenig weiß über Politik und sich vorstellt, man wüsste noch gar nichts über den Ausgang der letzten Bundes­tags­wahl, verzwei­felt man fast ein bisschen an dem so gar nicht realis­ti­schen Opti­mismus, mit dem hier einer offenbar tatsäch­lich glaubt, er hätte eine Chance. Ist das noch ein Hauch jenes auch nicht sehr realis­ti­schen Opti­mismus, mit dem die DDR-Bürger einst in den »Goldenen Westen« kamen, und tatsäch­lich dachten, sie würden hier ihren ganz persön­li­chen Aufstiegs­traum wahr­ma­chen können, als Gleiche unter Gleichen, als unsere Brüder und Schwes­tern?

Herr Wichmann jeden­falls ist ein Kämpfer. Gegen die »in Berlin«, gegen seinen SPD-Gegner, den Ex-Außen­mi­nister Meckel, gegen die Ignoranz der Bürger, die er doch vertreten will, die das aber gar nicht inter­es­siert. Achtlos gehen sie an seinen Plakaten vorbei, bevor diese der Wind immer wieder umwirft, und sie Herr Wichmann wieder aufstellt. »Frischer Wind bringt Bewegung in die Politik« steht darauf. Manchmal kämpft Herr Wichmann auch gegen die eigene Partei, wenn der Kandidat irgend­etwas gesagt hat, was sicher wichtig für dessen Wahlkampf war, auf Herrn Wichmann aber wie ein Knüppel zwischen den Beinen wirkt. Oder wenn Ex-Minister Rüttgers sich zur großen Wahl­kampf­ver­an­stal­tung ange­kün­digt hat, die Herr Wichmann wochen­lang detail­liert vorbe­reitet, und dann im Stau steht, zwei Stunden verspätet kommen will, dann noch mal eine Stunde später, und dann gar nicht mehr.

Natürlich kämpft Herr Wichmann auch für etwas. »Wir sollten einfach nur die Flücht­linge rein­lassen, die uns was nützen«, sagt er, und meint es genauso prag­ma­tisch, wie er seine CDU-Kugel­schreiber verteilt, nicht frem­den­feind­lich. Und wenn Angela Merkel dann fast das Gegenteil sagt, dann klatscht Herr Wichmann natürlich trotzdem. Danach stellt er noch schnell einen CDU-Schirm auf, und singt die Deutsch­land-Hymne...

Es sind wunderbar präzise Situa­tionen, die Andreas Dresens (Halbe Treppe, Die Poli­zistin) Doku­men­ta­tion vom Wahlkampf des CDU-Bundes­tags­kan­di­daten Wichmann einge­fangen hat. Manchmal wundert man sich, dass Herr Wichmann nie darum bat, die Kamera auszu­schalten, denn es sind nicht immer schmei­chel­hafte Momente, in denen sie ihn zeigt. Aber Herr Wichmann ist ehrlich bis zur Selbst­ent­lar­vung, und diese Einblicke machen den Reiz des Films Herr Wichmann von der CDU aus. Man lernt zum Beispiel seine Frau kennen, die offenbar nett und klug ist, und in den skep­ti­schen Blicken, die sie ihrem Mann manchmal zuwirft, meint man zu erkennen, dass sie seinen Opti­mismus nicht immer teilt.

Schön an dem Film ist auch, dass er ein stilles Hohelied auf poli­ti­sches Enga­ge­ment ist, und gleich­zeitig die Politik, so wie sie heute ist, nüchtern enthüllt. Auch wenn man keine einzige der Ansichten des Herrn Wichmann teilt, ihn spießig und trist findet, kann man ihm Idea­lismus und Inte­grität nicht abspre­chen – und erkennt dabei, dass es so etwas in der Politik eben tatsäch­lich gibt, und dass das trotzdem die Politik keines­wegs besser macht, weil gutes Handwerk und Stil und poli­ti­sches Kultur und Mut zur Amoral viel wichtiger sind, für gute Politik.

Leider analy­siert der Film nicht, fragt nie nach, auch wo es nötig wäre. Dafür ist er zu puris­tisch in seiner Absicht, einfach nur zu zeigen. Gern hätte man Frau Wichmann mal gefragt, was sie von alldem hält, hätte von Herrn Wichmann zumindest am Ende gewusst, was er eigent­lich wirklich denkt, wenn er auf unüber­sehbar senile Alten­heim­be­wohner und lallende Zecher einquatscht, und ihnen am Ende seinen Prospekt in die Hand drückt. Und hätte gern gewusst, ob sich das alles gelohnt hat, nachdem Herr Wichmann genau ein Prozent dazu­ge­winnt, also weitaus weniger, als seine Partei im Bundes­durch­schnitt.

Der Film bleibt so gnadenlos und kühl, wie die Wirk­lich­keit, die er zeigt. Darum wirkt wie absurder Humor, was eigent­lich eine Tragödie ist: Der Kampf eines ostdeut­schen Don Quixote gegen die Realität, gegen den Zynismus, gegen sich selbst und vor allem gegen den Wind.