03.05.2012

Das unsicht­bare deutsche Kino

Totem
Man muss suchen, um zu finden, etwa: Totem

Von Problemen, Chancen und Entdeckungen im hiesigen Gegenwartskino

Von Andreas Beilharz

Ende Februar lieferte das 50-jährige Jubiläum des Ober­hau­sener Manifests und jetzt, Ende April, die alljähr­liche Verlei­hung des Deutschen Film­preises vieler­orts Anlass, über den Status quo des deutschen Kinos, der Branche und der Film­för­de­rungs­land­schaft zu reflek­tieren. Schlecht steht es darum, war oft zu vernehmen. Aus vielen Gründen gut nach­voll­ziehen kann man das und der Furor mancher Wort­mel­dung scheint auch dringend nötig. Und doch gerät bei manchem Rund­um­schlag das eine oder andere durch­ein­ander oder wird auf einen zu kurz­ge­schlos­senen Nenner gezwängt. Beim Ober­hau­sener-Bashing wird oft übersehen, dass es neben den späteren Verwäs­se­rungen der Ideen und den selbst im einst bekämpften muffigem Film­büro­kra­tentum stecken geblie­benen Vertre­tern zunächst durchaus einschnei­dende Impulse davon ausgingen und es nicht wenige, heute aber über­wie­gend völlig verges­sene Inno­va­toren gab, die mal streng, mal spie­le­risch neue ästhe­ti­sche Formen erprobten. Beim Film­för­de­rungs-Bashing wird oft übersehen, dass der Schrei nach monetärem Eigen­ein­satz und die Forderung nach sich am Markt zu bewähren habenden Werken die Vielfalt des Kino­schaf­fens beschneidet und dabei ausklam­mert, dass es schlichtweg filmische Visionen gibt, deren Konse­quenz oder Radi­ka­lität nicht (oder nur in glück­li­chen Konstel­la­tionen) markt­förmig sind und die gerade daraus eine künst­le­ri­sche Kraft und kultu­relle Legi­ti­ma­tion schöpfen, deren Förderung unbedingt wünschens­wert ist, weil ihr Wert in Geld nicht aufzu­wiegen ist. Umgekehrt lauert freilich die längst Realität gewordene Gefahr, dass Filme nicht um ihrer künst­le­ri­schen Selbst willen entstehen, sondern in einer perversen Verdre­hung einzig als Selbst­zweck der Förderung, die zuvor­derst nach dem verlangt, was respek­tabel, relevant, reprä­sen­tativ und refi­nan­zie­rend ist.

Viel beklagt wird sehr zu Recht das Gesamt­bild dessen, was dann tatsäch­lich an deutschem Filmoutput die Multiplex- und Arthouse-Säle erreicht. Der hiesige Main­stream ist im Wesent­li­chen stecken geblieben in tristen Roman­tik­komö­dien- und Klamauk-Klamot­ten­kisten-Konven­tionen, einfalls­losen Hollywood-Anbie­de­rungen, Historien- und Literatur-Verwurs­tungen sowie harmlosen tragi­ko­mi­schen Betu­lich­keiten. Ausnahmen gibt es zum Glück, leider aber weit am Rand (dazu später mehr). Leben­diges Unter­hal­tungs- und Genrekino hingegen scheint verschwunden oder als Ruine ins Fernsehen abge­schoben. Als brach liegendes Potenzial harren all die Mythen, Schau­er­ge­schichten und Schau­plätze ihrer Ausschöp­fung. Entstanden etwa noch in den 80er Jahren originär deutsche Horror­filme wie Ralf Huettners Der Fluch, Robert Sigls Laurin, Eckhart Schmidts Loft, Georg Tresslers Sukkubus, Dominik Grafs Das zweite Gesicht oder als singuläre Under­ground-Erschei­nung Jörg Butt­ge­reits Nekro­mantik, scheint der Gedanke daran heute ähnlich abseitig wie an Karl May oder Edgar Wallace, an St.-Pauli-Reißer oder Werner Herzogs längst in die USA ausge­wan­derten Bilder­drang. Müßig und doch faszi­nie­rend die Speku­la­tion, ob viel­leicht alles anders gekommen wäre, wenn Anfang der 90er Jahre Filme wie Huettners Babylon oder Grafs Die Sieger an der Kasse nicht gefloppt, sondern Sensa­ti­ons­er­folge gefeiert hätten? Wäre ernst­ge­meintes deutsches Genrekino von großem Zuschnitt kinofähig geblieben?

Die schon lange andau­ernde Erlahmung des Pop- und Genre­kinos ist nicht das einzige Problem, aber womöglich sympto­ma­tisch, wenn man die Rahmen­be­din­gungen in den Blick rückt. Man muss sich viel­leicht ganz grund­sätz­lich über vieles gar nicht wundern in einem Land, in dem Film­kultur noch nie groß geschrieben wurde. Einem Land, das mit der Bundes­prüf­stelle für jugend­ge­fähr­dende Medien (BPjM) noch immer stolz unter dem Deck­mantel des Jugend­schutzes eine erwach­se­nen­be­vor­mun­dende Zensur­behörde hat, deren Unwesen weltweit in Demo­kra­tien einmalig ist und aus faden­schei­nigen Gründen für mehrere Tausend teils renom­mierte fiktio­nale Spiel­filme einzig die Unter­brin­gung im Gift­schrank vorsieht. Einem Land, in dem die Synchro­ni­sa­ti­onswut so verbreitet wie kaum irgendwo ist, so dass noch heute O-Ton-Kino­freunde jenseits der Großs­tädte buchs­täb­lich in die Röhre schauen. Einem Land, das sich um seine filmische Vergan­gen­heit so wenig schert wie kaum ein anderes. Wo nur ein Bruchteil der eigenen Film­ge­schichte bislang den Sprung ins DVD-Zeitalter geschafft hat, vieles in Film-, Fernseh- und Privat­samm­ler­ar­chiven verrottet oder nur einzelnen Auffüh­rungen auf Festivals und in Kine­ma­theken vorbe­halten bleibt. Weshalb auch der aktivste Cineast nur vage Ahnungen von der unge­heuren Fülle und Vielfalt deutscher Film­ge­schichte hat, wie sie sich selbst dem Inter­es­sierten nur andeu­tungs­voll als impo­santer Schat­ten­riss abzeichnet, während das öffent­liche Bewusst­sein und der Kanon nur einen immer gleichen fahlen kleinen Ausschnitt davon wahr­zu­nehmen bereit ist. Was dann immer wieder zur absurd verdrehten, vergif­teten Lobes-Phrase „für einen deutschen Film nicht schlecht“ führt. Man kann es aufgrund der geschil­derten Umstände den sich derart Äußernden wohl noch nicht einmal zum Vorwurf machen.

Kann man tatsäch­lich das Fazit ziehen, dass die deutsche Film­his­torie reich, aber weithin vergessen, die Gegenwart hingegen kahl und mager ist? So einfach ist es dann doch nicht. Die gute Nachricht: Wer fündig werden will, wird durchaus noch immer fündig, mitunter sogar reichlich. Auch das gegen­wär­tige deutsche Kino hält trotz und manchmal auch wegen aller Wider­s­tände viele Entde­ckungen parat für dieje­nigen, die bereit sind, gezielt danach Ausschau zu halten. Aber man muss tatsäch­lich viel genauer suchen, und die Produk­tions- und Vermark­tungs­be­din­gungen haben sich ins Beengende gewendet. Waren sowohl Genre-Absei­tig­keiten als auch radikale Auto­ren­filme früher durchaus nennens­werter Bestand­teil der kommer­zi­ellen Auswer­tung und fanden ihre Zuschauer, sind ihre Nach­folger zur Unsicht­bar­keit in engen Nischen verbannt. Die größte davon ist längst das Fernsehen, wo aller­dings die span­nen­deren (Kino-Co-)Produk­tionen oft erst auf mitternächt­li­chen Kleines-Fern­seh­spiel-Programm­plätzen versendet werden. Es gibt erfreu­li­cher­weise auch Beispiele, wie man sich in Nischen produktiv einrichten und das System ästhe­tisch ambi­tio­niert unter­wan­dern kann, und dabei dennoch zum Schreck des auf bieder insze­nierte Erzähl­scha­blonen kondi­tio­nierten Krimi­se­ri­en­pu­bli­kums regel­mäßig in der Primetime landet: Gleich vier neue Filme hat Dominik Graf zwischen der Berlinale 2011 und der Berlinale 2012 vorge­stellt (Drei Leben: Komm mir nicht nach, Poli­zeiruf 110: Cassan­dras Warnung, Das unsicht­bare Mädchen, Lawinen der Erin­ne­rung), jeder davon auf seine Weise – und dabei gar nicht unähnlich wie kürzlich Christian Petzolds verdien­ter­maßen gefei­erter Barbara – beseelt vom Geist längst verdrängter film­ge­schicht­li­cher Form- und Spuren­ele­mente und einer Sehnsucht nach ihrer vitalen Wieder­kehr im Gegen­warts­kino. Genre wird hier nicht als Beschrän­kung begriffen, sondern als Chance, mit Konven­tionen zu spielen, sie zu dehnen oder umzu­kehren. Der Reichtum liegt nicht in ausge­stellter Bedeutung, sondern in scheinbar beiläu­figen Details, in kleinen insze­na­to­ri­schen Vignetten, einer versteckten Geste, einem schnellen Zoom, einem gepfef­ferten Dialog, einem andeu­tungs­vollen Schlag­licht. Auch Klaus Lemke nutzt die Sicher­heit seiner zuver­lässig einkau­fenden ZDF-Nische produktiv. Der letzten Herbst in Hof und Wien vorge­stellte und noch auf einen Ausstrah­lungs­termin wartende Drei Kreuze für einen Best­seller ist sein schönster Film seit Jahren, ein angenehm selbst­iro­nisch und wunderbar leicht­händig impro­vi­sierter Inselfilm, der bisweilen fast an den spani­schen Regie-Eroto­manen Jess Franco denken lässt.

Diesen Geist, der sich auch mal einem aufrei­zend nutz- und absichts­losen filmi­schen Flanieren hingibt, würde man sich freilich auch im deutschen Kino-Main­stream häufiger wünschen. Doch gerade dort ist er besonders eklatant, der Mangel an Esprit, Witz, Charme und Phantasie. Kaum noch vorstellbar, dass sich einst ein Millio­nen­pu­blikum für die unbe­schwerten „Schwabing-Filme“ der 60er Jahre von Rudolf Thome, Klaus Lemke, May Spils, Roger Fritz, Eckhart Schmidt oder Marran Gosov begeis­tern konnte. Der noch immer fast jährlich einen Film drehende Thome ist es auch, der sich jenen spie­le­ri­schen Zugang und schöp­fe­ri­schen Eigensinn bewahren konnte, was ihn heut­zu­tage mit starken jüngsten Werken wie Das rote Zimmer oder Ins Blaue längst in eine völlige Außen­sei­ter­po­si­tion im Kino gebracht hat. Verdrängt von der Dominanz des sich gewichtig gebenden Relevanz- und Themen­kinos, das Dominik Graf kürzlich in der „Zeit“ aus guten Gründen heftig beklagt hat. Das »gewis­sen­lo­sere, lust­be­ton­tere, schmut­zi­gere Filmen«, das er als Alter­na­tive fordert, sucht man in einzelnen Aufreger-Szenen und unzäh­ligen Retorten-Komödien des gegen­wär­tigen Kino-Main­streams letztlich jedoch vergeb­lich. Selbst das jahr­zehn­te­lange Feindbild von prokla­mierten Auto­ren­fil­mern, Kultur­po­li­ti­kern und Film­kri­ti­kern, der deutsche Sex-, Report- und Leder­ho­sen­film der 70er Jahre, mutet dagegen heute trotz allem inhä­renten Mief gera­de­wegs erfri­schend an. Wo seiner­zeit zuweilen immerhin mit unver­hohlen kommer­zi­eller Offen­her­zig­keit und sich am Rande des Irrwit­zigen bewe­gender schmierig-schmud­de­liger Fabu­lier­lust unter­drückte Wunsch­ge­bilde ausge­breitet wurden, an denen man sich wahlweise reiben oder erfreuen konnte, muss man auf solcherlei Wuche­rungen bei heutigen Entspre­chungen wie den klein­geistig abge­zir­kelten, neokon­ser­va­tiven Spießer-Phan­ta­sien Glück oder Der letzte schöne Herbsttag zumeist gänzlich verzichten.

Die Suche nach besagter Alter­na­tive treibt einen zwangs­läufig ganz an die Ränder. Dann begegnet einem plötzlich Eckhart Schmidt, der mitt­ler­weile nicht mehr in Schwabing sondern in L.A. vormacht, wie radikales Filme­ma­chen ohne Budget funk­tio­niert. Einen Mann mit der Kamera (Haupt­figur in Kamera-Subjek­tive und One-Man-Filmcrew zugleich), ein Mädchen vor der Kamera und eine voyeu­ris­tisch-feti­schis­tisch aufge­la­dene cinephile Vision – mehr braucht er nicht er bei Hollywood Fling, um tatsäch­lich einmal das allzu oft unerfüllt bleibende Verspre­chen der digitalen Revo­lu­tion als schmutzig-expe­ri­men­telles Seri­en­kil­ler­movie einzu­lösen, wie es wohl nur einem von Obses­sionen getrie­benen Regisseur möglich ist, der an Respek­ta­bi­lität keine Gedanken mehr verschwendet. Der FSK ging das freilich zu weit, ihre Frei­ga­be­ver­wei­ge­rung beschränkte den DVD-Verkauf hier­zu­lande prompt auf den Amazon-Market­place. Man kann auch an einen Film wie Marian Doras Reise nach Agatis geraten, der dem kümmer­lich vor sich hinsie­chenden deutschen Low-Budget-Splat­ter­film erfri­schende formale Einfälle abgewinnt. Der Regisseur veraus­gabte sich jedoch mit eigenem finan­zi­ellem Einsatz beim vorhe­rigen Film so, dass er vorerst das Handtuch ganz hinschmeißt – auch so kann das Arbeiten jenseits von zahlungs­kräf­tigen Unter­s­tüt­zern und Förder­zu­sam­men­hängen ausgehen.

Weitere Nischen sind Film­fes­ti­vals und minimale reguläre Start­ter­mine, die zumindest die kleineren Kinos größerer Städte erreichen. Die Ange­bots­menge macht zwar selbst Cineasten die Orien­tie­rung nicht immer einfach, sorgt aber dafür, dass es neben den mit Markt­macht und Werbe­trommel in die Säle gedrückten Filmen immer auch Alter­na­tiven gibt, nach denen man sich umschauen kann und sollte. Da wären Filme wie die ohne falsche Verein­nah­mung das Fremde als fremd respek­tie­renden Schlaf­krank­heit (Ulrich Köhler) und Sonnen­system (Thomas Heise). Die weib­li­chen Außen­seiter-Versuchs­an­ord­nungen Im Alter von Ellen (Pia Marais) und Die Räuberin (Markus Busch). Die bittere, grandios gespielte Komödie Unten Mitte Kinn (Nicolas Wacker­b­arth) oder der von Ahnungen eines Lebens­all­tags-Horror durch­zo­gene Totem (Jessica Krum­ma­cher). Ambi­tio­nierte moder­nis­tisch-arti­fi­zi­elle Entwürfe wie in Unter dir die Stadt (Christoph Hoch­häusler) oder Headshots (Lawrence Tooley). Die Künstler-Reflexion Das schla­fende Mädchen (Rainer Kirberg) oder die Reprä­sen­tanz- und Kunst­le­gi­ti­mie­rungs-Demas­kie­rung Führung (René Frölke). Auch heraus­ra­gende deutsch co-produ­zierte bzw. geför­derte Werke wie Brownian Movement (Nanouk Leopold), Whores' Glory (Michael Glawogger) oder Mein Glück (Sergei Loznitsa) können einem in den Sinn kommen.

Auffällig im aktuellen Jahrgang auch die Anzahl lohnens­werter Doku­men­tar­filme, die statt bloßer Themen-Bebil­de­rung einen span­nenden formalen Zugang suchen. Etwa der Atomkraft-Utopie-Abgesang Unter Kontrolle (Volker Sattel), die menschen­leere Lebens­um­feld-Evokation Portraits deutscher Alko­ho­liker (Carolin Schmitz), der Beiträge zu System- und Gesell­schafts­fragen versam­melnde Angriff auf die Demo­kratie (Romuald Karmakar), der skan­dalöse Justiz­praxis am konkreten Einzel­fall durch­leuch­tende Revision (Philip Scheffner), die Heinz-Emigholz-Essay- und Archi­tektur-Filme Eine Serie von Gedanken und Parabeton, die von persön­li­chem Bezug moti­vierten Rosa-von-Praunheim-Inves­ti­ga­tionen Die Jungs vom Bahnhof Zoo und König des Comics, der von Lebens- und Zeit­ge­schichten und dem Glamour der Ausschwei­fung zehrende The Big Eden (Peter Dörfler), der von leben­diger Unmit­tel­bar­keit ange­trie­bene Noise & Resis­tance (Francesca Araiza Andrade, Julia Ostertag) oder die real­sa­ti­ri­sche, erhel­lende Paranoia- und Esoterik-Entlar­vung Die Mond­ver­schwö­rung (Thomas Frickel).

Die genannten Titel sind nur ein Ausschnitt, subjektiv und von Sich­tungs­zu­fällen beein­flusst, weil es sich nur um auch tatsäch­lich selbst gesehene Werke handelt, die in den letzten 12 bis 15 Monaten auf deutschen Festivals, in Kinos, bei TV-Sendern oder DVD-Anbietern auftauchten. Auf die Vorab-Nomi­nie­rungs­liste des Deutschen Film­preises schafften es die aller­we­nigsten, von der finalen Nomi­nierten-Endaus­wahl ganz zu schweigen, und im Kino kam fast keiner über ein paar Tausend Zuschauer hinaus. Geld von Film­för­de­rung oder Fernsehen half zwar den meisten bei der Entste­hung, an einem Etat für eine halbwegs publi­kums­wirk­same Auswer­tung fehlte es jedoch fast durchweg. Das ist nicht nur schade, sondern es wirkt sich auch insofern aus, als dass zumeist nur Schule machen kann, was auch tatsäch­lich gesehen wird und nicht in der Unsicht­bar­keit verbleibt.

Es sind insofern keine Filme, die einem zufällig an der nächsten Ecke über den Weg laufen, sondern über­wie­gend eher solche, die nicht nur aktiv rezipiert, sondern überhaupt erst einmal aktiv gefunden werden wollen. Von einem Publikum, das sich nicht einfach alles vorsetzen lässt, sondern die mitt­ler­weile bestehenden Möglich­keiten einer immer größeren Zahl an Film­fes­ti­vals, den Umschalt­tasten der TV-Fern­be­die­nung, dem inter­na­tio­nalem Versand­handel oder des Internets nutzt. Zugegeben: Mit dem Wunsch nach Neugierde und cine­philer Entde­cker­freude lassen sich zwar schwer­lich Massen mobi­li­sieren. Aber im glück­li­chen Fall zumindest die Inter­es­sierten dazu anregen, nicht einfach das gemeinhin Beklagte hinzu­nehmen, sondern sich nach Alter­na­tiven umzusehen und dabei auch mal Umwege in Kauf zu nehmen. Mit Vorschlägen wie einer Quote für den deutschen Film wird man hingegen kaum weiter­kommen, schon weil die Prämissen die falschen sind: Der Gedanke vom verschwom­menen Gebilde des „deutschen Films“ verstellt nur den Blick darauf, dass es eher darum gehen sollte, schlichtweg im Einzelnen inter­es­sante Filme zu ermög­li­chen und auch sichtbar zu machen. Man kann das Publikum dabei zu nichts zwingen, auch nicht zu seinem Glück, womit man sich in der Oppo­si­tion gegen die büro­kra­ti­schen Ober­lehrer ohnehin nur selbst zu eben­sol­chen machen würde (denn: wer legt fest, was ein „guter Film“ ist, und verhin­dert ein konsens­fähiges Über­ein­kommen darüber nicht überhaupt erst wirklich aufre­gendes Kino?).

Vers­tänd­lich indes, dass man die partielle Unbe­re­chen­bar­keit der Zuschauer als ernüch­ternde Undank­bar­keit auffassen kann, wenn man sich Beispiele wie Benjamin Heisen­bergs Der Räuber ansieht und meinen möchte: Welcher Film, wenn nicht gerade dieser, sollte das Zeug haben, mit der Verbin­dung von ambi­tio­nierter Auto­ren­vi­sion und packend insze­nierten Action­thriller-Sequenzen auch ein größeres Publikum zu erreichen? Das Wagnis des Verleihs, den Film verhält­nis­mäßig groß heraus zu bringen und auch in Multi­plexen zu plat­zieren, wurde mit eiskalter Ignoranz der Kund­schaft abge­straft. Mit span­nendem Kino, gutem Willen und enga­giertem Vermark­tungs­ein­satz ist es also nicht getan, und dass Qualität sich leider nicht von allein durch­setzt, dürfte auch eine Binsen­weis­heit sein. Was dann jedoch wieder ein Argument für die Film­för­de­rung wäre, die gerade solche glei­cher­maßen ambi­tio­nierten wie gewagten Unter­neh­mungen allen Unwäg­bar­keiten zum Trotz ermög­li­chen kann. Dass sie diesem Auftrag nicht immer nachkommt, vielmehr allzu oft gera­de­wegs verfor­mend statt unter­s­tüt­zend dagegen arbeitet, provo­ziert ganz entschieden Fragen der förder­prak­ti­schen Ausge­stal­tung, die wiederum tatsäch­lich dringend einer grund­le­genden Diskus­sion und Refor­mie­rung bedürfen. Ebenso viel gewonnen wäre aller­dings, wenn die Zuschauer nicht in der Position der passiven Konsu­menten beim nächst­ge­le­genen Angebot verbleiben, sondern sich häufiger zum aktiven Hin- und Umschauen, Suchen und Entdecken ermutigt sehen würden. Was indes das Fehlen bestimmter filmi­scher Formen ebenso wie die Margi­na­li­sie­rung weiter Teile der Film­ge­schichte und des Gegen­warts­kinos nicht allein ausglei­chen kann, und die Frage bleibt, ob es sich dabei nur um ein Akzeptanz- und Vermitt­lungs­pro­blem, oder eher um ein System- und Struk­tur­pro­blem handelt.