27.09.2001

»Es gibt keinen Nationalstil«

Szenenbild SUZHOU RIVER
Suzhou River

Der Filmemacher Lou Ye im Gespräch über Suzhou River

Vom Alter her gehört der 1965 geborene Lou Ye der S„echsten Gene­ra­tion“ der rotchi­ne­si­schen Filme­ma­cher an, welche nach dem Massaker von Tiananmen-Platz hervor­trat. Stilis­tisch sind seine Filme – bisher Weekend Lover , Don’t Be Young – offener und kosmo­po­li­ti­scher, „west­li­cher“. Suzhou River (Suzhou he) ist der erste Film aus der Volks­re­pu­blik China, der von einer west­li­chen – deutschen – Produk­ti­ons­firma herge­stellt wurde, zum Teil an der Zensur vorbei: Die Film­rollen wurden außer Landes geschmug­gelt, der Film, der auf mehreren Festivals Preise gewann, ist in seiner Heimat einst­weilen verboten.
Mit Lou Ye sprach Rüdiger Suchsland

artechock: Sie leben in der Volks­re­pu­blik China, ihr neuer Film ist dort aber verboten. Für uns ist Ihre Situation schwer vorstellbar...

Lou Ye: Man muss sich keine Sorgen um mich machen. Ich lebe in China, kann dort arbeiten. Ich werde nicht politisch verfolgt. Es gibt nur manche – längst nicht alle – die mit Suzhou River nicht einver­standen sind. Andere sind stolz auf seinen Erfolg. Ich bin zuver­sicht­lich, dass der Film eines Tages gezeigt werden wird.

artechock: Wo liegt das Problem?

Lou: Suzhou River ist realis­tisch, zeigt keinen Glanz. Er hat auch keine „pädago­gisch wertvolle“ Botschaft, ist manchen zu indi­vi­dua­lis­tisch, anderen zu wenig ein Aushän­ge­schild unsres Landes.

artechock: Einem europäi­schen Beob­achter erscheint er sehr „westlich“, verwandt eher dem Kino aus Hongkong und Taiwan, auch manchen europäi­schen Filmen. Und natürlich gibt es einen offen­sicht­li­chen Bezug auf Hitch­cocks Meis­ter­werk Vertigo. Wie bewerten Sie selbst solche Einflüsse?

Lou: Sie sind weniger stark, als es scheint. Glauben Sie mir bitte: Ich habe Vertigo nicht gekannt, als ich den Film machte, ihn erst später gesehen, nachdem mich manche darauf anspra­chen. Ich gebe zu: das Motiv ist sehr ähnlich. Aber der Stil ist verschieden. Tatsäch­lich haben mich manche Filme aus Hongkong und anderes asia­ti­schen Ländern, aber auch aus Frank­reich beein­flusst – so wird es wohl jedem Regisseur gehen, der sich mit Filmen beschäf­tigt. Keiner schöpft aus dem Nichts. Im Übrigen glaube ich, dass in einer offenen Welt die Idee eines natio­nalen Kinos überholt ist. Ein Film mag Ausdruck eines bestimmten Momentes in der Geschichte sein, eines Ortes, und natürlich eines Künstlers sein – aber es gibt keine „natio­nalen Gemein­sam­keiten“, keinen „Natio­nal­stil“.

artechock: Manches wird Europäern bekannt vorkommen. Eine Meer­jung­frau zum Beispiel...

Lou: Die Idee dazu kam mir in einer Bar. Es gibt eine in meiner Heimat­stadt Shanghai, wo junge Mädchen in Meer­jung­frau-Kostüm in einem Wasser­tank schwimmen. Ich fand es amüsant, wie westliche Mytho­lo­gien im modernen China plötzlich wieder auftau­chen, in einem Bar-Kontext. Das ist ein sehr reprä­sen­ta­tives Bild für das China von heute.