07.07.2011
28. Filmfest München 2011

»Ich war wirklich ein kompletter Einsiedler«

Kim Ki-Duk
Kim Ki-Duk während eines Photocalls anlässlich der Arirang-Premiere in Cannes

Der absolute Nullpunkt eines Künst­ler­le­bens: Heulend wie ein kleines Kind sitzt Kim Ki-Duk da – dick einge­mummt, weil selbst das Zelt, das er in seiner kaum beheizten Einsied­ler­hütte aufgebaut hat, die eisige Kälte nicht abhalten kann. Er schaut sich auf seinem Computer die Eröff­nungs­se­quenz aus Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling an, seinem wohl bekann­testen und meist­ge­lobten Film. Es muss viel zusam­men­kommen, emotional, in diesem Moment: Die Erin­ne­rung an die Zeit, als seine Krea­ti­vität voll im Saft stand, als er Ehrungen und inter­na­tio­nale Aner­ken­nung zuhauf erntete. Die Film­bilder des Mönchs, der unter sisy­phos­glei­chen Mühen seine Buddah-Statue von seinem Seekloster auf einen Berg schleppt – eine Allegorie auch für die Plagerei der Existenz. Die Erkenntnis, wie weit er von seinem damaligen Selbst entfernt ist, trau­ma­ti­siert von einem Set-Unfall, bei dem 2008 beinahe eine Schau­spie­lerin lebens­be­droh­li­chen Schaden genommen hätte, woraufhin Kim eine Sinn- und Schaf­fens­krise erlitt, die ihn zum Eremiten machte. Und dann »Arirang«, das Lied, das den Film­vor­spann begleitet, und das schließ­lich dem cine­as­ti­schen Dokument dieser Krise sein musi­ka­li­sches Leitmotiv und seinen Titel liefern sollte: Eine alte korea­ni­sche Weise von Sehnsucht und dem wehmü­tigen Haschen nach Vergan­genem.

Kim Ki-Duk hat sich in dieser Situation selbst mit der Kamera gefilmt. Was sein Weg aus dem tiefen Loch wurde: Arirang ist viel mehr als nur das selbst­mit­lei­dige Tagebuch einer Depres­sion geworden. Es gibt die Momente unge­fil­terter Verzweif­lung – aber der fertige Film ist scho­nungslos nicht nur in diesen Momenten, sondern auch diesen Momenten gegenüber. Er bricht sie, zeigt, wie Kim selbst sie sich später beim Schnitt anschaut, hebt sie in einen größeren Kontext.
Arirang zeigt einer­seits einen Künstler, dem die Schaf­fens­kraft abhanden gekommen scheint – ist aber zugleich der Beweis, dass diese nie ganz verschwunden war. Denn es ist eindeutig der Film eines Regis­seurs, der das Insze­nieren nicht lassen kann, dem es tief im Blut steckt. Arirang weiß genau, an welchem Punkt noch die persön­lichste, intimste Szene drama­tur­gisch erschöpft ist und die formende Hand des Filme­ma­chers eingreifen muss. Selbst gegenüber Kim Ki-Duk, dem zutiefst Verzwei­felten, gewinnt Kim Ki-Duk, der Regisseur, letztlich die Oberhand. Arirang ist kein bloßes Dokument, er ist ein Werk.
Auf dem Filmfest München 2011 hatte artechock Gele­gen­heit, den Filme­ma­cher zu treffen.

Das Gespräch führte Thomas Wilmann.

artechock: Wie fühlt es sich an, sich selbst in solch intimen, schutz­losen Momenten auf der Leinwand zu sehen? Und diese mit einem Publikum zu teilen?

Kim Ki-duk: Jedesmal, wenn ich mich da auf der Leinwand betrachte, fühle ich mich bloß­ge­stellt. Deswegen werde ich bei der Vorfüh­rung des Films auf dem Festival lieber den Kinosaal verlassen – und mir vorstellen, wie das Publikum sich wohl fühlen wird.

Wobei ich mir keinen großen Kopf mache, wie das Publikum meinen Film wahrnimmt. Sobald ein Film im Kino läuft, hat er mich bereits verlassen. Deswegen muss ich die Wahr­neh­mung des Publikums einfach akzep­tieren. Ob es ihn kriti­sieren möchte oder für gut hält, ist dann seine Sache. Wenn ein Film von mir im Kino läuft, denke ich bereits an den n ächsten Film. Ich habe da also eine gewisse Gelas­sen­heit..

artechock: Als Sie begannen, sich in Ihrer Krise selbst zu filmen, war Ihnen da klar, dass daraus ein Kinofilm werden würde?

Kim: Diesen Film wollte ich eigent­lich gar nicht an die Öffent­lich­keit tragen. Ich wollte einfach nur einmal doku­men­tieren, wie ich lebe, wie es mir geht. Eigent­lich wollte ich diesen Film für mich behalten. Aber als ich bei der Arbeit sozusagen mit dem Schnitt ange­fangen habe, kam mir der Gedanke, dass ich ihn viel­leicht einmal mir nahe­ste­henden Menschen zeigen könnte.

Der Film hat sich dann langsam entwi­ckelt. Im Laufe der Zeit habe ich gemerkt, dass die Art der bloßen Doku­men­ta­tion ein Publikum viel­leicht lang­weilen könnte. Deswegen habe ich mir gedacht: Gut, es sollte viel­leicht einmal ein zweiter Kim Ki-Duk auftreten, und ein dritter. Denn ein gewisser Dialog, ein bisschen Unter­hal­tung muss schon da sein.

Aber am Anfang hatte ich eigent­lich gar keinen festen Plan. Und ich habe erst recht nicht damit gerechnet, dass mich Film­fes­ti­vals damit einladen würden – denn bisher habe ich ja Spiel­filme gemacht, das ist mein erster Doku­men­tar­film.

artechock: Wie Sie erwähnten, treten in dem Film mehrere Kim Ki-Duks auf. Welches davon ist der »echte« Kim Ki-Duk, oder dem am nächsten – falls es so einen überhaupt gibt?

Kim: Das kann ich auch nicht sagen. Alle Kim Ki-Duks wohnen in mir inne. Ich glaube, dass jeder Mensch drei verschie­dene Ichs besitzt: Das Ich, das man selbst kennt, und ein Ich, das die anderen kennen, sowie ein Ich, dass das ursprüng­liche Ich ist.

artechock: Im Film sind Sie, von den verschie­denen Ichs abgesehen, stets nur ganz allein zu sehen. Wieviel Kontakt zur Außenwelt hatten Sie in der Zeit wirklich?

Kim: In der Zeit des Einsied­ler­tums habe ich die Kontakte zu Leuten aus der Film­branche vermieden. Ich hatte nur Kontakte zu meiner Familie. Oder zu den Leuten aus der Fabrik, die ich kontak­tieren musste für die Espres­so­ma­schine und den Revolver, die ich in dem Film selbst baue. Aber sonst hatte ich wirklich keinen Kontakt zu Film­leuten oder ehema­ligen Mitar­bei­tern. Ich habe mich nie bei ihnen gemeldet und habe auch den Kontakt vermieden.

artechock: Wie Sie erwähnen, sieht man Sie in Arirang oft Dinge basteln. Ist solch händische Arbeit mit greif­barem Resultat befrie­di­gender als geistige Arbeit?

Kim: Ich sehe eigent­lich keinen Unter­schied dazwi­schen, einen Film zu drehen und solche Sachen zu basteln. Bevor ich Filme­ma­cher wurde, habe ich ja auch in einer Fabrik gear­beitet. Und ich liebe es, Sachen zu basteln. Aber beim Bauen eines Geräts sehe ich die selbe Philo­so­phie am Werk wie bei der Herstel­lung eines Films. Ich habe an beidem gleich­viel Freude.

artechock: In einer Szene in Arirang sehen Sie sich den Anfang von Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling an. Haben Sie sonst während Ihrer Krise Filme ange­schaut – eigene oder die anderer Leute?

Kim: Außer Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling habe ich keine Filme gesehen. Zu dieser Zeit bin ich nicht einmal ins Kino gegangen. Ich war wirklich ein kompletter Einsiedler. Und dass ich eigent­lich nichts anderes zu tun hatte, war auch der Grund, warum ich die Espres­so­ma­schine,den Revolver usw. gebaut habe.

artechock: Welche Bedeutung haben die Orte, die Sie am Ende des Films mit dem Revolver aufsuchen?

Kim: Die drei Orte, die ich ausge­sucht habe, symbo­li­sieren die drei verschie­denen Fragen und Probleme, die mich so lange beschäf­tigt haben: Ein Problem mit mir selbst. Ein Problem mit der Gesell­schaft. Und ein Problem mit meinen ehema­ligen Mitar­bei­tern. Diese Aktion drückt meine Wehmut, Wehklage aus, ich wollte die Dinge, die mich depressiv machen, loswerden.

Es ist aber keine eindeu­tige Bedeutung. Ich möchte Arirang nicht nur auf meine persön­liche Geschichte beschränken. Sondern auch die Geschichte des Publikums und vor allem anderer Film­re­gis­seure. Sie haben sicher auch ähnliche Probleme wie ich.

artechock: In Ihren bishe­rigen Filmen spielt Religion eine wichtige Rolle. Welche Bedeutung hatte Sie im Kontext von Arirang?

Kim: Religion ist einfach nur ein Teil dessen, wie man sein Leben führt. Ich bin kein Mensch, der sich durch Religion trösten kann. Ich möchte die Religion nicht unbedingt auf eine bestimmte Kirche oder einen Tempel beschränken. Ich sehe eigent­lich die ganze Natur als Gott oder Religion. Das ist auch der Grund, warum ich etwa am Griff des Revolvers in Arirang eine kleine Buddha-Figur ange­bracht habe – eine ironische Gegenü­ber­stel­lung der Gewalt und der Philo­so­phie Buddhas.

artechock: Welche Reaktion erwarten Sie auf den Film in Korea? Speziell auf eine Szene, in der Sie sich sehr kritisch mit den natio­nalen Ehren ausein­an­der­setzen, die Ihnen nach Ihren inter­na­tio­nalen Festi­val­er­folgen zuteil wurden?

Kim: Ich habe noch keine Entschei­dung getroffen, wann mein Film in Korea in die Kinos kommen soll. Eben wegen dieser Passage. Als mein Film in Cannes vorge­stellt wurde, haben ihn natürlich auch ein paar Koreaner gesehen und ihr Gefühle darüber geäußert. Und seither sind dementspre­chend die Leute in Korea auch sehr neugierig. Sie halten Arirang für eine Art Zeitbombe. Der Film sagt ja sehr viel über die Film­branche in Korea, und noch dazu über die korea­ni­sche Gesell­schaft – was ich sehr direkt anspreche. Aber egal, welche Reaktion das Publikum in Korea zeigt: Ich bin der Meinung, die Gesell­schaft braucht – gleich in welcher Art und Weise – eine Refor­ma­tion. Viel­leicht durch mich, oder durch andere Filme. Wenn die Gesell­schaft überhaupt in der Lage zur Verän­de­rung ist, möchte ich gern meinen Teil dazu beitragen.

Die Kritik am korea­ni­schen Publikum und der Regierung sind aber eigent­lich nur drei Minuten von dem ganzen Film. In den anderen 97 Minuten stecken so viele andere Geschichten. Doch die korea­ni­schen Jour­na­listen, die den Film gesehen haben, reden nur über diesen kleinen Teil. Und ich finde es so schade, dass meine Gedanken über Humanität, Gesell­schaft und Philo­so­phie – z.B. über unseren Umgang mit Essen und wie es herge­stellt wird – so wenig Beachtung finden. Das ist eigent­lich der wich­ti­gere Teil. Dass man nur Momente heraus­pickt, weil es gerade um die Regierung geht, finde ich sehr schade.

artechock: Leben Sie heute noch immer so einsied­le­risch? Werden Sie wieder Filme machen?

Kim: Seit ich in Cannes war, bin ich nicht mehr nach Korea geflogen. Ich bin also seit zwei Monaten in Europa. Ohne festen Sitz – ich ziehe von Ort zu Ort. Dabei denke ich natürlich sehr viel an die zukünf­tige Arbeit. Mag sein, dass ich in Europa etwas drehe... Viel­leicht aber auch in Korea. Bei mir ist das noch alles offen.

artechock: Eine zentrale Frage von Arirang ist: Was für eine Bedeutung hat Kino, warum soll oder muss man überhaupt Filme machen?

Kim: Die Antwort habe ich auch nicht. Was bedeutet eigent­lich Film? Das ist natürlich von Land zu Land sehr unter­schied­lich. Europäer, US-Ameri­kaner, Asiaten betrachten das Medium Film ganz unter­schied­lich. Früher war das Medium Film auch ein Mittel, damit man die eigene Gesell­schaft und ihre Geschichte reflek­tieren konnte. In Korea haben z.B. Filme nach dem Korea­krieg eine Rolle als pädago­gi­sche Instru­mente gespielt für die Bevöl­ke­rung. In den USA spielt das Medium Film eine ähnliche Rolle wie Kriegs­waffen. Ich denke, dass die USA allein durch das Medium Film die ganze Welt quasi atta­ckiert. Weil sie einen so starken Einfluss haben.

Ich bin der Meinung, dass der Film die Gesell­schaft oder das Leben des Menschen genau im Kern betrachten, erfassen sollte. Und danach kann man viel­leicht mal über die Zukunft reden. Wie überhaupt die Gesell­schaft weiter­läuft, und so. Ich bedauere, dass Film meist beschränkt auf Unter­hal­tung gesehen wird. Für mich ist er ein Spiegel, die Realität zu betrachten.