The Cut

D/F/PL/TR/RUS 2014 · 139 min. · FSK: ab 12
Regie: Fatih Akin
Drehbuch: ,
Kamera: Rainer Klausmann
Darsteller: Tahar Rahim, Simon Abkarian, Makram J. Khoury, Kevork Malikyan, Bartu Küçükçaglayan u.a.
Nicht immer differenziert, aber politisch klug

Brisante Botschaften im Gewand der Unterhaltung

Liebe, Tod und Teufel: Fatih Akins Histo­rien­epos ist gefühl­volles Publli­kums­kino mit Licht und Schatten

Einmal, bereits durch einen Schnitt durch den Kehlkopf auf immer verstummt, aller­dings vor den Mord­schergen auch schon gerettet, geht der Held in einem Flücht­lings­lager ins Kino. »Das ist Teufels­werk!« wird er zwar noch gewarnt. Doch dann sieht er Charlie Chaplin auf der Leinwand, Szenen aus The Kid. Er lacht. Vergisst für Augen­blicke sein Leid. Und wir erleben für Sekunden den Zauber des Kinos.

Da ist das Schlimmste schon vorbei. Alles beginnt im Jahr 1915: Das im Ersten Weltkrieg kämpfende Osma­ni­sche Reich ist in Not; gerade sind die Engländer bei Gallipoli gelandet. Die arme­ni­sche Minder­heit kann sich nicht länger distan­zieren. In aller Frühe kommen die Häscher der Osmanen und holen den jungen arme­ni­schen Schmied Nazaret ab ins Arbeits­lager. Am Abend zuvor hatte er im Kreis der Familie noch unbe­schwert gefeiert, und noch etwas früher hatte man glück­liche Menschen gesehen, in strah­lendes Sonnen­licht getaucht – ein bisschen zu glatt und fröhlich sieht das viel­leicht auf der Leinwand aus. Als ob das Glück zuerst besonders glücklich wirken muss, damit das Unglück, das folgen wird, unglück­lich genug erscheint. Nun ist der Mann, der nach der Geburts­stadt Jesu benannt ist, als Christ und vor allem als Armenier zum Außen­seiter und Sünden­bock gestem­pelt.

The Cut ist ein Film über das Schicksal der Armenier seit 1915: Ein Massen­mord, der in der Türkei noch immer tabui­siert ist und den verschie­dene poli­ti­sche Lager heute für sich ausschlachten wollen. Fatih Akin will dagegen erzählen – anhand eines Einz­el­schick­sals. Akin lässt die Welt des Nahen Ostens um 1918 wieder­auf­er­stehen und erzählt keine poli­ti­sche und univer­sale, sondern eine persön­liche Geschichte. Sie ist zwar schreck­lich, aber sie handelt doch vom Überleben. Von einem Schicksal, das günstiger verlief, als das von Hundert­tau­senden. Dafür hat Akin umfang­reich recher­chiert, gelesen, Histo­riker konsul­tiert. Das Ergebnis ist ein diffe­ren­ziertes, hoch­in­ter­es­santes Geschichts­pan­orama. The Cut ist episch, bilder­stark und unbedingt für die große Leinwand insz­e­niert. Ein Aben­teu­er­film in Western-ähnlichen Bildern

Im Zentrum steht eine Person, der schon erwähnte Schmied Nazaret. Im ersten Teil folgt der Film seiner persön­li­chen Passi­ons­ge­schichte und bietet mit seinen Augen die Innen­an­sicht der Massen­morde. Die zweite Hälfte zeigt die verzwei­felte Suche des Vaters Nazaret nach seinen Töchtern – sie wird über drei Konti­nente zum globalen Trip eines Heimat­losen.

Stilis­tisch ist The Cut nicht sonder­lich verwegen, Main­stream-Kino fürs große Publikum, das auch nichts anderes sein will, als das, und dafür sein ambi­tio­niertes, mutig gewähltes Thema mitunter weich­spült, unter­kom­plex behandelt und die an sich sehr gelungene Filmmusik zu oft einsetzt.

Politisch aber ist dieses viel­schich­tige Drama nicht nur mutig, sondern so klug wie anständig: Deutlich zeigt Akin die Verbre­chen, er benennt und beschö­nigt nie. Doch er achtet auf die feinen Unter­schiede: So wird sehr klar heraus­ge­ar­beitet, dass die Morde aufs Konto der poli­ti­schen Führung gingen. Auch weist der Film so subtil wie klar auf die Schuld der Deutschen hin, mit denen die Osmanen im Ersten Weltkrieg verbündet waren. Schließ­lich zeigt er eine Gruppe türki­scher Deser­teure – ein Tabubruch, denn in der Türkei ist es nicht möglich, offen auszu­spre­chen, dass es überhaupt Deser­teure gab, Angst vor dem Krieg, Feigheit vor dem Feind. Zugleich aktua­li­siert Akin sein Thema klug; denn er erzählt eine sehr gegen­wär­tige Geschichte: Von Flücht­lingen, von Migranten, von multi­kul­tu­reller Gesell­schaft.

Nicht immer aber ist The Cut so diffe­ren­ziert: Die Armenier sind hier immer grundgut, fürsorg­lich und human, noch im Tod soli­da­risch und liebevoll. Kein schlechter Charak­terzug trübt das Bild, keinen Verräter gibt es – mehr Grautöne wären besser gewesen als derartige Schwarz­weiß­ma­lerei.

Der Gesamt­ein­druck wird durch seine Haupt­figur und deren Darsteller getrübt: Tahar Rahim (Un prophète) hat leider nur einen immer­glei­chen Ausdruck. Wie ein armer Tor wandert Nazaret durch das Grauen der Welt, innerlich wie äußerlich scheinbar unberührt. Dass er die Hölle auf Erden erlebt hat, hinter­lässt weder in seiner Seele noch seinem Gesicht erkenn­bare Spuren, und die zehn Jahre in Elend, Armut und Todes­ge­fahr machen ihn keinen Tag älter. Es gibt kein Trauma. Dass er das alles erlebt haben soll, glaubt man keine Sekunde. Zudem hat die Haupt­figur immer Glück, verliebt sich nicht, hat keine Freunde, aber auch keine Laster und Schwächen. Er ist einfach da und ist besessen davon seine Töchter zu finden – zu wenig für zwei­ein­halb Stunden.

Liebe, Tod und Teufel nennt Fatih Akin im Pres­se­heft seine Trilogie, die mit Gegen die Wand begann (Liebe), mit Auf der anderen Seite (Tod) weiter­ge­führt wurde und nun abge­schlossen ist. Vom Teufel sieht man leider nicht genug in diesem Film. Aber der konven­tio­nelle, auch in der engli­schen Origi­nal­sprache erkennbar aufs breite Publikum zielende Zugang hat Vorteile: Im Gewand der Unter­hal­tung schmug­gelt der Roadmovie brisante Botschaften auf die Leinwand: Er bricht mit einem Tabu, er rückt die Leiden des arme­ni­schen Volkes ins Zentrum der Aufmerk­sam­keit.