01.03.2018

Völker, seht die Signale!

Jan P. Matuszynski
Hinten sitzt mit Bart der schwarzgallige Sohn. Die letzte Familie eröffnet das »Mittel Punkt Europa Filmfest«
(Foto: Jan P. Matuszynski / MittelPunktEuropaFilmfest)

Das 2. Mittel Punkt Europa Filmfest zeigt den Humor und die wichtige Geschichtsverbundenheit der Visegrád-Ländern

Von Dunja Bialas

Liegt der Mittel­punkt Europas in Regens­burg? Die Donau, die durch die ober­pfäl­zi­sche Stadt fließt, darf immerhin als Haupt­schlag­ader des Konti­nents gelten. Seit der Steinzeit ist die Region besiedelt, weshalb die Stadt auf eine zwei­tau­send­jäh­rige Vergan­gen­heit zurück­bli­cken kann. Admin­stra­tives Zentrum Europas war Regens­burg im 17. und 18. Jahr­hun­dert, als der Immer­wäh­rende Reichstag dort tagte, die Stän­de­ver­tre­tung im Heiligen Römischen Reich, das in seiner größten Ausdeh­nung das gesamte Gebiet des heutigen Mittel- und Teile Südeu­ropas umfasste. Das hat sich im Handel und in der Kultur nieder­ge­schlagen; noch heute ist die Offenheit der Stadt gegenüber euro­päi­schen Einflüssen spür- und sichtbar.

In Regens­burg gibt es auch das »Europaeum«. Das Ost-West-Zentrum ist der Univer­sität einge­glie­dert, und Geschäfts­füh­rerin Lisa Unger-Fischer wurde vor wenigen Jahren mit der »Medaille für besondere Verdienste um Bayern in einem Vereinten Europa« ausge­zeichnet. Jetzt hat sie sich eines weiteren Projektes ange­nommen. Sie leitet nun auch das seit 2016 bestehende, dieses Jahr zum zweiten Mal durch­ge­führte »Mittel Punkt Europa Filmfest«, zusammen mit der seit Februar 2018 berufenen kommis­sa­ri­schen Leiterin des Tsche­chi­schen Zentrums München. Das »Mittel Punkt Europa Filmfest« wurde für dieses Jahr von der Baye­ri­schen Staats­kanzlei groß aufge­stellt und kann nun zeit­gleich in zwei baye­ri­schen Zentren statt­finden: Vom 1. bis 11. März im Film­mu­seum München (FMM) und vom 4. bis 7. März in der Regens­burger Film­ga­lerie im Leeren Beutel (LB) – das Festival ist ein neues Leucht­turm­pro­jekt für Bayern.

Im Zentrum von »Mittel Punkt Europa« stehen Filme aus den soge­nannten Visegrád-Ländern: Polen, Tsche­chien, Ungarn und die Slowakei. Gastland ist dieses Jahr Belarus, wodurch sich der Schwer­punkt mehr gen Osten verlagert. Belarus wird seit 1994 von Aljak­sandr Luka­schenka autoritär regiert und ist bekannt als Land, in dem die Zeit still­zu­stehen scheint. Der vom Festival ausge­wählte Film GaraSCH von Andrei Kureichik, der auch zu Gast ist, erzählt vom Traum, nach Amerika auszu­wan­dern und von der schwie­rigen Rückkehr nach Minsk. (FMM 6.3. 21:00 Uhr / LB 7.3. 21:00 Uhr)

Filme tragen zum Verständnis anderer Länder bei, wenn sie von der Volks­seele erzählen, vom Leben der Bevöl­ke­rung, von den Sorgen und Sehn­süchten der Menschen. Festivals können deshalb auch als poli­ti­sches Instru­ment der Aufklä­rung und Aner­ken­nung gelten, und als ein solches versteht sich auch das »Mittel Punkt Europa Filmfest«. Jede Vorstel­lung setzt sich aus Filmen verschie­dener Nationen zusammen, wodurch die »Einheit des Kultur­raums« deutlich wird, wie die Veran­stalter heraus­stellen, das Programm sei dabei »politisch durchaus kontro­vers.« Dies mag nicht zuletzt an Filmen wie Kornél Mundruczós Jupiter’s Moon (Ungarn 2017) liegen, der von einem syrischen Flücht­ling an der unga­ri­schen Grenze erzählt (FMM 4.3. 21:00 Uhr), oder dem tsche­chisch-slowa­kisch-ukrai­ni­schen Thriller Die Linie über Flücht­linge und Waren­schmuggel (FMM 6.3. 18:30 Uhr / LB 7.3. 18:30 Uhr, Regisseur Peter Bebjak ist zu Gast): Die Visegrád-Länder wurden vor dem Euro­päi­schen Gerichtshof verklagt, weil sie die Umsetzung der Umver­tei­lungs­quoten von Flücht­lingen blockieren.

Eröffnet wird mit dem polni­schen Die letzte Familie, einem absurden, pech­schwarzen und sehr empfeh­lens­werten Biopic über den polni­schen Surrea­listen Zdzisław Beksiński. Erzählt wird vom ganz normalen Leben zwischen Horror und Groteske in einer Plat­ten­bau­woh­nung, was eine tolle Einstim­mung in den berühmten osteu­ro­päi­schen Filmhumor gibt. (FMM 1.3. 19:00 Uhr / LB 4.3. 18:30 Uhr, mit dem tsche­chi­schen Anima­ti­ons­film Čím víc vím).

In München geht es im Programm weiter mit einem osteu­ro­päi­schen Kuriosum, wenn es nicht so ernst wäre. Jugend­liche werden in ihren Sommer­fe­rien mili­tä­risch unter­wiesen. Dies kennt man so vor allem aus der Ukraine und Russland, aber auch in Tsche­chien gibt es derartige Mili­tär­lager. Teaching War ist ein wichtiger Doku­men­tar­film und Regie­debüt der jungen FAMU-Absol­ventin Adéla Komrzý. (FMM 2.3. 18:30 Uhr, die Regis­seurin ist zu Gast)

Heiter wird es wieder beim polni­schen Sire­nen­ge­sang, der in die 1980er-Jahre eintaucht. Regis­seurin Agnieszka Smoc­zyńska lässt in ihrem Horror­mu­sical Meer­jung­frauen die Nacht­clubs Warschaus unsicher machen – das brachte ihr 2016 den Special Jury Award in Sundance ein. (FMM 2.3. 21:00 Uhr)

A Prominent Patient wartet mit dem promi­nenten Hanns Zischler auf – der Film des Tschechen Julius Ševčík ist ein Biopic über Jan Masaryk (Karel Roden), der versuchte, 1938 die Unter­zeich­nung des »Münchner Abkommen« zu verhin­dern. Der Film wurde mit zwölf Tesche­chi­schen Löwen ausge­zeichnet. (FMM 3.3. 21:00 Uhr)

In beiden Städten zu sehen ist wieder I’m a Killer des Polen Maciej Pieprzyca, der auch zu Gast ist. Der Film beginnt als Krimi über einen Seri­en­mörder und entwi­ckelt sich zum beklem­menden Psycho­duell zwischen Partei und Staat. (FMM 3.3. 18:30 Uhr / LB 5.3. 21:00 Uhr)

In die unrühm­liche Gegenwart blickt der tsche­chi­sche Doku­men­tar­film The White World According to Daliborek von Vít Klusák, der mit Ceský sen – Der tsche­chi­sche Traum bekannt wurde. Klusák portrai­tiert einen Neo-Nazi mit einem großen Hass auf die Welt, der gleich­zeitg aber ein Mutter­söhn­chen ist. Die Spannung gilt es auszu­halten! (FMM 4.3. 18:30 Uhr / LB 5.3. 18:30 Uhr)

Nach dem unga­ri­schen Film 1945 über das Kriegs­ende in einem unga­ri­schen Dorf, der das große Drama von »Schuld und Sühne« verhan­delt (FMM 6.3., 18:30 Uhr / LB 7.3. 18:30 Uhr, Regisseur Ferenc Török ist zu Gast), geht es heiterer in die Abschluss­tage. Der mit dem Unga­ri­schen Filmpreis 2017 ausge­zeich­nete Doku­men­tar­film Soul Exodus portrai­tiert die Klezmer-Band »The Brothers Nazaroff« (FMM 9.3. 18:30 Uhr, zwei Band­mit­glieder sind zu Gast). Aus der Sparte Kinder- und Jugend­film, für die die Osteu­ro­päer ebenfalls berühmt sind, kommt der poetische Film Little Habour der Slowakin Iveta Grófová. (FMM 10.3. 18:30 Uhr, Schau­spieler Milan Chal­movský ist zu Gast)

The Teacher des renom­mierten tsche­chi­schen Regis­seurs Jan Hřebejk gibt dem Festival noch einen letzten Höhepunkt. Seine beißende Komödie geht zurück in die 1980er Jahre und persi­fliert das System kleiner, angeblich sozia­lis­tisch gedachter Gefäl­lig­keiten. (FMM 11.3. 18:30 Uhr)

Mittel Punkt Europa Filmfest
1.-11.3.2018 München

Film­mu­seum (Karten: 089/233 96 450)
4.-7.3.2018 Regens­burgFilm­ga­lerie im Leeren Beutel (Karten: 0941 / 298 45 63)
Eintritt: 5€
Gefördert von der Baye­ri­schen Staats­kanzlei, der Stadt Regens­burg und dem Kultur­re­ferat der Landes­haupt­stadt München