American Sniper

USA 2014 · 132 min. · FSK: ab 16
Regie: Clint Eastwood
Drehbuch:
Kamera: Tom Stern
Darsteller: Bradley Cooper, Sienna Miller, Luke Grimes, Jake McDorman, Cory Hardrict u.a.
Wieso nur steht auf der Mütze »Charlie«? Ist am Ende Eastwoods Film Schuld an dem Massaker im Satiremagazin?

Jeder schießt für sich allein

Es herrscht Krieg in Amerika: Meinungs­krieg. Hollywood-Linke wie Seth Rogan oder Michael Moore, die sich vor kurzem ablehnend zu Clint Eastwoods mega­er­folg­rei­chem Scharf­schützen-Epos American Sniper geäußert haben, werden von politisch rechten Hard­li­nern wie Sarah Palin öffent­lich an den Pranger gestellt. Auf ihrer Facebook-Seite geht Palin mit einigen links­li­be­ralen Vertre­tern der US-Enter­tain­ment-Industrie scharf ins Gericht: »Ihr taugt nicht, um Chris Kyles Kampf­stiefel zu putzen«, verkündet sie ebenso stolz wie provokant ihren repu­bli­ka­ni­schen Freunden, zu denen auch der Regisseur des kontro­versen Machwerks zählt. Tausende Ameri­kaner haben sich in den vergan­genen Wochen mit einer Armada an Tweets und Postings online an der Debatte beteiligt. Was ist da bloß passiert?

Zum einen hat der mitt­ler­weile 84-jährige Clint Eastwood, der als strammer Konser­va­tiver nie einen Hehl aus seinen Sympa­thien für Amerikas Rechte gemacht hat, erst einmal einen neuen Film gedreht, American Sniper. Wieder einen Kriegs­film, ein Metier, das ihm nach seinem filmi­schen Doppel­pack (Flags of Our Fathers / Letters from Iwo Jima) von 2006 bestens vertraut ist. Zum anderen bedient er damit geschickt den Trend der ameri­ka­ni­schen Studios, umkämpfte Kriegs­schau­plätze mit US-Soldaten auf die große Leinwand zu bringen, ob martia­lisch, wenn es um den Zweiten Weltkrieg geht (Herz aus Stahl), oder zumindest etwas diffe­ren­zierter, bei den jüngsten Kriegs­mis­sionen im Nahen Osten (Tödliches Kommando / Zero Dark Thirty).

Auf jeden Fall höchst gewinn­brin­gend, das steht jetzt schon fest: Über 300 Millionen US-Dollar hat Eastwoods umstrit­tener Kriegs­film über das Leben des US-Navy-SEALS Chris Kyle seit Mitte Januar bereits in die Kasse von Warner Bros. gespült. Unglaub­liche Zahlen sind das, in Zeiten, in denen ansonsten nur noch die »Marvel«-Comic-Helden weltweit dermaßen erfolg­reich laufen. Sechs »Oscar«-Nomi­nie­rungen gab’s obendrauf. Einen hat er schließ­lich bekommen (Bester Tonschnitt) – wenn auch nur in einer Trost­ka­te­gorie.

Chris Kyle (1974 – 2013), der titel­ge­bende »Sniper« für Eastwoods Film, war im Irak der gefürch­teste Scharf­schütze der US-Armee. Mindesten 160 tödliche Treffer wurden ihm in internen Militär­sta­tis­tiken ange­rechnet. »Legende« wurde er schon zu Lebzeiten von seinen Mitstrei­tern ehrfurchts­voll genannt. In den waffen­ver­ses­senen USA kennt ihn bis heute jedermann, nicht zuletzt durch seinen Memoiren-Band (»American Sniper: The Auto­bio­graphy of the Most Lethal Sniper in U.S. Military History«), der ebenfalls in Millio­nen­auf­lage erschienen ist.

Haupt­dar­steller Bradley Cooper, der sich früh­zeitig die Film­rechte gesichert hatte und ursprüng­lich gerne mit Steven Spielberg gedreht hätte, verkör­pert ihn stoisch mit 20 Kilogramm Extra-Muskel­masse. Wortkarg glori­fi­ziert er ihn zum leisen Todes­engel, der auf Ruinen­dächern liegend zum gefei­erten Kriegs­helden mutiert: Immer mit dem Sucher vor dem Auge, immer in Bereit­schaft, den nächsten »savage«, Wilden, wie er die Einhei­mi­schen spöttisch nennt, im Sinne des ameri­ka­ni­schen Vater­landes kalt­blütig abzu­knallen. In Eastwoods verklä­render Regie ist Kyle der schat­ten­lose Todbringer, ein mundtot gemacher Elite-Soldat, dessen Frau Taya (blass-bieder: Sienna Miller) an der Heimat­front gerade das zweite Kind erwartet. Eine urame­ri­ka­ni­sche Sicht der Dinge also, stets in Schwarz-Weiß-Mustern gehalten – und natürlich nicht minder urame­ri­ka­nisch in der Stoff­aus­wahl.

Kriti­scher Abstand, gar Auto­re­fle­xion des Helden? Nicht in dieser düsteren John-Wayne-Variation in Zeiten des Terrors. Viel schlimmer noch: Jedwede Zweifel an der Rich­tig­keit des Einsatzes werden in 133 Minuten kein einziges Mal thema­ti­siert, weder von Kyle noch von seiner weißen Vorzei­ge­frau. Kein Nach­fragen, nirgends. Im Gegenteil: Es hagelt Auszeich­nungen statt Granaten für den Titel­helden. Nonstop, was den Eindruck grotesker Glori­fi­zie­rung obendrein minütlich steigert und Eastwoods faden­schei­nige Helden­ver­eh­rung schwer erträg­lich macht. Besonders widerlich im Abspann des Films, wenn Erin­ne­rungs­fotos des »Helden« und Szenen von Kyles Ehren­ge­denken in den USA einge­blendet werden, unterlegt durch von Patrio­tismus trie­fenden Trompeten. Dazu werden, wie selbst­ver­s­tänd­lich, aufrechte Bürger an der Straße gezeigt, die dem Toten im Sarg exzessiv mit Flaggen hinter­her­we­deln: Seelen­balsam für die repu­bli­ka­ni­sche Seele. Nichts anderes mani­fes­tiert sich in Clint Eastwoods gar nicht weisem Alters­werk.

»Film ist Krieg, mein Freund!«, heißt es zu Beginn in Patrick Süskinds Rossini-Drehbuch. Wer hier Freund und wessen Krieg das ist, zeigt sich in diesem reak­ti­onärem Kriegs­film schon in der ersten Einstel­lung: Ein verdäch­tiger Iraker von viel­leicht acht (!) Jahren wird nieder­ge­streckt. Schnell, lautlos, unre­flek­tiert. Genau so wie es der Titelheld – im Gegen­schnitt – in seiner Kindheit vom Vater bei der Wildjagd gelernt hat: Nicht warten, schießen! Dann bleibst du der Sieger – und wirst als Held verehrt. So einfach kann die Welt sein, zumindest in Eastwoods Sicht. Um das anschließende Schlach­ten­ge­tümmel anzu­heizen, wird schnell ein namen­loser Gegen­spieler, ebenfalls ein Scharf­schütze, aufge­fahren. Über dessen Biogra­phie erfährt der Zuschauer in den nächsten zwei Stunden genauso wenig wie generell über das Leben der trau­ma­ti­sierten Menschen in den verwüs­teten Häuser­schluchten.

Statt­dessen zele­briert der ameri­ka­ni­sche Regie-Altstar den Helden­my­thos des scheinbar unbe­sieg­baren US-Militärs in vielen Szenen­wech­seln: Kumpelton im Kriegs­ge­don­nere, andauernd verfüg­bare Munition, High­tech­waffen, Sonnen­brillen und bestens versorgte Ehefrauen in der fernen Heimat. So macht Krieg Spaß! Dass dabei auch die ein oder andere irakische Frau mitsamt Kind drauf­gehen muss: So what?

Warum aber dieser Kriegs­ein­satz im Irak überhaupt begonnen wurde und wohin er die ameri­ka­ni­sche »Welt­po­lizei« geführt hat, bleibt Eastwood in American Sniper bis zum Ende hin schuldig. Selbst die mitunter rasanten Kriegs­sze­ne­rien, die zumindest in einer Sandsturm-Sequenz etwas vom absoluten Chaos und der Unkon­trol­lier­bar­keit der täglichen Einsätze vermit­telt, können nicht davon ablenken, dass Eastwoods Kriegs­film der Kernfrage »Warum erschieße ich auf Knopf­druck einen anderen Menschen?« permanent ausweicht.

Den Krieg überlebte Chris Kyle im wahren Leben para­do­xer­weise, den Frieden nicht: Er wurde nach seinem vierten Einsatz ruhmreich in den ewigen Fron­tur­laub entlassen – und dort, wenig helden­haft, erschossen. Ausge­rechnet von einem kriegs­trau­ma­ti­sierten Veteranen. Davon hätte Eastwoods Film ehrli­cher­weise erzählen sollen, anstatt ihn für die Film­ge­schichte unre­flek­tiert aufs Helden­schild zu hieven: höchst uneh­ren­haft.