The Drop – Bargeld

The Drop

USA 2014 · 107 min. · FSK: ab 12
Regie: Michaël R. Roskam
Drehbuch:
Kamera: Nicolas Karakatsanis
Darsteller: Tom Hardy, Noomi Rapace, James Gandolfini, Matthias Schoenaerts, John Ortiz u.a.
Willkommen in der Bargeld-Bar

»We are fucking dead already. We are just walking around.«

»Things happen, most people are not allowed to see...« – ein »hard boiled« Film-Noir-Sound herrscht von Anfang an in diesem Film, dem hervor­ra­genden neuen Werk vom Belgier Michael T. Roskam: »In Brooklyn liegt das Geld auf der Straße. Aber es ist nicht die Art Geld, die man zur Bank bringt. Aber irgendwo muss das ganze Geld dann hin. Diesen Ort nennt man 'The drop'.«

Alles spielt im Winter, die Straßen sind schnee­be­deckt und so vereist wie die Seelen der meisten Menschen, selbst an dem Weih­nachts­abend, an dem die Geschichte beginnt. Am Superbowl-Weekend Ende Januar wird es zum Showdown kommen.

Nicht nur zeitlich, auch örtlich ist alles genau fixiert: New York, Brooklyn, »Little Odessa«, jenes Stadt­viertel, das vom russisch-jüdischen Einwan­der­er­mi­lieu geprägt wird, und das James Gray bereits vor 20 Jahren in seinem legen­dären Film berühmt machte. Dort regieren Mafia-Banden nicht nur die Straße, und ganz aus ihren Geschäften heraus­halten kann sich keiner. Tom Hardy spielt Bob, einen Barmann im Lokal seines Cousins Marv, der es auf seine Art trotzdem versucht.

Aber in der Bar befindet sich auch der titel­ge­bende »Drop«, ein Holz­kasten, in dem das Schwar­z­geld für die Mafia deponiert wird. Zu Beginn des Films wird ein Hund im Müll gefunden, bald darauf wird die Bar über­fallen, in der Hardys Figur arbeitet, die Box geleert, und nun wollen die harten Jungs ihr Geld wieder, und erhöhen den Druck. Diese Schurken sind in diesem Fall mal die Tsche­tschenen, ein »Mr. Umarov«, der mit weicher Stimme sagt »Call me Chovka«. Doch mit der weichen Stimme öffnet sich das Tor zur Hölle.

Der gefundene Hund muss erzogen werden und reprä­sen­tiert die zivile, zärtliche Seite der Haupt­figur Bob, das, was in der Bar passiert, seine andere. Denn auch Bob und Marv sind aus härterem Holt geschnitzt, als man zunächst glauben möchte. Gespielt werden sie von Tom Hardy und von James Gandol­fini, dem verstor­benen »Soprano«-Star, den man hier in seinem letzten Lein­wand­auf­tritt bewundern kann – noch einmal ein richtiger Tough Guy aus der Halbwelt, der seine kurzen, kühlen Sätze ener­gie­ge­laden zwischen den Zähnen hervor­stößt. »We are fucking dead already. We are just walking around«, sagt Gandol­fini irgend­wann in diesem Film. Nie hat solcher »Hard-Talk« so gestimmt, wie hier. Gandol­fini ist tot, er läuft nur noch herum als elek­tri­scher Schatten auf der Leinwand.

Noch einmal ist er hier das großar­tige Zentrum seines Films, das auch den sehr guten Tom Hardy leicht in den Schatten stellt – kommt es nur durch unser Wissen darum, dass Gandol­fini nicht mehr lebt, dass er uns hier so verwundbar vorkommt, wie selten zuvor?

Gandol­finis Figur, jener Cousin Marv, hat schon bessere Zeiten erlebt, und jetzt will er sich endlich für all die Demü­ti­gungen langer Jahre rächen. So etwas geht im Kino selten gut. Marv ist ein Verdammter, einer, der sein Momentum verpasst hat, nicht das Glück anderer hatte, und nun den Weg in die Hölle zuende gehen will. Die Frage ist nur, wenn er damit alles noch in den Abgrund reißt?

Marv lebt mit seiner Schwester zusammen, es könnte auch ein altes Ehepaar sein, und es ist so lustig wie traurig, ihnen zuzuhören, wenn sie mitein­ander reden: Einmal schlägt sie eine Reise nach Italien vor. Er: »Why?« – Sie: »We could see things.« – Er: »What things?« Sie sprechen über ihren uralten Vater, der komatös im Kran­ken­haus liegt. Alles wird immer teurer. Eine Agentur hat die Verwal­tung des Kran­ken­hauses über­nommen. Soll man den Vater sterben lassen? Er: »Yeah, just kill him, pull the trigger.« Sie: »Thats life«. Er: »It’s electri­city.«

Was das Leben, das gute vor allem, am Ende ausmacht, und die Einsicht, das ein neues Leben nie in Reich­weite ist, dies ist das tiefere Thema dieses Films, wie vieler Films Noir. Wann lohnt es sich nicht mehr, ums Überleben zu kämpfen? Regisseur Michael T. Roskam wurde 2012 bekannt, weil er mit seinem überaus sehens­werten Debüt Bullhead, einem düsteren Thriller aus Belgien, der im Milieu der walo­ni­schen Fleisch­mafia ange­sie­delt war, prompt eine Oscar­no­mi­nie­rung bekam – den Oscar erhielt dann zwar ein anderer, doch für Roskam war dieser Film das Entree nach Hollywood.
Sein hervor­ra­gender neuer Film, erzählt nach einer Vorlage von Denis Lehane, dem Autor von – unter anderem – »Mystic River« und »Shutter Island«, ist wie Bullhead weit mehr vom Bösen faszi­niert, als vom Guten. Wie dort steht eine Figur im Zentrum, die düsterste Abgründe mit einer fast kindlich-naiven Unschuld mischt. Und in Tom Hardy findert er einen Darsteller, der das trägt. Auch Matthias Scho­ena­erts, der Haupt­dar­steller von Bullhead ist hier wieder dabei. Er spielt Eric, einen weiteren von Anfang an Verdammten, einen psychisch Gestörten, der sich selbst eines Mordes bezich­tigt, den er nach­weis­lich nicht begangen hat. Aber alle glauben ihm. Fast alle. Und so trauen ihm fast alle auch das Schlimmste zu. Er ist der Ex-Freund von Bobs Love-Interest, der von Noomi Rapace gespielten Nadya, und sagt Sätze wie: »That’s life. People like me come, when you are not looking.«

»Nobody ever sees you coming. Do they Bob?«, sagt denn auch irgend­wann der Polizist des Viertels, Detective Torres, zu Bob. Es geht hier also nicht zuletzt auch um das, was man sieht, und was nicht: »Did you see anything?« – »You know, it’s this neigh­bourhood.«

Nicht Realismus, sondern Phan­tas­ma­gorie

»Fucking Chech­nyans«
»They’re Chechens, not Chech­nyans.«
...
»Keep your head down. Speak Brazilian.« »There doesn’t exist a language like brazilian. The fucking Brazi­lians speak Portu­guese.«
Aus: »The Drop«

Es ist überaus offen­sicht­lich, und gehört zu den schwächeren Elementen des Films, dass Roskam hier die Noir-Tradition aufgreift, im Gangs­ter­film genaue Gesell­schafts- und Milieu­ana­lysen vorzu­nehmen und Sozi­al­kritik zu üben. Insofern geht es hier auch nebenbei um ein Portrait von Little Odessa, wo längst nicht mehr allein Russen und Juden das Viertel prägen. Auch Bob ist in seiner Herkunft unklar. Klar ist nur, dass er katho­lisch ist, nicht orthodox. Also jeden­falls kein Jude, auch eher kein Russe, viel­leicht ein Ire? Und die Schurken sind wie gesagt Tsche­tschenen, also Muslims. Um Russen, das russische Milieu, oder nur dessen Mytho­logie geht es hier also, im Gegensatz zu Filmen, wie Eastern Promises und The Equalizer überhaupt nicht.
Und auch sonst bewegt sich die Gesell­schafts­dia­gnose innerhalb der engen Grenzen des konven­tio­nellen Gangs­ter­mo­vies.

Am Ende kommt es zur tödlichen Konfron­ta­tion, und es passiert, womit nur sehr Genre-Erfahrene rechnen: Das vermeint­liche Unschulds­lamm Bob, diese undurch­sich­tige Persön­lich­keit, der zur Kirche geht, aber nie zur Beichte, der seinen neuen Hund nach einem katho­li­schen Heiligen »Rocco« nennt, der seinen über­re­agie­renden Cousin immer abwiegelt, beschwich­tigt, der aber auch in der Lage ist, einen abge­sägten Arm in Cellophan-Folie zu verpacken, mit einem Schrau­ben­schlüssel zu beschweren und in den East River zu werfen, dieser Bob ist schneller als der vermeint­lich hoch­ge­fähr­liche Eric, und er erschießt ihn mit den Worten »Fucking Punk!« – »You just shot him«, sagt Nadya fassungslos. »Yes, I did, abso­lu­tely, he was gonna hit at you. Nobody will ever hit you again. This is done.« Und ab jetzt sind die beiden ein Paar.
Aus dem Off folgt dann mit der Stimme Hardys das Fazit: »The devil is waiting for your body to part. He knows, he already owns your soul. If you are dead and the guardian says: No, you can’t come in, you have to be alone forever.« Aber »You are not alone, you've got friends«, sagt Chovka, der die Leiche entsorgt.

Roskams fata­lis­ti­sche Geschichte eines Über­le­bens­kampfes denkt Humanität und Grau­sam­keit zusammen, Romantik und Mord, Engel und Teufel. The Drop ist sehr realis­tisch, desil­lu­sio­niert, aber eine katho­li­sche Phan­tas­ma­gorie: »I'll be damned.« – »What? You weren’t already?« In einem eleganten, nie aufdring­li­chen Neo-Noir-Stil erzählt Roskams heraus­ra­gender Film eine abgrün­dige Geschichte, die von der Wieder­kehr des Verdrängten handelt: »Es gibt Sünden, die hat man begangen, und man entkommt ihnen nie wieder. Ganz egal, wie sehr man’s versucht...«

Tschetschenen in Brooklyn

New York. In dunklen Bars wechseln dicke Umschläge den Besitzer. Pralle Brief­um­schläge voller Bargeld werden unauf­fällig dem Barman gereicht. Diskret lässt der Barmann die Umschläge in einem verdeckten Schlitz hinterm Tresen verschwinden. Immer höher stapelt sich das schmut­zige Geld in dem geheimen Depot. Jede Nacht wird eine andere Bar zur Drop-Bar erklärt. Das gewitzte System sichert die Einnahmen aus illegalen Akti­vitäten vor dem Zugriff der Steu­er­fander und schützt davor, von anderen Gangstern ausge­nommen zu werden.

Auch »Marv’s Bar« ist solch eine Drop-Bar, seitdem die Tsche­tschenen den Laden über­nommen haben. Marv (James Gandol­fini in seiner letzten Kinorolle) findet es gar nicht witzig, dass er zum Erfül­lungs­ge­hilfen »der Russen« degra­diert wurde. Einst war er selbst ein wichtiges Mitglied der New Yorker Italo-Mafia. Aber seit der Ankunft der Tsche­tschenen ist hier nichts mehr, wie es war. Das alte Brook­lyner Arbei­ter­viertel geht zusehends den Bach runter. Jeden­falls sieht der verbit­terte Marv das so. Sein kleiner Cousin Bob Sagi­nowski (Tom Hardy) sieht das entspannter. Er ist einfach der Mann hinter der Bar. Alles andere scheint Bob egal.

Aber dann wird »Marv’s Bar« ausge­rechnet an einem Abend über­fallen, als sie als Drop-Bar fungiert. Die Tsche­tschenen machen schnell deutlich, dass es für Bob und Marvs Leben wichtig ist, dass sie das Geld möglichst bald zurück­be­kommen. Da wird selbst Bob langsam nervös. Dabei schien sein ereig­nis­loses Leben gerade neuen Auftrieb zu bekommen, denn kürzlich hat Bob seine so inter­es­sante, wie myste­riöse Nachbarin Nadia (Noomi Rapace) kennen­ge­lernt. Zu allem Übel soll »Marv’s Bar« dann auch noch ausge­rechnet zur Super Bowl – dem Tag, an dem landes­weit die meisten Wett­ein­nahmen gemacht werden – erneut als Drop-Bar dienen. Und dann ist da auch noch die Sache mit dem von Bob in einer Mülltonne gefun­denen Hund.

In einer Zeit, in welcher der US-ameri­ka­ni­sche Thriller von seelen­losen Action-Orgien dominiert wird, wirkt The Drop – Bargeld im posi­tivsten Sinne altmo­disch. Der Film ist lange Zeit mehr Charak­ter­drama als Thriller. In seinem Herzen ist The Drop eine Milieu­studie im Geiste von Martin Scorceses Mean Streets (1973). Damals war die Welt jedoch noch in Ordnung. New York befand sich fest in der Hand der Italo-Mafia. Die prägte dement­spe­chend auch jahrzehn­te­lang das Bild des US-Mafia­films. Zu dessen bekann­testen Gesich­tern gehört der von James Gandol­fini verkör­perte Tonny Soprano in der TV-Serie »Die Sopranos«. Gandol­fini bringt – gleich in mehr­fa­cher Hinsicht – das ganze Gewicht dieser Figur in seine Rolle als Marv in The Drop ein. Der Film ist für Gandol­fini ein würdiger Schwa­nen­ge­sang.

Tom Hardy beweist in The Drop erneut, dass er zu den besten Charak­ter­dar­stel­lern der Gegenwart gehört. Nur wenigen Mimen gelingt es ihren Rollen einen derart hohen Authen­ti­täts­ge­halt zu verleihen. Im Gegensatz zu manchem Kollegen, der seinen Figuren durch leichtes Over­ac­ting mehr Konturen zu verleihen verhofft, ist der Brite ein Meister der subtilen Gestik und Mimik. Was im Inneren des stoisch wirkenden Bob vorgeht, erschließt sich anhand eines kurzen, schnellen Blicks oder durch ein kaum merk­li­ches Zucken seines Mund­win­kels. Dabei hatte der Ausnah­me­dar­steller z.B. in der Titel­rolle von Nicolas Windings Refns Bronson bewiesen, dass er auch ganz anders kann. Dort überzeugt Hardy als der psycho­pa­thi­sche Schläger Bronson. Nein: Hardy ist Bronson!

Vervoll­s­tän­digt wird der gelungene Kern-Cast durch die Schwedin Noomie Rapace (Verblen­dung, 2009). Obwohl sie perfekt ist als Bobs Nachbarin Nadia, sollte Rapace langsam aufpassen, dass sie nicht dauerhaft als psychisch ange­knackste Frau besetzt wird. Nur zu sehr erinnert ihre Rolle in The Drop an ihre letzte Figur in dem Thriller Dead Man Down. Sogar ein Teil ihrer Narben in Gesichts­nähe wurde über­nommen. Jetzt wirken sogar dieses Narben wesent­lich echter und passender, als Rapaces seltsame Gesichts­maske in dem grob­schläch­tigen Vorgänger. Dies ist sympto­ma­tisch für die wesent­lich höhere Subti­lität von The Drop.

Die Handlung des ruhigen Thril­ler­dramas basiert auf Dennis Lehanes (»Mystic River«, »Shutter Island«) Kurz­ge­schichte »Animal Rescue«. Insz­e­niert wurde der Film von Michaël R. Roskam, der bereits mit seinem Erstling Bullhead höchst positiv aufge­fallen war. Der belgische Regisseur besticht insbe­son­dere durch eine sehr atmo­s­phä­ri­sche Milieu­dar­stel­lung. Kleine Details, wie achtlos von der Müll­ab­fuhr umge­schmis­sene, im Hinterhof zurück­ge­las­sene Abfall­tonnen, verdichten sich zu einem sehr authen­tisch wirkenden Bild dieses Brook­lyner Arbei­ter­vier­tels.

Ein wichtiges Thema von The Drop ist der perma­nente Wandel in einem Land, das aufgrund immer neuer Einwan­de­r­er­wellen ständig sein Gesicht verändert. Bereits Martin Scorcese hatte in Gangs of New York (2002) gezeigt, dass sich hierbei die jeweils länger im Lande Lebenden Fremd­linge als die wahren Ameri­kaner fühlen, während die neuen Einwan­derer als Ausländer diskri­mi­niet werden. In dem Mitte des 19. Jahr­hun­derts spie­lenden Gangs of New York waren es die Iren, gegen welche die »Natives« ihr Terri­to­rium zu vertei­digen entschlossen waren. Heute gehören die Iren selbst zu der Gruppe europäischs­täm­miger US-Ameri­kaner, die man so sehr mit dem Bild eines »wahren« Ameri­ka­ners verbindet, wie nur wenige andere.

The Drop oder auch The Equalizer zeigen, dass inzwi­schen Gruppen wie die Tsche­tschenen oder die Russen zunehmend Macht im Land des ehema­ligen idelo­gi­schen Erzfeindes erlangen. Der kalte Krieg findet gewis­ser­maßen seine Fort­set­zung als ein Wirt­schafts­krieg im eigenen Binnen­land. So hätten sich viele US-Bürger den Sieg ihres Systems wahr­schein­lich nicht vorge­stellt.